Auch das Ausnutzen räumlicher Reserven – – Gerade bei den Kindern, bei denen der Präsenzunterricht wichtig ist – also in den Klassen 1 bis 7 –, muss ich versuchen, den Mindestab stand einzuhalten. 30 Kinder und eine Lehrkraft in engen Klassenzimmern sind aus meiner Sicht bei so hohen Inziden zen, wie wir sie in manchen Landkreisen haben, nicht verant wortbar. Deswegen muss ich die Vorschläge nutzen – wir ha ben das in der letzten Woche auch getan –, auch andere Räum lichkeiten zu nutzen.
Wir brauchen kreative Lösungen, um Infektionsgefahren in Schulen zu senken und trotzdem Bildung in Baden-Württem berg auf höchstem Niveau möglich zu machen. Dazu gehört z. B. auch der Einsatz von Luftfilteranlagen.
Wir werden kein Risiko null bekommen. Aber wir können das Risiko im Interesse der Schülerinnen und Schüler und vor al lem der Lehrkräfte, die in diesen Klassenzimmern sind, sen ken. Sie haben eine Fürsorgepflicht für diese Beschäftigten. Werden Sie dieser Fürsorgepflicht endlich gerecht!
Vor allem brauchen wir Lösungen, die gemeinsam mit den Schulen erarbeitet werden und die nicht per Verordnung von oben kommen. Vor zwei Wochen hat die Ministerin den Schu len erklärt, sie könnten sich aussuchen, ob sie früher in die Weihnachtsferien gehen wollen. Ich kann Ihnen sagen: Die Begeisterung vor Ort war relativ gering, das selbst entschei den zu müssen. Die Schulen haben das dann getan, waren aber überrascht, als – – Die meisten haben sich übrigens dagegen entschieden, weil sie gesagt haben: „In diesem Jahr ist schon genug Unterricht ausgefallen.“ In den meisten Schulen wur de auch gefragt: „Was mache ich mit Eltern, die an diesen zwei Tagen eine Betreuungsproblematik haben?“
Das sind Fragen, die die Schulen an uns gerichtet haben. Das ist alles über Umfragen passiert, bis vonseiten des Minister präsidenten verkündet wurde: „Diese zwei Tage gibt es eben
obendrauf.“ Zu der Frage, wie das umgesetzt wird – beweg liche Ferientage, zusätzliche Ferien –: keine Antwort.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe das Gefühl, dass diese Regierung auf höchstem Niveau nicht miteinander kommuniziert. Es ist und bleibt für die Menschen in diesem Land nur todtraurig. Ist Ihnen eigentlich klar, welchen Scha den das Ansehen der Kultuspolitik in unserem Land nimmt?
Es hat sechs Monate gedauert, bis unsere Kritik an der pau schalen Schulschließung im Kultusministerium eine Erkennt nis auslöste. Aber dann war es auch noch die falsche Erkennt nis.
Ganz ehrlich: Wir haben keine Zeit, jetzt noch einmal ein hal bes Jahr zu warten, bis Frau Eisenmann begreift, dass es zwi schen „alles auf“ und „alles zu“ noch eine Menge sinnvoller Mittelwege gibt. Auch sonst ist inzwischen meine größte Sor ge, dass aktuell zu steile Infektionskurven auf zu flache Lern kurven treffen.
Herr Ministerpräsident, Sie beschwören immer wieder die Dramatik der Lage, die nicht jeder begriffen hat, der sich im Land über Einschränkungen aufregt. Da haben Sie ganz si cher recht. Aber Sie gestatten uns schon, dass wir Zweifel da ran haben, dass diese Landesregierung die Dramatik der La ge wirklich begriffen hat.
Herr Ministerpräsident, Sie haben kürzlich erklärt, Sie wür den keinesfalls jemand anderen als Sozialminister Lucha mit der Pandemiebekämpfung betrauen – so nach dem Motto: Wenn der Stoch das will, dann schon zweimal nicht.
