Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Kollegen Abgeordnete! „Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit“ – schön gefunden, wahr und schön. Aber was hat das mit dem Fall Serebrennikov zu tun? Richtig ist: Wer unter Hausarrest sitzt, kann keine Opern inszenieren.
Möglicherweise – lassen Sie mich das ausführen – ist es ein grundsätzlicheres Problem des Antragstellers Bündnis 90/Die Grünen,
ein Problem, dass man heute Ideale, in diesem Fall die Frei heit der Kunst, trivialisiert und interpretiert, mit neuen Bot schaften aufladen will.
Lassen Sie mich ausführen, auf welchen Freiheitsbegriff wir uns hier berufen wollen. Die Philosophie hat einen Freiheits begriff hervorgebracht, der über das Triviale weit hinausgeht. Freiheit lässt sich am leichtesten charakterisieren als eine Frei heit wovon und für was – für welche Handlung, für welche Tätigkeit. Es geht hierbei stets um die Freiheit des Individu ums, nicht um das einfache, das triviale Verständnis der Frei heit als Freiheit von äußeren Zwängen.
Herr Kollege Kern, ich muss etwas erklären. Der Mensch ist hineingestellt in das Spannungsfeld von Freiheit und Natur gesetzlichkeit, so Friedrich Schiller. Er führte diesen Gedan ken weiter wie folgt:
In dem furchtbaren Reich der Kräfte und... der Gesetze baut der ästhetische Bildungstrieb... an einem... fröhli chen Reiche des Spiels,... worin er dem Menschen die Fesseln... abnimmt und ihn von allem, was Zwang heißt,... entbindet.
Sie bemerken die Freiheit der Kunst hier im Gegensatz auch zum Zwang des Moralischen. Was heißt das für uns heute? Demnach ist Kunst keine Kunst mehr, wenn sie moralischpolitisch aufgeladen wird. Die Verehrung der Kunst in Deutsch land – für manche hat sie fast schon einen religiösen Charak ter – ist ein Erbe der Philosophie des Idealismus. Hegel und Hölderlin, unsere Tübinger Dichter und Philosophen, haben der Kunst diesen Stellenwert zugemessen. Heute haben wir in Deutschland demzufolge diese hohe Achtung vor der Kunst, diese fast ins Religiöse gehende Verehrung.
Konsequenterweise gilt das aber – das ist der Punkt, Herr Mack – nur für die Kunst als solche. Wenn die Kunst triviali siert und politisiert, also politisch aufgeladen wird, entfällt die Verehrung – das ist jedenfalls der Grund dafür –, und der Wert sinkt.
In vielen anderen Ländern, nebenbei gesagt, existiert demzu folge diese quasi fast religiöse Verehrung der Kunst nicht.
Die Kunst soll dort nur unterhalten und vergnügen. Wenn sie das nicht tut, ist sie das Geld nicht wert. Gehen Sie in London in eine Oper oder in New York – nirgendwo wird so modern und auch so provokativ inszeniert wie in Deutschland. Die Eintrittspreise für die Oper in New York liegen umgerechnet bei ungefähr 50 bis 500 €, in Stuttgart zwischen 9 und 109 €.
Die Subventionierung durch den Steuerzahler liegt in Deutsch land demzufolge bei über 80 %. Ob diese Subventionen noch gerechtfertigt sind und unter welchen Umständen, das muss gefragt werden. Das ist unsere Pflicht, unsere Aufgabe als Po litiker.
Gedulden Sie sich. Ich habe ja fast noch zehn Minuten Re dezeit, wie Sie wissen. Aber Bildung ist ein schwieriges The ma, künstlerische erst recht.
(Beifall bei der AfD – Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Kommen Sie da noch hin? – Zuruf von der AfD: Er weiß es nicht!)
