Protocol of the Session on September 25, 2024

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte wie üblich eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht an gerechnet. Wie Sie wissen, steht für die Aussprache eine Re dezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung schon jetzt bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Für die Fraktion der SPD erteile ich Herrn Fraktionsvorsit zenden Andreas Stoch das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sehen, was für Folgen eine namentliche Abstimmung auch haben kann. Ich hoffe, der Saal füllt sich in Kürze wieder.

Ich möchte auf ein Thema zurückkommen, das wir hier im Landtag von Baden-Württemberg, dem Hohen Haus, in den letzten Jahren sehr oft debattiert haben. Ich glaube, manche haben sogar das Gefühl: zu oft. Während der Coronapande mie war auch hier in nahezu jeder Plenarsitzung das Thema Corona Gegenstand von Beratungen, Diskussionen und auch hitzigen Debatten.

Die Coronapandemie macht zum Glück aktuell nur noch sel ten Schlagzeilen in unserem Land. In der vorherigen Woche war es aber zweimal so weit. Da kam aus Bayern die Idee, Bußgeldverfahren aus der Coronazeit zu beenden, und Spezi alisten für steile Thesen stellten dann die ebenso steile These auf, man solle nun sogar alle Coronabußgelder zurückzahlen. Ich denke, jedem ist klar: Das wäre für unseren Rechtsstaat ein durchaus schwieriges Zeichen gewesen. Die andere Schlagzei le gab es aber hier in Baden-Württemberg, in Stuttgart, mit ei ner erneuten Niederlage des Landes und der L-Bank vor dem Verwaltungsgericht.

Hier geht es nicht um Coronabußgelder, sondern hier geht es um die Coronahilfen. Trotzdem gibt es Streit, tausendfachen, jahrelangen Streit mit Handwerkern und Gewerbetreibenden, mit Gastronominnen und Gastronomen, mit ganz vielen Men schen, die in diesem Land fleißig arbeiten.

Es geht um die Rückforderung von Coronasoforthilfen, und gegen diese Rückforderungen gibt es eine fünfstellige Zahl von Widersprüchen. Über 1 000 Klagen sind anhängig, und eine Musterklage von Friseuren war jetzt vor Gericht. Das Ge richt sagt sehr eindeutig: Das Land ist im Unrecht.

(Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP: So ist es!)

Das Land Baden-Württemberg hat in der Pandemie – das möchte ich vorwegschicken – vor allem auch Bundesmittel als Hilfen verteilt: fast 2 Milliarden € aus Berlin. Aber vor al lem zu Beginn der Pandemie ging es der Landesregierung auch tatsächlich darum, den Gewerbetreibenden, den Men schen mit eigenem Geld zu helfen. Ich betone das, weil das zunächst einmal gut und richtig war. Die Schließung der Ge schäfte während der sogenannten Lockdowns war für viele Betriebe, auch in der Friseurbranche, ruinös. Diese Phase der Pandemie hat manchem wirtschaftlich das Genick gebrochen.

Die Hilfen des Staates haben damals viele Existenzen geret tet. Das gilt sowohl für die Hilfen des Bundes als auch für die eigenen Hilfen des Landes. Das gilt für nicht rückzahlbare So forthilfen ebenso wie für Liquiditätsüberbrückungen, wie für Darlehen, die Betrieben durch diese Krise geholfen haben. Nur – das muss man wissen –: In der allerersten Phase dieser Soforthilfen, als das Land diese Hilfen verteilte, wurden in Baden-Württemberg ganz erhebliche Fehler gemacht. Obwohl der Bund seine Förderkonditionen bereits damals transparent gemacht hatte, wählte das Wirtschaftsministerium eigene For mulierungen, und die waren zumindest irreführend.

(Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP: Schlecht!)

Denn was das Land in dieser ersten Phase als Hilfe leistete, war fast immer als nicht rückzahlbare Soforthilfe angepriesen worden. Später taten dann Land und L-Bank so, als seien dies Darlehen gewesen.

(Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP: Teure Darle hen!)

Ungeschickt lief es in Baden-Württemberg auch an anderen Stellen. Wir haben das hier in diesem Parlament auch schon thematisiert. Für die Hilfen müsste eigentlich entscheidend gewesen sein, wann Betriebe schließen mussten. In BadenWürttemberg galt aber oft erst der Termin, an dem Betriebe Hilfen beantragt haben, so, als ob Betriebe vorher gar nicht geschlossen hätten.