Um was es mir und um was es der SPD-Fraktion geht, haben Sie offensichtlich nicht wissen wollen. Journalisten haben Sie erklärt, wir dürften doch den Sozialminister nicht dafür kriti sieren, dass er Reserven bei Schnelltests anlege. Wer hat das jemals gesagt? Wo haben Sie diese Kritik von uns gehört? Die gab es nie.
Was es von uns gab, war der Hinweis, dass unabhängig von allen Fehlern und Versäumnissen, die wir Herrn Minister Lucha vorwerfen – unabhängig von seiner Person –, ein Grundsatz gilt, den Sie eigentlich befolgen sollten. Die Be wältigung von Großlagen und Katastrophen – so lautet dieser Grundsatz – gehört ins Innenministerium, und zwar auch das unabhängig vom Minister, weil nämlich dieses Ministerium groß genug ist und unglaublich viel mehr – und auch bei der Krisenbewältigung erfahrenes – Personal zur Verfügung hat als das Sozialministerium.
Als 2015 – ich habe das schon erwähnt – Hunderttausende Geflüchtete in dieses Land kamen, war formal das Integrati onsministerium zuständig. Aus gutem Grund wurde damals die Aufgabe dem Innenministerium übertragen – dies nicht wegen der Personen, der Minister, sondern aufgrund der Grö ße und Struktur der Ministerien. Darum geht es.
Ganz ehrlich: Wenn hier immer wieder gefordert wird, man müsse doch angesichts der Pandemie auch einmal über den Tellerrand seiner Parteizugehörigkeit hinausschauen, dann ist das wahr und richtig. Es wirkt aber nicht sehr glaubwürdig, wenn man das der Opposition anträgt und gleichzeitig nicht
Es darf doch nicht sein, dass man das Naheliegende und Rich tige nur deswegen nicht tut, weil dann kein grüner, sondern ein schwarzer Minister die Gallionsfigur wäre. Herr Minister präsident – um Ihre Worte zu benutzen –, auch da sollte man endlich die Dramatik der Lage erkennen.
Das gilt eben auch für viele andere Punkte. Da legt der Bund – genauer gesagt, legen die sozialdemokratisch geführten Mi nisterien – gewaltigste Hilfsprogramme auf. Dort begreift man, dass dies keine Zeit für schwarze Nullen ist – damit mei ne ich jetzt die Zahlen im Haushalt –, sondern dass man jetzt viel investieren muss, um nicht viel, viel mehr zu verlieren.
Aber mitten in der Pandemie hat man nicht den Eindruck, dass die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg kraftvoll und entschlossen handelte oder gar einen Plan hät te, wie es Anfang kommenden Jahres bei uns weitergehen soll. Auch das ist der Dramatik der Lage nicht angemessen.
Deswegen vermissen viele, viele Menschen, dass diese Lan desregierung endlich in den Krisenmodus wechselt, wenn es um Handlungs- und Entscheidungsfreude geht. Allmählich haben viele Menschen Sorgen, dass das gar nicht kommen wird, dass diese Regierung nicht auspacken kann, was sie gar nicht im Gepäck hat.
Wir haben dieser Landesregierung seit ihrem Amtsantritt vor geworfen, dass es eine Regierung des Stillstands ist, des Vorsich-hin-Verwaltens auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Wir haben oft darüber geschimpft, dass sich zu viele Minis terinnen und Minister nur in der Rolle winkender Strahlefrau en und Strahlemänner gefallen, die angenehme Schaufenster termine veranstalten. Wir haben oft kritisiert, dass GrünSchwarz einen unsäglichen Disclaimer vor sich herträgt: Bei schlechtem Wetter muss das Regieren leider ausfallen.
Denn auch hier streicht die Pandemie überdeutlich heraus, was man zuvor schon ahnen konnte. Diese Regierung handelt nicht, und es kommt letztlich aufs Gleiche heraus, ob sie nicht handeln will oder gar nicht handeln kann.
