Protocol of the Session on November 4, 2009

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zu dem Staatsvertrag über die Einrichtung eines nationalen Mechanismus aller Länder nach Artikel 3 des Fakultativprotokolls vom 18. Dezember 2002 zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe – Drucksache 14/5277

Die Fraktionen sind übereingekommen, auf eine Aussprache zu verzichten.

Ich schlage vor, den Gesetzentwurf an den Ständigen Ausschuss zu überweisen. – Sie stimmen dem zu. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Ministeriums für Arbeit und Soziales – Beschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz zur zukünftigen Umsetzung der Trägerschaft des Sozialgesetzbuchs II (SGB II) – Drucksache 14/3108

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Frau Abg. Sitzmann das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen Antrag der Grünen-Landtagsfraktion vom Sommer 2008. Es handelt sich um ein sperriges, aber nichtsdestotrotz grundlegend wichtiges Thema. Es geht darum, wer zukünftig die Trägerschaft für das SGB II übernehmen soll.

Mit der Hartz-IV-Reform wurden in der Regel die Arbeitsgemeinschaften aus Arbeitsagentur und Kommune die zuständige Anlaufstelle für all diejenigen, die Arbeitslosengeld II und Unterstützung bei Unterkunftskosten erhalten. Der Grundgedanke, der hinter dieser Zuständigkeitsregelung für Arbeits

gemeinschaften stand, war, dass alle Hilfen aus einer Hand geleistet werden sollen – also der Leistungsbezug, die Vermittlung in den Arbeitsmarkt, aber auch die Betreuung bei anderen Fragen, seien es Wohnungslosigkeit, Sucht, Schulden oder anderes. Unseres Erachtens ist der Grundgedanke „alle Hilfen aus einer Hand“ noch heute richtig und wichtig.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 20. Dezember 2007 die Mischverwaltung aus Arbeitsagentur und kommunalen Trägern für teilweise verfassungswidrig erklärt. Seit diesem Zeitpunkt ist klar, dass es eine Neuregelung geben muss, und zwar bis Ende nächsten Jahres. Bis Ende des Jahres 2010 muss also eine Neuregelung auf den Weg gebracht werden.

Die schwarz-rote Bundesregierung hat es nicht vermocht, sich zu einigen. Deshalb steht eine Neuregelung noch heute aus. Das ist nicht ohne Konsequenzen vor Ort geblieben, weil die Unsicherheit in den Arbeitsgemeinschaften darüber, wie es weitergeht, sehr groß war. Das hat sich auch – in Form einer hohen Fluktuation – negativ auf die Situation der Beschäftigten sowie auf die Betroffenen und deren Bedürfnis nach Betreuung und Beratung ausgewirkt.

In Baden-Württemberg haben wir 28 Arbeitsgemeinschaften. Diese betreuen einen Großteil der Menschen, die auf Arbeitslosengeld II und auf weitere Unterstützung angewiesen sind. Wir müssen heute leider davon ausgehen, dass im Zuge der Wirtschaftskrise die Zahl der Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, steigen wird.

Vor diesem Hintergrund finden wir es besonders verantwortungslos, dass es bis heute keine Klarheit über die Zukunft der Arbeitsgemeinschaften gibt. Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz hat sich im Juli 2008 getroffen – das war auch der Anlass für unseren Antrag, über den wir heute debattieren – und hat damals den einstimmigen Beschluss gefasst – einstimmig heißt, dass auch Sie, Frau Ministerin Stolz, damals zugestimmt haben –, dass das Grundgesetz dahin gehend geändert werden soll, dass die ARGEn auch weiterhin Bestand haben. Dieser Beschluss wurde nicht umgesetzt. Schon damals – nach diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sowie auch während der weiteren Debatten – war die Grünen-Landtagsfraktion davon überzeugt, dass Stadt- und Landkreise möglichst weitgehende Kompetenzen bei der Betreuung und Vermittlung von arbeitslosen Menschen brauchen. Es hat sich auch gezeigt, dass die Arbeit der fünf Optionskommunen hier im Land durchaus erfolgreich war, dass also diese Hilfen aus einer Hand auf der kommunalen Ebene gut angesiedelt sind.

Nun ist es so: Wir sind uns wohl einig, dass der Gedanke „alle Hilfen aus einer Hand“ der richtige ist. Wir sind uns wohl auch darin einig, dass die Kommunen und die Länder bei der aktiven Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit eine wichtige Rolle spielen sollen. Zumindest haben Sie, Frau Ministerin, das so in Ihrer Stellungnahme zu unserem Antrag ausgeführt. Dass Zentralismus verhindert werden soll, dass wir dezentrale Verantwortung brauchen, all das waren die Gründe, warum Sie dem Kompromiss, nämlich das Grundgesetz zu ändern, damals zugestimmt haben.