Das musste so nicht sein, meine sehr geehrten Damen und Herren. Denn andere Länder haben das deutlich besser gere gelt, und – wen wundert es? – diese haben auch heute weni ger Ärger als Baden-Württemberg.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, viele von uns waren schon 2020 Mitglieder dieses Hauses. Wir erinnern uns: Damals herrschte enorme Unsicherheit über die richtigen Maßnah men. Es war Eile geboten. Da konnte nicht alles perfekt lau fen. Deswegen hat das Land wahrscheinlich diese – ich nen ne es einmal so – ungeschickten Förderkonditionen noch im Frühjahr 2020 geändert, als man seinen Fehler bemerkt hat, und hat meist auch die korrekten Vorgaben des Bundes über nommen. Dieser Fehler wurde damals korrigiert – nur einge standen wurde er nicht. Denn was sollen sonst diese Rückfor derungen und Prozesse, in denen das Land verliert?

Das Land und die L-Bank wollen nun von Tausenden Betrie ben Geld zurück, und zwar auch das Geld, das man unter der Vorgabe verteilt hat, man brauche es nicht zurückzuzahlen. Deswegen diese Musterklage, deswegen dieses Verfahren vor Gericht.

Jetzt ist es zum wiederholten Mal zu einer Niederlage des Lan des vor Gericht gekommen. Das Gericht macht sehr deutlich: So, wie das Land und die L-Bank in diesen Fällen vorgehen wollen, geht es nicht. Juristisch ist das eine Pleite, aber poli tisch eine Katastrophe, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Denn diese Landesregierung geht nun gegen Betriebe vor, die nichts falsch gemacht haben. Sie setzen sie quasi mit Betrü gern gleich, die Förderungen erschleichen, oder mit säumigen Schuldnern, die Darlehen nicht zurückzahlen wollen. Sie tun das mit enormem Aufwand und stupender Sturheit.

Ja, es gibt eine Bagatellgrenze in Höhe von 250 €. Aber dar über hinaus wollen Sie die Rückforderungsansprüche eintrei ben. Ganz ehrlich: Da geht es nicht mehr ums Rechnen, son dern nur noch ums Rechthaben. Aber im Fall dieser Muster kläger, in Hunderten von Fällen aus dieser ersten Phase der Soforthilfen, da haben Sie schlicht und einfach nicht recht. Das bekommen Sie jetzt auch noch schriftlich vom Gericht. Ganz ehrlich: Lassen Sie es einfach bleiben!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Landesregierung sagt ja immer wieder, sie wolle Lehren aus der Pandemiezeit zie hen, über Konsequenzen und Schlussfolgerungen berichten. Wir hatten extra eine Enquetekommission eingerichtet. Die Regierung mahnt, man müsse die Gesellschaft nach Corona befrieden.

Gleichzeitig aber – und dies ist ein Widerspruch – droht die se Landesregierung Handwerksbetrieben mit Rückzahlungs forderungen in fünfstelliger Höhe, obwohl eben nicht diese Betriebe etwas falsch gemacht haben, sondern diese Regie rung. Das muss jetzt endlich aufhören.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ich sage auch nicht, dass es ein Skandal sei, dass damals bei den Förderkonditionen Fehler gemacht wurden. Ich habe es vorhin erwähnt: Es ist nachvollziehbar, dass in der damaligen Zeit schnell gehandelt werden musste. Aber der Skandal ist eben, dass man nicht eingesteht, dass damals Fehler gemacht wurden. Der Skandal ist, dass Handwerkerinnen und Hand werker, Gastronominnen und Gastronomen sowie andere In haberinnen und Inhaber kleiner Betriebe für einen Fehler be zahlen sollen, den sie nicht gemacht haben.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das ist der Skandal. Das ist das desaströse Bild, das Sie ge genüber unserer Wirtschaft abgeben. Liebe Frau Wirtschafts ministerin Hoffmeister-Kraut, wie wirkt das, wenn Sie auf Verbandstagen des Friseurgewerbes über die volle Unterstüt zung des Landes sprechen, das Land aber gleichzeitig auf un

rechtmäßigen Rückzahlungen besteht? Das ist ein furchtba res Signal an die Betriebe, an das Handwerk, an die Gesell schaft in unserem Land.

Von dieser Regierung wird immer wieder groß verkündet, wie wichtig doch der Bürokratieabbau sei. Doch genau an dieser Stelle erleben die Betriebe die Realität komplett gegenteilig.

