Wenn wir uns die Zahlen anschauen, die sich auch aus der Stellungnahme zu diesem Antrag ergeben haben, dann stellen wir in der Summe fest, dass 2,8 Millionen Menschen mit einem Berufsabschluss nach Deutschland eingereist sind und sich hier aufhalten. Das sind 2,8 Millionen Menschen, die von anderen Menschen ausgebildet wurden. Davon sind bundesweit 800 000 Menschen Akademiker, und unter ihnen sind 500 000 Akademiker, deren Abschlüsse nicht anerkannt werden. Wir haben 1,8 Millionen Personen, die im Ausland eine Berufsqualifizierung erworben haben. Das sind keine Akademiker, sondern sie haben eine hochwertige Berufsausbildung abgeschlossen. Wir haben nur 200 000 Personen ohne jegliche Qualifikation.
In Prozentzahlen ausgedrückt: 28,6 % dieser Menschen bringen einen im Ausland erworbenen akademischen Grad mit, 64 % haben außerhalb Deutschlands eine berufliche Qualifikation erworben, und nur 7 % sind ohne Qualifikation. Das bedeutet, dass wir ein riesiges Potenzial an Menschen haben, die vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels akquiriert werden könnten und deren Potenzial genutzt werden könnte und auch sollte. Diese Personen wollen arbeiten. Derzeit arbeiten allerdings mehr als die Hälfte dieser Menschen unter ihrem Qualifikationsniveau, während gleichzeitig baden-würt tembergische Unternehmer nach Fachkräften rufen. Da haben wir Potenzial; daran können wir arbeiten.
Nur 20 % dieser Menschen arbeiten in ihrem erlernten Beruf. Daran sieht man, wie viel wir machen können. Tatsächlich ist bei Akademikern, die ihr Studium im Ausland absolviert haben und in Deutschland leben, eine Arbeitslosenquote von über 8 % zu verzeichnen, während bei Akademikern, die ihren Abschluss in Deutschland gemacht haben, die Arbeitslosenquote nur 4 % beträgt. Das Reservoir, das da noch liegt, können wir heben und sollten es auch heben.
Wir sollten dies auch unter der Perspektive betrachten, dass es dabei um Menschen geht und dass die Menschen, die solche Qualifikationen erworben haben, möglicherweise auch Familienangehörige haben. Sie haben einen Anspruch darauf, idealerweise entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt zu werden. Das sind also humanitäre Gründe. Es gibt aber auch wirtschaftspolitische Gründe; es geht darum, dem Fachkräftemangel abzuhelfen. Auch finanzpolitisch ist es sinnvoll, dieses Reservoir zu heben. Denn nicht zu handeln ist in diesem Fall teurer als nachzuqualifizieren und das Anerkennungsverfahren in die richtige Richtung zu lenken.
Erstens muss der Rechtsanspruch auf die Durchführung eines Verfahrens kommen, zweitens brauchen wir bundeseinheitliche verbindliche Anerkennungskriterien. Es kann nicht so sein, dass, wie ich es hier gelesen habe, z. B. ein Friseur aus Russland in Bremen anerkannt wird, in Stuttgart aber nicht
anerkannt wird. Es wäre nun wirklich grober Unfug, wenn sich Leute mehrfach mit demselben Sachverhalt befassen und dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Es ist Unfug, dass nach Personengruppen differenziert wird. Folgende Personengruppen werden unterschieden: Spätaussiedler, Zuwanderer aus EU-Staaten und Drittstaatler. Das ist schon ein absolut kompliziertes System. Dann wird aber auch noch nach der Berufsqualifikation unterschieden. Wenn jemand, aus welchem Grund auch immer, mit einer beruflichen Qualifikation nach Deutschland einreist
(Abg. Karl Zimmermann CDU: Wer stellt fest, dass er qualifiziert ist? – Gegenruf der Abg. Edith Sitz- mann GRÜNE)
und erreichen möchte – was die Unternehmen auch wollen –, dass dieser Einsatz in eine Anstellung mündet, dann muss er je nach Herkunft zu den unterschiedlichsten Behörden mit unterschiedlichen Zuständigkeiten gehen. Das Verfahren wird dadurch so erschwert, dass das gewünschte Ergebnis letztlich nicht erreicht wird.
