Protocol of the Session on January 31, 2001

(siehe Anlage 3)

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 18

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Renate Schmidt, Schindler, Dr. Hahnzog und anderer und Fraktion (SPD)

Vollzug des Ausländergesetzes – Beachtung humanitärer Grundsätze bei der Rückführung von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien (Drucksa- che 14/4040)

Ich eröffne die Aussprache. Redezeit pro Fraktion: 15 Minuten. Aber ich bitte auf die Uhr zu schauen, weil wir nur bis 19 Uhr eingeladen haben. Wortmeldung: Herr Kollege Dr. Rabenstein.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach BSE, Bundeswehr und den kommunalen Selbstverwaltungsdiskussionen behandeln wir jetzt noch den Vollzug des Ausländergesetzes. Ich freue mich, dass noch so viele Kolleginnen und Kollegen hier sind; denn die Sache ist natürlich äußerst wichtig. Dennoch muss ich darauf schauen, dass ich meinen Redebeitrag in zehn Minuten zu Ende bringe, damit wir auch noch von anderen Fraktionen etwas hören können.

Zunächst als Vorbemerkung: Natürlich bin ich Realist und kein Utopist und weiß, dass wir nicht alle Migrations

probleme der Welt hier bei uns in Deutschland oder in Bayern lösen können. Das ist so selbstverständlich wie nur irgendetwas. Es ist auch selbstverständlich, dass die Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien zum größten Teil zurückgeschickt werden müssen.

(Zuruf von Frau Radermacher (SPD): Die gehen sogar gern zurück!)

Die meisten wollen auch zurück in ihre Heimat und sind froh, wenn sie zurückkehren können. Aber es gibt auch humanitäre Gründe, die man anerkennen muss, bei vielen Familien, aus denen wir sie hier lassen sollten und müssen. Ich sehe leider auch im Petitionsausschuss immer wieder, dass diese humanitären Gründe nicht beachtet werden. Deswegen ist unser Antrag so wichtig.

(Beifall bei der SPD)

Zum Teil wurde unserem Antrag auch schon Rechnung getragen. Auf der Innenministerkonferenz wurde im letzten Jahr eine Änderung herbeigeführt, so dass Familien, deren Anliegen bei uns im Petitionsausschuss behandelt wurde und die abgeschoben werden sollten, doch noch bei uns bleiben durften. Das ist gut so, aufgeschoben ist aber leider nicht aufgehoben, so dass die betreffenden Fälle wieder zu uns in den Petitionsausschuss kommen werden. Ich hoffe, meine kleine Rede hier wird dann auch dazu beitragen, dass diese Fälle positiv entschieden werden können, das heißt, dass die betreffenden Familien bei uns bleiben können.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte einmal ganz kurz einen solchen Fall schildern, der bei uns schon behandelt worden ist. Es ging um eine Familie aus dem Frankenwald, die seit acht Jahren bei uns lebt und voll integriert ist. Die drei Kinder der Familie sind hier aufgewachsen. Sie besuchen die Volksschule bzw. das Gymnasium. Beide Elternteile haben hier Arbeit. Die Mutter arbeitet in einer Gastwirtschaft. Der Vater ist Schweißer in einem Handwerksbetrieb. Die Eingabe wurde von seiner Firma veranlasst. Dort heißt es – ich zitiere:

Durch seine Schaffenskraft für unsere Firma legte er

gemeint ist der Familienvater –

durchaus einen nennenswerten Grundstein für die Schaffung weiterer Arbeitsplätze. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass wir lange Zeit einen gleichwertig befähigten Fachmann suchten, jedoch nie fündig wurden.

Ende des Zitats. Unterstützt wurde diese Petition von einem Apotheker, der dazu folgendes schrieb:

Wir haben es hier mit einer Familie zu tun, die sich voll in unsere Gesellschaft integriert hat. Es ist ein Idealfall einer ausländischen Familie, die in unsere Gemeinschaft aufgenommen wurde.

Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist Volkes Stimme im positiven Sinne. Diese Petition wurde leider abgelehnt, die Familie sollte heimgeschickt werden. Sie ist noch bei uns, und nach meiner Meinung wie sicher auch nach Meinung der SPD und der GRÜNEN kann eine Familie, die uns wirklich nützt, nicht heimgeschickt werden. Wir reden doch immer von gezielter Zuwanderung. Deshalb ist es nicht nachvollziehbar, dass eine Familie, die voll integriert ist, in eine ungewisse Zukunft geschickt wird. Ich fordere deshalb, dass Familien, die bei uns voll integriert sind, die seit vielen Jahren hier leben und ihr Geld verdienen, auch hier bleiben dürfen.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt hier erste positive Ansätze in der CSU-Fraktion. Ich erinnere an den Präsidenten der Handwerkskammer von München, den Kollegen Traublinger. Er äußerte zu diesem Thema folgendes – Zitat:

Auch sollte vorsichtig mit der Abschiebung von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien umgegangen werden. Viele sind als Arbeitskräfte gut eingearbeitet und integriert. Eine große Zahl von ihnen ist jetzt wieder in der Heimat und hier fehlen sie uns.