Auch in diesem Fall zeigt sich deutlich, wie sehr die Kluft zwischen den politischen Versprechen und Ihrer gelebten Pra xis klafft. Der viel beschworene Entbürokratisierungsschub bleibt aus, während Sie unsere Betriebe mit unrechtmäßigen Rückforderungen überziehen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Erik Schwei ckert FDP/DVP)

Sie reden immer davon, was wir aus der Pandemie lernen sol len. Doch dann demonstrieren Sie, dass Sie selbst leider gar nichts aus der Pandemie lernen wollen. Deswegen, liebe Kol leginnen und Kollegen: Sie haben jetzt eine Chance dazu. Ich meine, das Gerichtsurteil der vergangenen Woche ist an Klar heit kaum zu überbieten und lässt nur einen Schluss zu.

Wir fordern Sie auf, wir fordern die Landesregierung auf, die sen Schluss auch zu ziehen. Legen Sie kein Rechtsmittel ge gen dieses Urteil ein. Machen Sie endlich Schluss mit jenen Rückforderungen, die vom Gericht als unrechtmäßig erkannt wurden, und beachten Sie die Rechtsprechung der Gerichte, die Ihnen eindeutig eine Niederlage verpasst haben.

Ihnen bleiben noch Tausende Verfahren, bei denen die Rechts lage nicht ebenso klar ist wie in diesen Fällen. Aber in diesen Fällen können Sie nun Größe zeigen, können Sie einen Schlussstrich ziehen und Ihre eigenen Fehler endlich einge stehen. Entscheiden Sie sich dafür, solange Sie sich noch ent scheiden können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Wir fahren fort. Für die Fraktion GRÜNE erteile ich jetzt dem Kollegen Felix Herkens das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Corona-Aufarbeitung darf kein Tribunal gegen ein zelne Minister werden. Es muss darum gehen, nüchtern zu untersuchen,

(Zuruf von der AfD)

welche der damaligen Entscheidungen richtig oder wel che aus heutiger Sicht nicht richtig waren.

Das hat die SPD-Bundestagsabgeordnete Marianne Schieder in ihrer Begründung zur Ablehnung einer Enquetekommissi on auf Bundesebene gesagt. Da muss ich ganz ehrlich sagen: Diese Differenziertheit und diese Nüchternheit würde ich mir bei der Debatte um die Coronasoforthilfe auch von Ihnen, der SPD-Fraktion, wünschen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU – Zurufe der Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP und Andreas Stoch SPD)

Als das Coronavirus uns zwang, das öffentliche Leben in nie da gewesener Art und Weise herunterzufahren, mussten Ent scheidungen getroffen werden, die es so weder im Land noch auf Bundesebene bisher gegeben hatte. Es ist doch ganz klar, dass im Nachhinein – mit dem jetzigen Vorwissen und den jet zigen Erfahrungen – viele Dinge sicherlich auch anders ge macht worden wären.

(Zuruf des Abg. Andreas Stoch SPD)

Wir erinnern uns bestimmt alle auch noch gut an die Situati on im Frühjahr 2020. Ich, der ich zu diesem Zeitpunkt noch kein Abgeordneter hier im Landtag gewesen bin, kann nur sa gen, dass ich größten Respekt vor den Entscheidungsträgerin nen und Entscheidungsträgern habe, die damals diese schwie rigen Entscheidungen treffen mussten und unter höchstem Druck Lösungen entwickelt haben für eine Situation, für die es eben keine Blaupause gegeben hat, und für eine Situation, in der auch noch keine Regierung davor gewesen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

In kürzester Zeit haben wir Wirtschaftshilfen in Milliarden höhe auf den Weg gebracht, die dem Friseur ohne Kundschaft, der Elektrikerin ohne Aufträge, der Musikerin ohne Auftritte und dem Unternehmen mit stillstehender Produktion durch die Durststrecke geholfen haben. Niemand sollte alleingelas sen werden, niemand sollte um seine Existenz fürchten müs sen. Diesem Anspruch wurde die Landesregierung im Früh jahr 2020 auch gerecht. Das ist nach wie vor die Maßgabe für unser wirtschaftspolitisches Handeln.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Die Coronasoforthilfe war als Rettungsschirm des Landes konzipiert. Unternehmen, Handwerksbetriebe, Restaurants, die aufgrund der Infektionsgefahr schließen mussten und in diesem Fall von dadurch eintretenden Liquiditätsengpässen betroffen waren, sollten unterstützt werden. Das ist auch ge lungen. Denn im Zeitraum März bis Mai 2020 wurden Hun derttausende von Anträgen auf Coronasoforthilfe bewilligt und konnte damit eine Pleitewelle von ungeahntem Ausmaß verhindert werden.

(Zuruf des Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP)