Protocol of the Session on June 28, 2012

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Spätestens im Jahr 2009, als das Finanz- und Wirtschaftssys tem gefährlich am Abgrund vorbeischlitterte, meine Damen und Herren, wurde offenbar, dass es in Europa gewaltige fi

nanzielle Schieflagen gibt, die wir nur gemeinsam bewältigen können.

Die enge Verflechtung in Europa ist gerade in Baden-Würt temberg deutlich: 60 % des Exports unserer Unternehmen ge hen nach Europa, in die Eurozone. Deshalb spüren wir natür lich die Erschütterungen der Währung selbst sehr deutlich. Das führt auch dazu, dass Europa direkt im eigenen Geldbeu tel und beim eigenen Arbeitsplatz ankommt.

Deshalb ist es unsere Aufgabe, auch wenn es derzeit zuneh mend kritische Debatten über den Euro und über Europa gibt, deutlich zu machen, dass wir, der Landtag von Baden-Würt temberg, überzeugt für Europa kämpfen, dass Europa für un ser Land wichtig ist, dass wir es stärken und festigen wollen und auch öffentlich dafür einstehen wollen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Klar ist gerade deshalb auch, dass ein Europa nicht in politi schen Hinterzimmern oder in Geheimdiplomatie zukunftsfä hig aufgestellt werden kann, sondern dass es ganz entschei dend ist, diese Debatte für Europa in den Parlamenten und öf fentlich zu führen. Diese Debatte heute hier im Landtag und das Bekenntnis, dass es richtig ist, dem Fiskalpakt beizutre ten, sind wichtige Signale. Wir alle, im Bund und in den Län dern, sollten darauf achten, dass die Parlamente auch in Zu kunft eine starke Rolle spielen.

Gerade ist wieder beim Bundesverfassungsgericht über eine Klage entschieden worden, dass der Bundestag zukünftig bes ser beteiligt werden muss. Auch das ist ein richtiges und wich tiges Signal, meine Damen und Herren.

Im Bundestag müssen der Fiskalpakt und der ESM mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Der Bundesrat muss dem Fiskalpakt und dem Rettungsschirm ESM ebenfalls mit einer Mehrheit von zwei Dritteln zustimmen. Wir können der grün-roten Landesregierung diese Zustimmung im Bundesrat mit Überzeugung empfehlen. Die Ergebnisse, die der Minis terpräsident vorgestellt hat, insbesondere was die Autonomie der Länder und die Wahrung des Haushaltsrechts, des Haus haltsrechts der Landtage betrifft, sind sehr wichtig gewesen. Das wird uns motivieren, meine Damen und Herren und lie ber Kollege Hauk, dass selbstverständlich auch wir uns dar an halten, bis 2020 ausgeglichene Haushalte zu erreichen.

Ich war über Ihre Ausführungen etwas erstaunt, denn eine nachhaltige Haushaltspolitik ist eine späte Einsicht Ihrerseits. Sie kam erst, als ein riesiger Schuldenberg aufgetürmt war. Der Schuldenstand liegt heute bei 43 Milliarden €. Hinzu kommen – der Kassensturz hat es aufgezeigt – viele verdeck te Schulden

(Zurufe der Abg. Winfried Mack und Peter Hauk CDU)

sowie Verpflichtungen gegenüber Pensionären und Pensionä rinnen in Höhe von 70 Milliarden €. Erst als diese Verpflich tungen eingegangen und diese Schulden gemacht wurden, kam Ihnen die Erkenntnis, dass wir eine nachhaltige Haus haltspolitik brauchen. Das war deutlich zu spät, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

In der Opposition haben sich Ihre Forderungen, dass wir spit ze sein sollen – das wollen wir auch, keine Frage –, noch mas siv verstärkt.

(Abg. Tanja Gönner CDU: Das waren wir auch! – Zu ruf des Abg. Peter Hauk CDU)

Ich möchte Sie daran erinnern, dass gerade gestern Abend in der Debatte zum Thema Energiepolitik Ihr Kollege Nemeth vorgebracht hat, dass wir in diesem Bereich viel zu wenig Mit tel ausgeben.

