Protocol of the Session on April 15, 2010

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion GRÜNE vor, der nun, wie ich finde, zur Unzeit gekommen ist, zu einem völlig unsinnigen Zeitpunkt.

(Zuruf des Abg. Franz Untersteller GRÜNE)

Denn wir, die Regierungsfraktionen, haben im Herbst letzten Jahres erklärt, dass wir die Datenschutzaufsicht für den öf fentlichen und den nicht öffentlichen Bereich zusammenle gen wollen. Daran hat sich auch nichts geändert.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Wir wollten Sie nur ein bisschen bei der Ausgestaltung unterstützen!)

Wir haben aber auch gesagt, dass wir das Urteil des Europäi schen Gerichtshofs abwarten wollen, um eine Konstruktion für den Datenschutz in unserem Land zu wählen, die diesem Urteil auch gerecht wird. Es hat sich gezeigt, dass das sehr klug war. Denn seit dem 9. März 2010 liegt das Urteil vor, und siehe da: Der Europäische Gerichtshof sieht bei allen 16 für den nicht öffentlichen Bereich zuständigen Datenschutzauf sichtsbehörden der Länder die völlige Unabhängigkeit als nicht gewährleistet an.

Ausgerechnet jetzt kommt ein Antrag der Grünen, der sich auf Schleswig-Holstein bezieht, das aber diese Bedingungen auch nicht erfüllt.

(Zuruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Ich habe den Text des Landesdatenschutzgesetzes von Schleswig-Holstein hier. Darin steht fast wörtlich das, was Sie hier vorschlagen. Aber auch Schleswig-Holstein wird, wie al le anderen Länder, diesem Urteil nicht gerecht. Der Text stammt aus dem Jahr 2000 und kann einem Urteil, das jetzt ergangen ist, auch gar nicht gerecht werden.

Deshalb werden wir den Antrag jetzt ablehnen, weil er nicht zielführend ist, auch wenn die eine oder andere Passage mög licherweise sinnvoll erscheint.

Wir werden jetzt das Urteil interpretieren und genau prüfen, denn in dem Urteil steht wörtlich:

Die Datenschutzbehörde muss völlig unabhängig und völ lig frei von Weisungen und Druck handeln können.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Sehr richtig!)

Der Gerichtshof differenziert da nicht zwischen Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht. Jetzt muss juristisch geprüft werden, was dies heißt. Das erfordert eine enge Abstimmung mit den an deren Ländern und mit dem Bund, die im Übrigen schon ges tern begonnen hat. Bereits gestern hat ein Bund-Länder-Ab stimmungsgespräch auf Fachebene stattgefunden. Ich kenne das Ergebnis noch nicht. Ich weiß nur, dass sich auch die In nenministerkonferenz Ende Mai mit dem Thema befassen wird.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Der Herr Minister wird uns informieren!)

Sie sehen also, die Regierung ist dran. Wir werden das The ma sehr rasch angehen. Aber bei dem wichtigen und sensib len Thema Datenschutz geht die Gründlichkeit vor Schnellig keit.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Das ist immer gut!)

Zurück zum heutigen Tagesordnungspunkt. Noch einmal mei nen Dank sowohl an den Datenschutzbeauftragten für seinen Bericht als auch an das Innenministerium für seine Stellung nahme. Die CDU-Fraktion folgt der Beschlussempfehlung des Ständigen Ausschusses und nimmt von beidem zustimmend Kenntnis.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Stoch für Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen, liebe Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Her ren! Was wir jetzt vor uns haben, liest sich auf der Tagesord nung relativ unspektakulär: Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses zu der Mitteilung des Landesbe auftragten für den Datenschutz vom 1. Dezember 2009 – 29. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Daten schutz in Baden-Württemberg 2008/2009. Der sieht dann in der Summe so aus.

(Der Redner hält den Bericht des Landesbeauftrag ten für den Datenschutz hoch.)

Er ist durchaus voluminös. Wenn Herr Bopp den Datenschutz beauftragten und sein Team bereits dafür gelobt hat, dass die Thematik Datenschutz im Land Baden-Württemberg, was die Behörden angeht, sehr fundiert und auch sehr detailliert auf gearbeitet wurde, so kann man sich dem nur anschließen. Des wegen möchte ich dem Datenschutzbeauftragten auch im Na men der SPD-Fraktion ganz herzlich für die Arbeit danken, die sehr aufschlussreich ist und die uns auch sehr deutlich er kennen lässt, wo es beim Datenschutz im öffentlichen Bereich noch erhebliche Probleme gibt.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Jürgen Walter und Franz Untersteller GRÜNE und Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Ich darf ebenfalls darauf verweisen, dass der Bericht wie auch die Stellungnahme des Innenministeriums dazu bereits im Ständigen Ausschuss beraten wurden. Auch dabei ist deutlich geworden, dass aus Sicht des Datenschutzbeauftragen insbe sondere zwei Themen – ich möchte anschließend noch zwei, drei zusätzlich erwähnen – einer stärkeren Beachtung bedür fen.

Das war zum einen das Thema Polizei. Ich gebe Ihnen recht, Herr Kollege Bopp, wenn Sie sagen, dass in der Polizeiarbeit auch ständig in Grundrechte eingegriffen wird und natürlich auch die Notwendigkeit besteht, sich mit Daten von Beschul digten oder von Opfern zu beschäftigen. Das Problem, das der Datenschutzbeauftragte in diesem Zusammenhang sehr deut lich angesprochen hat, war jedoch weniger das Thema der

Strafverfolgung oder der Verfolgung von Taten, sondern es war eher die Frage: Wie gehe ich mit den Daten über einge leitete Ermittlungsverfahren um? In dieser Hinsicht war eine Ungleichbehandlung festgestellt worden, die so eigentlich nicht akzeptabel ist.

Ich freue mich daher, dass auch das Innenministerium das er kannt hat und es abstellen möchte. Die Problematik war näm lich, wie man festgestellt hat, dass bei Ermittlungsverfahren, die gegen Polizeibeamte eingeleitet wurden, was die Einspei sung in die Datensysteme angeht, anders agiert wurde als bei den Ermittlungsverfahren gegen „normale Bürger“. Das geht natürlich nicht. Wenn bei Polizeibeamten eine besondere Schutzbedürftigkeit angenommen wird, dann muss man die se auch jedem Bürger zukommen lassen. Bisher gab es eine Unterscheidung, und der Landesdatenschutzbeauftragte hat sie angeprangert.

Der weitere Bereich – da wird es noch sehr viel drastischer –, der vom Landesdatenschutzbeauftragten als sehr kritisch be wertet wurde, sind die Schulen. Der Landesdatenschutzbeauf tragte, der in seinen Urteilen sehr abwägend und auch sehr be dacht ist, bezeichnete die Schulen in Sachen Datenschutz als „Notstandsgebiet“. Allein diese Formulierung muss uns auf horchen lassen.

Bei der Beratung im Ständigen Ausschuss – Kollege Bopp nahm Bezug darauf – waren auch Vertreter verschiedener Mi nisterien anwesend, u. a. auch aus dem Kultusministerium. Es war schon bezeichnend, dass auf die Anregung des Daten schutzbeauftragten hin, enger zusammenzuarbeiten, was auch dieses Thema angeht, um das Bewusstsein in der Kultusver waltung, in der Schulverwaltung zu stärken, als Reaktion ein Vertreter des Kultusministeriums mit der Aussage zu hören war, man habe erst kürzlich eine neue Verwaltungsvorschrift erlassen. Daraufhin war dann der Landesdatenschutzbeauf tragte durchaus – man hat es an seinem Gesichtsausdruck ge sehen – nicht guter Stimmung; ich sage dies einmal ganz vor sichtig. Denn er teilte dann mit, dass ihm Betroffene sagten, dass sie damit überhaupt nichts anfangen könnten. Sprich das, was da in Form einer Verwaltungsvorschrift an die Schulen geliefert wird, ist in der Praxis offensichtlich nicht umsetzbar.

