Mit den Eltern wollen Sie die Schulreform also nicht durchführen. Vielleicht wollen Sie aber das mit den Schülerinnen und Schülern? In dieser Beziehung besteht jedoch auch Fehlanzeige. Auch deren Rechte
werden in keiner Weise gestärkt. Eigentlich ist das unverständlich, denn es sind gerade die Schülerinnen und Schüler, die von der Schule am meisten betroffen sind. Wenn wir die Schule nicht an den Schülerinnen und Schüler vorbei gestalten wollen, dann müssen wir deren Erfahrungen und Interessen ernst nehmen.
Anfang April fand ein Bildungsforum der GRÜNEN statt. Im Rahmen dieses Bildungsforums haben Schülerinnen und Schüler die Einführung des Faches Lebenskunde gefordert. Es hat mich überrascht, dass Schülerinnen und Schüler ein neues Fach, welches Lebenskunde heißen solle, wollten. Diese Forderung zeigt sehr deutlich, dass die Schule offensichtlich am Leben der Schülerinnen und Schüler nach deren Auffassung vorbeigeht. Das müssen wir ändern. Wir müssen die Schülerinnen und Schüler einbeziehen, denn es ist fraglich, ob unsere Generation Schule für eine Generation gestalten kann, die mit dem schnellen Schnitt von Bildern, mit dem Zappen vor dem Bildschirm und dem Surfen im Internet kein Problem hat, die vielleicht ganz anders lernt, als wir uns vorstellen können. Wir können Schule für die nächste Generation nicht gestalten, ohne die Schülerinnen und Schüler ernsthaft an ihrer Schule mitbestimmen zu lassen.
Die Schülerinnen und Schüler sind, Frau Staatsministerin, lediglich Objekte Ihres Handelns. Die Schülerinnen und Schüler werden nicht als gleichberechtigt Handelnde akzeptiert. Sie dürfen nicht für sich selbst aktiv werden. Wie sollen sich aber Jugendliche selbst entfalten und lernen können, Verantwortung für sich zu übernehmen, wenn sie das nicht dürfen? In Ihrem Konzept spielen die Schülerinnen und Schüler eine noch geringere Rolle als die Eltern. Sie trauen sich nicht einmal, die Zensur bei den Schülerzeitschriften abzuschaffen.
Wollen Sie die Lehrerinnen und Lehrer für die Idee der inneren Schulentwicklung begeistern? Für den größten Teil der Lehrkräfte an den Grund- und Hauptschulen führen Sie zur Zeit eine gigantische Demotivationskampagne durch. Haben Sie eigentlich schon registriert, dass an den Volksschulen ein Frust wie schon lange nicht mehr herrscht? Sie belasten die Volksschullehrkräfte, die ohnehin schon die höchste Stundenverpflichtung haben, mit einer zusätzlichen Unterrichtsstunde, obwohl die Anzahl der Schülerinnen und Schüler an den Volksschulen sinkt, und Sie führen die Ungleichbehandlung der Lehrkräfte munter weiter.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Systembetreuer und Systembetreuerinnen für Computer. Ich möchte das einmal exemplarisch aufzeigen. Man könnte einwenden, dass mit den Systembetreuerinnen und Systembetreuern nur wenige Lehrkräfte betroffen sind. Es handelt sich aber um den Tropfen, der das Fass letztendlich zum Überlaufen bringt. Die Systembetreuerinnen und Systembetreuer an Gymnasien bekommen ein Beförderungsamt, diejenigen an Volksschulen jedoch nicht. Man kann das natürlich damit begründen – das haben Sie im Ausschuss getan –, dass die Besoldungsverordnung ein Beförderungsamt für die Gymnasien vorsehe, für die Volksschulen jedoch nicht. Gerecht, Frau
Ministerin, ist das trotzdem nicht. Was spricht dagegen, den finanziellen Unterschied, den das Beförderungsamt bedeutet, in Form einer Zulage für die Volksschullehrkräften für die Zeit auszugleichen, in der sie dieses Amt ausüben? Wenn diese das Amt nicht mehr ausüben, könnte ihnen die Zulage wieder gestrichen werden. Wenn Sie ihre Worte ernst meinen und die Lehrkräfte für Ihre Schulreform gewinnen wollen, dann muss die Ungerechtigkeit zwischen den Schularten endlich aufhören.
