Protocol of the Session on January 9, 2001

Ein Grundsatz der Ernährungspolitik, für die ich auch verantwortlich bin, ist: Bei der Lebensmittelsicherheit darf es kein Splitting zwischen fragwürdigen Standards für Einkommensschwache und Prämienprodukten für gut betuchte Verbrauchergruppen geben.

Ich werde die einzelnen Punkte noch aufführen, möchte das aber im Einzelnen heute nicht mehr tun. Wir müssen jedenfalls mehr darüber wissen, von woher BSE in unser Land kommt und wohin die Reise geht.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Das sind die entscheidenden Fragen. Ich weiß auch, ohne das verniedlichen oder herunterspielen zu wollen: Tierkrankheiten waren immer eine große Herausforderung für die Landwirtschaft. Wir alle zusammen müssen über Ländergrenzen hinweg alles tun, um diese Tierkrankheit zu bekämpfen und sie wieder loszuwerden.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Nach § 116 hat Frau Kollegin Lück um eine Zwischenbemerkung gebeten. Ich bitte Sie an das Rednerpult, Sie haben zwei Minuten.

(Zuruf von der SPD: Das geht vom Platz aus!)

Werte Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich will meine Zwischenintervention nicht ausweiten, sondern nur sagen: Herr Minister, wenn Sie zitieren, dann zitieren Sie bitte nicht nur das, was Ihnen gefällt, sondern auch das, was man anschließend gesagt hat, und zwar, dass ich trotzdem der Meinung bin, dass erstens Risikomaterial zu entfernen ist und zweitens die Tests durchzuführen sind. Dies ist genau der Punkt, über den wir immer wieder gestritten haben.

(Beifall bei der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Zur Erwiderung: Herr Staatsminister, bitte.

Ich stelle gern das Protokoll des Landtags zur Verfügung, Frau Kollegin. Darin können Sie nachlesen, was Sie gesagt haben. Von Tests usw. steht hier nichts.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Wir fahren mit den Wortmeldungen fort. Das Wort hat Herr Kollege Starzmann. Bitte.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die beiden letzten Verteidigungsreden der Frau Staatsministerin Stamm und des Herrn Staatsministers Miller haben sich wesentlich vom letzten Teil der Rede des Herrn Ministerpräsidenten unterschieden, in dem dieser durchaus Irrtümer eingestanden hat, die auch in Bayern geschehen sind und denen man auch in Bayern unterlegen ist. Ich glaube, das wäre der Ton gewesen, in dem weiter zu diskutieren gewesen wäre, um miteinander für die Bevölkerung positiv in die Zukunft und gegen BSE zu arbeiten. Was die Frau Staatsministerin hier geboten hat, war der Versuch einer Darstellung ihrer absoluten Fehlerfreiheit, dass sie im Laufe ihrer Tätigkeit noch nie einen Fehler gemacht hat.

(Beifall bei der SPD – Glück (CSU): Das stimmt überhaupt nicht!)

Sie hat alle Vorwürfe zurückgewiesen,

(Zuruf des Abgeordneten Glück (CSU))

und zwar mit Argumenten, die ich als Bewohner Südbayerns leider nicht teilen kann. Ich weiß, dass sie aus Nordbayern kommt. Wenn 1998 an das Untersuchungsamt 158 Proben eingesandt wurden und davon nur noch 24 untersuchbar waren, weil der Rest, nämlich 134 Proben, verdorben war, wenn 1999 110 Proben eingesandt wurden, davon aber nur 21 untersucht wurden – es handelt sich jeweils um Proben beim Vorliegen von zentralnervösen Störungen –, weil 89 dieser 110 Proben vernichtet waren, kann ich die Geschichte von der Alm nicht glauben, dass nämlich alle 89 auf der Alm gewesen sein sollen und deswegen nicht mehr in die Untersuchungsämter gebracht werden konnten.

(Beifall bei der SPD)

Mit einer solchen Geschichte können Sie sich nicht aus der Affäre ziehen und so tun, als wären Sie fehlerfrei.

(Willi Müller (CSU): Das hat sie nicht gemacht!)

Meine Damen und Herren, ich glaube, wir alle werden in dieser Zeit von Bürgern hilfesuchend gefragt: Isst du als Agrarpolitiker eigentlich noch Rindfleisch? Isst du noch Fleisch? Steigst du um auf Huhn oder Truthahn? Was tust du? Diese Fragen können Sie alle nicht beantworten, auch ich nicht. Beruhigten Gewissens können Sie heute dem Bürger keine Empfehlung geben, ob und mit

welchem Risiko er Fleisch essen kann. Auch die Staatsminister Miller und Stamm und der Ministerpräsident haben bis heute noch keine Übersicht über die tatsächliche BSE-Verbreitung in diesem Lande. Deswegen ist es absolut unangebracht, Fehler beim jeweils anderen zu suchen und, auch als Staatsregierung, in einer solchen Diskussion seine eigenen Fehler nicht einzugestehen. Herr Minister, es war eben ein Fehler, dass Sie zu einer Zeit, als wir schon zehnmal den Verzicht auf das Tiermehl beantragt hatten, zu einer Zeit, als Tiermehl von der Wissenschaft als der Verbreitungsweg für BSE anerkannt war und Sie wussten, dass auch in pflanzlichem Tierfutter aufgrund der Herstellungsverfahren Tiermehlverunreinigungen möglich sein können – das mussten Sie wissen –, erklärt haben, „Qualität Herkunft aus Bayern“ sei ein Garant für 100% BSE-Freiheit. Das war falsch. Das war nicht nur ein Irrtum; weil wir Sie auf Ihre Irrtümer hingewiesen haben, war es ein Fehlverhalten, so etwas zu sagen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich empfehle, für die Zukunft eines nicht zu tun, was in der einen oder anderen Rede angeklungen ist, nämlich das BSE-Risiko, dem wir ganz klar unterliegen, immer wieder mit Risiken zu vergleichen, die aus der technischen Welt stammen. Es wird gesagt, Autofahren, Fliegen, Rauchen, Trinken, Zuviel -Essen – das ist alles gefährlicher als das BSE-Risiko. Der wesentliche Unterschied ist doch, dass der Mensch auf alle diese Dinge verzichten kann, sie freiwillig tut, während er auf das Essen nicht verzichten kann. Deswegen ist dieses Risiko völlig unterschiedlich.

(Hofmann (CSU): Aber er braucht kein Rindfleisch zu essen!)

Herr Hofmann, Sie würden wahrscheinlich als Letzter zustimmen, eine Propaganda zu betreiben nach dem Motto: Esst kein Fleisch mehr,

(Hofmann (CSU): Wer kein Fleisch essen will, braucht es nicht zu essen!)

weil das Fleischessen wie das Autofahren einem Risiko unterliegt.

(Hofmann (CSU): So ein Schmarrn!)

Was Sie sagen, da haben Sie recht: Das ist ein Schmarrn.

(Heiterkeit bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir haben auch immer vor „Qualität Herkunft aus Bayern“ in der Bedeutung, die immer wieder unterstellt wurde, gewarnt. Das Zeichen „Qualität Herkunft aus Bayern“ war eine hervorragende Werbemaßnahme für ein Produkt aus unserem Land.

(Loscher-Frühwald (CSU): Ist es auch noch!)

Das ist es leider nicht mehr, Herr Loscher-Frühwald; ich werde Ihnen das gleich erläutern. Wir haben immer davor gewarnt, das Programm „Qualität Herkunft aus

Bayern“ nur als Werbemaßnahme und Herkunftszeichen zu fördern, wenn der einzige Unterschied gegenüber den herkömmlichen Produktionsmethoden, der Firmierung unter der guten fachlichen Praxis, darin besteht, dass man sich einer Prüfung unterzieht, ob man auch die Gesetze eingehalten hat. Es ist überhaupt kein Qualitätsmerkmal, wenn damit bestätigt wird: Hierbei wurden die Gesetze eingehalten. Dies setze ich bei allen voraus. Deswegen müssen wir in der Zukunft über das Zeichen „Qualität Herkunft aus Bayern“ sprechen, wenn es denn noch zu retten ist. Heute Vormittag habe ich mit einem großen Fleischhändler gesprochen. Er sagt: Alles an Fleisch kann ich verkaufen, nur eines darf nicht draufstehen: Aus Bayern. Es ist das Ende des Siegels „Qualität Herkunft aus Bayern“, wenn wir soweit gekommen sind, dass der Fleischhandel auf das Zeichen „Qualität Herkunft aus Bayern“ verzichten muss, weil es eher als negativ angesehen wird. 17 Millionen DM sind in diese Werbemaßnahme gesteckt worden. Wir müssen Sofortmaßnahmen ergreifen, die das Siegel „Qualität Herkunft aus Bayern“ mit Inhalt ausstatten. Das muss auch immer Hintergrund des Wille-Braake-Papiers sein: Gütesiegel müssen mit Inhalten versehen werden,

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

damit der Verbraucher sehen kann: Jawohl, das unterscheidet sich.

Meine Damen und Herren, wir wissen nicht einmal die Ursache für BSE. Die einen sagen, es ist das Tiermehl. Ich stimme mit denen überein, die sagen, dass es das Tiermehl ist, und wenn es auch nicht die Ursache ist, müssen wir darauf verzichten, weil wir aus Wiederkäuern keine Kannibalen machen dürfen. Wer in der letzten Zeit im Fernsehen die Unappetitlichkeiten bei der Herstellung von Tierfutter gesehen hat, den graust es heute vor Fleisch. Das ist der falsche Weg. Deswegen müssen wir sicherstellen, dass Tierfutter so appetitlich ist, dass es uns nicht vor dem Fleisch, das wir essen, grausen muss.

Als weitere Ursachen werden angeführt: Möglicherweise sind es Medikamente, möglicherweise sind es Hormone aus Gehirndrüsen, die englische Tierzüchter den Tieren gespritzt haben – Udo Pollmer behauptet das –; ernst zu nehmen ist auch der Weg, die Ursache in genetischen Defekten zu suchen. Meine Damen und Herren, wenn es ein genetischer Defekt ist, was hat denn dann unsere Zuchtmethode zur Verbreitung beigetragen?

Ein Stier mit diesem möglichen genetischen Defekt hat heute mehrere tausend Nachkommen und verbreitet damit seinen genetischen Defekt inzuchtartig. So ist unsere Landwirtschaft.

Ich will Ihnen einige Perversionen unserer Landwirtschaft schildern, die schon in der Sprache zum Ausdruck kommen. Wir sind stolz darauf, Pflanzen zu züchten, die sich nicht fortpflanzen. Stattdessen nehmen sie mehr Dünger auf. Wir sind stolz darauf, Früchte zu haben, die unfruchtbar sind. Wir spritzen sie stärker mit Chemikalien. Wir sind stolz darauf, Kälber zu haben, die vom ersten Tag an keine Muttermilch bekommen, vom ersten

Tag an keine Milch der Kuh sehen. Das ist die moderne Landwirtschaft.

Wissen Sie als Verbraucher eigentlich, von welchen Kühen die Milch stammt, die Sie trinken? Da wird aus dem Uterus einer Kuh das eingenistete befruchtete Ei ausgewaschen, in acht Teile zerteilt, und je ein Achtel wird acht aufnahmebereiten Kühen eingesetzt, um acht gute, gleich befähigte Kälber zu bekommen. Solche Perversionen zeigt unsere Landwirtschaft. Ich fordere eine grundsätzliche Kehrtwendung, weil es ethisch nicht mehr vertretbar ist, was wir hier anstellen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Heute reden wir über BSE. Der nächste Skandal kommt mit Sicherheit, wenn wir nicht eine Kehrtwende in der Agrarpolitik vollziehen. Wenn wir das nicht tun, haben wir demnächst einen weiteren Skandal auf einem anderen Gebiet.

Wer hat denn da aller versagt? Die vorhergehende Bundesregierung hat in WTO-Verhandlungen dafür gesorgt, dass wir den Import von hormonbehandeltem Fleisch nicht mehr verbieten können. Ihre Regierung hat in WTO-Verhandlungen zugestimmt, dass auch hormonbehandeltes Fleisch importiert werden kann. Dagegen können wir uns nur noch gerichtlich wehren. Ihre Regierung hat in der WTO keine Handhabe ausgehandelt, um BSTerzeugte Milch bei uns zu verbieten. Das haben Sie versäumt. Sie haben doch die alte Agrarpolitik vollen Herzens unterstützt. So sieht es aus.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir jetzt nicht zu einer Änderung der Agrarpolitik kommen, trifft des Kanzlers Frage zu: Wann dann? Ich habe keine Hoffnung, dass das je geschehen kann, wenn wir das jetzt nicht ernster nehmen. Es ist richtig, Tiermehl zu verbieten und schärfere Kontrollen durchzuführen. Ich will aber nicht, dass es so weit kommt, dass wir es eines Tages als selbstverständlich ansehen, jedes Fleisch auf BSE testen zu müssen, ehe man es essen kann, so wie heute Schweine auf Trichinen getestet werden müssen, ehe man sie essen kann. Ich will, dass die Krankheit BSE verschwindet, und das ist nur mit einer anderen Agrarpolitik möglich. Zusätzliche Tests sind zwar jetzt notwendig, aber keinesfalls eine gute Zukunft. Gewiss ist es richtig, die Forschung zu verstärken, um etwas über die Ursachen zu erfahren. Ich bitte Sie aber, die Forschung in alle Richtungen zu betreiben, auch in Richtungen, die man als unwahrscheinlich betrachtet. Ich bitte beispielsweise darum, die kranken getöteten Tiere zu klonen, um den genetischen Transport dieser Krankheit verfolgen zu können.

Es ist falsch, immer nur dann von einer agrarpolitischen Wende zu reden, wenn eine Krise auftritt. Das Tiermehl wurde bis 1998 nicht verboten, und es wurde auch nach 1998 nicht verboten, und das war falsch. Im Jahre 2000 wurde es endlich verboten, und das war zu spät. Wer von Ihnen hätte denn daran gedacht, dass es notwendig ist, auch die Tiermehlverfütterung an Reh und Hirsch im Wald zu verbieten? Wer von Ihnen, der sich im Gasthaus

einen Hirschbraten bestellt, hätte angenommen, dass auch Hirsche im Wald von unseren Jägern mit Tiermehl gefüttert werden könnten, wie es offensichtlich Praxis ist; denn sonst hätte der Minister die Verfütterung von Tiermehl an wildlebende Tiere nicht verbieten müssen. So weit sind wir gekommen. Wir alle müssen anders handeln als bisher.

Was können wir in Bayern in dieser Frage überhaupt tun? Wir müssen uns mit der Agrarpolitik auf allen Ebenen auseinander setzen, von der WTO angefangen bis hin zum Bauernhof. Die WTO-Position der Europäischen Union muss einheitlich sein. In der nächsten WTORunde, die jetzt läuft, müssen wir die Forderung anmelden, zusätzlich zu den bisherigen gesundheitlichen Standards auch ökologische, soziale, ethische, tierschützerische und kulturelle Standards in den einzelnen Ländern zu ermöglichen, und damit die einzelnen Länder langfristig gemäß diesen Standards schützen. Uns muss es erlaubt sein, Hormonfleisch in Europa zu verbieten. Uns muss es erlaubt sein, BST-erzeugte Ware in Europa zu verbieten. Uns muss es erlaubt sein, antibiotische Wachstumsförderer in Europa innerhalb der WTORegeln zu verbieten.