Deswegen kann ich mich dem Appell des Landesdatenschutz beauftragten nur anschließen, durch eine sehr viel engere Zu sammenarbeit zwischen dem Kultusministerium und dem Landesdatenschutzbeauftragten – möglicherweise nach dem Beispiel der Polizei durch die Abordnung von Personal zum Landesdatenschutzbeauftragten – auf die erforderliche Sensi bilität hinzuarbeiten und den Schulen auch die richtigen Hilfs mittel an die Hand zu geben, um mit sensiblen Daten sehr viel sorgfältiger umzugehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kollege Bopp hat in weiser Voraussicht auch schon das eigentlich drängende Thema angesprochen: Der Landesdatenschutzbeauftragte hat in seinen Äußerungen ausgeführt, dass in Ländern, bei denen die Datenschutzaufsicht für den öffentlichen und den nicht öf fentlichen Bereich bereits zusammengelegt sind, inzwischen bereits ungefähr 80 % der Eingaben eher den Datenschutz im nicht öffentlichen Bereich als den im öffentlichen Bereich be treffen.

Das lässt uns natürlich auch eine Entwicklung erkennen, die für uns jetzt, in den nächsten Wochen und Monaten, von zen

traler Bedeutung sein muss. Denn die CDU – Sie haben das zu Recht gesagt – hat sich zu meiner Freude im vergangenen Herbst endlich dazu entschlossen, sich dem Antrag auf Zu sammenlegung des Datenschutzes für den öffentlichen und den nicht öffentlichen Bereich, den wir seit knapp 15 Jahren immer wieder in diesem Landtag stellen, anzuschließen. Ich bitte Sie, das als Chance zu nutzen, dem Datenschutz die Be deutung zukommen zu lassen, die er heute tatsächlich hat.

Hier auf den Zuschauerrängen sind viele Menschen, die tag täglich mit dem Thema Datenschutz konfrontiert werden. Sie sagten zu Recht, dass wir heute in einer Informationsgesell schaft leben, die einen derart schnellen Austausch von Infor mationen erlaubt, dass es dem Einzelnen kaum noch möglich ist, zu verfolgen, wo Daten über ihn überhaupt verfügbar sind.

Aus diesem Grund dürfen wir den Datenschutz nicht als Hemmschuh begreifen – häufig wird der Datenschutz ja als notwendiges Übel oder als Hemmschuh betrachtet –, sondern wir müssen es schaffen, dass der Datenschutz auch im Be wusstsein der Bevölkerung viel stärker verankert wird.

Denn die Nachteile, die durch einen fahrlässigen Umgang mit den eigenen Daten entstehen, sehen wir doch schon heute ganz offen. 50 % der Personalbeauftragten in Unternehmen sagen bereits heute, sie schauten ins Internet, bevor sie jemanden, beispielsweise einen Auszubildenden, einstellten. Im Internet schauen sie in den sozialen Netzwerken nach, was über die einzelnen Bewerber veröffentlicht ist. Diesen ist das zum Zeit punkt der Veröffentlichung nicht bewusst, aber wenn sie sehr sorglos – wie Sie es zu Recht sagen – mit ihren Daten umge hen, haben sie später die Nachteile zu tragen.

Lassen Sie uns daher diese Zusammenlegung, die sicherlich einer genauen Vorarbeit bedarf, als Chance begreifen, diesem Thema auch im Bewusstsein der Bevölkerung ein viel stärke res Gewicht zukommen zu lassen.

Im Zusammenhang mit dem Datenschutz wurde auch das The ma „Soziale Netzwerke“ angesprochen. Daneben gibt es zahl reiche andere datenschutzrelevante Themen. Es gibt Google Street View, wofür ein Fahrzeug durch Städte fährt und aus einer Höhe von 3 m in jeden Vorgarten „hineinleuchtet“. Ich meine, wir haben bis heute keine angemessene Antwort dar auf, wie wir mit dieser Datensammelwut umgehen.

