Was, meine Damen und Herren, wollen Sie heute eigentlich beschließen? Der Weißbuchprozess will die EU-Sozialversi cherung. Übersetzt heißt das: Die Deutschen – ich nenne
Deutschland als größte Volkswirtschaft hier stellvertretend für alle Geberländer – sollen Hartz IV, Arbeitslosen- und Gesund heitsversicherung für alle bezahlen.
Der Weißbuchprozess will die permanente Eurorettung um je den Preis. Übersetzt bedeutet dies: Die Deutschen kommen für die Staats- und Haushaltsdefizite aller auf.
Der Weißbuchprozess will noch mehr Freihandelsabkommen nach dem Muster von TTIP und CETA und damit einen noch besseren Zugriff der Konzerne auf die Menschen. Das heißt u. a. auch, die Privatisierung öffentlicher Netze wird voran getrieben. Einen wirksamen Rechtsschutz für die einfachen Bürger wird es immer weniger geben.
Die EU muss in der Lage sein, umfassende Übereinkom men zur Bewältigung einer ganzen Reihe globaler Fra gen nicht nur auszuhandeln, sondern auch ihre Ratifizie rung und Umsetzung sicherzustellen.
Dieser Satz stammt aus dem Reflexionspapier „Die Globali sierung meistern“. Er kristallisiert den Machtanspruch einer Technokratie auf Unterwerfung. Die Erleuchteten in Brüssel entscheiden, und diese Entscheidungen müssen von uns, von allen anderen ratifiziert und umgesetzt werden, sonst kommt der große Knüppel.
Wir, die AfD, wollen ein Europa der Heimatländer, die frei und ohne Brüsseler Technokratie dort kooperieren, wo es sinn voll ist.
Das war das Erfolgsrezept Europas. Das ist das Rezept, dem wir folgen müssen. Wir müssen die EU wieder vom Kopf auf die Füße stellen, soweit dies möglich ist.
Wir wollen ein Europa, in dem jedes Land die Chance hat, sich seinen Wohlstand zu erarbeiten, und das nicht durch Um verteilung auf Kosten der Nachbarn.
Für demokratische, auch direktdemokratische Entscheidun gen brauchen wir mündige Bürger. Wir brauchen lokale, re gionale, nationale Strukturen, die die globalen Akteure eng an das Wollen der Bürger binden – überschaubar, gebunden und getragen von der gemeinsamen Kultur und Sprache.
Der Weißbuchprozess hätte eine Chance für einen neuen Kon sens in der EU- und Europapolitik sein können, eine Chance für ein echtes Ringen um den besten Weg in die Zukunft. Die se Chance wurde vertan.
Für die SPD-Fraktion darf ich Herrn Abg. Fink ans Redepult bitten. Er hält heute seine erste Rede hier im Haus.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, wer te Kolleginnen und Kollegen! Dass ich meine erste Rede im Landtag zu einem europapolitischen Thema halten darf, freut
mich ausdrücklich. Der Grund ist ganz einfach: Europa be deutet alles. Die Europäische Union steht für Frieden, Frei heit, Wohlstand, Stabilität und Sicherheit. Dafür müssen wir uns jeden Tag einsetzen, damit wir ein starkes und einheitli ches Europa behalten können.
An die AfD-Fraktion gerichtet – hören Sie ruhig zu, Sie kön nen auch von einem Landtagsneuling noch etwas lernen –:
Wenn Sie mit Ihren Anträgen zurückwollen zu einem natio nalen Europa, dann werden Sie mir nicht glauben, wenn ich Ihnen sage, dass Sie sich nicht nur bei diesem Thema, aber insbesondere bei diesem Thema auf dem Holzweg befinden.
Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Eu ropäischen Union mit,...
(Beifall bei der SPD – Abg. Bernd Gögel AfD: Zäh len Sie mal die Länder auf, die in Europa nicht zu der EU gehören!)
Ich sage Ihnen auch in aller Deutlichkeit: Mit Ihrem Geschrei, mit Ihren Anträgen und Ihrem Streben nach Nationalismus widersprechen Sie unserer Verfassung, und Sie handeln höchst verantwortungslos – wieder einmal.
In aller Gelassenheit sage ich Ihnen ebenso: Das Weißbuch Europa ist sicherlich kein Patentrezept, und es ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss.
Aber es hat uns wichtige Ansatzpunkte geliefert, um Europa noch stärker und noch besser zu machen, meine sehr geehr ten Damen und Herren.
Ich sage Ihnen auch: Viel wichtiger als ein Weißbuch ist der Dialog mit den Menschen, die Europa auch in Zukunft gestal ten wollen und gestalten sollen. Es ist der Dialog mit den jun gen Menschen, mit Schülerinnen und Schülern.
Deshalb war ich sehr froh, dass ich beim Europäischen Ju gendforum hier im Landtag dabei sein durfte. 150 Schülerin
nen und Schüler haben beim Europäischen Jugendforum mit uns diskutiert, und sie haben drei klare Forderungen an Euro pa formuliert. Die erste Forderung an Europa war: Tut end lich etwas gegen die Lebensmittelverschwendung. Die zwei te Forderung war: Kümmert euch darum, dass die Vermüllung der Weltmeere aufhört, indem z. B. Plastikverpackungen ver boten werden. Und die dritte Forderung, die Forderung der jungen Menschen, der 150 Schülerinnen und Schüler, war ein europaweiter Mindestlohn, meine sehr geehrten Damen und Herren.
In aller Deutlichkeit gilt für uns ebenfalls, was die Vorredner, abgesehen von der AfD, angesprochen haben: Für uns ist die Europäische Union auch weit mehr als ein Wirtschaftsverbund und weit mehr als nur eine gemeinsame Währung. Sie ist ei ne Wertegemeinschaft, die für 450 Millionen Menschen Frie den schafft. Allein das ist aller Mühen und aller Anstrengun gen auch in Zukunft wert.
Aber wir wissen auch: Das Friedensversprechen Europa reicht heute allein nicht mehr. Es reicht deshalb nicht mehr, weil die Menschen andere Sorgen haben. Es gehört zu unseren Haus aufgaben, dafür zu sorgen, dass der Alltag der Menschen bes ser wird. Natürlich kann ich eine alleinerziehende Mutter, de ren gesamtes Einkommen für Miete und für Kitagebühren draufgeht, nicht von vornherein für das Friedensprojekt Eu ropa begeistern. Deshalb brauchen wir ein soziales Europa, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Wir brauchen ein solidarisches Europa, das sozialen Zusam menhalt schafft und die Arbeitswelt gerecht gestaltet. Wir brauchen ein starkes Europa, das Globalisierung fair, mensch lich und zukunftsgerecht gestaltet. Und wir brauchen vor al lem ein demokratisches Europa, das Frieden schafft, unseren Rechtsstaat sichert und bürgernah ist. Lassen Sie uns gemein sam daran arbeiten in Europa, in Deutschland, aber auch hier in Baden-Württemberg.
(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP – Abg. Andreas Stoch SPD: Sehr gut!)