Antrag der Fraktion GRÜNE und der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Arbeit und So zialordnung, Familie, Frauen und Senioren – Armuts- und Reichtumsberichterstattung auch in Baden-Württemberg einführen – Drucksache 15/1070
Es sind folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.
Herr Präsident, sehr geehr te Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland hat sich im Jahr 1995 auf dem Weltsozialgipfel in Kopenhagen verpflichtet, das Ausmaß, die Verteilung und die Merkmale von Armut, Arbeitslosigkeit, sozialen Spannun gen und sozialer Ausgrenzung zu bewerten und Maßnahmen dagegen zu ergreifen.
Die Ergebnisse dieser Anstrengungen – der Anstrengungen al ler Bundesregierungen übrigens – sind mager. Die Hälfte der Bevölkerung besitzt kein Vermögen. Die untersten 20 % sind im Durchschnitt verschuldet; vor 20 Jahren hatten sie immer hin noch einen Anteil am Volksvermögen von 4 %. Die Quo ten für Armut und soziale Ausgrenzung liegen in Baden-Würt temberg nur marginal unter dem Bundesschnitt, und der ist im OECD-Vergleich wirklich nicht vorzeigbar. Dies gilt insbe sondere für die Kinderarmut und für die Situation von Einel ternfamilien. Für Schwarz-Gelb im Land war dies kein Grund, zu handeln. Das ändert sich jetzt.
Auch die Mittelschicht schrumpft, und ihr Anteil am Volks vermögen bewegt sich insgesamt nach unten. Nach einer Er hebung des Statistischen Landesamts haben 50 % der Vier personenhaushalte in Baden-Württemberg ein Nettoeinkom men, das maximal 400 € über dem Hartz-IV-Niveau liegt.
Andererseits hat sich selbst in der Finanzmarktkrise die Zahl der Millionäre in Deutschland auf über 860 000 gesteigert. Schon im „Sozialwort“ der Kirchen von 1997 hieß es deshalb zu Recht:
Nicht nur Armut, auch Reichtum muss ein Thema der po litischen Debatte sein. Umverteilung ist gegenwärtig häu fig Umverteilung des Mangels, weil der Überfluss auf der anderen Seite geschont wird.
Armut ist nicht nur Einkommensarmut. Dazu gehören auch schlechte Bildungsabschlüsse und Berufschancen, prekäre Wohn- und Gesundheitssituationen, mangelhafte soziale und kulturelle Teilhabe. Eine ganzheitlich ausgelegte Politik zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts ist daher auf eine soli de Datenbasis angewiesen, mit Zahlen zur Beschreibung der Lage, aber auch mit einer effektiven Kontrolle der Wirkung politischer Strategien. Wir wollen beispielsweise wissen, wie sich die Verwaltungsreform 2005 auf die Angebote der Woh nungslosenhilfe und auf die Zahl der Obdachlosen ausgewirkt hat. Ich verspreche Ihnen: Wir stellen uns diesen Fragen mit einer neuen Ernsthaftigkeit.
Der erste grün-rote Armuts- und Reichtumsbericht wird einen Berichtsteil des Ministeriums enthalten. Im gleichen Band werden aber auch ungekürzte Expertisen aus der Zivilgesell schaft und der Sozialwissenschaft zu finden sein. Dabei sol len auch die Perspektiven und die Wahrnehmung der Betrof fenen ein besonderes Gewicht erhalten. Wir wollen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger ein ungeschminktes Bild der La ge machen können.
Der Bericht soll in konkrete Handlungsempfehlungen für die Landespolitik münden, und diese wollen wir noch in dieser Wahlperiode anpacken.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Woran denken Sie ganz spontan beim Thema Ar mut? Auch an den Anblick hungernder Kinder mit aufgebläh ten Bäuchen in den Ländern Schwarzafrikas? In Erinnerung an unsere gestrige Debatte zum Thema „Partnerschaft mit Bu rundi“ sage ich schon: Ja. Es ist wichtig, dass wir die absolu te Armut und die eklatant ungleiche Verteilung der Ressour cen nicht aus dem Blick verlieren. Es ist auch gut, wenn uns das Elend der Welt, wie gestern geschehen, emotional berührt. Da hatten wir ein großes Einvernehmen über alle Fraktions grenzen hinweg. Wir wissen schon um die Mitverantwortung für die schreiende Ungerechtigkeit der Lebensverhältnisse auf unserem Planeten.