Ich war beim Thema: Die Politik muss bei den Umständen ge nauer hinschauen, im Besonderen, wenn das Publikum durch die Kunst vor den Kopf gestoßen wird und die Inszenierun gen lediglich einem engen Kreis von Kritikern und Regisseu ren gefallen. Man nennt dies unter Umständen „Kochen im eigenen Saft“. Manche Inszenierungen sind anscheinend nicht mehr für den Bürger, für den Kunstgenuss,
sondern es sind Inszenierungen einer politisierten Parallelge sellschaft aus Kritikern, Regisseuren und Dramaturgen, die sich untereinander bejubeln. Nur der Skandal taugt, und der größte Skandal ist der, der für den internationalen Durchbruch sorgt. Von wem ist die Rede? Salomo, „Salome“ in Stuttgart 2015,
Kirill Serebrennikov – der sogenannte internationale Durch bruch. Etwas merkwürdig: im eigenen Land ein unbekanntes Genie. Er kommt nach Deutschland, und schwupps: ein gro ßes Genie.
Salome, die sexuell gesteuerte, getriebene Skandalfrau, die sich an allem Religiösen vergreift – ein Skandal, der manchem Freude macht, machte.
Die Besucher lieben eigentlich die alte Oper. Sie suchen die Gefühle, die die Musik ihnen bietet, bieten kann, die Musik der Romantik. Anscheinend haben aber manche sogenannten modernen Regisseure keinen Bezug mehr zu dieser poetischen Stimmung im Märchen. Vorhin war hiervon schon die Rede. Wird deshalb politisiert und trivialisiert?
Serebrennikov ist für die Inszenierung nach Afrika gefahren und hat dort gedreht: Hänsel und Gretel in Afrika; eine Reise der beiden Kinder auf der Flucht vor dem Hunger. Schön, kri tisch, anrührend. Eine künstlerische Aussage? Auf jeden Fall eine politische Aussage eines Regisseurs, der allerdings die
Folgen seiner Aussagen selbst nicht verantworten muss. Inso fern verantwortungslos? Diese Frage muss gestellt werden.
die Freiheit der Meinungsäußerung und die Sicherheit der Bürger in Deutschland zu garantieren. Daraus folgt die Frei heit der künstlerischen Tätigkeit.
Zu „Hänsel und Gretel“ deshalb nur so viel – die Kultur der Gebrüder Grimm –: Ziel sollte es sein, die jüngere Generati on zu begeistern und in der Oper das Feuer der Kultur zu ent fachen, zur Blüte zu bringen. Dazu gehört der intellektuelle, aber auch der optische Genuss. Gerade Jugendliche, die zum ersten Mal in die Oper gehen, sollten sich von der Inszenie rung angesprochen fühlen.
Wir sind Sachwalter der Interessen der Steuergelder der Bür ger. Welche Oper und welches Theater wollen wir? Ich habe da einen pragmatischen Ansatz.
Ich habe einen pragmatischen Ansatz; ich habe nicht gesagt, dass ich es bestimmen würde. Sie sollten in diesem Fall ge nau zuhören.
Wenn sich Theaterintendanten und Regisseure im eigenen Saft braten wollen und eine Kunst für immer weniger Zuschauer hervorbringen, können sie das gern tun – aber ohne Steuer gelder.
Wenn die Theater mit Steuergeldern subventioniert werden, dürfen sich die Intendanten und Theaterregisseure nicht von der Bevölkerung entfremden.
Eine Oper wie „Hänsel und Gretel“ ist geeignet, um Kinder an die Opern heranzuführen. Diese Poesie, diese Märchenwelt kann junge Menschen zu Liebhabern der nächsten Generati on machen. Es sollten auch Inszenierungen sein, die Kinder und Jugendliche ansprechen. Ich wage zu behaupten: Dies ge lang mit einer Inszenierung wie der von Herrn Serebrennikov eher nicht.
Muss ich sogenannte Aufklärung und Willensbildung, also die Trivialisierung der Kunst, feststellen? Das kann und darf nicht die Aufgabe sein.
Wegen angeblicher Steuerhinterziehung steht Serebrennikov unter Hausarrest mit begrenztem Ausgang. Wenn es diese