(Abg. Winfried Mack CDU: Wir haben doch in den Haushaltsberatungen Deckungsvorschläge gemacht!)

Er hat als Beispiel angeführt, dass in NRW 200 Millionen € in diesem Bereich ausgegeben werden. Ich denke, es wäre gut, wenn Ihre politischen Botschaften an Konsistenz gewinnen würden

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Hans- Ulrich Sckerl GRÜNE: Genau!)

und Sie nicht an einem Abend mehr Geld fordern und Sie am nächsten Morgen eine nachhaltige Haushaltspolitik und eine Blitzdiät fordern, die dazu führen soll, dass wir schon vor 2020 ausgeglichene Haushalte erreichen.

(Zuruf des Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE)

Wir werden sicherlich in den kommenden Haushaltsberatun gen weiter darüber diskutieren müssen, welcher Abbaupfad möglich ist. Selbstverständlich haben wir den Anspruch, mög lichst wenig neue Schulden zu machen. Wir wollen die De ckungslücken aber nachhaltig schließen. Das ist der richtige Weg, meine Damen und Herren.

Sie haben den Vorschlag eines Fiskalrats eingebracht. Das war jetzt etwas kursorisch. Das können wir gern noch einmal ver tiefen. Aber es gibt bereits die Gemeinsame Finanzkommis sion zwischen Land und Kommunen, in der das finanzielle Verhältnis von Land und Kommunen verhandelt wird. Wenn ein neues Gremium eingerichtet werden sollte, dann müsste das wirklich etwas bringen. Es wird zu prüfen sein, ob das er reicht werden kann. Lassen Sie uns darüber noch einmal dis kutieren.

Klar ist, dass wir eine nachhaltige Finanzpolitik in BadenWürttemberg, aber selbstverständlich auch in Europa brau chen. Klar ist auch – der Ministerpräsident hat es dargestellt, und das ist richtig –, dass der Fiskalpakt durch einen Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung ergänzt wird. Ge rade in Anbetracht der dramatischen Entwicklung der Jugend arbeitslosigkeit in Europa – unvorstellbar: in Spanien sind 80 % der Jugendlichen arbeitslos – ist es ein wichtiges Signal gewesen, in diesen Verhandlungen auch einen Pakt für die Ju gend zu schließen. Meine Damen und Herren, das hat unsere vollste Unterstützung.

Klar ist auch: Trotz des Erreichten haben wir noch viele Bau stellen in Europa zu bearbeiten. Wir brauchen für die enormen Zinslasten in den Krisenstaaten eine Lösung. Im Schlepptau der Griechenland-Krise steigt die Zinslast der Kredite in Spa nien und Italien immer weiter. Das führt wiederum zu einer weiteren Verschuldung. Da ist eine Abwärtsspirale im Gang,

für die bislang noch keine Lösung gefunden ist, zumindest noch keine Lösung, zu der es einen Konsens gibt und die von allen getragen wird. Die Wirtschaftsweisen haben einen Schul dentilgungspakt mit einem Schuldentilgungsfonds vorgeschla gen. Wir, die Grünen, haben das unterstützt. Egal, welchen Weg man geht: Das Problem besteht, und das Problem muss gelöst werden, und zwar schnell.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Klar ist aber: Hilfe muss Hilfe zur Selbsthilfe sein. Es geht um Solidarität, es geht aber auch um Solidität. Das muss der Maßstab sein, der angelegt wird.

Die Zeiten einer Politik auf Pump sind mit dem Fiskalpakt hoffentlich endgültig vorbei, meine Damen und Herren, und das ist ein richtiges Signal.

