Liebe Kolleginnen und Kollegen, Baden-Württemberg ist ei nes der wirtschaftsstärksten Bundesländer. Unser Ländle ge hört zu den wohlhabendsten Regionen auf diesem Planeten. Das sozialpolitische Ziel muss eine Gesellschaft ohne Angst sein, die auf Solidarität, Zusammenhalt, Menschlichkeit und Respekt basiert. Diese Werte ergeben einen klaren politischen Auftrag.
Die SPD-Fraktion hat im vergangenen Jahr eigene Vorschlä ge und Gesetzentwürfe vorgelegt. Das werden wir auch in Zu kunft tun; da lassen wir nicht locker. Und wir bleiben bei un serer Kritik: Dieser Regierung fehlen Konzepte, Durchset zungsfähigkeit und der nötige politische Wille und Anspruch der Sozialpolitik.
Vielen Dank. – Herr Präsi dent, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich den Haushalt des – wie Sie, Herr Minister Lucha, selbst immer sagen – „kleinen Programmhauses“ Sozialministerium in der ersten Fassung gelesen habe, fiel mir folgendes Zitat von Thomas J. Watson ein:
Es ist besser, Vollkommenheit anzupeilen und vorbeizu schießen, als auf Unvollkommenheit zu zielen und zu tref fen.
Den Versuch, Vollkommenheit anzupeilen, Herr Minister Lucha, haben Sie mit diesem Haushalt gar nicht erst unternommen. Und selbst mit der Unvollkommenheit sind Sie in diesem Haushalt nicht besonders weit gekommen. Ich erinnere mich dabei an die Beratungen des Einzelplans 09 im Finanzaus schuss: 34 Änderungsanträge der Regierungsfraktionen – und noch immer insgesamt fünf Kapitel, deren Beratung aufgrund internen Klärungsbedarfs vertagt werden musste. Wir hatten uns auf einen Beratungs- und Abstimmungsmarathon einge stellt, waren wegen verschobener Anträge und Kapitel aber in Rekordzeit fertig.
Für uns sind das untrügliche Anzeichen stümperhafter Arbeit in Ihrem Programmhaus, Herr Minister, und ich habe leider wenig Hoffnung auf Besserung.
Ihr Auftritt in der Enquetekommission „Krisenfeste Gesell schaft“, Herr Minister Lucha, hat mir gezeigt, dass Sie es of fensichtlich nicht mit dem alten Sprichwort halten: „Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung.“ Ich zitiere Sie aus der An hörung im Rückblick auf die Coronakrise:
Aber der Teil der Gesundheitskrise, der Rechtsetzungs krise ist in unserem Haus gut bewältigt worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe das anders in Er innerung und viele Vertreterinnen und Vertreter aus dem Ge sundheits- und Sozialwesen ganz sicher auch. „Chaos“ war und ist in diesem Zusammenhang das am häufigsten angeführ te Attribut – und das zu Recht.
Nun ist die Coronapandemie zwischenzeitlich etwas aus dem Fokus gerückt, und das ist auch gut so. Ihr Haus kann sich al so jetzt auf die Herausforderungen konzentrieren, die in Ih rem Ressort anstehen – und viele davon sind dringlicher denn je. Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele:
Der Pflegenotstand trifft unser Land mittlerweile an allen Ecken und Enden. Inzwischen hat im Schwarzwald aufgrund des Fachkräftemangels gar das erste Pflegeheim geschlossen; andere werden folgen. Wir brauchen endlich richtige und vor allem wirkungsvolle Impulse für die Pflege in Baden-Würt temberg.
Stattdessen sieht der Sozialminister unser Land „gut aufge stellt“ und trägt durch zeitlich befristete Kurzförderprojekte gerade nicht dazu bei, dass die Pflegebranche entlastet wird bzw. verlässliche Planungsgrundlagen hat.
Und wo bleibt Ihr Impuls bei den Themen Bürokratieabbau und „Gewinnung von Fachkräften aus dem In- und Ausland“? Auch hier laufen uns andere Bundesländer mit ihren Ideen längst den Rang ab.
Daran ändert im Übrigen auch die heute veröffentlichte Ko operation mit der Agentur für Arbeit im Zusammenhang mit Triple Win nichts. Triple Win beschränkt sich auf vier Län der, und mit den vorgesehenen Mitteln können Sprachkurse für gerade einmal 330 Fachkräfte finanziert werden. Auch das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Kollegin Kliche-Behnke hat es schon erwähnt: Die Schulgeld freiheit für unsere Gesundheitsberufe könnte dagegen ein we sentlicher, wichtigerer Ansatz sein – so, wie Sie es übrigens im Koalitionsvertrag auch bereits vereinbart haben. Inzwi schen wird das zum Wettbewerbsnachteil für unser Land, weil andere Bundesländer wesentlich attraktivere Rahmenbedin gungen haben.