Darüber hinaus dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass auch im reichen Baden-Württemberg arme Menschen leben. Rich tig ist, dass es eine absolute Armut, bei der die erforderliche Ernährung und der lebenswichtige Bedarf nicht sichergestellt sind, bei uns eigentlich nicht geben dürfte. Unsere Sicherungs systeme sind so ausgestaltet, dass dies verhindert werden kann. Dennoch erzählen uns Lehrerinnen und Lehrer von Kin dern, die morgens hungrig in die Schule kommen, weil es zu Hause kein Frühstück gibt. Wir hören in den Berichten von Sozialdiensten von alten Menschen, die ihre Wohnung ange sichts hoher Energiekosten nicht mehr heizen. Mir begegnet die Verelendung vieler arbeitsloser und perspektivloser Ju gendlicher fast jeden Abend auf dem Weg zum Bahnhof in der Arnulf-Klett-Passage.
Insofern ist Armut nicht nur das Problem ferner Länder, ins besondere dann nicht, wenn wir nicht den absoluten, sondern einen relativen Armutsbegriff zugrunde legen. Dann stellen wir nämlich fest, dass unter Zugrundelegung der Einkom mensverhältnisse von Baden-Württemberg in unserem Bun desland die Armutsgefährdungsquote bei 14 % liegt. Jeder siebte Mensch in Baden-Württemberg ist demzufolge von Ar mut bedroht. Überproportional betroffen sind Kinder, Allein erziehende, Menschen ohne Berufsausbildung und Arbeit, ge ringverdienende Frauen, Migranten und ältere Menschen.
Meine Damen und Herren, woran denken Sie beim Thema Reichtum? Sind es die Königshäuser und Scheichtümer die ser Welt oder die multimilliardenschweren Unternehmer, de ren überbordender Wohlstand uns von den Magazinen vor Au gen geführt wird? Wunsch und Streben nach Reichtum sind ja nicht verwerflich, und materieller Wohlstand ist sicher ein hohes Gut. Nach ein bisschen Glamour sehnen wir uns alle. Aber auch beim Reichtum muss die Verhältnismäßigkeit ge wahrt bleiben.
„Reichtum braucht ein Maß und Armut eine Grenze“ – so der Titel einer Denkschrift der Evangelischen Landeskirche.
Bei der Armutsbekämpfung wollen wir auch keiner paterna listischen Versorgungsmentalität das Wort reden, vor der un ser designierter Bundespräsident vorgestern gewarnt hat.
Wir wollen im Wissen um die krasse Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen Antworten auf die Frage nach ei nem Mehr an sozialem Ausgleich finden.
Ich teile aber nicht die Meinung von Joachim Gauck, dass die Gerechtigkeits- und Sozialstaatsdebatte an anderer Stelle – wo auch immer – hinreichend geführt wird. Da sehen wir schon noch Bedarf. Wenn wir die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse in den vergangenen Jahren be trachten, kommen wir unweigerlich zu dem Schluss, dass ein politisches Gegensteuern dringend geboten ist. Die Polarisie rung von Einkommen und Vermögen darf nicht immer weiter fortschreiten. Wir müssen Strategien entwickeln, um daraus dann konkrete politische Ziele zu formulieren, die mehr auf Ausgleich und weniger auf Spaltung unserer Gesellschaft aus gerichtet sind.