Trotz wohlklingender Worte auf Ihrem Kongress hängen Sie nach wie vor an dem Leitbild eines zentralistischen Bildungssystems, in dem der Leithammel – in diesem Fall das Leitschaf – vorweg marschiert und alle anderen hinterher trotten müssen. Sie werden aber merken, dass zunehmend weniger Menschen ein solches System akzeptieren und immer mehr Menschen ihr Lebensumfeld und ihre Schule aktiv mitgestalten wollen. Diese wollen nicht als Bittsteller und Bittstellerinnen vor die Schulleitung treten und auf deren Wollwollen angewiesen sein, sondern sie wollen Rechte haben, die sie wahrnehmen dürfen.
In einer Gesellschaft, die sich in einem rasanten Wandel befindet, können Reformen nicht mehr zentral gesteuert werden, denn bis der gesamte Bildungsapparat anläuft und Antworten auf die drängenden Fragen gegeben werden, sind im Nu vier, fünf oder sechs Jahre vergangen, in denen sich die Probleme verändert haben. Außerdem steht nicht jede Schule vor demselben Problem. Die Schulen müssen lernende Organisationen werden. Das ist aber nur durch eine größere Selbstständigkeit und Autonomie zu erreichen.
Daher plädieren wir dafür, dass die einzelnen Schulen weit gehende Selbstverwaltungsrechte bekommen und ihr eigenes Profil erarbeiten.
Wir setzen bei diesem Prozess auf Freiwilligkeit. Wir möchten den Schulen diesen Weg nicht von oben aufzwingen. Zwang führt nicht zum Erfolg. Wir motivieren die Schulen, sich hin zu einer demokratischen selbstverwalteten Schulen mit eigenem Profil zu entwickeln, indem wir diesen Schulen 10% mehr Mittel zur Verfügung stellen möchten, als ihnen nach dem herkömmlichen Verfahren zustehen würden.
Ich denke, das ist ein attraktives Angebot. Wir sagen nicht nur, jetzt entwickelt euch mal selbst, sondern wir bieten auch entsprechende Anreize, sich auf den nicht ganz einfachen Weg zu machen.
Einen zarten Ansatz hin zur Budgetierung haben Sie, Frau Staatsministerin, an den Berufsschulen und jetzt auch an den Gymnasien gewagt. Ich frage mich allerdings schon, Frau Staatsministerin, warum Sie die Budgetierung bei der Zuteilung von Lehrkräften nicht auch bei den anderen Schularten eingeführt haben. Warum eigentlich nur bei den Berufsschulen, was in Ordnung ist,
und bei den Gymnasien, was auch in Ordnung ist. Warum nicht gleichzeitig auch für die anderen Schularten, wenn sie nicht sogar eher den Volksschulen diese Chance geben sollten. Denn im Grunde haben die Gymnasien mit ihrem Profil am Wenigsten Probleme, da sie schon über die Zweige profiliert sind, die sie anbieten. Die größten Profilierungsprobleme haben meines Erachtens die Grund- und Hauptschulen, weil sie nicht durch einen entsprechenden Zweig ihren besonderen Charakter nach außen hin ausstrahlen können. Deshalb kann ich nicht ganz verstehen, dass es jetzt so läuft, wie es von Ihnen eingeführt worden ist.
Wir fordern auch mehr Selbstständigkeit bei wesentlichen Fragen der Schulorganisation. Warum müssen wir eigentlich im Bildungsausschuss darüber entscheiden und darüber streiten, ob eine Schule jahrgangsgemischte Klassen bilden darf oder nicht. Warum überlassen wir das Organisationskonzept nicht einfach den Schulen? Lassen wir doch die Schulen entscheiden – demokratisch natürlich, indem alle einbezogen sind, damit niemand über den Tisch gezogen wird, – ob sie die Jahrgangsklassen ganz oder teilweise abschaffen wollen, ob und wie sie eventuell den Wochenstundenplan zugunsten von Block- und Epochenunterricht verändern wollen. Lassen wir den Schulen doch die Freiheit, ihr pädagogisches Konzept, ihr pädagogisches Profil selbst zu erarbeiten und dann auch ihre Organisationsstruktur entsprechend anzupassen.
