Unser zweiter Vorschlag geht dahin, die Schulsozialarbeit in die Verantwortung des Staates zu stellen und nicht auf die Kommunen abzuwälzen. Es geht hier um eine dringende Frage. Die Schüler bringen ihre Lebensprobleme in die Schule hinein. Da muss man sich zunächst um die Lebensprobleme kümmern, bevor man die Lernprobleme angeht. In dieser Erziehungsfrage sind viele Lehrkräfte oft überfordert. Sie können das nicht alleine leisten; sie brauchen Unterstützung in Form
der sozialpädagogischen Erziehungshilfe. Und dies darf nicht nur zur Intervention geschehen, sondern es muss auch zur Prävention erfolgen. Deshalb wiederhole ich auch jetzt wieder unsere jährliche Forderung nach einer bedarfsgerechten Schulsozialarbeit, finanziert aus dem Staatshaushalt.
Viertens. Ein weiteres muss erwähnt werden, das mir sehr wichtig erscheint und das wir auch in unserer Schulreformkonzept aufgenommen haben. Wir werden die Kürzung der musischen Fächer nicht mitmachen. Ich habe bereits einiges zum Sport gesagt; das gleiche gilt auch für Kunst und Musik. Nicht nur die Wirtschaft fordert, die kreativen Bereiche auszubauen. Denn zahlreiche Schlüsselqualifikationen wie zum Beispiel Sozialkompetenz, Disziplin und Kreativität werden durch den Musikunterricht gefördert. Viele Unternehmen suchen ausdrücklich innovative und kreative Mitarbeiter mit Selbstvertrauen und Eigeninitiative; das sind überfachliche Qualifikationen, die beispielsweise im Kunstunterricht gefördert werden könnten.
Ich habe den Eindruck, dass das Ministerium diese kreativen Fächer vernachlässigt, die gerade der Persönlichkeitsbildung dienen. „Musik in Not“ oder „Kunst in Not“ wird uns vielfach von draußen entgegengehalten. Reihenweise fallen Musikunterricht und Kunstunterricht aus und in der Grundschule fehlen die entsprechend ausgebildeten Lehrer.
Deshalb fordern wir sowohl eine stärke Gewichtung der kreativen Fächern in den Lehrplänen als auch eine bessere Ausbildung in allen musischen Fächern insbesondere bei den Grundschullehrern.
Fünftens. Ein wichtiges Kapitel jeglichen Schulreformkonzeptes ist die Qualitätsentwicklung, und zwar über den Abbau von Bürokratie hin zum Ingangsetzen einer pädagogischen Schulentwicklung mit dem Ziel der inneren Schulreform. Nun, dazu wird die Ministerin sagen: Das alles will ich auch. Die Schulentwicklung ist ohnehin Frau Hohlmeiers Lieblingswort. Sie machen ja Kongresse, Frau Ministerin, kündigen schon wieder einen Kongress an und geben Hochglanzbroschüren heraus. Aber auch da sieht die Realität völlig anders aus. Die Betroffenen an den Schulen sind der Ankündigungen überflüssig. Die Lehrkräfte sind stinksauer, weil ständig Schlagworte verkauft werden, die Rahmenbedingungen an den Schulen aber sich nicht ändern. In der Umsetzung passiert nichts.
In Ihren Thesen zur Schulentwicklung schreiben Sie unter anderem – ich greife ein paar Schlagworte heraus –: „Die Schulen sollen bei der Auswahl der Lehrkräfte mitwirken“. Wo geschieht das? Da ist nur Fehlanzeige im Schulland Bayern zu verzeichnen.
Oder Sie sagen: „Im Vordergrund steht die Steigerung der Unterrichtsqualität“. In den Schulen aber fehlen meistens die Voraussetzungen, vom Frontalunterricht und von einer Friss-Vogel-oder-stirb-Schule wegzukommen.
Sie sagen weiter: „Die Schulen sollen selbst Prioritäten in der Lehrerfortbildung setzen“. Auch hier sehe ich nichts. Sie weigern sich, die nötigen Mitteln zur Verfügung zu stellen. Wir beispielsweise haben beantragt, 30 Millionen DM für die schulinterne Lehrerfortbildung in den Haushalt einzustellen.
Sie reden weiterhin von der wichtigen Mitwirkung der Eltern. Sie haben aber weder die Rechte der Eltern ausgebaut noch haben Sie die praktische Mitwirkung ermöglicht. Unlängst hat mir eine Mutter erzählt, sie habe einmal versucht, in einem Unterricht einer zweiten Klasse an einem Vormittag mitzuhelfen. Aber was passierte? Die Verwaltung hat dies verhindert. Und Sie, Frau Ministerin, gehen immer hinaus und sagen immer so schöne Dinge. In der Realität sind diese Dinge gar nicht so schön.
Sie reden von neuer Lehrerbildung, aber bis heute gibt es weder Beschlüsse geschweige denn, dass etwas umgesetzt würde. Auch heute haben Sie wieder Ankündigungen gemacht. Wo sind denn die Ergebnisse und wo gibt es eine konkrete Umsetzung der Vorschläge aus Ihren 43 Kommissionen zur Lehrerbildung? Darauf warten wir seit Jahren.
Sie betonen die Schlüsselrolle des Schulleiters als Motor der Schulentwicklung, schaffen ihm aber nicht die nötige Entlastung. Nein, Sie belasten ihn mit immer noch mehr Verwaltungsarbeit.
Was Sie bisher produziert haben, Frau Ministerin, sind Seifenblasen, es sind seit Jahren immer wieder kehrende Ankündigungen, die sich oft überschlagen. Ich weiß nicht; vielleicht wollen Sie sie nicht umsetzen oder sie können es nicht, selbst wenn Sie wollten, weil Sie von der Ministerialbürokratie blockiert werden. Aber wenn Sie die Schulentwicklung wirklich ernst nehmen, müssen Sie vor allen Dingen zwei Dinge erkennen. Erstens. Schulentwicklung und innere Schulreform brauchen andere Rahmenbedingungen. Mit den heutigen Klassenstärken und bei der jetzigen Arbeitsbelastung wird die Mehrheit der Lehrkräfte eben nicht motiviert werden können.
Zweitens wird die Schulentwicklung nicht kostenneutral sein, sie ist nicht zum Nulltarif zu haben. Sie wird Geld kosten.
Wir müsse die pädagogische Schulentwicklung und die innere Schulereform ernst nehmen; sie werden entscheidend sein auf dem Weg zur besseren Schule.
In diesem Zusammenhang verlangen wir einen drastischen Abbau der Bürokratie. Eine Zahl macht es deutlich. In den letzten zehn Jahren hat das Kultusministerium in Bayern neue Regelungen und Änderungsvorschriften auf 1300 Seiten erlassen. Wir müssen wegkommen von der verwalteten Schule und hingehen zur gestaltenden Schule. Wir müssen den Schulen deutlich mehr Eigenverantwortung und Selbstständigkeit geben. Das heißt, was die konkrete Schule vor Ort selbstständig lösen und bewältigen kann, muss man ihr auch zugeste
hen. Das heißt aber auch, die Schulaufsicht muss einen Perspektivenwechsel vollziehen, weg von der Kontrolle hin zur Beratung.
Ich kann Roman Herzog nur zustimmen, wenn er in seiner „Bildungsrede“ sagt: Setzen wir neue Kräfte frei, indem wir bürokratische Fesseln sprengen“ und „entlassen wir unser Bildungssystem in die Freiheit“.
Ich bezweifle allerdings, ob CSU und Staatsregierung die Einsicht und auch den Willen haben, in diesem Sinne Änderungen vorzunehmen. Ziel jeder Schulentwicklung muss die gute Schule sein, die den Kindern beste Chancen bietet. Johannes Rau hat in seiner jüngsten bildungspolitischen Rede gefragt: Was sollten wir auch von unseren Schulen in Zukunft erwarten? – Und er gab zur Antwort: Die Schulen müssen den Schüler und Schülerinnen Vertrauen entgegenbringen und ihnen Verantwortung übertragen. Sie müssen ihnen Mut zum Leben machen und dürfen den Kindern das Kindliche nicht austreiben. Sie müssen die Teamarbeit fördern und den selbstbezogenen Einzelnen einbinden. Sie müssen den Schülerinnen und Schülern die Chance geben, Umwege zu beschreiten und aus Fehlern zu lernen. Sie müssen das fächerübergreifende Denken fördern und den Umgang mit neuen Medien üben. Und schließlich: Schulen müssen offen sein für das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Umfeld, in dem sie arbeiten.
