Protocol of the Session on December 18, 2024

Wir dürfen niemals akzeptieren, dass Jüdinnen und Juden wie der Angst haben müssen, in unserer Mitte, in unserem Land zu leben, und wir sehen uns in der Verantwortung, Antisemi tismus noch entschiedener als bisher entgegenzutreten.

(Beifall bei der SPD, den Grünen, der CDU und der FDP/DVP)

Jüdisches Leben sichtbar zu machen und zu schützen, ist im Land der Schoah unsere historische, aber darüber hinaus auch unsere wertebasierte Verantwortung. Neben polizeilichem und justiziellem Schutz ist es auch wichtig, die finanziellen und strukturellen Grundlagen des jüdischen Gemeindelebens und

der jüdischen Religionsausübung stärker zu stützen. Deshalb ist es richtig, dass die Landesregierung den gemeinsamen Ent schließungsantrag von Grünen, CDU, SPD und FDP/DVP vom 20. Dezember 2023 aufgegriffen und den Staatsvertrag mit den Israelitischen Religionsgemeinschaften novelliert hat.

Es ist ein guter Vertrag geworden. Das muss ich so sagen. Es ist richtig, dass die Sicherheitsbelange jüdischen Lebens in diesem Staatsvertrag nunmehr fest und unbefristet verankert sind. Auch die Ausgaben für Sicherungsmaßnahmen, insbe sondere die notwendigen Finanzmittel für Sicherheitsperso nal und für die Wartung von Sicherheitseinrichtungen, sind jetzt im Staatsvertrag unmittelbar verankert. Vorher war das über einen Annex geregelt. Jetzt ist es unmittelbar vertragli che Grundlage. Der Unterschied zur normalen Zuführung an Institutionen ist, dass wir uns hier mit dem Staatsvertrag ver traglich verpflichten, beispielsweise 1,5 Millionen € zusätz lich in die Hand zu nehmen, um die jüdischen Synagogen und die Gemeinden zu schützen. So kann auch adäquat auf eine Bedrohungslage reagiert werden, und zwar unabhängig – das ist der Unterschied bei solch einem Vertrag – von der jewei ligen Haushaltslage des Landes.

Ein weiteres wichtiges Ziel dieses Staatsvertrags ist, das deutschjüdische Kulturerbe als sichtbares Zeichen jüdischen Lebens zu stärken. In diesem Sinn haben wir, der Landtag, im vergange nen Jahr die Position des Beauftragten der Landesregierung gegen Antisemitismus, Dr. Michael Blume, weiter gestärkt und um die Bezeichnung „für jüdisches Leben“ erweitert, al so um eine positive Bezeichnung erweitert, um jüdischem Le ben auch mehr Gewicht in der Amtsbezeichnung von Herrn Dr. Blume zu verleihen.

Neben dem wichtigen Kampf gegen Antisemitismus müssen wir auch dafür Sorge tragen, dass jüdisches Leben in der Mit te unserer Gesellschaft gestärkt wird. Das kommt auch in dem Staatsvertrag zum Ausdruck, wonach das Jüdische Bildungs werk künftig mit rund 150 000 € unterstützt wird und das deutsch-jüdische Kulturerbe, das ich gerade erwähnt habe, mit 720 000 € verstärkt gefördert wird.

Mit dem Abschluss des neuen Staatsvertrags ist es aber nicht getan, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der 7. Oktober 2023 hat gezeigt, dass auch die Solidarität und das Verständnis für die Bedrohungslage, die Ängste und Perspektiven von Jüdin nen und Juden in Israel unsere Staatsaufgaben sein müssen. Dazu bedarf es, dass Menschen hierzulande – vor allem die junge Generation – Kontakte und Bande nach Israel knüpfen und dass man Begegnungen ermöglicht.

