Meine Damen und Herren, es ist aber auch so weit gekom men, weil aus der Griechenlandkrise eine Krise der Eurogrup pe insgesamt geworden ist. Auch bei den 18 anderen Eurolän dern ist das Misstrauen untereinander gestiegen. Hierzu bei getragen hat auch, dass die Bundesregierung unabgestimmt, ohne Abstimmung mit Frankreich und Italien, einen Vorschlag unterbreitet hat. – Eben gab es den Zwischenruf: „Was hat denn Italien überhaupt getan?“ Frankreich und Italien haben entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit in gleichem Umfang Hilfspakete geschultert. Deutschland ist mit 128 Milliarden € beteiligt, Frankreich aber mit 96 Milliarden € und Italien mit 84 Milliarden €, und das in einer wesentlich schwierigeren wirtschaftlichen, ökonomischen Situation.
In einer solchen Situation wurde dadurch, dass unabgestimmt mit der deutsch-französische Achse ein „Grexit auf Zeit“ vor geschlagen wurde, das Vertrauen, dass Deutschland immer eu
Deswegen bezieht sich die Vertrauenskrise nach diesem Vor schlag auch auf die europäische Verantwortungsbereitschaft der Bundesrepublik.
Mit Verlaub, mit Sprüchen wie: „Der Grieche hat jetzt lange genug genervt“ nährt man den Verdacht, dass Deutschland nicht mehr europäisch, sondern nationalistisch denkt. Ich hal te dies für einen verheerenden Spruch. Der passt übrigens auch nicht zum europäischen Baden-Württemberg. Was sagen Sie denn zu den Zehntausenden Griechinnen und Griechen hier in Baden-Württemberg, die sich integriert haben, die ar beiten, die etwas leisten, die unter dieser Situation leiden?
Ich will noch eine Anmerkung zu dem Vorschlag eines „Gre xit“ als solchem und dem hier vorgetragenen Argument, wir benötigten eine Staatsinsolvenzordnung, machen. Ja, wir brau chen Möglichkeiten und entsprechende Regelungen, wie man zu einem Schuldenschnitt kommt. Die große Gefahr ist doch: Wenn man einen „Grexit“ oder eine Staatsinsolvenz herbei führt, was ja immer das Ziel der Regierung Tsipras war – von Anfang an hat sie das deutlich gesagt –, gibt man all den Po pulisten in Europa Futter, zu sagen: „Ich muss mich nur hin reichend gegen Europa einsetzen und in Verhandlungen nur hinreichend Vertrauen zerstören, dann bekomme ich einen Schuldenschnitt und einen vermeintlich einfacheren Weg aus der Krise heraus.“ Diese Dominogefahr ist gegeben.
Das, was Tsipras gemacht hat, ist auch Futter für alle Popu listen von ganz links und ganz rechts in allen anderen euro päischen Krisenländern.
Deswegen sollte man vorsichtig sein, zu schnell zu sagen: „Wir brauchen jetzt einen Schuldenschnitt, einen ‚Grexit‘ oder eine Staatsinsolvenz.“ Vielmehr brauchen wir ein Programm, das diese schwere Krise tatsächlich löst.
Auf dem Weg zu dem dritten Programm müssen wir auch achtgeben, dass wir nicht vorschnell so tun, als sei dies schon die Lösung der Krise. Mit dem Programm werden Instrumen te zur Verfügung gestellt, mit denen man einiges unternehmen kann, was vielleicht hilft. Ob das alles klappt, werden wir se hen.
Aber wenn man schaut, was in dem Programm steht, erkennt man, dass in den nächsten drei Jahren schon ziemlich viel gut
gehen muss, damit nicht alles schiefgeht. Dazu gehören aus meiner Sicht z. B. durchaus die Privatisierungsvorhaben. Ich meine, wir haben in der Bundesregierung Deutschland ja Er fahrung, wie es mit so einem Treuhandfonds zur Privatisie rung bestellt ist. Daran, dass es tatsächlich gelingt, durch ei ne Privatisierung von Vermögen 50 Milliarden € zu realisie ren, habe ich erhebliche Zweifel, wenn ich bedenke, welche Annahmen wir damals zu Zeiten der Wiedervereinigung be zogen auf die Treuhandanstalt gemacht haben.
