Herr Ministerpräsident, das Fehlen dieser gemeinsamen Idee, dieses gemeinsamen Themas, das Sie dieser Landesregierung geben wollen, führt letztlich dazu, dass eine bunte Kulisse auf gebaut wird, aber dass diese Kulisse, die die Landesregierung baut und darstellt, eben ohne Inhalt ist. Sie betonen dabei im
Ja, Herr Ministerpräsident, das ist ein guter Ansatz. Aber wo bleibt bei diesem Ausgleich das, was für die Gesellschaft in Baden-Württemberg wichtig ist, nämlich etwas für die Men schen in Baden-Württemberg? Wo bleibt der soziale Aspekt?
(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Haben Sie uns denn zugehört? – Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Sozi aler Wohnungsbau!)
Wo bleiben die Initiativen, die die Gesellschaft zusammen halten und nicht spalten, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen?
Baden-Württemberg ist eben ein starkes Land – das haben die Vorredner zu Recht gesagt –, es ist aufgrund der Menschen ein starkes Land, die dieses vielfältige und bedeutende Bun desland in den letzten Jahrzehnten so stark gemacht haben, wie es jetzt ist. Aber diese Menschen haben Sorgen und Fra gen. Diese Fragen, diese Sorgen der Menschen müssen von der Politik ernst genommen werden. Wir wollen diese Fragen und Sorgen ernst nehmen, damit die Menschen auch wieder zuversichtlich in die Zukunft blicken können.
Was aber sind die Themen, für die sich die Menschen interes sieren? Sie arbeiten sehr viel mit dem Anspruch, dieses Land in die Zeit der Digitalisierung zu führen. Ja, es ist richtig, hier z. B. in den Breitbandausbau zu investieren. Damit ist es aber lange noch nicht getan. Dieses Land Baden-Württemberg be nötigt eine digitale Strategie. Ich glaube, in den fünf Jahren von Grün-Rot haben wir an vielen Stellen begonnen – bei spielsweise durch die Einrichtung von BITBW –, diese digi talen Prozesse für Baden-Württemberg auch nutzbar zu ma chen.
Aber wo ist denn Ihre Strategie, Herr Kretschmann? Mit 350 Millionen € wollen Sie die Digitalisierung voranbringen. Das klingt zunächst einmal nach viel. Doch allein für den Breit bandausbau im Land wären, so Ihre Wirtschaftsministerin, 10 Milliarden € notwendig.
Was passiert jenseits der Verlegung der Breitbandkabel? Sie haben zum Thema Digitalisierung bislang nichts auf den Weg gebracht. Wir erinnern uns, dass Sie im Dezember eine Pres sekonferenz veranstaltet haben. Aber wozu eigentlich? Sie wollten eine Digitalisierungsstrategie vorstellen, hatten aber dummerweise vergessen, zuvor eine solche Strategie zu ent wickeln. Denn außer dem Plan, eine Strategie entwickeln zu wollen, haben Sie bisher keine Strategie. Herr Ministerpräsi dent, das ist zu wenig. Wir erwarten in diesem Bereich von dieser Landesregierung deutlich mehr.
Es gab so wenig Substanz, dass sich u. a. der Handwerksprä sident, Herr Reichhold, genötigt sah, Ihnen Starthilfe zu ge ben. Er hat nämlich darauf hingewiesen, dass es bei der Digi talisierung darauf ankomme, die Digitalisierung aus dem Blick
winkel der Menschen und der Unternehmen zu sehen. Da das Handwerk mit seiner Nähe zu Kunden einen Vorsprung habe, auf den man aufbauen und Erfahrungen einbringen könne, hat er seine Unterstützung angeboten. Ja, wir brauchen wahr scheinlich diese Unterstützung, aber diese Landesregierung braucht sie besonders. Denn Grün-Schwarz hat längst die Nä he zu seinen Kunden, nämlich zu den Menschen in BadenWürttemberg, verloren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.
Jetzt kommt ein Aspekt, der besonders wichtig ist. Er ist des wegen wichtig, weil er den Menschen Sorgen bereitet. Was hat die Digitalisierung, was haben die dynamischen Verände rungen im Wirtschaftsprozess, im Arbeitsprozess für Auswir kungen auf die Menschen? An dieser Stelle warten wir auf Antworten, die wir von Ihnen jedoch nicht hören.
Laut einer Studie arbeiten in Baden-Württemberg im Ver gleich zu anderen Bundesländern besonders viele Beschäftig te in Berufen, die bereits heute zu mehr als 70 % von Com putern oder Maschinen erledigt werden können. Wie ange sichts solcher Daten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh mer bei Ihnen in aller Regel vergessen werden können, ja auch mit keiner Silbe in den Digitalisierungserwägungen Erwäh nung finden, ist mir ein großes Rätsel.
Die Sorgen und Ängste der Menschen in Baden-Württemberg spielen bei Ihnen, gerade wenn es um die Weiterentwicklung der Arbeitswelt geht, offensichtlich keine Rolle. Antworten auf die Fragen „Wird es meinen Job übermorgen noch geben? Wird es für meine Kinder noch Jobs geben?“: Fehlanzeige. Wir müssen den Menschen Antworten geben, damit sie zuver sichtlich in die Zukunft gehen können, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Nicht ohne Grund haben wir vorgeschlagen, gerade für die Qualifizierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ei nen Weiterbildungsfonds bereitzustellen, zu Beginn ausgestat tet mit 10 Millionen €, der insbesondere eine Hilfe für kleine und mittlere Unternehmen darstellen soll, die vielleicht nicht in der Lage sind, ihre Mitarbeiter gut auf die Zukunft vorzu bereiten.
