Wir haben gleichzeitig auch eine Veränderung der Wirtschafts struktur, die Herausforderungen mit sich bringt. Eine der Be sonderheiten unserer Wirtschaftsstruktur ist, dass wir im länd lichen Raum beispielsweise eine deutlich höhere Bedeutung des produzierenden Gewerbes haben. Der Anteil des produ zierenden Gewerbes an der Wertschöpfung liegt in den länd lichen Räumen bei uns im Schnitt um zehn Prozentpunkte hö her als in den städtischen Räumen. Das erklärt übrigens auch die unterschiedliche Situation während der Wirtschaftskrise und weshalb der ländliche Raum in Baden-Württemberg schneller aus der Krise wieder herausgekommen ist als die städtischen Räume. Das ist eine Stärke, die es zu erhalten gilt, die aber natürlich auch eines deutlich macht, nämlich dass man mit einer klugen Strukturpolitik sowohl der Gemeinden und der Kreise als auch des Landes hier ansetzen muss.
Besorgniserregend ist, dass in einer Situation, in der sich un sere Wirtschaft immer stärker in Richtung Bildungsökonomie entwickelt, beispielsweise der Anteil der akademisch gebilde ten Arbeitskräfte im ländlichen Raum nur halb so groß ist wie in den städtischen Räumen.
Insofern sehen wir, dass wir da eine ganze Reihe von Heraus forderungen haben, die wir gemeinsam angehen müssen, wo die Gemeinden ihre Hausaufgaben machen müssen, wo die Kreise eine moderne Entwicklungsperspektive im ländlichen Raum mit voranbringen müssen und wo wir als Land gefor dert sind, eine erfolgreiche Strukturpolitik weiterzuentwi ckeln.
Genau dazu bekennen wir uns vonseiten der Landesregierung. Da geht es jetzt darum, eine ganze Reihe von entscheidenden Weichenstellungen vorzunehmen.
Eine entscheidende Weiche – darüber haben wir gestern Abend in einem anderen Zusammenhang schon diskutiert – ist die Frage: Wie sieht der nächste europäische Haushalt aus? Wir alle wissen, dass wir mit dem Europäischen Fonds für re gionale Entwicklung – EFRE – ein wichtiges Instrument zur Innovationsförderung in Baden-Württemberg haben, was da von abhängt, ob die Bundesregierung bei ihren Verhandlun gen zum europäischen Budget dafür noch Mittel übrig lässt.
Ein wichtiger Punkt sind der ELR-Fonds, der u. a. in der Landwirtschaft eine wichtige Rolle spielt, aber auch Program me wie LEADER, ein klassisches Programm für Regionalför derung im ländlichen Raum, und Programme wie „Innovati ve Maßnahmen für Frauen im ländlichen Raum“. Auch hier sind wir wieder genau an dem Punkt, über den wir gestern Abend diskutiert haben. Wir brauchen hier eine verlässliche finanzielle Grundlage im europäischen Haushalt.
Insofern ist der 22. November, das Treffen der Staats- und Re gierungschefs, eine ganz wichtige Wegmarke. Denn dort wird entschieden werden, ob wir, das Land, diese Mittel für die wichtige Strukturpolitik im ländlichen Raum künftig noch ha ben werden. Ich kann Ihnen da nur sagen: Ich setze darauf, dass die Kanzlerin und der Außenminister noch Signale aus ihren Parteien bekommen, dass die bisherige Verhandlungs position der schwarz-gelben Bundesregierung nicht den Inte ressenlagen des ländlichen Raums entspricht. Da sind Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren in der Opposition, auch in Ihren eigenen Parteienfamilien gefordert, hier wirk lich für den ländlichen Raum zu kämpfen. Das gilt im Novem ber, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Es sind viele wichtige Punkte bereits angesprochen worden. Wir haben wichtige Strukturförderelemente des ländlichen Raums weiterentwickelt. Das Entwicklungsprogramm Länd licher Raum funktioniert sehr erfolgreich.