Wir, die SPD-Fraktion, machen uns daher stark für die Ein richtung eines israelisch-baden-württembergischen Jugend werks als einen der wichtigsten Pfeiler in der Präventions- und Bildungsarbeit. Wir machen uns auch stark für neue Städte partnerschaften, um Menschen aus unseren Staaten zusam menzuführen. Wir möchten Kommunen dabei unterstützen, Beauftragte gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben in den Stadt- und Landkreisen unseres Landes zu etablieren.

Mit diesem Staatsvertrag senden wir ein wichtiges Signal an die Jüdinnen und Juden in unserem Land: Parlament und Re gierung stehen für ihre Sicherheit und die Stärkung jüdischen Lebens in Baden-Württemberg gemeinsam ein. Wir heben die Zusammenarbeit auf eine neue, verlässlichere Stufe. Jüdinnen

und Juden müssen in unserer Mitte frei und ohne Angst ihren Glauben ausüben können. Dafür stehen wir, die SPD, gemein sam mit den anderen demokratischen Fraktionen in diesem Haus.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grünen, der CDU und der FDP/DVP)

Für die FDP/DVPFraktion spricht jetzt der Kollege Nico Weinmann.

Sehr geehrter Herr Präsi dent, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Unterzeich nung dieses Staatsvertrags senden wir ein klares und deutli ches Signal: Jüdisches Leben bereichert nicht nur unser Land und unsere Gesellschaft, sondern jüdisches Leben gehört viel mehr zu Baden-Württemberg – ohne Wenn und Aber.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD)

Jüdinnen und Juden leben seit mindestens 1 700 Jahren auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik. Dabei kann das jü dische Leben auf eine durchaus wechselhafte Geschichte zu rückblicken – von der Entfaltung der jüdischen Gemeinschaf ten seit dem Frühmittelalter über die einsetzende politische Emanzipation im 18. Jahrhundert bis hin zu der ins 20. Jahr hundert andauernden wirtschaftlichen, kulturellen und geisti gen Blüte.

Diese reiche und reichhaltige Geschichte war leider immer wieder von Ausgrenzung, von Hass und von menschenver achtender Gewalt geprägt, die mit der Schoah in ihrem unvor stellbaren Grauen, dem industriellen Massenmord an über sechs Millionen Jüdinnen und Juden, zweifelsohne das dun kelste Kapitel unserer Geschichte zeichnet.

Heute, nach einem langsamen Wiederaufbau jüdischen Le bens nach dem Zweiten Weltkrieg, können wir uns über das gewährte Vertrauen glücklich schätzen, dass wir mit über 250 000 Mitbürgerinnen und Mitbürgern jüdischen Glaubens wieder an der Dynamik und Vitalität des jüdischen Lebens teilnehmen dürfen.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD)

Geblieben ist indes der Antisemitismus, der heute, annähernd 80 Jahre nach dem Ende des Holocaust, wieder offen und un geniert seine hässliche, seine widerliche Fratze zeigt. Hannah Arendt wusste, wovon sie sprach, als sie sagte, vor dem An tisemitismus sei man nur auf dem Mond sicher. Ich bin heute geneigt, zu ergänzen: Selbst da bin ich mir nicht sicher.

Gerade in Verantwortung vor der Geschichte und im Selbst verständnis eines humanistischen Liberalismus dürfen wir im Kampf gegen den Antisemitismus niemals nachlassen.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD)

Daher begrüßen wir ausdrücklich die Zielsetzung des Staats vertrags des Landes Baden-Württemberg mit den Israeliti schen Religionsgemeinschaften Württembergs und Baden in klusive der jetzt vorgenommenen Anpassungen und Ergän zungen.

Dazu gehört die Klarstellung bei der Regelung jüdischer Fei ertage, wonach beispielsweise bei Hochschulprüfungen an solchen jüdischen Feiertagen hervorgehoben wird, dass ange messene Lösungen mit den Studierenden gefunden werden sollen. Damit tragen wir der großen Bedeutung jüdischen Le bens an unseren Hochschulen Rechnung.