Herr Minister Lucha, für viele weitere gute Ansätze empfeh len wir Ihnen unser Positionspapier zu diesem Thema. Dort
haben wir einige notwendige Maßnahmen aufgeführt. Ganz sicher ist das die richtige Lektüre für Sie zur Weihnachtszeit mit vielen wichtigen Impulsen. Sie können sich dieses Papier mit einem Klick auf unserer Homepage herunterladen; wir würden es Ihnen auch gern in gedruckter Form zur Verfügung stellen.
Ein weiteres Thema mit einem extrem hohen „Kittel brennt“Faktor: Sie selbst, Herr Minister, haben in der Anhörung der Enquetekommission ausgeführt, dass 20 % der Hausärzte im Land bereits im Rentenalter sind und weitere fast 40 % in den nächsten fünf Jahren dazukommen, die bis dahin das 65. Le bensjahr erreichen. Deshalb fordern wir Sie auf, jetzt ein kon kretes Programm aufzulegen, mit dem wir Medizinstudieren de für eine Tätigkeit als Hausärztin oder Hausarzt gewinnen. Wir machen auch hier mit unserem Änderungsantrag einen konkreten Vorschlag. Sie aber schreiben Sachmittel zur Um setzung des Landarztgesetzes in den Haushalt, ohne dass ein transparentes und der Allgemeinheit zugängliches Konzept vorliegt. Für uns ist dieses Projekt mehr als fragwürdig. Vor allem dauert es viel zu lange, bis es wirken kann. Herr Minis ter Lucha, wir brauchen jetzt eine Verbesserung der Hausärz teversorgung und nicht erst in zehn bis 15 Jahren.
Wir fordern stattdessen die Verwendung der Mittel zugunsten der Erarbeitung einer Konzeption, die zum Ziel hat, Medizin studierende höherer Semester dabei zu unterstützen und zu begleiten, sich zur Verbesserung der ärztlichen Versorgung im ländlichen Bereich niederzulassen. Klare Zielgruppe, trans parentes Konzept – eigentlich doch gar nicht so schwer, da endlich ein paar PS auf die Straße zu bekommen.
Noch ein drittes Thema habe ich für Sie – da wissen Sie, dass wir Sie, Herr Lucha, nicht aus der Verantwortung lassen –: Der Maßregelvollzug in unserem Land wird mehr und mehr zum Problem. Über Jahre hinweg haben Sie dieses Thema ver nachlässigt. Anders als in anderen Bundesländern müssen bei uns Jahr für Jahr Straffällige entlassen werden, weil nicht aus reichend Kapazitäten vorhanden sind. Dafür tragen Sie die Verantwortung. In Ihrer Not gehen Sie mit der Brechstange gegenüber der Stadt Heidelberg in Sachen „Fauler Pelz“ vor. Vorausschauende Politik sieht anders aus, Herr Minister Lucha. Das schafft kein Vertrauen.
Last, but not least das Dauerbrennerthema Barrierefreiheit. Nicht nur, dass die Landesverwaltung von der Erfüllung der Quote zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen weit entfernt ist. Vielmehr bekommen Sie die eigenen Hausaufga ben nicht gemacht. Nicht einmal auf Webseiten der Landes regierung oder im digitalen Schriftverkehr der Landesbehör den ist Barrierefreiheit vollständig umgesetzt.
Außerdem können Sie, Herr Minister Lucha, die Frage, wie viele der mehr als 8 000 Liegenschaften barrierefrei sind, nicht beantworten.
Sie sehen selbst, liebe Kolleginnen und Kollegen, das aus Sicht des Ministers vermeintlich kleine Programmhaus, das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration, steht vor unzähligen Herausforderungen, bei denen im Land der Kittel richtig brennt. Es geht nicht nur ums Geld, wir brau chen ein Umdenken – weg vom Bedenkenträgertum hin zum Möglichmacher für kreative und unbürokratische Lösungen.
Wir, die FDP/DVP-Fraktion, erwarten aber auch mit dem Doppelhaushalt 2023/2024 kein spürbares Vorankommen – zumindest nicht, solange das Ministerium vom größten Pfle gefall der Landesregierung geführt wird. Diese Einsicht ist bei den Herren Fraktionsvorsitzenden Schwarz und Hagel inzwi schen auch schon gereift. Sie werden jetzt selbst aktiv, schnü ren aus Einzelpositionen des Haushalts eine neue Mogelpa ckung und nennen das Ganze dann „Unterstützungspaket: So ziale Infrastruktur stärken“. Frei nach Forrest Gump: Der grün-schwarze Sozialhaushalt ist „wie eine Schachtel Prali nen: Man weiß nie, was man bekommt.“
(Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Lauter ganz kon krete Änderungsanträge im Einzelplan des Sozialmi nisteriums!)
