Protocol of the Session on December 13, 2000

Ein ganzheitlich konzipiertes zweistufiges, DV-gestütztes System ermöglicht der Unternehmensleitung, die Kosten- und Terminsituation der Projekte zeitnah zu überwachen, Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und Handlungsalternativen zu bewerten. So kann im Projektalltag Reaktion ersetzt werden von informationsgestützter Aktion.

Wie schön! Wenn die Sache nicht so traurig und teuer wäre, könnte man herzhaft darüber lachen. Wir sind der Meinung, die Bevölkerung hat ein Recht darauf, dass die Planung und die Finanzierung dieser ICE-Strecke beleuchtet werden. Deshalb haben wir den vorliegenden Dringlichkeitsantrag eingebracht. Wir bitten um Zustimmung hierzu.

(Beifall bei der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Staatsminister Dr. Wiesheu hat um das Wort gebeten.

Frau Präsidentin, Hohes Haus! Ich möchte gleich sprechen, weil das die weitere Debatte vielleicht vereinfacht. Erstens stelle ich fest, dass auch die SPD für den Ausbau der Strecke München – Nürnberg war.

(Schläger (SPD): Das habe ich gerade gesagt!)

Zweitens erinnere ich daran, dass die entsprechende Entscheidung zum Bundesverkehrswegeplan im Bundestag einstimmig getroffen wurde. Drittens ist zu erwähnen, dass nicht nur bei der in Rede stehenden Strecke mit Kostensteigerungen gerechnet werden muss, sondern auch bei der Strecke Köln – Frankfurt – dort geht es um wesentlich stärkere Erhöhungen – und dem Vorhaben in Berlin. Offensichtlich hat die Bahn mit Kalkulationen gewissen Probleme.

Da im vorliegenden Dringlichkeitsantrag nach meiner Rolle in dem Zusammenhang ICE-Strecke München – Nürnberg gefragt ist, möchte ich diese kurz schildern. 1988 – da war ich noch bei der Hanns-Seidel-Stiftung tätig – folgte die Einbindung des bayerischen Wirtschaftsministeriums als oberste Landesverkehrsbehörde in die Planung der Deutschen Bundesbahn, und zwar im Rahmen einer Anhörung durch die Bahn. 1989 hat der Bayerische Ministerrat eine Präferenz für die Trasse über Ingolstadt zum Ausdruck gebracht, nach

dem sich sechs bayerische Regierungsbezirke und die dortigen Handelskammern dafür ausgesprochen hatten.

(Schläger (SPD): Das alles ist klar!)

Ein Regierungsbezirk, nämlich Schwaben war dagegen. Gleichzeitig wurde gefordert, die Strecke München – Augsburg solle viergleisig ausgebaut werden. 1989 wurden zwei Raumordnungsverfahren eingeleitet. 1991 haben der Verkehrs-, der Umwelt- sowie der Rechtsausschuss des Landtages und der Ausschuss für Bundesangelegenheiten die Staatsregierung aufgefordert, beide Verfahren zum Abschluss zu bringen. Am 29. Mai 1991 hat die DB AG erklärt, man wolle nur noch den Ausbau der Strecke über Ingolstadt vorantreiben, weil diese Trasse die richtige sei. Also wurde von der Bahn das Projekt in Augsburg nicht mehr weiterverfolgt. Unabhängig davon sollte der viergleisige Ausbau der Strecke München – Augsburg raumordnerisch beurteilt werden; so lautete dann der Auftrag.

Am 15.11.1993 – das war fünf Monate, nachdem ich Wirtschaftsminister geworden war – hat sich der Bund für die Variante über Ingolstadt entschieden; der Bundestag stimmte dem im Dezember 1993 zu. Wenn Sie mir eine derartige Wirkung zutrauen, dass sich der Bund fünf Monate nach meinem Amtsantritt meiner Bewertung zu einer Trasse anschließt, ist das für mich eine große Auszeichnung. Ich muss allerdings einräumen: Die Entscheidung hat einen gewissen Vorlauf gehabt. Diesen kennen Sie. Insofern sind die im vorliegenden Dringlichkeitsantrag gestellten Fragen etwas seltsam.

