Protocol of the Session on October 16, 2014

Der Jugendarrest ist in der Regel unmittelbar nach Rechtskraft des Urteils zu vollziehen.

Daran hapert es in der Realität massiv. Ich habe mich auch mit mehreren Jugendgerichtshelfern und Jugendrichtern un terhalten, die sagen: Es ist gut, dass wir das Sozialtraining in den Vordergrund rücken und das Jugendarrestgesetz mehr die se soziale Seite berücksichtigt. Aber man muss die Realität sehen.

Ich möchte es einmal an zwei Beispielen festmachen:

Ein Jugendlicher, der einen vierwöchigen Arrest antreten soll, sagt kurz vor dem Antritt seines Arrests dem Jugendgerichts helfer: „Ich finde es nicht so schlimm, dass ich dorthin gehe. Jetzt habe ich endlich Ruhe vor den nervigen Eltern und vor der Schule.“ Ich denke, einen solchen Gefallen sollte man de nen nicht tun. Sie müssen auch gefordert werden. Es geht um Fördern und Fordern. Zum Chillen – das ist sein Wort gewe sen – geht man nicht in den Jugendarrest.

Ein weiteres Beispiel, Herr Minister: Ein 17-jähriger junger Mann wurde anfangs zur Jugendstrafe und dann zum Vollzug in der JVA Adelsheim verurteilt. Er verbüßte zunächst einen Teil der Strafe und bat dann um Aufnahme in den Strafvoll zug im Rahmen des „Projekts Chance“ in Creglingen. Das ist, wie wir wissen, ein hervorragendes Projekt, wie auch das in Leonberg. Dann hat er den Wunsch geäußert, wieder in den geschlossenen Vollzug zu gehen. Das läuft parallel zum Ar rest. Der Grund war: Dort hat er seine Ruhe, muss nicht mor gens um 6:00 Uhr aufstehen, frühstücken, joggen usw. und hat nicht den ganzen Tag Programm. Er will jetzt in einer Haftanstalt seine Strafe absitzen und sich nicht immer dieses – so sagte er wörtlich – „soziale Gewäsch“ anhören müssen.

Die Zeitschiene ist mir wichtig.

Noch ein Beispiel – das ist leider Realität –: In den Sommer ferien gibt es Wochen, in denen der Jugendarrest geschlossen ist.

(Heiterkeit des Abg. Winfried Mack CDU)

Man kann in dieser Zeit den Arrest nicht antreten. Die Jugend gerichtshelfer sagen zu den Jugendlichen: „Jetzt musst du in den Arrest.“ Der Richter hat gesagt: „Wenn du noch einmal hier auftauchst, dann schicke ich dich ins Gefängnis oder in den Arrest.“ Er taucht natürlich wieder auf, kommt aber wie der nicht in das Gefängnis. Irgendwann kommt er zum Ju gendgerichtshelfer, der ebenfalls gesagt hat: „Ich habe es dir auch schon gesagt. Du musst jetzt antreten.“ Ein halbes Jahr nach dem rechtskräftigen Urteil fragt der Jugendliche den Ju gendgerichtshelfer: „Wegen was muss ich in den Arrest? We gen des Diebstahls?“ Er hatte zwischenzeitlich schon wieder eine Latte von Straftaten begangen: Diebstahl, Betrug, Kör perverletzung. Er weiß schon gar nicht mehr, weshalb er in den Arrest muss.

(Heiterkeit der Abg. Wilfried Klenk und Winfried Mack CDU)

Liebe Kollegen, ich möchte es nicht ausdehnen, ich habe nur noch eine dreiviertel Minute Redezeit.

Herr Minister, das müssen wir dringendst im Ausschuss be sprechen. Die Jugendarrestvollzugsordnung ist aufgelöst, wir haben keine Zeitschiene und keine Vorgaben. Das, worin wir uns einig waren – die Strafe muss auf dem Fuße folgen –, er folgt leider nicht. Dann sagen mir die Jugendgerichtshelfer: Herr Zimmermann, ich getraue mich schon gar nicht mehr, den Jugendlichen zu sagen: „Wenn du noch einmal kommst, musst du da rein.“ Dann bekommen sie zur Antwort: „Das ha ben Sie mir schon das letzte Mal gesagt – es ist gar nichts ge schehen.“

Ich danke Ihnen, meine Herren.

(Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort dem Kollegen Filius.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Der Minister hat es erwähnt: Aufgrund der Föderalismusreform ist es notwendig, eine verlässliche Rege lung zu finden – wir sind hier letztendlich in einer Eingriffs

verwaltung –, um den Vollzug des Jugendarrests in BadenWürttemberg gesetzlich zu regeln. Ziel ist es – auch das wur de schon erwähnt –, ein zeitgemäßes erziehungswissenschaft liches Konzept für den Vollzug des Arrests zu normieren.

