Protocol of the Session on March 7, 2024

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen und die Gespräche einzu stellen.

Ich eröffne die 90. Sitzung des 17. Landtags von Baden-Würt temberg.

Von der Teilnahmepflicht befreit sind Herr Abg. von Eyb, Frau Abg. Fink-Trauschel, Herr Abg. Dr. Fulst-Blei, Herr Abg. Gruber, Herr Abg. Herkens, Frau Abg. Neumann-Martin, Herr Abg. Stein sowie Herr Abg. Wahl.

Seitens der Regierung haben sich aus dienstlichen Gründen entschuldigt: Herr Minister Dr. Bayaz, Frau Ministerin Dr. Hoffmeister-Kraut, Frau Staatsrätin Bosch, Herr Staatssekre tär Hoogvliet, bis 10:45 Uhr Herr Minister Lucha, bis 14 Uhr Frau Ministerin Gentges und ab 16 Uhr Herr Minister Hauk.

Außerdem sind Herr Staatssekretär Schebesta und Herr Staats sekretär Dr. Rapp entschuldigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich Tagesordnungs punkt 1 aufrufe, darf ich Sie auf die Veranstaltung anlässlich des Internationalen Frauentags hinweisen, die der Landtag heute Nachmittag in Kooperation mit dem Dachverband der Jugendgemeinderäte durchführt.

Um 15:30 Uhr werde ich in der Eingangshalle rund 100 poli tisch engagierte und gesellschaftlich interessierte junge Frau en begrüßen, die auf Einladung des Dachverbands der Jugend gemeinderäte zur Gründung eines landesweiten überparteili chen Netzwerks zusammenkommen. Im Vorfeld der Kommu nalwahlen 2024 sowie in Anbetracht der Absenkung des Wahl alters auf 16 Jahre ist es eine tolle Initiative, junge motivier te Frauen bei ihrem politischen Engagement zu stärken.

Dafür ganz herzlichen Dank an Sie alle, insbesondere an die frauenpolitischen Sprecherinnen, die dieses Anliegen unter stützen und sich heute Nachmittag aktiv daran beteiligen. Nochmals herzlichen Dank. Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal.

(Beifall)

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 1 auf:

Debatte aus Anlass des Internationalen Frauentags am 8. März 2024 – Frauenpolitische Debatte – Starke Frau en, starke Gesellschaft

Das Präsidium hat für die Debatte eine Redezeit von zehn Mi nuten je Fraktion festgelegt.

In der Aussprache erteile ich das Wort für die Fraktion GRÜ NE Frau Abg. Seemann.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Internationalen Frauentag gäbe es viele Dinge anzusprechen: Lohnlücke, Pensionslücke, Verteilung unbezahlter Sorgearbeit, Gewalt gegen Frauen und mehr. Da aber in diesem Jahr die Kommunalwahlen sind und in unseren Kommunen, in unseren Städten, Gemeinden, in den Kreistagen, die Politik gemacht und die Entscheidungen ge troffen werden, die auf die Lebenswelt der Menschen ganz di rekt und unmittelbar einwirken, möchte ich mich heute dar auf fokussieren.

(Abg. Gabriele Rolland SPD: Das ist schlecht!)

Werfen wir doch einmal einen Blick in die Zukunft, eine Zu kunft, in der die Stimmen der Frauen lauter und klarer in den kommunalen Gremien erklingen, sei es als Rätinnen, als Bür germeisterinnen oder als Landrätinnen. Gleichberechtigung darf keine leere Worthülse sein, sondern ist eine Verpflich tung, die wir entschlossen angehen müssen.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Das unübersehbare Ungleichgewicht in den politischen Ent scheidungsgremien müssen wir endlich angehen. Frauen ma chen mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus und spielen ei ne entscheidende Rolle in der Gesellschaft. Deshalb gehören ihre Perspektiven, ihre Erfahrungen und ihre Expertise in den Mittelpunkt unserer politischen Diskussionen.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Die Kommunalparlamente sind die Grundfeste unserer Ge meinschaften, Orte, an denen die Weichen für die Zukunft ge stellt werden.

(Zuruf der Abg. Gabriele Rolland SPD)

Doch schauen wir genauer hin: Wo sind da die Frauen? War um sind ihre Stimmen oft so leise, wenn es darum geht, die Geschicke in unseren Städten und Gemeinden zu lenken? Nach langen Diskussionen konnte für die Kommunalwahl 2019 eine Sollbestimmung – leider keine Mussbestimmung – durchgesetzt werden. Diese sieht vor, dass die Wahllisten ab wechselnd mit Männern und Frauen besetzt sind, das soge nannte Reißverschlussprinzip. Dies bewirkte zwar einen leich ten Anstieg des Frauenanteils in den Kreistagen und Gemein deräten, der durchschlagende Erfolg aber blieb aus. Wir sind

noch meilenweit von der paritätischen Verteilung entfernt; dies gilt für Kreistage noch stärker als für Gemeinderäte.

Am konsequentesten setzen wir Grünen das Reißverschluss verfahren um; unsere verpflichtende Frauenquote wirkt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Besonders bei einer Partei – hier rechts im Saal – wurde das Prinzip fast vollständig ignoriert.

(Abg. Anton Baron AfD: Ich halte nichts von Quo te!)

Dementsprechend gab es bei den Kommunalwahlen auch gro ße Unterschiede beim Frauenanteil. Der ca. hälftige Frauen anteil auf Grünen-Listen konnte über die Listen hinweg den Frauenanteil zwar nach oben treiben; dieser liegt aber in den Kreistagen nur bei ca. 22 % und bei den Gemeinderäten bei knapp 27 %.