Übrigens hat die ökologische Modernisierung, die wir durch geführt haben, nicht zu dem von Ihnen, Herr Bullinger, be fürchteten Einbruch bei den Anträgen geführt. Im Gegenteil, es wurde deutlich: Dieses Instrument mit ökologischen Kri terien zu versehen hat funktioniert, und es stärkt den ländli chen Raum. Diese Unterstützung sowohl der privatwirtschaft lichen wie der Wohnungsmodernisierungs-, wie der Kommu nalprojekte funktioniert und ist ein baden-württembergisches Erfolgsmodell, das wir fortsetzen.
Das Gleiche gilt für LEADER, ein wichtiges Projekt der Re gionalförderung. Da hängen wir an der Frage der europäischen Finanzierung. Aber da sind wir jetzt mitten in der Diskussion, wie wir dieses wichtige Förderprogramm neu aufstellen. Wir hatten eine erfolgreiche Auftaktveranstaltung mit 200 Teilneh merinnen und Teilnehmern von Kommunen, Kreisen, regio nalen Wirtschaftsförderungen und vielen Institutionen auch aus der Zivilgesellschaft. Wir befinden uns jetzt in der Dis kussion, dieses Instrument weiterzuentwickeln...
... – ich würde das gern zu Ende ausfüh ren – und gerade Fragestellungen aufzugreifen, die bisher im Programm noch nicht abgebildet sind, z. B. die Frage: Wie bekommen wir eigentlich Impulse für Projekte zur Anpassung an die demografische Entwicklung im ländlichen Raum mit unter? Wir sind da genau in dem Diskurs, diese Fragestellun gen zu bearbeiten. Aber wir brauchen an ein paar Stellen auch ein Umdenken bei örtlichen Akteuren.
Ich will es einmal an einem Beispiel festmachen: In der IREUS-Studie, die wir vorgestellt haben, wurde die Situation im ländlichen Raum drei Jahre lang intensiv untersucht. Sie hat auch die Unterschiedlichkeiten herausgearbeitet. Sie gibt ein paar interessante Hinweise, z. B. den, dass insbesondere das Thema „Fachkräfte im ländlichen Raum“ das Schlüs
selthema für den ländlichen Raum und für die Wirtschaft wird. Die Stärke, die wir im ländlichen Raum haben, beruht auch darauf, dass wir viele Mittelständler, familiengeprägte Unter nehmen, von den Schwarzwaldtälern bis – sagen wir einmal – in die Weiten von Hohenlohe
in der Fläche verteilt haben. Sie sind zum Teil Weltmarktfüh rer in kleinen Nischen, von denen die meisten hier gar nicht wissen, dass es diese Nischen gibt. Sie machen aber die Stär ke der baden-württembergischen Wirtschaft aus.
Genau diese Betriebe sind die Ersten, die jetzt spüren, wie hart der Kampf um die Fachkräfte wird. Wir alle bekommen in den Wahlkreisen spannende Rückmeldungen, z. B. die, dass ein entscheidender Faktor – das bestätigt die Studie – dafür, ob wir diese Fachkräfte in den ländlichen Räumen bekommen, die Frage ist: Stimmt die soziale und kulturelle Infrastruktur? Dann wird es nämlich spannend, auch in der Frage: Welche Infrastrukturen brauche ich vor Ort? Wie halte ich in einer Si tuation zurückgehender Bevölkerungszahlen auch soziale und kulturelle Infrastruktur aufrecht? Da spielt übrigens der Tou rismus, der in vielen Gegenden unseres Landes schon heute dazu beiträgt, Infrastrukturen aufrechtzuerhalten, die sich aus der örtlichen Bevölkerung allein schon nicht mehr finanzie ren, eine entscheidende strategische Rolle.