Weiter gehört dazu eine stärkere finanzielle Unterstützung des Jüdischen Bildungswerks. Wir adressieren mit einem intensi ven und lebendigen gesellschaftlichen Dialog über die jüdische Geschichte, die jüdische Religion und Kultur den Wunsch und das Ziel, antisemitischen Ressentiments zu begegnen.

Das Beispiel der Jüdischen Kulturwochen, die heuer unter dem Titel „Jüdisch ist jetzt!“ mit zahlreichen Vorführungen und Veranstaltungen stattfanden, hat mir gezeigt, dass mit em pathischer Offenheit und ehrlichem Interesse an kultureller Vielfalt Vorurteile abgebaut und Verständnis für vermeintlich Fremdes geweckt werden können. Diesen Weg gilt es – nach unserer Überzeugung – lebensfreudig weiter zu beschreiten.

Dazu gehört, alles zu tun, dass Jüdinnen und Juden bei uns si cher leben können. Denn bei allen Bemühungen um Verständ nis und Toleranz und bei all dem leider notwendigen und löb lichen Engagement gegen Hass, Fanatismus und Gewalt ist der Schutz jüdischer und israelitischer Einrichtungen unab dingbar. Wir begrüßen daher die Verstetigung der finanziellen Unterstützung, beispielsweise bei der Wartung von baulichen Sicherheitseinrichtungen oder der Beschäftigung von Sicher heitspersonal.

Wir Freien Demokraten sind dankbar für das Vertrauen, das Jüdinnen und Juden wieder in unser Land setzen. Es schmerzt aber, wenn wir sehen müssen, dass Jüdinnen und Juden heu te wieder Angst um ihre Sicherheit haben und in Sorge um die Sicherheit ihrer Familien leben.

Es ist daher schlicht unsere Pflicht, alles daranzusetzen, die ses Vertrauen nicht zu enttäuschen. Dieser Vertrag ist ein gu tes Zeugnis dafür.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD)

Für die FDP/DVPFraktion spricht Herr Abg. Rüdiger Klos.

(Zurufe: Hä? – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Für die AfD! – Abg. Daniel Lede Abal GRÜNE: Die zweite FDP-Fraktion! – Weitere Zurufe, u. a.: Setzen, Sechs! – Buh!)

Entschuldigung! Ich erteile Herrn Abg. Rüdiger Klos für die AfD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, werte Kollegen! Lei der muss man feststellen, dass die Geschichte der Menschheit sehr blutig ist und war. Immer wieder gab es kriegerische Aus einandersetzungen unter den Völkern. Allein während des Zweiten Weltkriegs verloren über 65 Millionen Menschen ihr Leben.

Dem rassistischen Wahn im Nationalsozialismus fielen Milli onen Menschen zum Opfer. An Orten wie Auschwitz-Birke

nau, Majdanek, Sobibor und Treblinka wurden Frauen und Kinder in Gaskammern ermordet. Millionenfach wurden ge rade Menschen, die in irgendeiner Weise einen Bezug zum jü dischen Glauben hatten, zu Opfern einer rassistischen, wahn haften Ideologie, dem Nationalsozialismus.

Wenn heute, im Jahr 2024, in Deutschland, in Baden und Württemberg wieder Menschen, selbst wenn sie nur eine lo se Beziehung oder Verbindung zum jüdischen Glauben haben, hier bei uns nicht mehr sicher sind, nicht mehr ungestört ih ren Glauben ausüben können, dann muss das für uns als Ge setzgeber, als Landtagsabgeordnete gerade angesichts der un geheuerlichen Gräueltaten durch den Nationalsozialismus ein Alarmsignal sein, das uns zu besonnenem, aber dennoch ent schlossenem Handeln aufruft.

(Beifall bei der AfD)

Für die AfD-Fraktion ist die Sach- und Rechtslage eindeutig: Wir dulden in Deutschland keinen Rassismus, ganz gleich, von wem er kommt. Wir, die Landtagsfraktion, dulden diesen erst recht nicht hier in Baden-Württemberg. Für uns gilt: Op ferschutz statt Täterschutz.