Mit Blick auf die Daten wird klar: Die Art und Weise, wie die Parteien und die Listengruppierungen ihre Wahllisten aufstel len, hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wie viele Frau en letztendlich in den Kommunalparlamenten vertreten sind.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Wenn Männer und Frauen paritätisch aufgestellt sind oder wenn der Frauenanteil auf den aussichtsreichen Plätzen höher ist, dann resultiert daraus ein höherer Frauenanteil unter den Gewählten. Das ist eine recht einfache Erkenntnis. Sie unter streicht jedoch, wie stark die Nominierungspraxis der Partei en und Gruppen den tatsächlichen Frauenanteil in den kom munalen Gremien bestimmt.

(Abg. Anton Baron AfD: Lassen Sie doch den Wäh ler entscheiden und nicht die Parteien!)

Die Forderung an alle Parteien und Gruppen kann deshalb nur sein: Sorgt für Parität bei der Aufstellung! Und, liebe Wähle rinnen und Wähler, wählt die engagierten Frauen! Es steht nir gends geschrieben, dass nur Männer gewählt werden dürfen.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD)

Nur so können wir sicherstellen, dass alle Stimmen in unse rer Gesellschaft gehört werden. Denn Politik von und für Frauen ist Politik für die ganze Gesellschaft.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD)

Wichtig ist aber auch, das politische Engagement besser kom patibel mit der Lebensrealität von Frauen zu machen. Wir müssen darüber reden, wie die Sitzungskultur verändert wer den kann – Redezeitbegrenzung, Begrenzung der Sitzungs zeiten. Geprüft werden muss, wie digitale oder hybride Sit zungsformate rechtssicher eingeführt werden können. Eine Elternzeitregelung für das politische Ehrenamt sollte über dacht werden, ebenso wie eine Erstattung von Kosten für die Betreuung von Kindern oder von zu pflegenden Angehörigen. Elternschaft und Pflege dürfen ein kommunalpolitisches En gagement nicht länger erschweren oder gar verhindern.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD)

Eines ist klar: Solche Neuerungen würden nicht nur Frauen den Schritt zu einem Mandat erleichtern, sondern kämen letzt lich allen zugute.

Noch größer als bei den Räten ist das Ungleichgewicht der Geschlechter bei den Verwaltungsspitzen. Nur rund 8 % der Chefsessel in den Rathäusern sind von Frauen besetzt. Der Anteil der Oberbürgermeisterinnen liegt bei gerade einmal 5 %. An der Spitze unserer Landkreise stehen zwei Frauen ne ben 33 Männern. Hier setzt das Land jetzt an und unterstützt die Kampagne „Bürgermeisterin? Ich mach das!“. Sie ist ein Schritt, um diese Ungleichheit anzugehen und den Frauenan teil in kommunalpolitischen Spitzenämtern nachhaltig zu er höhen. Es muss uns gelingen, mehr Frauen für Spitzenämter in unseren Kommunen zu gewinnen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Auch hier richtet sich die Forderung an die Wählerinnen und Wähler: Traut den Frauen ein solches Amt zu, und wählt Frau en an die Spitze!

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD)

Eine besondere Rolle auf dem Weg zu einer gleichberechtig ten Gesellschaft kommt darüber hinaus den Themen Bildung und Empowerment zu. Dabei geht es insbesondere um die Be kämpfung von Rollenstereotypen. Frauen sollen ihre Poten ziale voll entfalten können. Durch die gezielte Bekämpfung von Rollenstereotypen in Bildungseinrichtungen schaffen wir eine Umgebung, in der Frauen und Mädchen ihre Interessen und Talente frei entfalten können – ohne von überholten Ge schlechterklischees eingeschränkt zu werden.

Es ist nicht naturgegeben, dass z. B. in den Kommunen Frau en überproportional in den unteren Lohngruppen anzutreffen sind und die Luft für sie nach oben immer dünner wird. Wir werden künftig gerade auch in den kommunalen Verwaltun gen noch mehr gut ausgebildete Frauen in den Amtsleitungen brauchen. Rollenklischees und -zuschreibungen sind dafür einfach nur hinderlich.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD)

Es gibt aber noch weitere Herausforderungen. Der kürzlich veröffentlichte „GesellschaftsReport BW“ legt besorgniserre gende Ergebnisse offen, insbesondere im Blick auf digitale Gewalt und Hatespeech, die vermehrt Kommunalpolitikerin nen treffen. In Interviews im Vorfeld der Kommunalwahlen wird beleuchtet, welche Auswirkungen diese Form der digi talen Gewalt auf persönlicher und politischer Ebene für die Betroffenen hat.

Die Ergebnisse sind alarmierend. Immer häufiger sehen sich Politikerinnen mit digitaler Gewalt konfrontiert, angefangen bei persönlichen Beleidigungen bis hin zu ernsthaften Ge waltandrohungen in E-Mails. Hatespeech manifestiert sich durch die Verbreitung von Falschaussagen, öffentliche Abwer tung mittels Stereotypen, visuelle Verunglimpfung und sogar sexualisierte Gewalt.

33 % der teilnehmenden Politikerinnen in Baden-Württem berg mussten bereits Anfeindungen erleben. 46 % von ihnen haben Hass im Netz erfahren.

(Zuruf des Abg. Daniel Lindenschmid AfD)

Diese Zahlen verdeutlichen die Belastungen, denen politisch engagierte Frauen ausgesetzt sind. Anfeindungen insbesonde re während des Wahlkampfs sind keine Seltenheit. Das führt teilweise dazu, dass Politikerinnen ihre Meinungen vorsich tiger äußern, zurückhaltender in der Nutzung sozialer Medi en sind oder im schlimmsten Fall sogar ihre Ämter niederle gen. Dagegen müssen wir alle angehen.