Genauso fragwürdig ist, dass in diesem Papier, in dem Ergeb nis jetzt lediglich Investitionen zugesagt werden, die aus die sem Treuhandfonds erwirtschaftet werden. Griechenland braucht aber dringend Investitionen in die Realwirtschaft, braucht dringend Kredite für Ansiedlungen, braucht dringend Mittel dafür, auch die sozialen Probleme abzufedern. Denn die großen Summen, die wir hier genannt haben, Herr Rülke, sind ja nicht den Menschen zugutegekommen.
Natürlich haben Sie recht, dass viel Geld nach Griechenland transferiert wurde und wir in der Europäischen Union faktisch schon immer eine Transferunion haben.
Aber das ist ja nicht bei den Menschen angekommen. Viel mehr haben die Menschen Austeritätspolitik unmittelbar ge spürt. Wenn die Hälfte der Bevölkerung als Folge von Re formmaßnahmen keine Krankenversicherung mehr hat, dann ist das schon Austeritätspolitik für die Bevölkerung.
Das Geld wurde ja verwendet, um die entstandenen Schulden und die Schuldentragfähigkeit künstlich zu verlängern, ob wohl wir alle wissen, dass Griechenland faktisch überschul det ist.
(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Eben! – Abg. Andreas Glück FDP/DVP: Das gilt aber für das dritte Hilfspaket auch!)
Ich halte es für besonders beklagenswert, dass in dem Gipfel papier von Montagmorgen über ein wichtiges Thema kein Wort mehr steht, und zwar die Ertüchtigung des Steuerwe sens. Wir, Baden-Württemberg, sind bereit, bezogen auf das dortige Steuerwesen Unterstützung zu leisten. Wir haben in den letzten Jahren mit Bürgermeistern, mit zivilgesellschaft lichen Kooperationen, mit vielen Angeboten – wir haben auch gemeinsame Veranstaltungen mit dem griechischen Innenmi nister gemacht; Herr Wolf, Sie erinnern sich sicherlich – ge schaut, wo wir das unterstützen können.
Die früheren Regierungen Griechenlands haben in der Tat – und zwar unabhängig von ihrer parteipolitischen Zusammen setzung – nichts unternommen, um den Staatsapparat als sol ches zu ertüchtigen.
Ich hoffe, dass es jetzt mit diesem Paket gelingt, tatsächlich dabei voranzukommen, einen Staat aufzubauen, der in der La
ge ist, sich selbst zu organisieren, zu verwalten und vor allem die Steuern beizutreiben, die in Griechenland beizutreiben wä ren. Dies wäre ein wesentlicher Beitrag, endlich auf der Ein nahmeseite zu konsolidieren. Wir unterstützen das aus BadenWürttemberg sehr und sind für jede Kooperation offen, die dazu beitragen kann, dass die griechische Staatsverwaltung in Gang kommt und Griechenland endlich ein funktionierendes Steuersystem bekommt.
Das dritte Programm ist – wenn es denn kommt – mit vielen Risiken behaftet, bringt aber zumindest eines: Es bringt Zeit. Es bringt Zeit für Griechenland, um genau diese Schritte an zugehen, nämlich etwas gegen die Korruption und die Olig archie zu unternehmen, handlungsfähige Verwaltungseinhei ten aufzubauen.
