Sehr geehrter Herr Ministerpräsi dent, Sie haben gerade zu Recht darauf hingewiesen, dass es verschiedene politische Ebenen gibt, die wir im Blick halten müssen, gerade im Blick auf die Landwirtschaft, aber auch beim Thema Tierwohl. Jetzt frage ich Sie, warum sich das Land Baden-Württemberg bei entsprechenden Entscheidun gen im Bundesrat in der Vergangenheit leider nicht positiv einbringen konnte, sondern sich nur enthalten hat.
Das hat einen einfachen Grund: Der Kompromiss, der da vorlag, ging den einen zu weit und den anderen nicht weit genug. Da ging es um eine sehr spezielle Frage. Letztlich ging es dabei um die Mindestgröße in Quadratmetern der Ställe zur Haltung von Muttersauen.
An dem genannten Grund ist es zum Schluss gescheitert. Das war etwas unglücklich. Aber das ist nun mal leider so gelau fen. Das tut mir auch ein bisschen weh. Aber eine Mehrheit hat es ja trotzdem dafür gegeben. Man muss schon sehen: Es ging da um sehr, sehr schwierige Fragen.
Es geht ja immer darum, wenn man solche Dinge macht, dass die Bauern da mitmachen können, dass es ihnen möglich ist, die Umbauten der Ställe so zu machen, dass sie damit ange messen über die Runden kommen. Darüber gab es nun eben unterschiedliche Auffassungen, und deswegen mussten wir uns enthalten.
Ich denke, die Figur des Gesellschaftsvertrags ist natürlich auch deswegen angemessen: Wir müssen das auch mit Blick auf eine wachsende Weltbevölkerung denken, mit Blick dar auf, dass noch Milliarden von Menschen zusätzlich zu ernäh ren sind, und auch mit Blick darauf, dass Wissenschaft und Forschung das Netzwerk der Arten und der Biodiversität noch viel genauer ergründen müssen.
Was wir heute mit dem Biodiversitätsstärkungsgesetz vorle gen, ist ein Baustein auf einem langen Weg hin zu solch ei nem neuen breiten Konsens: die Natur nutzen mit einer natur nahen und starken bäuerlichen, einer mittelständischen Land wirtschaft und die Natur schützen durch eine beherzte Politik für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Dabei geht es auch um den Erhalt attraktiver ländlicher Räume. Ich sage immer, bei uns gibt es ländlichen Raum, aber keine Provinz oder gar Pampa
mit Dörfern, aus denen junge Leute wegziehen – etwas, was ich gerade in einer großen Dramatik bei meinem Besuch in Sachsen und Sachsen-Anhalt erfahren musste. Ich war wirk lich gottfroh, dass wir solche Probleme nicht haben – aufgrund einer weitsichtigen Politik auch all meiner Vorgänger im Amt, die darauf geachtet haben, dass wir nicht ein Zentrum, son dern viele Zentren haben.
Das ist mir ganz wichtig. Das ist ein wichtiger Baustein auf dem langen Weg dorthin, dass wir uns diesem Ziel wirklich nähern.
Ich denke, die guten Erfahrungen am runden Tisch zum Bio diversitätsstärkungsgesetz weisen in diese Richtung. Und das meint: Wir haben ein Ergebnis erzielt, bei dem man, um mit Aristoteles zu sprechen, sagen kann, dass das Ganze mehr ist als die Summe der einzelnen Teile. Das muss man sehen; das bekommt man nicht alle Tage hin. Das ist hier in einem weg weisenden, sehr herausfordernden Prozess geschehen. Und nun haben wir ein Ergebnis, das wirklich die Grundlage ist, um für die Menschen und ihre Lebensgrundlagen den Weg in die Zukunft zu gehen.
Meine Damen und Herren, nachdem Herr Ministerpräsident Kretschmann das Wort er griffen hat, löst dies die sogenannte Fraktionsvorsitzenden runde aus. Ich gehe davon aus, dass Sie das Wort wünschen.
Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen, liebe Kollegen! Ich denke, wir alle, die wir hier im Saal sind, können sagen: Es ist gut, dass wir heute unter den Ta gesordnungspunkten 5 und 6 über die Themen Biodiversität und Artensterben, aber unter der Überschrift des Volksantrags auch über das Thema „Gemeinsam unsere Umwelt schützen in Baden-Württemberg“ sprechen. Und wenn ich den Abge ordneten, die vor dem Herrn Ministerpräsidenten gesprochen haben, gut zugehört habe, war mehrfach von einem histori schen Moment die Rede.
