Protocol of the Session on May 21, 2014

Ich bin der Meinung: Jawohl, auch in Europa wird es in Zu kunft einen Vergleich von Steuersätzen geben. Aber wir brau chen Mindestsätze, die für alle gelten müssen.

Herr Dr. Rülke, interessanterweise haben Sie den Fall Irland nicht geschildert. Irland ist mit Milliardensummen der europä ischen Mitgliedsstaaten aus der Krise geholt worden. Gleich zeitig gibt es dort die niedrigsten Steuersätze für Unterneh men in ganz Europa.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Genau das habe ich gesagt!)

Ich sage Ihnen: Das ist ein Verstoß gegen die europäische So lidarität. Deshalb brauchen wir Mindeststeuersätze auf euro päischer Ebene.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wo liegen diese? Bei François Hollande, oder wo? – Abg. Karl Zimmermann CDU: Meinen Sie ernsthaft, dass wir europaweit ein einheitliches Steuersystem bekommen könnten?)

Sie wissen ganz genau, dass man das im europäischen Kon text festlegen muss. Diese Steuersätze werden sicherlich nicht

so niedrig sein wie derzeit in Irland, aber sicherlich auch nicht so hoch sein wie die höchsten Steuersätze in anderen Mit gliedsstaaten der Europäischen Union. Das wissen Sie genau so gut wie ich.

Wir wollen weiter mit der Bundesratsinitiative erreichen, dass europaweit eine Anzeige- und Registrierungspflicht für inter nationale Steuergestaltungen eingeführt wird, damit wir wis sen, was da von Heerscharen von Beratern und Steueranwäl ten ständig an neuen Gestaltungsmöglichkeiten ausbaldowert wird. Das brauchen wir als Handwerkszeug, damit der Staat nicht völlig machtlos den Beratern und Anwälten hinterher läuft.

Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir über den Bundesrat deutlich machen, dass das, was im Koalitionsvertrag festge halten ist, jetzt auch tatsächlich umgesetzt wird. Denn gere det wurde über Steuergerechtigkeit, über diese Steuergestal tungsmöglichkeiten lange genug. Jetzt ist es an der Zeit, für mehr Steuergerechtigkeit in Europa, in Deutschland und in Baden-Württemberg zu handeln.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die SPD-Fraktion spricht der Kol lege Maier.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Paal, wenn Sie mir genau zugehört hätten, dann hätten Sie gemerkt, dass ich ganz scharf unterschieden habe zwischen internationaler Steuergestaltung und Steuerhinter ziehung, also zwischen dem, was man legal machen kann, und dem, was illegal ist. Herr Rülke hat es besser gemacht; er räumt ein, dass es Fehlentwicklungen gibt, und sieht auch die einzelnen Punkte.

(Zuruf des Abg. Claus Paal CDU)

Herr Paal, ich zitiere jetzt einfach einmal aus Ihrem Beitrag: Modelle genau untersuchen, keine Schnellschüsse, unschöne Einzelfälle; Zahlen werden infrage gestellt. Das alles zeigt: Die CDU verharmlost dieses unschöne Thema „Steuern, Steu erhinterziehung und Steuergestaltung“. Das darf nicht sein.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Sie sind blauäugig!)

Wir wollen das auf den Tisch bringen. Wir sagen das, was Sa che ist. Das Land Baden-Württemberg handelt. Das Land Ba den-Württemberg macht Druck. Natürlich müssen wir den Druck über den Bund auch auf Europa weitergeben – auch vor der Europawahl.

Dazu fällt mir die Podiumsdiskussion mit den beiden Spitzen kandidaten Juncker und Schulz ein. Jean-Claude Juncker, der langjährige Premierminister von Luxemburg, sprach sich für Steuerwettbewerb aus, und Martin Schulz sprach sich dafür aus, Mindeststeuersätze einzuführen und Steueroasen auszu trocknen. Da sieht man doch, wo hier die großen Unterschie de sind. Wir wollen Steuergerechtigkeit, wir wollen keinen Wettbewerb nach unten, sondern wir wollen, dass in diesem Europa,

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

dessen Parlament am Sonntag gewählt wird, Steuergerechtig keit herrscht. Das ist auch Ziel dieser Debatte und Ziel der SPD.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Für die Fraktion GRÜNE spricht Kol legin Aras.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Kommt noch etwas Neues?)

Ja, klar. – Liebe Kollegin nen und Kollegen! In Vorbereitung auf diese Debatte habe ich eine repräsentative Umfrage des Allensbacher Instituts ent deckt. Ergebnis dieser Umfrage ist, dass über 50 % der Deut schen unser Land für ungerecht halten. Da – so finde ich – müsste man sich echt überlegen, wie das kommt.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: In Baden- Württemberg?)

In der Bundesrepublik. 50 % halten die Bundesrepublik für ungerecht.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Von wann ist die Er hebung?)

Ganz aktuell. – Nur 21 % halten Vermögen und Verdienste für fair verteilt.

Für mich ist ganz klar: Steuergerechtigkeit ist eine zentrale Frage, ein zentrales Kriterium für das Gerechtigkeitsempfin den.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Bei der Steuergerechtigkeit gibt es zwei Ebenen: Ich nenne zunächst die Steuererhebungsgerechtigkeit. Das ist – so sage ich einmal – die halbe Miete; dafür sind wir, die Länder, zu ständig, und die Länder müssen handeln. Wir, die grün-rote Landesregierung, haben in den letzten drei Jahren gehandelt. Ich erinnere nur an die Stärkung der Steuerverwaltung. Sie hatten in diesem Bereich abgebaut, wir hingegen bauen die Steuerverwaltung wieder auf. Wir statten die Finanzverwaltung endlich auch mit technischen Instrumenten wie mit UMTS ad äquat aus.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Karl Zimmermann CDU: Die sind doch aktuell unzufrie den!)