Wir wollen, dass sich die Menschen in der digitalen Welt von morgen sicher fühlen, dass sie den technischen Fortschritt eben nicht als Gefahr und als Bedrohung ihres Arbeitsplatzes verstehen, sondern als Chance begreifen können. Das setzt voraus, dass die Menschen die Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung erkennen können.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich fordere Sie und die Regierungsfraktionen deswegen auf: Lassen Sie uns diesen Weiterbildungsfonds auflegen. Er wäre ein kleines, aber ein wichtiges Zeichen, dass die Politik verstanden hat, dass die Landespolitik die Menschen mit ihren Fragen nicht alleinlässt.
Ein weiterer wichtiger Punkt muss auch noch angesprochen werden. Herr Kollege Schwarz, Sie haben das Thema Infor matikunterricht angesprochen. Dass Sie das hier tun können, ohne dass Ihre Nase unendlich lang wächst, spottet schon ei
niger Beschreibung. Wir hatten in Baden-Württemberg ge plant, im neuen Bildungsplan den Informatikunterricht an al len weiterführenden Schulen zu verankern.
Was aber ist die Wirklichkeit? In Baden-Württemberg haben wir jetzt die Situation, dass viele Schülerinnen und Schüler zwar in einer digitalisierten Welt aufwachsen, dass nahezu al le über Smartphone und Computer verfügen, aber nicht für al le Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg der In formatikunterricht eingerichtet werden kann.
Wir haben die Diskussion in der Öffentlichkeit noch gut im Ohr, als Frau Kultusministerin Eisenmann androhte, sie kön ne zukünftig keine weiteren Ganztagsschulen, keine Inklusi on und auch keinen Informatikunterricht anbieten. Daraufhin wurde ein Deal mit dem Ergebnis ausgehandelt, dass die Kul tusministerin innerhalb ihres Etats Mittel verschoben hat – insbesondere vom frühkindlichen Bereich in diesen Bereich –, um zumindest einen Schmalspurinformatikunterricht anzu bieten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer aber glaubt, nur für Gymnasiastinnen und Gymnasiasten Informatikunterricht an bieten zu können,
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das tut doch gar niemand! – Gegenruf des Abg. Reinhold Gall SPD: Natürlich!)
der geht doch an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen, vor allem junger Menschen, vorbei, und der geht vor allem an der Lebenswirklichkeit der Betriebe in unserem Land weiträumig vorbei.
Die Kinder und Heranwachsenden, gerade auch an Haupt schulen, Realschulen und Gemeinschaftsschulen, stellen sich doch ebenso sehr die Frage, ob sie angesichts dieser Entwick lung auf dem Ausbildungs- und Berufsmarkt bestehen kön nen.
Deswegen halten wir es für dringend notwendig, dass dieser Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler bereits ab dem nächsten Schuljahr angeboten wird. Informatikunterricht muss an allen Schularten ermöglicht werden. Ansonsten würden Sie die Schülerinnen und Schüler, die nicht die Gymnasien besu chen, diskriminieren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.
Eines muss beim Bereich der Bildung ganz deutlich gesagt werden. Herr Kollege Reinhart, Sie haben sich darauf beru fen, dass im Bereich der Lehrerstellen von Grün-Rot ein Ab baupfad übernommen wurde.
Die Diskussion vor einigen Jahren über die 11 600 Lehrerstel len kann Sie nicht überraschen. Denn die Ausgangsschätzung des Statistischen Landesamts stammt aus dem Jahr 2010, als Sie noch regiert haben. Damals war von einem starken Schü
lerzahlenrückgang ausgegangen worden, genauso wie 2014 immer noch – der Ministerpräsident weiß das sehr genau – von einem Rückgang der Schülerzahlen ausgegangen wurde. Für das kommende Schuljahr wurde es deshalb als möglich erachtet, knapp 630 Lehrerstellen zu streichen.
Ganz klar war aber die Aussage der damaligen Landesregie rung und dieses Ministerpräsidenten, dass man dies korrigie ren werde, wenn sich die Schülerzahlen signifikant verändern. Sie haben sich signifikant verändert, weil inzwischen mehr Schülerinnen und Schüler an unseren Schulen sind und die Zahlen nicht sinken.
Wenn Sie angesichts dessen die Lehrerstellenversorgung – und damit die Unterrichtsversorgung – um über 1 000 Lehrer stellen verschlechtern, dann können Sie sich hier nicht hin stellen und von einer Stärkung des Bildungsstandorts spre chen; dann ist das eine Lüge, und dann ist das vor allem ein Problem, wenn Sie die Zukunft für die jungen Menschen in Baden-Württemberg gestalten wollen, liebe Kolleginnen, lie be Kollegen.
Wenn Sie so vorgehen, brauchen wir uns nicht über Qualität von Unterricht zu unterhalten. Wenn Unterricht ausfällt, brau chen Sie sich nicht darüber zu streiten, ob es guter oder schlech ter Unterricht ist. Oder wollen Sie in die dunkelsten CDU-Zei ten zurück? Da war nämlich Baden-Württemberg Spitzenrei ter bei den Nachhilfeaufwendungen für Schülerinnen und Schüler, weil staatliche Schulen den Unterrichtsausfall nicht vermeiden konnten.
Alle Kinder in Baden-Württemberg haben ein Recht darauf, nach ihren individuellen Stärken gefördert zu werden und mit ihren individuellen Schwächen nicht allein dazustehen. Des wegen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen und der CDU: Nehmen Sie die Streichung der Lehrerstellen zurück!
Wenn Sie zusätzliche Stunden für bestimmte Projekte wie z. B. den Ausbau der Poolstunden an Realschulen geben, dann ist es ein Witz und Zynismus, wenn Sie gleichzeitig die Un terrichtsversorgung um über 1 000 Stellen schwächen.