Auch die Auswahl des Personals, das neben den Lehrkräften zum Beispiel nach Meinung meiner Fraktion auch Erzieherinnen und Erzieher sowie Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter umfassen kann, muss den Schulen überlassen werden.
Wenn die Schulen ein eigenes Profil entwickeln sollen, wenn sie zu einer lernenden, sich selbst entwickelnden Organisation werden sollen, dann geht das nicht mit einem – ich sage es einmal in Anführungszeichen – „zusammengewürfelten Lehrerkollegium“.
Das geht nur mit Lehrkräften, die in das Profil der Schule passen und die auch bereit sind, für das Profil der Schule zu arbeiten. Daher fordern wir, dass die Schulen die Einstellung von Lehrkräften und von zusätzlichem pädagogischen Personal vornehmen können.
Wir freuen uns, Frau Staatsministerin, dass die Staatsregierung wenigstens ansatzweise unseren Forderungen, die ja schon lange bestehen, gefolgt ist und zumindest im Bereich der Berufsschulen die Möglichkeit eröffnet hat, dass sich Referendare und Referendarinnen direkt an der Schule bewerben können. Wir fordern dies allerdings für alle Schularten und nicht nur für Referendare und Referendarinnen.
Und auch die Forderung Ihres SPD-Kollegen Steffen Reiche, der Ihnen im SZ-Forum ja vorschlug, eine Bundesratsinitiative zu starten und die Amtszeit der Schuldirektoren und Schuldirektorinnen zu begrenzen, finden
Sie in unserem Gesetzentwurf. Im Übrigen haben wir noch mehr gute Ideen parat, die wir Ihnen gerne bereitwillig überlassen. Wenn Sie unserem Gesetzentwurf schon nicht in seiner Ganzheit zustimmen können, dann nutzen Sie ihn wenigstens als Ideenpool; bedienen Sie sich daraus, wir haben nichts dagegen.
So sind wir! Wir arbeiten gern und stellen unsere Ideen gern zur Verfügung. Wir freuen uns auch, wenn Sie das umsetzen. Das ist doch eine Supergeschichte.
Kolleginnen und Kollegen, je größer die Unabhängigkeit der einzelnen Schulen ist, desto größer wird die Vielfalt der schulischen Landschaft sein. Vor diesem Hintergrund muss die Frage nach der Sicherung und Steigerung der Qualität von Unterricht und Schule neu diskutiert werden. Bisher wurde davon ausgegangen, dass es reicht, wenn die Lehrkräfte ein entsprechendes universitäres Studium haben, dass wir Lehrpläne haben, die für alle gleich sind, und dass es Vorschriften für die Prüfungen gibt. Sie waren der festen Überzeugung, dass sich die Qualität durch zentrale Abschlussprüfungen und durch die Schulaufsicht sichern und steigern ließe.
Aber die Ergebnisse der nationalen und internationalen Schulleistungsstudien sowie die Alltagserfahrungen der Lehrkräfte, der Schülerinnen und Schüler und der Eltern machen deutlich, dass diese klassischen traditionellen Instrumente keinesfalls verhindern, dass durchaus sehr unterschiedliche Leistungsstände zwischen den einzelnen Schulen festzustellen sind. Das zeigte auch der bayerische Mathematiktest. Da wurde deutlich, dass zwischen den einzelnen Schulen ein sehr großer Unterschied besteht. Das heißt, wir brauchen zur Qualitätssicherung und Qualitätssteigerung mehr als die platte Forderung eines Zentralabiturs für alle Bundesländer.