Seit Beginn der Pandemie ist Baden-Württemberg im Kon zert der Bundesländer der Nachzügler. Damit ist man manch mal sogar ganz gut gefahren. Weil sich der Ministerpräsident ja schon immer gern der Mehrheit anschließt, kamen die Schritte dann halt oft etwas später zu uns. Aber schlimm war das in aller Regel nicht.
Schlimm jedoch ist es, wenn andere Menschen im Land für diese Bummelei büßen müssen: die Schulen und Kitas, die Landratsämter und Rathäuser, die Firmen, Handwerker und Selbstständigen, denen man Regeln und Verordnungen auf den allerletzten Drücker hinwirft, oft mit kaum 24 Stunden Zeit zur Umsetzung.
Schlimm ist es dann, wenn es keinen Bund gibt, dem man hin terherlaufen kann. Dann wartet man auf Gerichte, oder man delegiert konkrete Entscheidungen nach unten weg. Gibt es einen Weihnachtsmarkt oder nicht? Mit Alkohol oder ohne? Wo gilt eine generelle Maskenpflicht?
Natürlich müssen das die Kommunen entscheiden. Aber man darf doch erwarten, dass das Land Richtlinien aufstellt, Grö ßenordnungen angibt. Natürlich ist es die Sache einer Kom mune, eine Tempo-30-Zone auszuweisen. Aber es ist doch auch klar, dass es dann Tempo 30 ist – und nicht hier Tem po 23 und dort Tempo 32.
Schlimm ist es auch dann, wenn allmählich wirklich jeder in diesem Land begriffen hat, dass diese Pandemie keine Sache von ein paar Monaten war und ist. Der Sozialminister erzählt ja oft von seinen Nachtgebeten und den Infektionszahlen vom Sommer, die er sich unter sein Kopfkissen legt. Das wäre drol lig – aber es ist offenbar sein größtes Ass gegen die Pandemie. Und das ist eher gruselig.
Was uns fehlt, ist eine Landesregierung, die in der Lage ist, in Szenarien zu denken und dafür Pläne zu entwickeln. Denn niemand von uns glaubt doch, dass das Virus nach Weihnach ten oder nach dem Jahreswechsel verschwunden ist. Es braucht Maßnahmen, die uns helfen, gut über die ersten Mo nate des neuen Jahres zu kommen, bis dann vielleicht ein Impfstoff endlich für etwas Entspannung sorgt.
Deswegen wundert es uns – oder auch nicht –, dass nicht auch über langfristig sinnvolle Maßnahmen nachgedacht wird. Das würde etwa bedeuten, dass man sich um nachhaltige Lösun gen an den Schulen kümmert, beispielsweise was das Thema Luftreinigung und den Einsatz von Luftfiltern angeht: „Da lüf ten wir mal kurz durch.“ Und wenn es im Klassenzimmer so kalt ist, dass die Schülerinnen und Schüler nur noch in ihren Winterjacken und eingehüllt in Decken unterrichtet werden können, dann – so hat man den Eindruck – ist die Ministerin so weit von ihren Schulen entfernt, dass sie das gar nicht mehr mitbekommt.
Luftreiniger sind aber auch nach Corona nicht unnütz. Das be deutet nämlich auch deutlich geringere Ausfälle bei jeder wei teren Erkältungswelle.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich hätte ich gute Lust, jetzt noch einmal ein paar Minuten über die Grundpro bleme dieser Landesregierung zu reden, darüber, wie viel mehr eine Landesregierung tun könnte, wenn sie sich mehr zutrauen und mehr Verantwortung übernehmen würde, wenn sie mehr könnte, als Nachtwächter zu sein, wenn sie nicht nur verwalten, sondern gestalten würde – und wenn sich ihre bei den Regierungsfraktionen nicht dauernd gegenseitig ein Bein stellen würden.
Aber so schwer sich diese Regierung damit tut, zu handeln, so schwer tue ich mich damit, nicht doch noch auf die gestern
beschlossenen Pläne einzugehen. Ich kann auch nichts ande res tun, als zu versuchen, dass dieser Landtag gestalten kann und gestaltet.