Wie sich das Ergebnis real darstellt, steht in der Stellungnahme zu diesem Antrag. Lassen Sie sich das einmal auf der Zunge zergehen: Pro Jahr werden bei den Industrie- und Handelskammern durchschnittlich 307 und bei den Handwerkskammern durchschnittlich 355 Anerkennungsverfahren durchgeführt.
Frau Netzhammer, Sie haben gesagt: Wir hätten gern bessere Zahlen. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Machen Sie ein Verfahren, das es erleichtert, in diese Antragsberatungen überhaupt einmal hineinzukommen. Dann haben Sie auch die Zahlen von denjenigen, die ihre Abschlüsse hier anerkannt haben wollen. Es muss allerdings so formuliert sein, dass es auch für einen Zugewanderten möglich, verständlich und zumutbar ist. Dann haben Sie die Zahlen und können den Menschen viel effektiver helfen. Sie können dem Mittelstand helfen, aber auch den Betroffenen, die hier ihre Qualifikation anerkannt haben wollen. Machen Sie weiter so, nur mit mehr Druck – im Interesse der Menschen und der baden-württembergischen Wirtschaft.
(Beifall bei der SPD – Abg. Peter Hofelich SPD: Sehr überzeugend! – Abg. Veronika Netzhammer CDU: Wir sind ja dabei!)
Herr Präsident, liebe Kollegen und Kolleginnen! In einem muss man dem Antrag der Grünen zustimmen, Frau Sitzmann: Das Ganze ist sehr un übersichtlich, und es bedarf schon einiger Fähigkeiten, um die Anlaufstellen für die Anerkennung einer Berufsqualifizierung aufzuspüren. Wie Sie aber wissen, findet im Dezember eine Wirtschaftsministerkonferenz statt; dazu sind schon ganz neue Ideen eingebracht worden. Darüber hinaus, meine Damen und Herren, haben wir in diesem Bereich schon viel getan.
Ich möchte noch einmal betonen: Für unsere Gesellschaft ist es wichtig, dass sowohl Deutsche als auch Migranten eine
Chance auf Arbeit haben, dass sie berufliche Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten haben. Nur dann sind Integration und ein positives Miteinander der Kulturen möglich. Bei der schon angesprochenen Anhörung der Landesregierung zum Thema „Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen“ am 12. Oktober 2009 wurde keineswegs nachlässig, bedenklich und schlampig, Frau Sitzmann, sondern mit großem Engagement etwas dargestellt.
Ich hoffe, dass Sie bzw. Ihre Fraktionsmitarbeiter dort waren. Da ging es ganz speziell um die Vereinfachung der Anerkennung von ausländischen Abschlüssen.
Vor allem für Migranten aus nicht europäischen Staaten ist dies ein ganz wichtiges Thema. Viele Maßnahmen wurden bereits ergriffen, um eine verbesserte Förderung zu ermöglichen. In Zukunft wird es wahrscheinlich sinnvoll sein, mit einem Einheitlichen Ansprechpartner – darunter würde es bestens passen – zu einem Allkammernsystem zu kommen.
Darüber hinaus hat die Agentur für Arbeit inzwischen erhebliche Beratungs- und Fördermöglichkeiten zur Verfügung gestellt. Übereinstimmung bestand darin, dass mangelnde Deutschkenntnisse vieler Migranten ein wesentliches berufliches Handicap darstellen. Deshalb werden von der Agentur für Arbeit neben Integrationskursen auch berufsbezogene Sprachkurse angeboten. Hierfür werden in Baden-Württemberg im Moment 1 800 Plätze zur Verfügung gestellt.
Eine Anerkennungsberatung für Fachkräfte aus Nicht-EUStaaten wird inzwischen automatisch durchgeführt. Bei der Kompetenzerfassung durch die Agentur für Arbeit werden Berufsabschlüsse und Berufsfelder aufgeschlüsselt. Ab Dezember 2009 werden im Ausland erworbene Abschlüsse auch ohne Anerkennung systematisch erfasst.