Für Baden-Württemberg ist es entscheidend, dass die Haus haltsautonomie des Landes, das Haushaltsrecht des Landtags in vollem Umfang gewahrt bleibt. Hierfür hat es sich gelohnt zu kämpfen; es ist eine wichtige Errungenschaft. Ebenso er freulich ist, dass sich die Landesregierung als Sachwalter der Kommunen in diese Verhandlungen eingebracht hat. Der Mi nisterpräsident hat dargestellt, dass im Bereich der Kinderbe treuung, im Bereich der Grundsicherung im Alter konkrete Ergebnisse erzielt wurden und dass es klare Vereinbarungen in Bezug auf die Eingliederungshilfe und in Bezug auf das Entflechtungsgesetz gibt. Die Landesregierung hat hierbei un sere volle Unterstützung, wenn es um die Weiterverhandlung und um die zukünftige Entlastung der Kommunen geht.

Meine Damen und Herren, wir, die Regierungsfraktionen, ha ben heute einen Entschließungsantrag vorgelegt. Wir hätten diesen Antrag gern gemeinsam mit CDU und FDP/DVP ein gebracht. Wir bedauern es, dass Sie dem Antrag noch nicht beigetreten sind. Ich sage: „noch nicht“; es gibt immer noch die Möglichkeit, ihm beizutreten. Ich fände es nach wie vor ein sehr gutes Signal,

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Schön! Es wäre schön, wenn die CDU mitmacht!)

wenn wir im Landtag einmütig deutlich machen könnten – auch im Hinblick auf die Bundesratssitzung –, dass wir die Ergebnisse, die zwischen Bundesregierung und Opposition, zwischen Bund und Ländern ausgehandelt worden sind, ge meinsam mittragen. Noch ist es nicht zu spät.

Für unsere Resolution, dem Fiskalpakt zuzustimmen, gibt es vier gute und wichtige Gründe: mehr Haushaltsdisziplin in Europa, mehr Investitionen in nachhaltiges Wachstum; wir haben mittlerweile auch mehr Klarheit über die innerstaatli che Umsetzung der Schuldenbremse bis 2020, und wir errei chen mehr gemeinsame, überparteiliche Verantwortung für die deutsche Europapolitik.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Kollegin Sitzmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nemeth?

Ich habe ihn noch gar nicht gesehen. – Bitte schön.

Frau Kollegin Sitzmann, ich war gerade draußen, habe aber Ihre Stimme vernommen und Ihre Rede gehört, und Sie haben auf meine Rede von gestern Abend hingewiesen.

Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass Sie bei der Energiewende eine Vorreiterrolle innerhalb Deutschlands einnehmen wollen. Das sollte man von einer grün-roten Lan desregierung auch erwarten. Nun leisten Sie jedoch nur ge nau ein Zehntel dessen, was z. B. Nordrhein-Westfalen macht. Darauf habe ich hingewiesen.

(Abg. Ingo Rust SPD: Es geht doch nicht nur um Geld!)

Ich muss Ihnen sagen, da liegen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Dann müssen Sie das aus Ihrem Koalitions vertrag nehmen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf der Abg. Andrea Lindlohr GRÜNE)

Herr Kollege Nemeth, vie len Dank für diese Frage. Wir haben leider im Koalitionsver trag kein Geld eingebaut, es gibt darin also keine Gelddruck maschine.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Aber Schul den!)

Aber Ihre Darstellung hat jetzt noch einmal genau das bestä tigt, was ich vorhin gesagt habe: Die Botschaft des gestrigen Abends passt nicht zu der Botschaft von Herrn Hauk von heu te Vormittag.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Peter Hauk CDU: Daran merkt man: Regieren noch nicht gelernt! Keine Prioritäten!)

Insofern danke ich Ihnen für Ihre Einlassungen.

Für die Zukunft Europas ist der Fiskalpakt ein richtiger Schritt. Er ist aber nur ein Baustein, weitere Bausteine müs sen folgen.

Meine Damen und Herren, es geht um nicht weniger als eine wirtschaftliche Neugründung Europas. Der Ministerpräsident hat es angesprochen. Es geht um mehr Europa. Das Problem ist: Wir haben nicht mehr viel Zeit. Aber ich hoffe, dass die Verhandlungen, die jetzt auf europäischer Ebene anstehen, ge nutzt werden, um zu einem guten gemeinsamen Ergebnis für Europa zu kommen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)