Lassen Sie mich also sagen, dass wir uns natürlich einig dar über sind, dass es bei der derzeitigen Lage keinen Anlass gibt, über Lockerungen zu sprechen. Denn das, was Anfang No vember beschlossen wurde, hat allenfalls dafür gereicht, die exponentielle Entwicklung der Infektionszahlen zu brechen, aber es hat noch nicht gereicht, uns wieder in eine Situation zu versetzen, die auch die Rückverfolgung von Infektionsket ten zulassen würde.
Deswegen ist es klar, dass wir dafür weitere Maßnahmen brau chen. Das ist leider so; dafür kann – da hat der Ministerpräsi dent recht – der Ministerpräsident nichts – aber dafür kann auch die Opposition nichts.
Klar ist auch, dass wir genau deswegen alles, was wir tun, un ter der Maßgabe der Bekämpfung der Pandemie prüfen müs sen. Was nützt, was nützt nicht? Was von den Maßnahmen hat einen Effekt auf das Infektionsgeschehen und was eben nicht? Und vor diesem Hintergrund warne ich davor, für die Weih nachtsfeiertage quasi eine Ausnahme von den Beschränkun gen aufgrund der Pandemie auszurufen. Ja, auch ich mag Weihnachten, und ich feiere es gern mit meiner Familie – als Christ, als Familienvater, als Mensch, der gern in Gesellschaft anderer Menschen ist. Und ja, es ist eine Zumutung, wenn man an Weihnachten nicht alle Menschen einladen kann, die man einladen möchte. Aber vieles in unserem Leben ist zur zeit eine Zumutung, und wir können es so schnell nicht än dern.
Wenn man nun an Weihnachten eine Ausnahme macht, weil das sonst so unangenehm wäre, dann macht man an dieser Stelle aus meiner Sicht ein Fass auf. Denn es ist auch unan genehm, nicht ins Stadion, nicht in ein Konzert gehen zu kön nen; es ist unangenehm, sich nicht mit Menschen treffen zu können. Das ist eine hoch riskante Argumentation.
Mir gefällt die Vorstellung nicht, dass man uns in dieser De batte der letzten Wochen ein bisschen wie Kleinkinder behan delt. So kamen mir auch die öffentlichen Äußerungen man cher Politiker in der Debatte in den letzten Wochen vor: „Seid jetzt schön brav, dann können wir an Weihnachten ein schö nes Geschenk bekommen.“
Noch weniger gefällt mir die Vorstellung, dass es vor den Fei ertagen noch mehr Beschränkungen geben muss, noch weni ger Kontakte, wochenlang. Wir sparen uns also quasi vom Munde ab, was wir dann zwischen dem 24. Dezember und dem 1. Januar wieder leichtfertig zum Fenster hinauswerfen. Und dann? Was passiert, wenn diese Tage vorbei sind? Dann ist das Zuckerle weg, das Geschenk ist ausgepackt, und die Pandemie ist noch immer da – und wenn wir Pech haben, so gar noch schlimmer. Das Virus macht garantiert keine Weih nachtsferien. Auch Silvester wird in diesem Jahr anders sein müssen.
Ich halte von diesen Ausnahmen nichts, weil sie das hart Er arbeitete wieder gefährden. Es ärgert mich auch, dass wir jetzt seit Wochen nur noch Schlagzeilen darüber haben, wie es un ter dem Christbaum aussehen wird. Das wird der Lage nicht gerecht. Ich sage es noch einmal: Wenn wir all den Menschen,
die gegen die Pandemie ankämpfen – als Pflegerin im Kran kenhaus, als Pflegekraft in Alten- und Pflegeheimen –, all den Menschen, die in Kurzarbeit sind – teilweise seit neun Mona ten –, all den Kulturschaffenden – ohne Einkommen seit neun Monaten –, die Angst um ihre Existenz haben, weismachen, ihr größtes Problem sei die Frage, ob sie an Silvester Böller werfen dürfen oder nicht, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden wir in der Debatte der Situation dieser Menschen nicht gerecht.