Wir brauchen Instrumentarien der inneren und externen Evaluation, und diese Instrumentarien, Frau Staatsministerin, haben Sie zwar auch angesprochen, aber wenn wir ehrlich sind, haben wir diese Instrumentarien noch nicht; sie stehen uns noch nicht zur Verfügung.
Evaluation, also die Überprüfung, ob die Ziele erreicht worden sind, ist noch keine Qualitätsverbesserung. Aus den Ergebnissen müssen Schritte zur Verbesserung der Qualität erst entwickelt werden. Dafür sind meines Erachtens die Lehrkräfte an den Schulen nicht hinreichend ausgebildet. Die Lehrkräfte an den Schulen werden das allein nicht bewältigen können.
Eine Beratung ist also unabdingbar. Ungeklärt ist die Frage, wer diese Beratung leisten kann. Die Schulräte? könnte man fragen. – Vielleicht. Gewundert hat mich da Ihre harsche Ablehnung der Beratungskompetenz der Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, Frau Ministerin. Ich kann das insofern nicht nachvollziehen, als Sie sagen, sie seien zuständig für die Feststellung von Legasthenie, da Sie ja auch gerade Schulpsychologinnen und Schulpsychologen in ihrer Projektgruppe „Schulentwicklung“ haben. Das heißt, in Ihrer Projektgruppe arbeiten sie mit und beweisen, dass sie etwas
von Schulentwicklung verstehen, aber Sie lehnen es ganz harsch ab, dass Schulpsychologinnen und Schulpsychologen die Schulen bei ihrer inneren Schulentwicklung beraten. – Sie schauen so kritisch. Sie haben im Ausschuss gesagt, sie hätten andere Aufgaben. Aber Sie sagen mir sicher anschließend noch, wie Sie es gemeint haben.
Dieser Prozess der Qualitätssteigerung und Qualitätssicherung, der verbunden sein muss mit einer großen Autonomie, muss natürlich nicht nur verbunden sein mit einer Autonomie über die Finanzmittel, sondern auch mit einer Autonomie bei der Organisation, bei der pädagogischen Gestaltung sowie bei der Personalauswahl und Personalentwicklung. Dieser ganze Prozess braucht motivierte Lehrkräfte, die sich mit aller Kraft auf diesen Entwicklungsprozess einlassen. Mit demotivierten Lehrkräften, die in die innere Emigration gegangen sind, kann keine Schule der Zukunft gebaut werden. Ich glaube, Frau Ministerin, die allererste Aufgabe, die Sie haben, wenn Sie Ihre Worte wirklich ernst meinen, ist, die Motivation der Lehrkräfte an den Schulen zu stärken. Zum einen muss ein Großteil der Lehrkräfte erst wieder motiviert werden und zum anderen muss bei den motivierten Lehrkräften -
(Hofmann (CSU): Sie werden doch schon für ihre Leistungen bezahlt! Sie werden sogar gut bezahlt und haben viel Urlaub, ein Vierteljahr!)
Frau Ministerin, ich glaube, Sie müssen erst einmal innerhalb der CSU-Fraktion dafür werben, dass an den Schulen wirklich ein solcher Prozess stattfindet.
Nein, Herr Hofmann, es ist zu billig, was Sie sagen. Die Lehrkräfte werden gut bezahlt, das ist richtig. Die Lehrkräfte leisten ihre Arbeit,
aber ich sage Ihnen eines: wenn Schule so weiterentwickelt werden soll, wie ich es Ihnen hier aufgezeigt habe, und wie es ja offensichtlich auch die Frau Staatsministerin wenigstens mit ihren Worten sagt, dann brauche ich ein darüber hinausgehendes Maß an Engagement und auch an Begeisterungsfähigkeit und nicht nur Zeit.
Sie können mit demotivierten Lehrkräften, die in die innere Emigration gegangen sind, den Schulbetrieb vielleicht gerade noch einigermaßen aufrecht erhalten.
Herr Hofmann, dann müssen Sie aber erst einmal mit dem Kollegen Knauer über das Beamtenrecht und die Einstellung von Lehrkräften diskutieren.