Eine weitere Bemerkung. Die Vergabe sollte natürlich zügig erfolgen. Dafür haben wir uns stets ausgesprochen. Nun erklären Sie, mit der Vergabe der Hauptbaulose im August 1998 sei es der neuen Bundesregierung unmöglich gemacht worden, das Vorhaben zu überprüfen. Das ist aus meiner Sicht geradezu paradox. Die Strecke Nürnberg – Erfurt war damals schon im Bau. Mehrere Hundert Millionen DM waren schon ausgegeben. Für die Strecke München – Ingolstadt waren zu dem Zeitpunkt erst Aufträge vergeben worden. Wenn die Bundesregierung das Projekt hätte überprüfen wollen, hätte sie es also überprüfen können. Das hat sie aber nicht. Denn mit Sicherheit war sie auch der Meinung – auch wenn nach außen hin oft etwas anderes gesagt wurde –, dass die Trasse die richtige sei. Ansonsten hätte man auch anders handeln können.

(Schläger (SPD): Es geht doch nicht um die Richtigkeit!)

Bei der Strecke Nürnberg – Erfurt war man schon viel weiter; trotzdem wurde das Projekt gestoppt.

Was die Vorfinanzierung und die Finanzierung der zur Diskussion stehenden Neubaustrecke angeht, kann ich Ihnen nur sagen: Der Bund sieht bisher keine Veranlassung, die Länder in die Finanzierungsgespräche einzubinden. Das geht so weit, dass die Bahn uns nicht einmal bei Nebenstrecken einbezieht, bei Regionalstrecken, die wir mitfinanzieren sollen.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Staatsminister, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Ich habe eine sehr knapp bemessene Redezeit. Es tut mir leid; wenn die Frage und die Antwort darauf nicht auf meine Redezeit angerechnet werden, kann ich eine Zwischenfrage zulassen.

Lassen Sie mich ein Beispiel für das angesprochene Verhalten der Bahn anführen. Einige Nebenstrecken will die Bahn nur sanieren, wenn sich der Freistaat an den Kosten beteiligt. Dabei gehören Investitionen in das Schienennetz zu den Aufgaben des Bundes. Außerdem stehen dafür Bundesmittel bereit. Doch der Bund erklärt, für Nebenstrecken zahle er keine Zuschüsse, sondern gewähre nur Darlehen. Das ist rechtlich gar nicht zulässig. Daraufhin habe ich mich gegenüber der Bahn bereit erklärt, etwas vorzufinanzieren; später wollen wir die entsprechenden Beträge vom Bund zurückfordern. In dem Zusammenhang habe ich darum gebeten, die Kalkulationsunterlagen einzusehen, damit wir wissen, was an Zuschuss gegebenenfalls gerechtfertigt ist. Vonseiten der Bahn kam die Antwort, das sei nicht möglich. Auf meine Frage, wie wir die Beiträge festsetzen sollten, erklärte die Bahn, das wisse man nicht. Daraufhin habe ich vorgeschlagen, die Unterlagen dem Rechnungshof zuzuleiten; dieser solle sagen, was an Zuschuss gerechtfertigt sei. Eine Entscheidung der Bahn zu meinem Vorschlag liegt mir noch nicht vor. – Hieran sehen sie, dass uns die Bahn nicht einmal Unterlagen zu Projekten sehen lassen will, die wir mitfinanzieren sollen. Der Bund verhält sich genauso. So war es auch im vorliegenden Fall. Daher ist mir schleierhaft, wie Sie nach der Rolle des Freistaats bei der Finanzierung fragen können.

Eine weitere Frage: Welche Auswirkungen hat die Vorfinanzierung auf den Haushalt des Freistaates? Keine.

Ihre dritte Frage:

Welche Planungs- und Finanzierungsunterlagen begründeten für Herrn Staatsminister Dr. Wiesheu die Trassenführung über Ingolstadt und den frühen Baubeginn 1998?

Wie jeder weiß, habe nicht ich über die Trassenführung entschieden, sondern der Bundestag. Darum wundere ich mich über diese Frage. Hier ist entweder der Wunsch nach Polemik ausschlaggebend gewesen oder die schiere Ignoranz. Ansonsten könnte man derart dumme Fragen nicht stellen.

Der „frühe Baubeginn 1998“ war kein solcher. Wir wollten ja schon einen viel früheren Baubeginn. Die Finanzierungsvereinbarungen hatten lange gelegen. Es hat lange gedauert, bis alles unterschrieben war. Ich habe mehrmals darauf gedrängt, dass unterschrieben wird. Denn wir wollten einen zügigen Baubeginn. Die Finanzierungsvereinbarung wird vom Bundesfinanzminister und vom Bundesverkehrsminister unterschrieben, gegebenenfalls noch vom Eisenbahn-Bundesamt. Ich war froh, als die Vereinbarung endlich geschlossen war.

Nun noch einmal zu meiner Mitwirkung. Die Bahn erklärte, man vergebe keinen Auftrag, solange die S-Bahn-Finanzierung in München noch ungeklärt sei, und zwar die des Abschnittes München-Obermenzing Richtung Norden. Denn dort verläuft auch die ICE-Strecke. Die Bahn verlangte dort ein weiteres Gleis. Über das Problem habe ich mit dem damaligen Bundesverkehrsminister Wissmann gesprochen. Da wurde mir gesagt, der Freistaat müsse ordentlich zahlen. Wir waren in der Klemme. Allein wollte die Bahn das Zusatzgleis nicht finanzieren. Nun hatten wir zudem großes Interesse an dem bekannten 520-Millionen-Programm für die S-Bahn München. Auch darüber ist in dem Zusammenhang verhandelt worden.

Ich habe dafür gesorgt, dass die Verhandlungen zügig abgeschlossen werden. Als klar war, dass die Sache läuft, habe ich dem Bahnchef gegenüber erklärt, jetzt erwartete ich, dass er auch seine Aufträge für die ICEStrecke vergebe. Unterschrieben war schon längst; die Ausschreibung war auch schon gelaufen. Er hatte die Auftragsvergabe nur gestoppt, weil die Sache mit der S-Bahn nicht geklärt war und wir für das Projekt hohe Mittel für das angesprochene 520-Millionen-DM-Programm zur Verfügung stellen sollten. Das war meine Rolle: Ich habe darauf geachtet, dass alles zügig geklärt wird. Danach habe ich darauf gedrängt, dass die entsprechenden Aufträge vergeben werden. Denn erstens sollte das Projekt vorangebracht werden und zweitens konnte die hiesige Bauwirtschaft Aufträge gut gebrauchen.

Nun Ihre beiden nächsten Fragen:

Sind finanzielle Risiken in ausreichender Weise berücksichtigt worden?

Wer hat durch falsche oder geänderte Planungen die Kosten zu niedrig kalkuliert...?

Das müssen Sie die Bahn fragen. Die Kostenkalkulation liegt bei der Bahn. Wir haben keine einzige Unterlage dazu, keine Ausschreibungsunterlagen, gar nichts. Wir haben nicht einmal die Leute dafür.

Die letzte Frage:

Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Kostenexplosion für andere Bahnstrecken in Bayern?

Da kann ich nur sagen: Die Konsequenzen ergeben sich aus der Steigerung der Kosten für die genannte Bahnstrecke, die Strecke Köln – Frankfurt und das Berliner Projekt. Herr Mehdorn betont, hier müsse sich der Bund stärker beteiligen, weil sein ohnehin knapp bemessener finanzieller Spielraum immer weiter verkleinert wurde. So wurde die finanzielle Ausstattung für die Bahninfrastruktur von 9 auf 6,4 Milliarden DM reduziert. Die vorgesehenen 2 Milliarden DM aus den UMTS-Erlösen gleichen dies nicht aus. Schließlich sollen die Ansätze weiter gesenkt werden, nämlich auf 4,4 Milliarden DM. Wenn es nach drei Jahren keine Zuweisungen mehr aus den UMTS-Erlösen gibt, sitzt die Bahn sozusagen auf dem Trockenen, erst recht, wenn sie noch zusätzliche Belastungen verkraften soll. Darum haben wir es hier mit

einem Thema zu tun, über das Bahn und Bund verhandeln müssen. Dorthin gehört es.

(Schläger (SPD): Also sind Sie auch noch Opfer der Bahn!)

Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sollten Ihre Kollegen in Berlin mit der Thematik betrauen. Die müssen die Sache mit der Bahn klären.

Genauso müssen Sie es in Nordrhein-Westfalen und in Berlin machen. Die größten Kostensteigerungen haben Sie bei diesen beiden Projekten. Darum ist das, was Sie hier aufführen, ein politischer Schaukampf. Im Ergebnis: Larifari.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Frau Kollegin Scharfenberg. Bitte.

Frau Präsidentin, Herr Minister, sehr geehrte Damen und Herren! Hellhörig geworden sind wir von der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –

(Kaul (CSU): Gibt es die noch?)

bei der Einführung des Nachfolgers von Herrn Prof. Dr. Lisson, Herrn von der Schulenburg im Herbst dieses Jahres. Damals plauderte Herr Dr. Wiesheu aus dem Nähkästchen. Es wurde deutlich, dass die Bayerische Staatsregierung eine vorgezogene Auftragserteilung für die ICE-Strecke Nürnberg – Ingolstadt durch finanzielle Zusagen an die DB AG erkauft hatte. Dies geschah punktgenau vor der letzten Bundestagswahl. Wie sagte doch Herr Dr. Wiesheu im Hotel Kempinski: „Ich hatte damals so ein mulmiges Gefühl vor der Bundestagswahl.“ Die furchtbar desaströse Situation der DB AG können wir auf die völlig verfehlte Investitionspolitik der alten Bundesregierung zurückführen. Es gibt eine Mitverantwortung der Bayerischen Staatsregierung für die Bahnkrise. Die Kostensteigerungen bei den ICE-Großbaustellen sind durch schlampig durchgeführte Planungen und politische Schönfärbereien verursacht worden. Die Warnungen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Bundesrechnungshofes wurden ignoriert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um die erhöhten Baukosten aufzufangen, hat die DB AG keine Investitionen in die bestehenden Netze getätigt und damit die Bahn in der Fläche vernachlässigt. Hier hat die Staatsregierung kräftig mitgeholfen. Die privat vorfinanzierte ICE-Strecke Nürnberg – Ingolstadt – München, von der wir jetzt reden, und der überstürzte Baubeginn führen in ein finanzielles und verkehrspolitisches Desaster.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Baukosten von etwa 4 Milliarden DM führen zu einem Rückzahlungsvolumen von 9,4 Milliarden DM, die den Haushalt des Bundes belasten werden. Allerdings –

und das ist auch schon sicher – kann die DB AG bis zu 15,6 Milliarden DM vom Bund fordern, da die alte Bundesregierung von Anfang an von einer Erhöhung der Kosten ausgegangen ist. Aus 4 Milliarden DM werden im Endeffekt 15,6 Milliarden DM. Das ist wirklich ein Stück aus dem Tollhaus.

Das ICE-Konzept ist Bestandteil eines weiteren Schrumpfungsprozesses auch bei uns in Bayern. Wie man an dem Dringlichkeitsantrag, der nach dem vorliegenden Antrag angesetzt ist und die Interregio-Linie 25 betrifft, sieht, zieht sich die DB AG auf ausgewählte Verbindungen zwischen ausgewählten Verdichtungsräumen zurück. Wie wir alle unschwer erkennen können, erfolgt der Rückzug der DB AG aus der Fläche. Die einseitige Bevorzugung und Mittelbereitstellung für die ICE-Strecke widerspricht unseren verkehrspolitischen Grundsätzen.

Die ICE-Neubaustrecke verschlingt den größten Teil des Investitionsprogramms der DB. Sie sehen es, für Ostbayern fehlen die Mittel. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb annähernd 4 Milliarden DM für die Verkürzung der Reisezeit von Nürnberg nach München um maximal 30 Minuten ausgegeben werden müssen. Ich sage Ihnen, wir haben andere Prioritäten. Es wäre sehr viel konstruktiver gewesen, die 4 Milliarden DM anders zu investieren, zum Beispiel in das Netz, das Ihre Bundesregierung vor der Bahnreform sträflich vernachlässigt hat. Der mehrgleisige Ausbau der bestehenden Bahnstrecken Nürnberg – Augsburg – München und Nürnberg – Treuchtlingen – Ingolstadt – München mit dem Einsatz moderner Neigetechnikzüge hätte die derzeitige Fahrzeit zwischen München und Nürnberg von 100 Minuten auf 70 Minuten verkürzt. Die Fahrzeit wäre damit nur um 5 Minuten länger gewesen als die Fahrzeit auf der geplanten neuen ICE-Trasse.

Die vorfinanzierte Summe belastet ab dem Jahr 2003 15 Jahre lang die Bundeshaushalte zulasten der Bahn in der Fläche. Das müssen wir uns in Bayern immer wieder vor Augen halten. Herr Dr. Wiesheu, Sie haben eingestanden, dass Sie Sorge hatten, die ICE-Neubaustrecke könnte 1998 von der neuen Bundesregierung gekippt werden. Recht hatten Sie. Diese Sorge bestand, wie wir im Nachhinein sehen, zu Recht. Sehen Sie auch die Folgen für uns alle in der Region in Bayern. Die Einstellung der Interregio-Linie 25 ist eine solche Folge. Die DB AG hat schlicht kein Geld mehr für den Betrieb in der Fläche, zum Beispiel im ostbayerischen Raum. Das fürwahr haben Sie erreicht, Herr Dr. Wiesheu. Sagen Sie doch einmal den Oberpfälzern und Niederbayern, was Sie für die Bahn in der Fläche zu tun gedenken. Hier fehlt uns nämlich jetzt das Geld.