Insofern stammt unser Forcieren der Förderung des Touris musmarketing, unser stärkeres Hinwenden zu dem Themen feld Tourismus genau aus dieser Analyse, dass es gerade im ländlichen Raum eine strategische Bedeutung hat, dass der er folgreiche Tourismus in Baden-Württemberg so erfolgreich weiterläuft und in einer Reihe von Bereichen auch noch zu sätzlich ausgebaut wird. Kollege Kopp hat an dieser Stelle zu Recht auf die Diskussion um den Nationalpark im Schwarz wald hingewiesen.
Aber da sind wir jetzt schon in einer Situation, in der es dann auch interessant wird, in der wir bestimmte Fragestellungen dann auch – das ist eine Aufgabe der Kommunalpolitik – an gehen müssen. Denn wenn die Analyse der IREUS-Studie richtig ist, wenn die Rückmeldungen, die wir von den Mittel ständlern im ganzen Land bekommen, richtig sind, dass wir uns hinsichtlich der sozialen und kulturellen Infrastruktur in der Fläche engagieren müssen, dann heißt das aber auch, dass man an ein paar Stellen bereit sein muss, diese Entscheidun gen zu treffen.
Ich fand es schon hochinteressant: Ich war neulich mit der IREUS-Studie beim Gemeindetag. Da hat ein Mitarbeiter von Professor Siedentop, der die Studie hauptverantwortlich für uns durchgeführt hat, die Studie vorgestellt und erklärt, wes halb diese sozialen Faktoren, die früher einmal „weiche Stand ortfaktoren“ genannt wurden, inzwischen harte Faktoren sind. Die erste Frage, die dann kam, war wieder eine Frage nach klassischer Infrastruktur.
Man hat schon den Eindruck, dass wir alle gemeinsam einmal schauen müssen, was es eigentlich bedeutet, dass für Fach kräfte das Thema „Kinderbetreuung, frühkindliche Erziehung“ im ländlichen Raum längst eine Reihe von harten Standort
Mit Verlaub, es war eine Riesenleistung dieser Landesregie rung, genau an dieser Stelle den Kommunen in der Fläche endlich das zu ermöglichen, was sie brauchen.
Das Thema wird uns alle gemeinsam beschäftigen. Es ist klar: Der ländliche Raum ist eine Gemeinschaftsaufgabe dieser Landesregierung. Das sehen Sie auch daran, dass die Große Anfrage auf über 40 Seiten von praktisch allen Ressorts, die die Landesregierung aufzubieten hat, mit beantwortet wurde. Ich glaube, Sie sehen auch deutlich, dass wir in der ganzen Breite der Themen um die Bedeutung des ländlichen Raums wissen und auch wissen, worauf es jetzt ankommt, nämlich darauf, in Zeiten knapper Mittel konzentriert die Prioritäten richtig zu setzen und darauf zu setzen, Unterstützung dort zu geben, wo sie ankommen muss. Das wird an ein paar Stellen bedeuten, dass man priorisieren muss. Aber dafür ist Politik da, und dafür wurde nicht zuletzt diese neue Regierung ge wählt. Der ländliche Raum ist in guten Händen.
Meine Damen und Her ren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Große Anfrage besprochen und Tagesordnungspunkt 9 er ledigt.
Große Anfrage der Fraktion der SPD und Antwort der Landesregierung – Perspektive und Nutzung der Geother mie in Baden-Württemberg – Drucksache 15/1607
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Ausspra che eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt, wobei gestaffelte Redezeiten gelten, und für das Schlusswort der die Große Anfrage stellenden Fraktion eine Redezeit von fünf Minuten vorgesehen.
Liebe Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, dass dieser Tagesordnungspunkt schon so früh zeitig an der Reihe ist und der Saal doch noch ganz ordentlich gefüllt ist. Gestern hatte ich gedacht, dass ich mit meinem Re debeitrag vermutlich erst kurz vor 18:00 Uhr drankommen würde und niemand mehr groß Interesse an dem wichtigen Thema Geothermie, Erdwärme, hätte.