Ich will auch ausdrücklich sagen: Wir können es uns über haupt nicht leisten, einen handlungsunfähigen griechischen Staat auf Dauer zu ertragen, und zwar aus einem ganz einfa chen Grund: Schauen Sie einmal, welch große Anzahl an Flüchtlingen momentan nicht mehr über das Mittelmeer, son dern über die Balkanroute durch Griechenland kommen. Stand heute sind in diesem Jahr 80 000 Flüchtlinge über den Balkan nach Ungarn gekommen. Wenn wir es nicht schaffen, den griechischen Staat zu ertüchtigen, werden wir es auch gemein sam nicht schaffen, dieses gemeinsame europäische humani täre Problem zu lösen. Auch deswegen brauchen wir Unter stützung für Griechenland, handlungsfähige Verwaltungen aufzubauen, nämlich damit wir in Europa auch humanitäre Flüchtlingspolitik betreiben können.
(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Abg. Karl Zimmermann CDU: Das müssen die aber annehmen!)
Ja, das stimmt. Hilfen muss man auch annehmen. Daran hat es in der Vergangenheit gehapert. Aber ich habe durchaus die Hoffnung, dass die Regierung Tsipras, die sozusagen ihren Agenda-2010-Moment hatte, jetzt dazu übergeht.
Übrigens – das will ich einmal anmerken –: Wenn man sich daran erinnert, wie lange die Union die rot-grüne Bundesre gierung damals in den Bundesrat gezogen hat wegen Ände rungen im Rentensystem, wegen Änderungen bei der Arbeits losenhilfe und beim Arbeitslosengeld II, wie lange wir ge braucht haben, um unsere Reformen umzusetzen,
dann sollten wir etwas vorsichtig sein, in Papiere hineinzu schreiben, dass Griechenland innerhalb von einer Woche ei ne Strafgesetzbuchreform, innerhalb von einer Woche eine Rentenreform machen soll – und das soll alles wirken.
Es muss aber auch klar sein: Wenn die griechische Regierung sagt: „Wir haben einen Vertrag unterschrieben, den wir nicht wollen“, muss man wissen, dass Reformen nur erfolgreich sein werden, wenn man den Erfolg dieser Reformen auch will, sie im Land auch implementiert
Ich will zum Schluss meiner Rede noch darauf hinweisen, dass sich in der Zeit, die wir gewinnen, nicht nur eine Reform aufgabe an Griechenland stellt, sondern auch eine Reformauf gabe an die Europäische Union. Denn ein Kernproblem, das wir nach wie vor haben, ist, dass all die Rettungsmaßnahmen, die in der Vergangenheit unternommen wurden, faktisch Ver abredungen auf zwischenstaatlicher Ebene zwischen Natio nalregierungen waren.
Die „Methode Merkel“ ist eine intergouvernementale Metho de, und sie bezieht nicht mit ein, was eigentlich der Kernge danke der Europäischen Union ist und dass wir gemeinsam in Europa dafür sorgen müssen, dass die Wirtschafts- und Wäh rungsunion auch zu einer echten Fiskalunion wird. Das The ma „Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Harmonisierung von Steuersystemen“ betrifft nicht nur Griechenland, sondern die komplette Europäische Union. Dass wir gemeinsam eine gute Haushaltsführung haben, aber gleichzeitig auch Investi tionen in Wachstum, in Arbeitsplätze, in Wirtschaft, das ist ei ne gemeinsame europäische Aufgabe.
Deswegen will ich noch einmal deutlich sagen: Herr Fuest schlägt jetzt vor, wir sollten quasi das tun, was wir nach der Wiedervereinigung für die fünf neuen Bundesländer gemacht haben – nämlich jährlich 25 Milliarden € transferieren –, um dort Investitionen und Aufbau zu ermöglichen. Dann heißt das eben auch: Es ist eine gemeinsame europäische Aufgabe, ge nau dies in Gang zu setzen – das, was klassischerweise im mer unter Kohäsionspolitik diskutiert wurde – und zu sagen: Wir mobilisieren das Geld durch Ertüchtigung des Steuersys tems in Europa, damit wir eine vernünftige Transferunion be kommen, die Gelder in Investitionen, in Wachstum lenkt und nicht nur Gelder bereitstellt, um Schuldenprogramme zu ver längern.
Das wäre eine sinnvolle Aufgabe für uns, damit die Eurogrup pe als solche eine Zukunft hat, damit der Euro funktioniert.