(Beifall bei der AfD)

Als Reaktion auf die drastisch angestiegene Gefährdungsla ge – die Vorredner haben es ausgeführt; ich brauche es nicht zu wiederholen – für unsere Mitbürger mit Bezug zum jüdi schen Glauben und deren Einrichtungen liegt der Gesetzent wurf Drucksache 17/7822 für ein Gesetz zu dem Vertrag des Landes Baden-Württemberg mit den Israelitischen Religions gemeinschaften Baden und Württembergs vor. In diesem än dern Sie die Erwägungsgründe, sehen Regelungen zu den jü dischen Feiertagen vor, unterstützen das Jüdische Bildungs werk Baden-Württemberg und stellen weitere Gelder für Si cherheitspersonal und bauliche Sicherheitseinrichtungen zur Verfügung. Das ist alles gut und richtig; die Vorredner haben dies alles bereits ausgeführt.

Kritik müssen wir aber üben, da Sie sich mit den Ursachen für die geänderte Bedrohungslage und der Frage, wer die politi sche Verantwortung in Baden-Württemberg für diese Entwick lung trägt, leider nicht in ausreichendem Maß befassen. Der Grund ist auch ersichtlich. Politisch verantwortlich für die Zu stände im Land ist die Landesregierung und vor allem ihr Mi nisterpräsident. Seit bald 14 Jahren lautet der Name des poli tisch Hauptverantwortlichen in der Landesregierung Kretsch mann. Er ist der Präsident der Minister. Ebenso verantwort lich für dieses Land sind die Mitglieder seiner Regierung und die sie seit 2011 tragenden Parteien Bündnis 90/Die Grünen, SPD und CDU. Die gleiche Verantwortlichkeit trifft die Bun desregierung, ganz besonders die Bundeskanzler Schröder, Merkel und Scholz, und auch hier die sie tragenden Parteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, CDU und CSU. Aus die ser Verantwortung können und werden wir weder den Minis terpräsidenten noch die Bundeskanzler noch die sie tragenden Parteien entlassen.

(Beifall bei der AfD)

Die Redner der die Regierung tragenden Fraktionen haben die Bedrohungslage ausgeführt. Wir müssen uns darüber im Kla ren sein, dass durch diesen Staatsvertrag zwar die Sicherheits

einrichtungen gestärkt werden, aber es wird bedauerlicherwei se nicht einen Menschen geben, der weniger in irgendwelchen irrgläubigen Fantasien, Verschwörungstheorien und ähnlichem Unsinn gefangen ist. Hier muss angesetzt werden: in der Auf klärung gegen diese Gerüchte, gegen diese Verschwörungs theorien, meine Damen und Herren. Mit Geld können wir das nicht machen. Das können wir nur mit unserer Sprache ma chen, indem wir hinausgehen und ganz klar benennen, was für ein Unsinn solche Verschwörungstheorien sind.

(Beifall bei der AfD)

Schlussendlich müssen wir uns auch mit dem Antisemitismus beauftragten befassen. Denn hier weigern Sie sich, zur Kennt nis zu nehmen, dass Teil des Problems auch das Beauftrag tenunwesen hier in Baden-Württemberg geworden ist. Wenn Sie Beauftragte schaffen wollen, dann für das Phänomen Ras sismus, denn Antisemitismus ist nur eine Unterform davon. Wenn wir uns den Auftritt und die Rede Ihres Beauftragten hier im Landtag ansehen: Für ein Mitglied der Exekutive war das völlig unangebracht.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Wenn man einen Beauftragten laut Gerichtsurteil als „antise mitisch“ bezeichnen darf, dann muss man darüber nachden ken, ob dies noch die richtige Person an der richtigen Stelle ist.

(Beifall bei der AfD – Glocke des Präsidenten)