Jetzt möchte ich noch einmal dazu kommen: Was ist denn ei gentlich Arrest? Das, was vom Kollegen Zimmermann ange sprochen worden ist, ist nämlich eher Strafhaft. Hier muss man genau unterscheiden. Arrest soll nicht Strafe sein. Es ist ein Zuchtmittel nach § 13 JGG. Der Arrest liegt letztendlich genau zwischen den Erziehungsmaßregeln und der Jugend strafe. Der Arrest soll einem jungen Menschen mit der Ver hängung der freiheitsentziehenden Maßnahme eindringlich bewusst machen, dass er für sein begangenes Unrecht einzu stehen hat. Das ist der Grund.

Jetzt muss ich sagen, Herr Kollege Zimmermann: Ihre Aus sage, dass das ein „Chillen“ wäre, trifft überhaupt nicht. Wie ich das selbst vom Alltag mitbekomme – ich war in den Ju gendarrestanstalten –, wird hier eine Struktur geschaffen. Ob gemeinsames Kochen, Freizeitaktivitäten, Arbeiten oder schu lische Aktivitäten – all diese Arbeiten werden Berücksichti gung finden. Aber die Dauer beträgt maximal vier Wochen. Das ist der Unterschied zur Jugendhaftanstalt Adelsheim. Die Einrichtungen in Göppingen und Rastatt haben natürlich eine ganz andere Aufgabe, nämlich – so wird es auch immer wie der gesagt –, den Jugendlichen mit einem „short sharp shock“ klarzumachen: „Wenn du so weitermachst auf deinem Weg, dann landest du dauerhaft im Gefängnis.“ Dies soll eigentlich eine Abschreckung sein und bewirken, dass man über den Warnschuss letztendlich wieder dazu kommt, keine weiteren Straftaten mehr begehen zu wollen.

Natürlich gibt es beim Arrest auch die anderen, zusätzlichen Varianten, wenn man seinen Auflagen nicht nachkommt, z. B. Arbeitsstunden. Wenn man den Bewährungsauflagen nicht nachkommt, kann Arrest verhängt werden. Der Arrest hat ei ne bewegte Geschichte. Er ist zur Zeit des Nationalsozialis mus eingeführt worden. Damals lag tatsächlich die Gewich tung auf Strafe. Doch das – um es noch einmal zu verdeutli chen – ist heute und jetzt mit der Überlegung, dem Jugendli chen hier eine gezielte pädagogische Förderung zukommen zu lassen, erst recht nicht unter dem Strafaspekt zu betrach ten, sondern wir sind hier dabei, durch soziales Training So zialkompetenz zu schaffen.

Vieles, was auch hier in den Gesetzestexten normiert werden soll, entspricht Praxisüberlegungen. Es wurden – der Minis ter hat darauf hingewiesen – Gespräche mit denen geführt, die sich tagtäglich in Rastatt und in Göppingen damit beschäfti gen. Vieles ist auch entsprechend eingeflossen.

Im Anhörungsverfahren, welches zwischen dem 29. Juli und dem 15. September stattgefunden hat, wurde der Gesetzent wurf durchweg positiv aufgenommen. Die Generalstaatsan waltschaften in Stuttgart und Karlsruhe, die Kirchen und auch der Anwaltsverband Baden-Württemberg haben gesagt, dass hier ein guter Weg beschritten wird. Der Anwaltsverband sag te, die Absicht, ein zeitgemäßes und erziehungswissenschaft lich fundiertes Konzept zur normativen Grundlage zu machen, sei erkennbar. Dem kann man nichts anderes mehr hinzufü gen. Es ist quasi Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Rege lungen.

Meine Fraktion wird die Gesetzesberatungen im Ausschuss positiv begleiten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die SPD-Fraktion spricht der Kol lege Kopp.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Justizminister unseres Lan des hat mit dem vorliegenden Entwurf eines Jugendarrestge setzes ein modernes Gesetz zur künftigen Ausgestaltung des Jugendarrests in Baden-Württemberg vorgelegt.

Wie wir bereits gehört haben, sind seit der Föderalismusre form die Länder für den Vollzug des Jugendarrests zuständig. Beim Jugendarrest bewegen wir uns in einem Zeitraum, in dem man bei einem auffällig gewordenen Jugendlichen mit Er ziehungsmaßnahmen offensichtlich nicht mehr weiterkommt, bei dem die Schwelle zur Verhängung einer Jugendstrafe – Gott sei Dank – aber noch nicht überschritten ist. Es ist also der letzte Zeitpunkt, zu dem man noch eine Chance sieht, dass der Jugendliche sich besinnt und keine weitere strafrechtliche „Karriere“ einschlägt.

Wesentliches Element dieses Gesetzes sind die pädagogische Ausrichtung und die Förderung durch soziales Training. Die ses Konzept, mit dem die Jugendarrestanstalten in Rastatt und Göppingen bislang schon gute Erfahrungen gemacht haben, wird jetzt in eine gesetzliche Grundlage gegossen. Der Ju gendarrest bietet maximal vier Wochen Zeit, noch einmal po sitiv auf den Jugendlichen einzuwirken. In dieser Zeit sollen ihm seine Tat bzw. seine Taten sowie die Frage, was dies für das Opfer bedeutet, nochmals vor Augen geführt werden.

Gleichzeitig ist es wichtig, dem jungen Menschen Perspekti ven für seine Zukunft aufzuzeigen. Deshalb sieht dieses Ge setz u. a. vor, Unterstützungsangebote durch andere staatliche Stellen sowie sonstige Organisationen zu vermitteln, die den jungen Menschen nach der Entlassung betreuen und förderli che soziale Hilfe leisten können.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Ich bedanke mich beim Justizminister für den fortschrittlichen Gesetzentwurf und freue mich auf die weiteren konstruktiven Beratungen im Ständigen Ausschuss.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Sehr gut!)

Eine Anmerkung, Herr Kollege Zimmermann: Für den Voll zug ist der Bund zuständig.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Jawohl!)

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die Fraktion der FDP/DVP spricht Kollege Professor Dr. Goll.

Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Ich finde auch, dass das Gesetz gut ist.

Es gibt eigentlich nur ganz wenig daran auszusetzen. Darüber kann man sich in der Tat im Ausschuss unterhalten.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Insofern haben das Ministerium und insbesondere die Abtei lung IV, die im Moment nicht nur sonnige Zeiten erlebt, zwi schendurch ein Lob verdient. Das Gesetz ist gut.

(Beifall des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Beifall des Abg. Karl Zimmermann.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Es war Zeit, sich anzuschließen.

Der Ansatz, das Ziel ist ordentlich formuliert: Die Zusammen arbeit aller tätigen Personen ist angesprochen, und das tragen de Element – soziales Training – ist in Ordnung. Begleitend zum sozialen Training gibt es Informationsveranstaltungen zu den Themen Gewalt, Sucht, Medien, Schulden; auch die The menfelder schulische und berufliche Förderung sind angespro chen. Es findet sich dort eigentlich alles, was man sucht: die gemeinnützige Arbeit, das Bestreben, den jungen Menschen zu motivieren und anzuleiten, die freie Zeit sinnvoll zu gestal ten, etwa durch die Sportprogramme. Das ist in Ordnung.

Ich nehme an, dass sich das Ministerium z. B. bei dem Punkt „Unterbringung in einem sicheren Raum“ im Gefolge dessen, was wir zum Stichwort Bruchsal erlebt haben, noch einmal genau die Vorschriften angesehen hat. In diesem Zusammen hang wäre vielleicht auch über eine Anregung in der Anhö rung noch zu reden, zur Vermeidung von Suizidgefahr eine Mehrfachunterbringung, eine gemeinsame Unterbringung auch gegen den Willen des Betroffenen in Betracht zu ziehen. Das ist einer der Punkte, die in der Anhörung vorgebracht wurden; es lohnt sich vielleicht, im Ausschuss noch einmal darüber nachzudenken.

Das Gesetz fügt sich in Baden-Württemberg in einen Kontext ein, in dem man versucht, auf die Jugendkriminalität schnell und angemessen zu reagieren. Da sollte es natürlich nicht pas sieren, dass, wie Kollege Zimmermann moniert hat, die Ant wort zu spät kommt. Es muss eine geeignete Antwort sein, und sie muss schnell genug kommen. Daran wurde in BadenWürttemberg schon viele Jahre lang gearbeitet, und diese Ar beit wurde noch intensiviert, nachdem wir die Zuständigkeit bekommen hatten.

An dieser Stelle darf ich daran erinnern, dass, als die Zustän digkeit auf die Länder überging, unter den Experten das böse Wort „Schäbigkeitswettbewerb“ die Runde gemacht hat. Ge nau das Gegenteil ist jedoch passiert: Es gab einen positiven Wettbewerb unter den Ländern, einen Wettbewerb, in dem Ba den-Württemberg gut dasteht. Meines Erachtens kann man durchaus nach wie vor von einem jugendkriminalpolitischen „Musterländle“ reden. Wir haben einen sehr guten Vollzug auch in Adelsheim. Auch wenn die Ereignisse der vergange nen Zeit natürlich jetzt automatisch das Bild trüben, ist daran zu erinnern, dass in Adelsheim erstklassige Arbeit geleistet wird.

Wir haben zudem die bundesweit einmaligen beiden Einrich tungen des „Projekts Chance“ in Creglingen und Leonberg.