Inzwischen gibt es in Stuttgart – das wurde bereits angesprochen – einen qualifizierten Anerkennungsberater, der gezielt von den Jobcentern eingeschaltet werden kann. Fragen von Ratsuchenden können direkt über eine Internetadresse der Arbeitsagentur eingegeben werden. Die Berater übernehmen nicht nur eine Lotsenfunktion oder begleiten die einzelnen Fälle, sondern es gibt darüber hinaus auch finanzielle Unterstützung für die Übersetzung von Zeugnissen, Abschlüssen bzw. für deren Nachweise.
Über das Berufsbildungsgesetz können Nachqualifizierungen und Fortbildungen vorgenommen werden. Die bereits angegangenen Aktivitäten werden im Moment weiter ausgebaut und entsprechend den Beschlüssen der Wirtschaftsministerkonferenz, die im Juni schon einmal über dieses Thema beraten hat, vorangetrieben.
Erfolgreiche Anlaufstationen waren, wie Sie wissen, die Otto Benecke Stiftung und das Projekt AQUA. Hier wurden zugewanderte Akademikerinnen und Akademiker umfangreich beraten. Es konnten insgesamt 30 000 Stipendien vergeben werden.
Bei aller Förderung von Arbeitnehmern bleibt festzuhalten, dass in Baden-Württemberg hohe Qualifikationsanforderungen vonseiten der Wirtschaft, aber auch von den Verbrauchern gestellt werden. Meine Damen und Herren, ein Chefarzt Friedl in Freiburg reicht. Auch die deutschen Standards müssen anscheinend manchmal etwas überprüft werden. Denn es gibt reglementierte Berufe, bei denen wir besonders darauf achten müssen, dass die Qualitätsanforderungen auf jeden Fall eingehalten werden.
Die Forderung der IHK, dass Gleichstellung kein Etikettenschwindel sein darf, muss ernst genommen werden. Arbeitnehmer, die beruflich dauernd überfordert werden, können sich an unseren Hochleistungsarbeitsplätzen auf Dauer nicht halten. Resignation und psychosomatische Störungen sind die Folge. Es ist darüber hinaus darauf zu achten – –
Sehr verehrte, liebe Frau Sitzmann, damit Sie es begreifen, möchte ich Ihnen eine kleine Geschichte aus meinem Leben erzählen.
Einer Bekannten, die Statistik nachholen wollte – das hat sie auch gemacht –, wurde ein promovierter polnischer Mathematiker empfohlen. Aber der war nicht in der Lage, eine einfache Formel aufzulösen. Da werden Sie nachvollziehen können, dass der gute Mann – –
Nein, nein. Die Hutu-Terroristen, die in Baden-Württemberg gelebt haben, hatten ja sofort einen ausgezeichneten Job. Sie hatten Deutschkenntnisse und waren auch Computerspezia listen.
Meine Damen und Herren, es ist darauf zu achten, dass wir die Marke „Made in Germany“ nicht beschädigen. Schlamperei und Nachlässigkeit sind bei uns auf allen Ebenen auf dem Vormarsch. Deshalb müssen wir unsere Mitbürger, die zugewanderten und die einheimischen Mitbürger, so ausbilden, dass sie auch Chancen haben und dass wir gemeinsam wirklich gute Produkte und Dienstleistungen für unsere Bürger entwickeln können, sonst sieht es demnächst für uns alle auf dem globalisierten internationalen Markt sehr schlecht aus.
(Abg. Karl Zimmermann CDU: Der freut sich über jeden südafrikanischen Wengerter! – Vereinzelt Hei- terkeit)
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema „Erleichterte Anerkennung ausländischer Qualifikationen“ ist wichtig.
Die Anerkennung und Beurteilung ausländischer Qualifikationen erleichtert die Gewinnung zusätzlicher Fachkräfte.
Aber zu der Befassung mit diesem Thema ist hier und heute Folgendes zu sagen: Wir werden das Problem allein von Baden-Württemberg aus nicht lösen können.