Deswegen möchte ich noch einmal in Erinnerung rufen, dass es gerade in der letzten Legislaturperiode ein Anliegen war, in diesem Land Baden-Württemberg die Demokratie ein Stück weit neu zu definieren – die Demokratie als die aus unserer Sicht beste Staatsform, die aber als ausschließlich parlamen tarische Demokratie oft Gefahr läuft, dass Bürgerinnen und Bürger, gerade Menschen, die ihre Anliegen emotional vor bringen, nicht genügend gehört werden.
Deswegen muss ich sagen: Es war richtig und gut, dass die grün-rote Landesregierung in der vergangenen Legislaturpe riode dieses Projekt mit der klaren Aussage in Angriff genom men hat: Wir stehen zur parlamentarischen Demokratie, aber plebiszitäre Elemente und Elemente der Beteiligung sind wich tig, um die parlamentarische Demokratie lebendig, gut und qualitativ hochwertig zu machen.
Deswegen ist es auch wichtig und gut, dass wir heute hier de nen Danke sagen, die den Anlass dafür gesetzt haben, dass wir heute in dieser Weise diskutieren. Sie werden sich nicht wun dern, wenn ich damit nicht die beiden Regierungsfraktionen meine.
Wir stehen nämlich heute in dieser Debatte – ich möchte die heutige Diskussion einmal in den Kontext einordnen –, weil es Menschen in diesem Land gab, die gesehen haben, dass von einer Regierung, die von den Grünen und der CDU getragen wird, zu dem sehr wichtigen Anliegen Artenschutz und Bio diversität keine eigene Initiative kommt. Deswegen waren die Urheber des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ der Auslö ser für diesen Diskussionsprozess. Dafür müssen wir ihnen laut und deutlich Danke sagen. Denn lügen wir uns hier bitte nicht selbst in die Tasche: Ohne den Anstoß und die Initiati ve der Urheber des Volksbegehrens würde es die heutige De batte hier nicht geben.
In diesen Dank einschließen möchte ich auch die, die diesen Volksantrag auf den Weg gebracht haben. Denn nicht nur das Volksbegehren mit dem Ziel eines Volksentscheids „Rettet die Bienen“ ist ein wichtiger Teil des Diskurses, den wir heute hier führen, sondern auch diejenigen von der Seite der Land wirtschaft, die gesagt haben: „Die reden über uns, aber nicht mit uns“, sind ein ganz wichtiger Teil des Diskurses. Deswe gen müssen wir auch denen Danke sagen, die diesen Volks antrag auf den Weg gebracht haben, meine lieben Kollegin nen und Kollegen.
Genau vor diesem Hintergrund sollte jetzt nicht die Selbstbe weihräucherung bei Grünen und CDU im Vordergrund stehen, sondern ein gute Portion Demut. Denn, meine sehr geehrten Damen und Herren, warum Sie bei diesem Thema in der Re gierung von Grünen und CDU nicht weitergekommen sind, ist, glaube ich, auch ziemlich leicht zu beantworten:
weil ideologische Scheuklappen einen inhaltlichen Austausch und eine Einigung ohne Druck aus der Bevölkerung bis dahin verhindert hatten.
Ich zitiere jetzt eine Aussage des Landwirtschaftsministers Hauk, der in einer Pressekonferenz – das war vor der Einlei tung des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ – sinngemäß ge sagt hat, es gehe den Verbraucher schlicht und einfach nichts an, was die Landwirte auf ihren Feldern ausbringen. Das war die eine Positionierung innerhalb dieser Regierung.
Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die sagen: Natürlich gibt es – der Herr Ministerpräsident hat es auch gerade darge legt – verschiedene Gründe dafür, warum wir dieses Arten sterben beklagen und warum das Thema Biodiversität unbe dingt auf die Tagesordnung muss. Aber dabei spielt auch die Frage, wie unsere Landwirtschaft arbeitet, eine ganz zentrale Rolle. Wenn wir ganz ehrlich sind – und das wollen wir heu te doch alle einmal sein –,
dann hatten Sie nicht die Kraft, durch Ihre eigene politische Expertise eine Einigung auf den Weg zu bringen. Sie waren
unter Druck und mussten mit diesem Volksbegehren „Rettet die Bienen“ umgehen. Es hat übrigens dann noch immer Wo chen gedauert, bis Sie die Beteiligten an den Tisch geholt ha ben – und bis als Reaktion darauf auch der Volksantrag kam. Ich bin froh, dass es Menschen gibt, die sich auf den Weg ge macht haben und als Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme er hoben haben, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.
Deswegen müssen wir heute hier natürlich auch darüber spre chen, wie es mit dem Thema Bürgerbeteiligung insgesamt bei uns in Baden-Württemberg aussieht. Ich glaube, die Lippen bekenntnisse an solchen Tagen sind leicht und schnell daher gesagt, aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die Reaktionen vor allem aus der Regierung bei der Frage: „In welche Richtung zielt eigentlich eine Initiative aus dem Volk?“ ganz unterschiedlich sind.
Dann sollten wir uns halt auch ehrlich machen, und dazu ge hört, dass direkte Demokratie unabhängig davon sein sollte, ob einem das Ziel, das mit einer Volksinitiative verfolgt wird, gefällt und in den politischen Kram passt oder nicht. Zur Wahrheit gehört: Direkte Demokratie ist wichtig und richtig, solange sie die formalen Kriterien einhält, und nicht nur dann wichtig und richtig, wenn sie einem in den eigenen politischen Kram passt.
Deswegen wollen wir einmal eine kleine Bilanz über die letz ten Jahre in Baden-Württemberg ziehen. Seit 2015 gibt es die Chance, sich im Wege der Bürgerbeteiligung zu Wort zu mel den. Wir hatten dieser Tage eine Pressekonferenz von „Mehr Demokratie“. Wir hören auch die Forderungen, dass wir hier in Baden-Württemberg auf der Basis dessen, was wir 2015 geschaffen haben, noch besser und noch bürgerfreundlicher werden. In der Bilanz werden in Baden-Württemberg im Ver gleich zu anderen Bundesländern noch immer relativ wenige Initiativen auf den Weg gebracht; weil eben die Hürden noch immer verhältnismäßig hoch sind.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Ihnen allen das ernst ist, was Sie heute hier tun, nämlich das Hohelied auf die Bürgerbeteiligung zu singen, dann ist doch niemandem verboten, in dieser Frage einen Schritt weiter zu gehen und das zu tun, was dieser Tage von „Mehr Demokratie“ gefordert wurde, nämlich direkte Demokratie noch besser, noch leich ter handhabbar zu machen, um mehr Menschen zu motivie ren, sich auch aktiv an unserem Staatswesen zu beteiligen.
Dann gehört halt auch zur Wahrheit, dass bei den Grünen ein gewisser Bewusstseinswandel beim Thema „Direkte Demo kratie“ zu beobachten ist. Wir haben ja erst vor wenigen Ta gen an dieser Stelle Frau Erler gehört. Frau Erler wird im „Ba dischen Tagblatt“ wie folgt zitiert:
Da passt das Image der Grünen, was die Beteiligung oder auch die Politik des Gehörtwerdens angeht, halt nicht unbedingt mit dem zusammen, was man tagtäglich auf den Lippen trägt.
Deswegen ist aus meiner Sicht wichtig: Wir müssen alle ge meinsam versuchen, die direkte Demokratie zu beleben, und wir dürfen nicht auf direktdemokratische Elemente und Vor stöße ablehnend reagieren und grundsätzliche Kritik üben. Denn eines ist klar: Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land wollen sich beteiligen. Viele wollen sich beteiligen, in dem sie ihr Wahlrecht wahrnehmen, aber sie wollen sich eben auch zwischen Wahlen beteiligen. Dann ist es wichtig und richtig, dass in diesem Land nicht Politik von oben herab ge macht wird und erst dann das Steuer herumgerissen wird, wenn der Druck von außen steigt.
Wir hatten das doch erst in den letzten Wochen beobachten können, gerade auch im Kontext der Corona-Öffnungsmaß nahmen: Von den Eltern wurde die Öffnung der Kitas vehe ment eingefordert – eine laute Stimme, so meine ich, aus der Bevölkerung, von vielen, vielen Menschen. Dann wurde eine Entscheidung getroffen. Herr Ministerpräsident, in der Pres sekonferenz – so wurden Sie zitiert – haben Sie auf die Fra ge, warum Sie denn heute etwas anderes sagen als noch vor einer Woche, in entwaffnender Offenheit und Ehrlichkeit ge sagt: „Ha, wissen Sie, der Druck ist zu groß geworden.“
Das heißt, man reagiert auf den Druck aus der Bevölkerung erst dann, wenn er entsprechend groß ist und wenn man er kennt, dass die eigene Entscheidung vielleicht falsch war.