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf die Ehrenamtskarte eingehen, weil Sie, lieber Kollege Stefan Teufel, sie angespro chen haben. Mit geballter Faust haben Sie gezeigt, dass die ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen und Bürger unterstützt werden sollten.
Vollkommen richtig. Bei der Beratung des Haushalts des In neren wurden heute Vormittag die Ehrenamtlichen der Blau lichtfamilie explizit angesprochen, ohne die wir unsere unter schiedlichsten Krisen nicht bewältigen könnten. Wie sieht es mit der kraftvollen Unterstützung aus? Wir machen im nächs ten Jahr mal vier Modellregionen – in jedem Regierungsbe zirk eine. Dann machen wir 2024 eine Evaluation, und viel leicht kommt es dann 2025. – Das stelle ich mir nicht unter einer kraftvollen Unterstützung unserer Ehrenamtler vor.
So stelle ich mir das nicht vor. Wir haben doch schon gute Beispiele. Wir brauchen nicht noch selbst zu probieren und zu experimentieren. Wir haben sehr gute Beispiele in anderen Bundesländern, wie es funktioniert. Wenn wir es richtig ma chen, müssen wir es flächendeckend machen. Das wäre eine richtige Unterstützung und Anerkennung der Ehrenamtlichen.
Nach dem Kolle gen Reith spricht jetzt für die AfD-Fraktion Frau Abg. Caro la Wolle. – Bitte sehr, Frau Abg. Wolle.
Sehr geehrter Herr Präsident, mei ne Damen und Herren! Auch die durch Krisen verursachte an gespannte Haushaltslage konnte die Landesregierung nicht zur Vernunft bringen: An systemrelevanten Strukturen wie den Krankenhäusern wird nach wie vor gespart, an ideologisch motivierten Projekten dagegen weiter festgehalten. Besonders besorgniserregend sind für uns die Planungen im Kapitel Ge sundheitspflege. Dort kürzen Sie die Ausgaben von 648 Mil lionen € auf 525 Millionen €.
Bei der Krankenhausfinanzierung wird also keine Anpassung an die Kostensteigerungen vorgenommen – im Gegenteil. Die ohnehin katastrophale finanzielle Lage der Krankenhäuser wird verschlimmert; denn weder bei den Investitionen, der In vestitionsförderung noch bei den Zuschüssen für laufende
Unsere Krankenhäuser wirtschaften im Vergleich mit Kran kenhäusern in anderen Bundesländern durchaus gut. Eindeu tige Indizien hierfür sind die Bettenzahl pro Kopf oder die Verweildauer in den Kliniken.
Dennoch geht es den Krankenhäusern in Baden-Württemberg Jahr für Jahr schlechter. Die mantraartige Antwort der Lan desregierung lautet: Die unzureichende Betriebsfinanzierung des Bundes ist der alleinige Grund für die desaströse finanzi elle Lage baden-württembergischer Krankenhäuser. – Da ma chen Sie sich die Sache zu einfach, Herr Minister Lucha.
Es ist zutreffend, dass das vor 20 Jahren eingeführte DRGSystem die Kostenunterschiede zwischen den Bundesländern weitgehend ignoriert. Das ist aber auch nur die halbe Wahr heit. Die andere ist, dass Krankenhäuser einen Rechtsanspruch auf Deckung ihrer Investitionen durch das Land haben. Ba den-Württemberg erfüllt aber seit Jahren nicht die gesetzliche Verpflichtung, die Investitionskosten, also die Einzel- und Pauschalförderung der Krankenhäuser, in vollem Umfang zu tragen.
Viele von Ihnen werden jetzt an Lauterbachs Revolution für Deutschlands Kliniken denken, also an Lauterbachs Gesund heits-Wumms. Die Abschaffung des DRG-Systems macht jetzt doch alles viel besser. Oder, Herr Minister Lucha? Wenn der Hauptverursacher des DRG-Systems 20 Jahre später zu des sen Hauptkritiker mutiert, dann ist Skepsis gefordert.
Das ist, wie wenn ein Brandstifter die Feuerwehr anführt. War ten wir ab, ob und gegebenenfalls wann Lauterbachs Reform der Krankenhausfinanzierung die Kliniken unseres Landes er reichen wird.