Wir haben mit dazu beigetragen, dass das deutsch-schweize rische Steuerabkommen abgelehnt wurde. So viel zum Selbst verständnis des Parlaments, Herr Rülke. Wir, das Parlament, haben sehr wohl Kompetenzen und Rechte, die wir auch auf Bundesebene und auf europäischer Ebene zur Geltung brin gen können. Nicht zuletzt erinnere ich an die Verschärfungen bei der Selbstanzeige.

Zu den Selbstanzeigen: Anfang des Jahres 2013 gab es im Fi nanzausschuss des Bundestags eine Debatte, in der die Bun desregierung die Meinung vertreten hat, dass der Höhepunkt

bei den Selbstanzeigen erreicht sei. Es hieß, dort sei nichts mehr zu erwarten. Damals, im Jahr 2013, gab es 35 000 Selbstan zeigen im gesamten Bundesgebiet. Aber allein im ersten Quar tal 2014 gab es schon 13 000 Selbstanzeigen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: War da der Fall Hof reiter dabei? – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Und das ist noch nicht alles.

Der Fall Hoeneß hat sicherlich seine Wirkung gezeigt – nach dem Motto: „Wenn sie den schnappen, dann schnappen sie möglicherweise auch mich.“

Was mich beim Fall Hoeneß bestürzt hat, war nicht das Steu ervergehen als solches. Das möchte ich gar nicht kommentie ren. Was mich viel mehr bestürzt hat, war die Reaktion der Bundeskanzlerin, die mitteilen ließ, sie habe – wörtlich – „ho hen Respekt“, dass Herr Hoeneß seine Strafe akzeptiert habe. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo stehen wir in diesem Land, wenn die Bundeskanzlerin einem Kriminellen öffent lich mitteilen lässt, sie habe Respekt, dass er seine Strafe ak zeptiere?

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU – Glocke des Präsiden ten)

Kollegin Aras, gestatten Sie eine Zwi schenfrage?

Herr Seehofer scheint seine Kampagne „Wer betrügt, der fliegt“ auch nicht ganz konsequent zu verfolgen, wenn die Be trüger aus seinem Bekanntenkreis stammen.

Ich bin jedenfalls froh, dass wir in Baden-Württemberg sol che Absurditäten und „Ausraster“ nicht erlebt haben. Im Ge genteil, die Landesregierung stärkt die Steuerverwaltung – die Punkte habe ich schon aufgeführt – und trägt deutlich zur Steuergerechtigkeit bei.

Die zweite Ebene der Steuergerechtigkeit betrifft die Bundes politik. Dabei geht es darum, ob die Tarife korrekt sind, ob die Einkommensarten gleichmäßig besteuert werden. Da ist die Bundesebene gefragt. Wir können darauf nur im Rahmen der Bundesratsinitiativen einwirken.

Ich möchte hier nur einen Punkt aufgreifen: Gleichmäßigkeit. Auch dazu gibt die neue Ausgabe der Publikation „Taxing Wa ges“ der OECD Auskunft. Die OECD hat die Besteuerung des Lohneinkommens in allen Lebenssituationen – bei Singles, Ehepaaren mit Kind, Ehepaaren ohne Kind, Alleinerziehen den – in allen OECD-Ländern verglichen. Und siehe da, was kommt dabei heraus? Deutschland steht bei der Besteuerung von Lohneinkommen oben in der Skala der OECD. Da – so finde ich – geht es um Gleichmäßigkeit. Das ist z. B. auch ein Punkt, mit dem man sich beschäftigen müsste.

Ein weiterer Punkt, mit dem sich die Bundespolitik beschäf tigen müsste, sind die Zinseinkünfte. Die Abgeltungsteuer wurde damals aus Gründen des Pragmatismus eingeführt, um die Abwanderung von Kapital ins Ausland zu stoppen. Inzwi

schen sind als Ergebnis dieser Politik Bewegungen in die an dere Richtung eingetreten. EU-weit gibt es einen Informati onsaustausch und mehr Zusammenarbeit. Selbst die Schweiz arbeitet inzwischen anders. Insofern hat sich dieser Punkt re lativiert,

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Weil es keine Zinsen mehr gibt!)

und eigentlich müsste man auch dazu übergehen, die Abgel tungsteuer für Zinseinkünfte auf den Prüfstand zu stellen, um zu sehen, ob das so noch richtig ist oder ob da Änderungen vorgenommen werden müssen.

Ich komme zum Schluss. Ich ziehe mein Fazit: Auf der einen Seite ist es politisch, steuerpolitisch schwierig, dass interna tional agierende Unternehmen ständig nach legal bestehenden Möglichkeiten suchen, um Steuerminimierung zu betreiben, aber auf der anderen Seite gibt es auch ein positives Bild, weil in Deutschland und europaweit anerkannt wird, dass Steuer hinterziehung, Steuerbetrug, Vorhaben, die Steuergestaltung zu missbrauchen, auszunutzen, keine Kavaliersdelikte sind. Insofern hoffe ich, dass wir in Bezug auf mehr Steuergerech tigkeit weiterkommen. Ich bin der Landesregierung dankbar, dass sie mit diesen Bundesratsinitiativen die Bundesregierung auffordert, in dieser Richtung noch stärker zu arbeiten.

Vielen Dank.