Was war das Ziel, das die SPD-Fraktion mit ihrer Großen An frage zum Thema Geothermie und zur Nutzung der Erdwär me verfolgt hat? Wir haben mit dieser Großen Anfrage unter schiedliche Ziele verfolgt.
Zum einen wollten wir den Stand der Dinge einmal festhal ten und auswerten lassen, und wir wollten eine differenzierte Sicht zum einen auf die oberflächennahe Geothermie und zum anderen auf die Tiefengeothermie ermöglichen.
Daneben wollten wir Aufschluss darüber erhalten, welche wichtigen Beiträge für die Strom- und die Wärmegewinnung die Geothermie mittel- und langfristig leisten kann. Wir woll ten, dass die Chancen und Risiken dieser Technologie auf den Tisch kommen und dass gegebenenfalls auch darüber disku tiert wird.
Es ist uns ganz wichtig, an der mittel- und langfristigen Per spektive für die Geothermie festzuhalten, auch wenn wir hier bei durchaus das eine oder andere Problem haben; die entspre chenden Schlagzeilen in der Presse sind Ihnen allen sicher lich bekannt.
Ich möchte mich in meinem einführenden Statement auf we nige Knackpunkte beschränken. Die Geothermie hat ja ein rie siges Potenzial, das wir aber im Moment noch recht wenig nutzen. So wurde im 84. Arbeitsbericht des Büros für Tech nikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag im Jahr 2003 festgestellt, dass das technische Potenzial der Geother mie, das man heben könnte, bis zu 300 TWh Strom pro Jahr beträgt. Das wäre ungefähr die Hälfte der Bruttostromerzeu gung. Im Moment nutzen wir davon allenfalls wenige Promil le.
Wenn man realisiert, wie warm das Erdinnere ist, stellt man interessanterweise fest, dass es in 99,9 % des Inneren der Erd kugel wärmer als 100 Grad Celsius ist. Das ist also ein schier unerschöpfliches Potenzial an Energie, die man gewinnen könnte, wenn man es verantwortungsbewusst und sicher hin bekommt. Da ist sicherlich noch viel Arbeit, auch bei der tech nischen Entwicklung, zu leisten. Denn ob man diese Energie quelle in diesem Umfang jemals so wird nutzen können, kann heute, glaube ich, hier in diesem Saal niemand wirklich sa gen. Ich zumindest kann dies nicht ermessen, und ich glaube, dass dies niemand sagen kann.
Auf die verschiedenen Problemfälle habe ich eingangs bereits hingewiesen; der bekannteste ist sicherlich der Fall in Stau fen. Aber es gab auch kleinere Problemfälle wie etwa bei uns in der Nähe von Schorndorf, im Rems-Murr-Kreis. An diesen Problemen wird deutlich, dass es richtig ist, behutsam vorzu gehen. Es war auch richtig, dass die Landesregierung und der Umweltminister die Leitlinien konkretisiert und präzisiert und in gewisser Weise auch verschärft haben.
Denn nur wenn wir diese Technologie sicher beherrschen, wenn wir die bestehenden Sorgen ernst nehmen – die natür lich auch die Eigentümer und die Anlieger haben, wenn es um ihr Häusle oder ihre Eigentumswohnung geht – und wenn wir in diesen Prozess wieder Sicherheit und Qualität hineinbrin gen, wird die Geothermie bei uns eine Zukunft haben. Wir müssen die Anlagen also mit Bedacht und Augenmaß weiter entwickeln
herzlichen Dank –, um zwischen 2020 und 2040 Ziele rea lisieren zu können, wie sie beispielsweise das ZSW vorgibt. Die Geothermie kann dabei durchaus einen substanziellen Beitrag zur Strom- und Wärmeerzeugung leisten.
In diesem Sinn hoffe ich, dass wir in dieser Runde einen Kon sens haben. Ich bin auf die Redebeiträge aus den anderen Fraktionen gespannt und schaue dann einmal, ob es nötig ist, dass ich das Schlusswort halte.