Ich sehe die Notwendigkeit zum Gegensteuern insbesondere auf zwei Ebenen: steuerpolitisch – durch eine gerechtere Steu ergesetzgebung – und sozialpolitisch. Die Hauptursachen für Armut sind in der Stellungnahme der Landesregierung zu dem Antrag benannt. Wenn wir die Ursachen für Armut kennen, dann können wir daraus auch ableiten, um welche Personen gruppen wir uns besonders kümmern müssen. Mit einer in Zu kunft regelmäßigen Armuts- und Reichtumsberichterstattung setzen wir den Koalitionsvertrag um und kommen einer lang jährigen Forderung der Sozialverbände und auch der Kirchen nach.
Der Armuts- und Reichtumsbericht soll keine einmalige Be richterstattung sein, sondern Teil eines öffentlichen ethischen Dialogs zur Frage von Armut und Reichtum, Verteilungsge rechtigkeit und den Folgen sozialer Ausgrenzung. Dieser Di alog tut not, denn wachsende Differenzen zwischen Arm und Reich werden soziale Spannungen provozieren, die auch die Wirtschaftskraft unseres Landes schwächen, vor allem aber – das muss uns zu denken geben – das Vertrauen in die Politik untergraben.
Bei der Erstellung des Armuts- und Reichtumsberichts wol len wir erstens, dass möglichst weitgehend auf vorhandenes Datenmaterial zurückgegriffen wird. Das Statistische Landes amt und auch unsere Finanzbehörden sind da gut aufgestellt. Damit halten sich dann auch die Kosten für die Berichterstat tung in Grenzen.
Zweitens wollen wir, dass gängige und zum Teil bereits auf europäischer und nationaler Ebene vereinbarte Kennzahlen genutzt werden und damit die Vergleichbarkeit der Berichter stattung gewährleistet ist.
Drittens wollen wir, dass der Bericht in einem engen Dialog und in Abstimmung mit den Verbänden der Wohlfahrtspflege, den Kirchen und anderen Sozialpartnern erarbeitet wird.
Die Ministerin hat diese Vorgaben in der Stellungnahme zu unserem Antrag bestätigt. Dafür danken wir. Gleichermaßen danken wir für die ausführliche und bereits im ersten Auf schlag aussagekräftige Stellungnahme zu unserem Antrag.
Ich denke, es ist gut, dass wir mittlerweile eine Landesregie rung haben, die die Augen nicht davor verschließt, dass Ar mut auch im reichen Baden-Württemberg ein Problem ist, dass sich die Frage nach sozialer Gerechtigkeit auch bei uns stellt und dass insbesondere, meine Damen und Herren, zwischen Reichtum und Armut ein Zusammenhang besteht.
Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an. Und der Arme sagte bleich: „Wär’ ich nicht arm, wärst du nicht reich.“
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen, werte Damen und Herren auf der Zu hörertribüne! Auch in Baden-Württemberg gibt es Armut. Ich erinnere an einen Satz der ehemaligen Sozialministerin Mo nika Stolz, die sagte: „Jedes Kind, das in Armut verharrt, ist eines zu viel.“
Wenn es um konkrete Projekte geht, um Hilfen, die ganz kon kret dazu beitragen, armutsgefährdeten Menschen aus ihrer Not zu helfen, dann ist die CDU immer zur Stelle gewesen und wird auch immer zur Stelle sein.
Frau Sozialministerin, über die Fülle an Informationen, die wir Ihrer Stellungnahme entnehmen können, sind wir tief be eindruckt. Fast bin ich geneigt zu sagen: Diese Tiefe wün schen wir uns auch einmal bei Stellungnahmen zu unseren Anträgen.
Dass diese Stellungnahme so umfangreich ausfallen konnte, liegt vor allem an einem: Wir wissen bereits heute alles We sentliche über das Thema. Wir brauchen keinen Armuts- und Reichtumsbericht, keinen Zahlensalat, dessen Erstellung ei nen Haufen Geld kostet und der keinem einzigen Armen wirk lich helfen wird.
Die Hauptursachen für Armut sind Arbeitslosigkeit, feh lende Bildungsabschlüsse und fehlende Berufsqualifika tion.
Jetzt sprechen wir einmal ganz konkret für Baden-Württem berg über die von Ihnen benannten Hauptursachen: