Protocol of the Session on March 7, 2024

Der Frauenanteil im Landtag von Baden-Württemberg liegt bei etwa einem Drittel. Auf der kommunalpolitischen Ebene sind noch weniger Frauen vertreten. Oberbürgermeisterinnen gibt es in nur sechs von insgesamt 103 baden-württembergi schen Städten.

Frau Staatssekretärin Dr. Lei dig, lassen Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Dr. KlicheBehnke zu?

Ich würde jetzt erst einmal ausführen, und dann können wir am Ende sehen.

Das sind einige Ergebnisse der Analyse zum aktuellen Stand der Gleichstellung im Land, die vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in unserem Auftrag durchgeführt wur de. Wir haben sie vor einer Woche der Öffentlichkeit vorge stellt. Ich denke, Sie stimmen mir zu: Die Ergebnisse überra schen uns auch nicht. 75 Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes stellen wir fest: Der große Auftrag der Gleich berechtigung ist noch nicht erfüllt. Gleichberechtigung haben wir rechtlich zwar weitgehend erreicht, doch Recht und All tagsrealität klaffen nach wie vor weit auseinander. Es gibt noch immer eine strukturelle Benachteiligung von Frauen.

Dafür gibt es etliche Beispiele. Viele Unternehmensvorstän de kommen gänzlich ohne Frauen aus. Frauen übernehmen im Schnitt 44 % mehr unbezahlte Arbeit, also sogenannte Sor gearbeit, im Haushalt und in der Familie als Männer. Frauen werden angefeindet, bevormundet, in Extremfällen sogar er mordet, nur weil sie Frauen sind. Das alles ist nicht nur eine Gefahr für die Frauen, es ist eine Gefahr für unsere Demokra tie.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Eine starke Demokratie bzw. eine starke Gesellschaft braucht starke Frauen und starke Männer. Eine starke Demokratie braucht eine starke Geschlechtergerechtigkeit und Chancen gleichheit. Gleichstellung ist also nicht nur Sache der Frauen, sie betrifft tatsächlich uns alle, und sie erfordert ein gemein sames Handeln.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Das hat auch die Analyse zum Stand der Gleichstellung im Land gezeigt, die ich eingangs erwähnt habe. Gleichstellung ist nicht ein isoliertes Anliegen eines einzelnen Ministeriums – vor allem von dem, in dem ich Staatssekretärin bin – oder ein Anliegen, das von einer einzelnen Institution bewältigt werden könnte. Wir alle – Staat, Zivilgesellschaft, Wirtschaft – müssen uns für gleichberechtigte Repräsentanz und Teilha be von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen einset zen.

Wir, die Landesregierung, gehen das u. a. mit der ressortüber greifenden Gleichstellungsstrategie an. Auf der Grundlage der Analyseergebnisse, die bereits erste Maßnahmenvorschläge enthalten, starten wir jetzt in einen breiten Beteiligungspro zess. Gemeinsam mit zahlreichen Akteurinnen und Akteuren wollen wir gleichstellungspolitische Maßnahmen in allen Be reichen entwickeln und umsetzen.

Ich finde es sehr stimmig, dass unser wichtigstes gleichstel lungspolitisches Vorhaben in dieser Legislaturperiode zu ei nem Zeitpunkt umgesetzt wird, an dem wir zwei wichtige Ju biläen unserer Verfassung feiern, die auch diesen Frauentag zu einem besonderen Ereignis machen. Es geht um 30 Jahre staatlichen Verfassungsauftrag und damit um den Auftrag, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen in die Realität umzu setzen.

1994 wurde das Grundgesetz geändert. Artikel 3 Absatz 2 –

Frauen und Männer sind gleichberechtigt.

bekam eine wesentliche Ergänzung:

Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

Genau das haben Sie, die AfD, nicht verstanden.

(Zuruf der Abg. Carola Wolle AfD)

Es ist unsere Verfassungsaufgabe, dass wir darauf hinwirken, dass Benachteiligungen tatsächlich ausgeräumt werden. Na türlich setzen wir diese Aufgabe hier um.

(Beifall bei den Grünen, der CDU und der SPD – Abg. Carola Wolle AfD: Dann reden Sie bitte über Gleichberechtigung und nicht über Gleichstellung!)

Gleichstellung ist also seit 1949 ein Grundrecht und seit 1994 ein Verfassungsauftrag. Dass wir diesen leider noch nicht komplett ausgefüllt haben, habe ich bereits ausgeführt.

Ich erinnere mich daran, dass ich vor gut einem Jahr mit der EU-Kommissarin Dalli, die in der EU für das Thema zustän dig ist, ein Gespräch geführt habe und sie darauf hingewie sen hat, dass davon auszugehen ist, dass wir für eine tatsäch liche Realisierung der Gleichstellung in der Europäischen Union noch zwei oder drei Generationen brauchen werden. Es ist also tatsächlich noch ein langer Weg. Aber umso wich tiger ist, dass wir vorangehen – mit manchmal zwar kleinen Schritten, aber mit einer immer wieder wahrnehmbaren Ent wicklung.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Dass wir noch nicht so weit sind, zeigt sich tatsächlich in der politischen Repräsentanz von Frauen, auf die ich kurz einge hen möchte, auch wenn Frau Abg. Seemann sie schon sehr ausführlich dargestellt hat. Ihre Repräsentanz ist tatsächlich kein gutes Signal für die Gleichberechtigung im Land; denn Gleichberechtigung fängt natürlich da an, wo Frauen mitbe stimmen können. Wo wäre das an erster Stelle, wenn nicht hier in der Politik?

Hier im Parlament haben wir zumindest durch das neue Land tagswahlrecht bessere Voraussetzungen für die Parität geschaf fen. Jetzt liegt es in den Händen der Parteien, bei den Listen aufstellungen die Chance zu nutzen und den wesentlichen Schritt im Sinne der Parität zu gehen.

Für die Kommunalwahlen und die Europawahl kann ich nur alle Frauen ermutigen: Bringt euch aktiv ein! Stellt euch zur Wahl! An die Männer: Bezieht Stellung! Ebnet den Weg für mehr Vertreterinnen in Europa und in den Kommunen!

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Dabei will ich nicht verhehlen: Sich zur Wahl zu stellen, sich in die Politik einzubringen erfordert inzwischen einiges an Mut, gerade für Frauen. Denn Politikerinnen sind von Gewalt, vor allem auch von digitaler Gewalt und Hatespeech beson ders betroffen. Das ist eines der Ergebnisse des „Gesellschafts Reports BW“ vom letzten Jahr, auf den die Kollegin Seemann schon eingegangen ist.

Wir sind der Frage nachgegangen, wie Hatespeech gegen Kommunalpolitikerinnen in Baden-Württemberg eingesetzt wird und wie sie sich auf die Betroffenen auswirkt. Das Er gebnis ist: Alle Beteiligten sahen in Hatespeech tatsächlich ei ne Gefahr für die Demokratie. Manche Politikerin äußert ih re Meinung nur sehr vorsichtig oder gar nicht mehr. Es gab sogar vereinzelt den Fall, dass Ämter niedergelegt wurden.

Gleichzeitig ist festzustellen: Ein Großteil der Befragten lässt sich nicht einschüchtern. Das gibt natürlich auch mir Mut.

Deutlich wurde in der Studie auch: Es gibt Unterstützungs strukturen. Wir müssen sie noch besser bündeln, und wir müs sen tatsächlich auch die bestehenden Anlaufstellen, die wir in zwischen in Baden-Württemberg etabliert haben, noch be kannter machen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Die Ergebnisse des „GesellschaftsReports BW“ bringen mich zu zwei Themen, die mir in der heutigen Debatte ebenfalls wichtig sind: Antifeminismus und Sexismus. Seit Frauen das Recht auf Gleichberechtigung in Anspruch nehmen, versu chen viele, ihre Emanzipation zu verhindern. Feindbilder wer den konstruiert, z. B. durch die Behauptung, Feminismus sei eine übermächtige Bewegung; Männer würden unterdrückt und benachteiligt. Wir haben gerade leider live erleben müs sen, von welcher Seite solche Argumente kommen.