Ich stimme dem voll und ganz zu, diesmal auch der Kollege Hofmann; das ist fast eine kleine Sensation.
Um diese Kriterien zu erreichen, brauchen die bayerischen Schulen Unterstützung und Entlastung. Sie brauchen Eigenverantwortung, Luft zum Atmen und bessere Rahmenbedingungen.
Den Bildungsabbau, den Sie seit zehn Jahren betreiben, ist ein schlimmer Weg. Er mindert die Zukunftschancen unserer Kinder auf unverantwortliche Weise.
Jawohl, Bildungsabbau! In den neunziger Jahren sind weit über 10000 Lehrerstellen eingespart worden, es wurden drastische Stundenkürzungen durchgeführt, es wurde keine Unterrichtsgarantie gegeben und die Lehrerbelastung stieg im zunehmenden Maße an. Das sind nur einige Ihrer Grausamkeiten des Bildungsabbau.
An dieser Situation kann auch Ihr in Eigenlob verpackter Haushalt nichts ändern; denn Sie verweigern seit einem Dutzend von Jahren mehr in die Bildung zu investieren.
Wir haben dagegen die richtigen Vorschläge gemacht; leider aber werden sie von Ihnen immer ignoriert.
Bessere Schulen und Bildung brauchen Investitionen an Ideen, Überzeugungsarbeit, aber auch Umsetzungswillen und nicht zuletzt Geld. Wir lehnen den Einzelplan 05 ab. Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wohl nur wenige von Ihnen werden sich daran erinnern, dass die Bildungspolitik die Arbeit des Landtags derart geprägt hat, wie dies in der laufenden Legislaturperiode der Fall ist. Im Gegensatz zum Lamento des Kollegen Irlinger und der Opposition wird das bayerische Schulwesen von der großen Mehrheit der Bevölkerung als besonders leistungsfähig und von vielen Eltern in den norddeutschen Bundesländern als vorbildlich und nachahmenswert empfunden.
Interessant ist, dass das Berliner Max-Planck-Institut im Zusammenhang mit der TIMS-Studie – so ein Bericht in der Tageszeitung „Die Welt“ – den bayerischen Abiturientinnen und Abiturienten einen Lernvorsprung von einem Jahr gegenüber ihren Altersgenossen in Nordrhein-Westfalen attestiert hat. Im Leistungskurs Mathematik – so das Max-Planck-Institut weiter – seien die Niveauunterschiede noch erheblich größer. So wurden die 18- und 19-jährigen Schüler in Nordrhein-Westfalen mit 113, in Bayern dagegen mit 126 Punkten bewertet; ähnlich war das Ergebnis für Baden-Württemberg. Damit haben nach Meinung der Bildungsforscher die Schüler im Süden und Südwesten Deutschlands gegenüber dem seit Jahrzehnten von der SPD regierten Musterland einen Lernvorsprung von fast zwei Jahren. Das sollte Ihnen zu denken geben und zeigen, was es heißt, Bildungspolitik in die Hände der SPD zu legen.
Die Ausführungen des Kollegen Irlinger zum IT-Bereich haben mich fast zu Tränen gerührt. SPD und GRÜNE waren es doch, die sich in den siebziger und achtziger Jahren
in einen Wettlauf bei der Verteufelung der neuen Technologien begeben haben. Bezeichnend war, dass der ITStudienbereich an der Universität Hildesheim vom heutigen Bundeskanzler und damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder geschlossen worden ist. So schaut die Wirklichkeit aus. Hier sind die Gründe für den Mangel an IT-Kräften auch zu suchen.
Herr Kollege Irlinger, Sie haben einen Besuch des Ausschusses in Hamburg zum Anlass genommen, mit Zahlen zu operieren, die belegen sollen, dass die Freie und Hansestadt Hamburg wesentlich mehr für die Computerund Softwarebeschaffung an den Schulen als Bayern ausgibt.
Ein „Nichtbildungspolitiker“ kann das so sehen. Denn es ist ihm möglicherweise entgangen, dass in Hamburg im Gegensatz zum Freistaat Bayern die Stadt nicht nur Personal-, sondern auch Sachaufwandsträger ist. Lieber Kollege Irlinger, Sie vergleichen Äpfel mit Birnen.