Ich kann nur sagen: Herr Traublinger, bleiben Sie standhaft. Bei uns rennen Sie mit dieser Aussage offene Türen ein.

(Beifall bei der SPD)

Das Stichwort heißt Integration und nicht Abschiebung von Personen, die keine Perspektiven in ihrem Heimatland haben, hier aber wertvolle Staatsbürger sind.

Zu dieser Integration trägt die Ausländerpolitik der CDU und vor allem auch der CSU nicht bei.

(Beifall bei der SPD)

Wer von Leitkultur spricht, der grenzt aus und integriert nicht. Das muss deutlich gesagt werden. Wenn Sie von deutscher oder europäischer Kultur sprechen und diese zum Vorbild nehmen würden, hätten wir Sozialdemokraten mit Sicherheit nichts dagegen.

(Klinger (CSU): Ihr habt überhaupt keine Kultur! Ihr wisst überhaupt nicht, was Kultur ist! – Frau Radermacher (SPD): Das ist aber von einer Menschlichkeit! Hervorragend!! Wenn Sie sich nicht mehr weiterzuhelfen wissen, müssen Sie so etwas sagen!)

Bedeutete Ihr Zwischenruf jetzt, wir Sozialdemokraten hätten keine Kultur? – Dankeschön! Wir als über einhundert Jahre alte Partei wissen etwas von politischer Kultur.

(Beifall bei der SPD)

Deutsche Kultur heißt für uns und für mich Humanismus und Aufklärung. Darin ist natürlich auch das Christentum eingeschlossen. Damit meine ich aber auch die frühen

Demokraten der Revolution von 1848. Damit meine ich die Weimarer Republik und vor allem unser Grundgesetz, wo es heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Wohlgemerkt des Menschen, nicht des deutschen Menschen! Darauf können wir uns einigen. Mich stören das Wort Leitkultur und die Möglichkeiten seiner Interpretation. Wir haben schon einmal Schiffbruch erlitten, als die Deutschen den anderen Völkern zeigen wollten, was Leitkultur bedeutet. Das möchte ich auch noch sagen.

(Beifall bei der SPD – Freiherr von Rotenhan (CSU): Eine Unverschämtheit ist das! – Widerspruch bei der CSU)

Um es klarzustellen: Ich glaube nicht, dass die Christdemokraten die damaligen Inhalte wiedererwecken wollen. Die Interpretation des Wortes Leitkultur liefert aber auch den Rechten die nötigen Stichworte, ob sie es wollen oder nicht.

(Kränzle (CSU): Wer interpretiert denn das Wort?)

Genau das ist es. Bei den Leuten, die das Wort Leitkultur so interpretieren, geht es von „Ich bin stolz, Deutscher zu sein“ weiter über „Deutschland, Deutschland über alles“ bis hin zu „Am Deutschen Wesen soll die Welt genesen“. Das ist die Konsequenz dieser Leitkultur.

(Beifall bei der SPD)

Sie empören sich jetzt so. Warum reagieren denn die Kirche und die deutschen Juden – vor allem ihre Führung – so empfindlich auf den Ausdruck Leitkultur? Dieser Ausdruck ist doch keine Erfindung von uns. Warum reagieren die so empfindlich?

(Herbert Fischer (CSU): Wer denn?)

Wer? Das sage ich Ihnen genau. Der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken sagt zum Begriff Leitkultur wörtlich:

Wer unter Leitkultur verstehen sollte – auch das Wort ist missverständlich –, dass sich die deutsche Kultur gegen Fremdes abschließt oder Selbstaufgabe einfordert, wird die Stellung der Deutschen in einer Welt schwindender Grenzen nur erschweren.

Das ist ein Zitat des sächsischen Wirtschaftsministers Meyer von der CDU.

(Heike (CSU): Völlig falsch interpretiert!)

Noch ein Weiterer empört sich über die Interpretation, nachdem hier nach dem Namen gefragt wurde. Es ist der Landesbischof Friedrich. Er tadelt den Synodalen Beckstein. In einer Pressemitteilung heißt es:

Kritisch setzte sich Friedrich mit dem Begriff Leitkultur auseinander. Wer dieses Wort national definiert...

Wir kommen immer wieder zu dieser Interpretation. Ich habe nichts gegen den Ausdruck per se. Er wird aber so

interpretiert, dass er von den anderen ganz anders eingesetzt wird. Deshalb wäre es besser, wenn man auf den Ausdruck Leitkultur verzichten würde.

(Beifall bei der SPD)