(Abg. Carola Wolle AfD: Stimmt doch gar nicht!)

Frauen werden häufig nicht als gleichwertig angesehen. Sie werden angefeindet, bevormundet, abgewertet und erniedrigt. Das ist Gift für die gesamte Gesellschaft.

(Abg. Bernhard Eisenhut AfD: Sprechen Sie über den Islam?)

Und wie dieses Gift durch die AfD immer wieder in die Ge sellschaft eingestreut wird, hat Frau Abg. Huber hier ja sehr deutlich ausgeführt.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Das Erschreckende ist: Antifeminismus und Sexismus gehen oft mit Gewaltbereitschaft einher – ja, sie legitimieren Hass und Gewalt, sie greifen unsere vielfältige Gesellschaft an, sie greifen Menschenrechte und Chancengleichheit an, sie sind menschenverachtend.

(Zuruf von der AfD)

Ich sage ganz klar: Sexistisches Verhalten, abwertende Sprü che, das hat bei uns nichts zu suchen.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Hass, Gewalt, Diskriminierung und gruppenbezogene Men schenfeindlichkeit – all dem stellt sich die baden-württember gische Landesregierung entschieden entgegen. Aus unseren zahlreichen Maßnahmen möchte ich nur einige Beispiele nen nen:

In diesem Jahr haben wir den Vorsitz bei der Gleichstellungs ministerinnen- und Gleichstellungsministerkonferenz inne. Wir werden dort – auch das wurde schon gesagt – einen Leit antrag zur gleichberechtigten Teilhabe und Repräsentanz von Frauen in der digitalen Welt stellen. Das ist natürlich ein enorm wichtiger Bereich, und wir werden uns dabei auch mit der Frage beschäftigen, wie Hatespeech zurückgedrängt wer den kann, damit Frauen nicht in ein Stillhalten verfallen, son dern auch im digitalen Raum ihre Repräsentanz einnehmen und an allem teilhaben, was geschieht.

Mit dem Kabinettsausschuss „Entschlossen gegen Hass und Hetze“ gehen wir ganz entschieden und geeint gegen Hass, Hetze und Gewalt vor. Wir setzen hier auf Aufklärung und Sensibilisierung, wir stärken die Vernetzung und entwickeln vielfältige Maßnahmen für den gesellschaftlichen Zusammen halt und eine starke Demokratie. Das Ministerium für Sozia les, Gesundheit und Integration bringt hier auch Aspekte der Gleichstellung mit ein.

Als letztes von vielen möglichen Beispielen nenne ich noch die von uns finanzierte Koordinationsstelle Digitale Gewalt in Heidelberg. Diese ist Ansprechpartnerin für Beratungsstel len zu den Themen der häuslichen und der sexualisierten Ge walt. Sie organisiert Fortbildungen, stellt Informationen zur Verfügung und stärkt die Vernetzung der unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure im Land. Mit dieser Maßnahme sind wir bundesweit Vorreiter beim Kampf gegen digitale Gewalt gegen Frauen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Dieser Auszug von Maßnahmen zeigt: Die Landesregierung ist aktiv. Sie setzt sich tatkräftig ein – für starke Frauen im Land, für gleiche Rechte und gleiche Chancen, für eine star ke Demokratie. Lassen Sie uns das gemeinsam tun!

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Jetzt gab es noch die Frage der Kollegin.

Sie lassen also die Nachfrage der Frau Abg. Dr. Kliche-Behnke zu?

Ja.