Es gibt ein weiteres Thema, das in den letzten Monaten sehr viel Aufsehen erregt hat, nämlich das Thema Arbeitnehmer datenschutz. Wenn wir uns daran erinnern, was für Skandale es in den letzten Monaten gab, bei denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Daten teilweise unter Druck preisgaben, weil sie Angst hatten, eine Stelle sonst nicht zu bekommen, müssen wir klar erkennen, dass dies heute einer Regelung be darf. Deswegen ist das Thema Datenschutz auch insoweit für jeden und jede von zentraler Bedeutung.

Das sind nur wenige Punkte, die auch den Datenschutz im nicht öffentlichen Bereich betreffen.

Im Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten werden na türlich noch viele weitere angesprochen. Im Bereich der öf fentlichen Hand haben wir die Videoüberwachung. Wir haben im Bereich der öffentlichen Hand auch das Thema – der Jus tizminister ist gerade nicht da – Fußfessel. Auch hier wird sehr weit in den Bereich der persönlichen Integrität eingegriffen.

Wir müssen uns immer in einer klaren Abwägung überlegen, ob dieser Eingriff in die Grundrechte, in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gerechtfertigt ist und von dem Zweck getragen ist, den es verfolgt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Zusammen legung in einer gemeinsamen Institution – ich sage bewusst nicht „Behörde“ – bedarf einer sehr genauen Vorarbeit. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 20. März dieses Jahres, von dem auch Herr Kollege Bopp sprach, lässt im Be reich der Aufsicht einige Fragen offen. Dieses Problem resul tiert daraus, dass beim Europäischen Gerichtshof nicht nur die deutsche Rechtstradition aufgenommen wird, sondern auch andere Rechtstraditionen eine Rolle spielen.

Wir müssen uns sehr genau anschauen, welches Modell wir heute auswählen, damit diese Institution allen Anforderungen des europäischen Rechts gerecht wird. Es bringt doch uns al len nichts, wenn wir heute eine Behörde kreieren, die dann in kürzester Zeit durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts wieder als nicht zulässig, nicht legal oder wie auch immer er achtet wird.

Wir müssen also schauen, dass wir gemeinsam – ich biete Ih nen dabei die Zusammenarbeit an – diese Unabhängigkeit, die vom Europäischen Gerichtshof postuliert wird – auch im Hin blick auf aufsichtsrechtliche Fragen –, sicherstellen. Es geht hier um Fachaufsicht, Rechtsaufsicht und Dienstaufsicht. Das alles muss nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs sehr stark von Unabhängigkeit geprägt sein. Das heißt, auch das Modell Schleswig-Holsteins, das schon ein hohes Maß an Un abhängigkeit in sich birgt, genügt den Anforderungen eben nicht.

(Zuruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Daher müssen wir überlegen, wie wir möglicherweise auf Ba sis dieses Modells eine Weiterentwicklung schaffen. Deswe gen würde ich anregen, den Antrag der Grünen, Drucksache 14/6182, an den Ständigen Ausschuss und die anderen zustän digen Fachausschüsse zu überweisen und zum Anlass zu neh men, an dieser Stelle weiterzudiskutieren. Denn das darin ent haltene Wort „umgehend“ ist für mich von zentraler Bedeu tung. Bisher haben wir auf das Urteil des EuGH gewartet. Jetzt liegt es vor. Nun dürfen wir nicht anfangen, dieses Urteil, wie Kollege Bopp sagte, zu interpretieren. Denn Interpretieren hat immer auch etwas mit Hineindichten zu tun. Vielmehr müs sen wir dieses Urteil klar analysieren. Wir müssen dazu auch die europäische Rechtsvergleichung heranziehen.

Wenn wir das gemacht haben, sollte es uns noch in diesem Jahr gelingen, eine schlagkräftige Behörde, eine schlagkräf tige Institution zu schaffen, in der der Datenschutz für den öf fentlichen, aber auch für den nicht öffentlichen Bereich sein Recht und seine Geltung findet.

Dann, hoffe ich, können wir es schaffen, auch den Menschen in diesem Land, vor allem auch den jungen Menschen, das Gewicht und die Bedeutung des Datenschutzes zu vermitteln. Denn jeder Einzelne sollte sehr achtsam mit seinen persönli chen Daten umgehen.

Herzlichen Dank.