Außerdem haben Sie noch ausgeführt, dass mit diesem Beschluss auch das Modell der damaligen Bundesregierung, das sogenannte kooperative Jobcenter, verhindert werden kann.

Wenn wir uns jetzt allerdings anschauen, was im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP für die kommende Legislaturperiode steht, dann finden wir darin, dass jetzt eine Grundgesetzänderung abgelehnt wird und stattdessen die Aufgabenwahrnehmung in Zukunft getrennt stattfinden soll. Damit rückt die Bundesregierung genau von dem Grundsatz ab, den Sie, Frau Ministerin, die Landesregierung und auch wir für richtig halten, nämlich alle Hilfen aus einer Hand anzubieten.

Für uns ist die getrennte Aufgabenwahrnehmung die schlech teste aller Varianten.

(Beifall bei den Grünen)

Die ARGEn werden damit aufgelöst, meine Damen und Her ren, und wenn wir uns an das kooperative Jobcenter erinnern – das war ein Vorschlag vom Februar 2008 –, dann fällt auf: Das, was jetzt geplant ist, hätten Sie im Februar 2008 auf Bundesebene schon längst haben können, meine Damen und Her ren.

Für uns Grüne ist klar: Wir können uns mit dem, was jetzt geplant ist, nicht zufriedengeben. Deshalb haben wir einen Änderungsantrag eingebracht, der Ihnen vorliegt, der erstens begehrt, die Landesregierung zu ersuchen, im Bundesrat darauf hinzuwirken, dass möglichst bald eine neue gesetzliche Grundlage bezüglich der Trägerschaft des Sozialgesetzbuchs II geschaffen wird. Ende 2010 läuft die Frist ab.

Wir wollen zweitens, dass der dauerhafte Bestand der bisherigen Optionskreise auf jeden Fall gesichert sein muss

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das will unser Mo- dell auch!)

und dass die Begrenzung auf 69 verschwinden muss. Alle, die das wollen, alle Stadt- und Landkreise müssen die Aufgabe wahrnehmen können.

Drittens wollen wir schließlich in Bezug auf die am 6. November anstehende Bundesratssitzung, dass einer weiteren Absenkung des Bundesanteils an den Kosten der Unterkunft nicht zugestimmt wird. 2007 hat eine Kommune in BadenWürttemberg noch 35,2 % der Kosten der Unterkunft vom Bund erstattet bekommen, 2010 sollen es nur noch 27 % sein. Dieser Absenkung zulasten der Kommunen können wir auf keinen Fall zustimmen. Dazu hoffen wir auf Ihre Unterstützung.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Wolf für die Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Jede Initiative, die sich mit der Verbesserung der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen auseinandersetzt, ist gut und richtig. Liebe Kollegin Sitzmann, wenn diese Initiative zu einem Zeitpunkt kommt, zu dem Handlungsdruck vorhanden ist, weil das Bundesverfassungsgericht – Sie haben zu Recht darauf hingewiesen – deutlich gemacht hat, dass das, was es bislang gibt, nämlich die ARGEn, der Verfassung nicht entspricht, dann sind wir, denke ich, gut beraten, auch in diesem Haus unseren Beitrag dazu

zu leisten, dass wir jetzt hinsichtlich der Zuständigkeit für die Vermittlung von Langzeitarbeitlosen schnellstmöglich zu klaren Verhältnissen kommen.

Diese schnelle Entscheidung ist im Sinne der langzeitarbeitslosen Menschen geboten. Sie haben es verdient, dass man ihnen mit den besten zur Verfügung stehenden Instrumenten eine entsprechende Perspektive bietet. Aber die Schnelligkeit im weiteren Verfahren ist auch geboten, um den Bediensteten in den ARGEn, in den Optionskommunen Sicherheit im Hinblick auf ihren Arbeitsplatz zu gewährleisten. Deswegen ist jetzt schnelles Handeln angesagt.

Zweiter Punkt: Die bisherige Situation, in der sich die Optionskommunen einerseits und die ARGEn oder die getrennten Aufgabenträger andererseits in einem Wettbewerb befunden haben, habe ich als positive Entwicklung wahrgenommen, weil es gerade in diesem Bereich nur gut sein kann, wenn sich unterschiedliche Behörden und Institutionen aufgerufen fühlen, im Wettbewerb mit anderen möglichst gut zu sein, sprich möglichst effizient zu vermitteln.

Drittens: Bei jeder künftigen Lösung – es muss künftig eine verfassungsgemäße Lösung geben – muss darauf geachtet werden, dass sie einen möglichst starken kommunalen Anteil beinhaltet, möglichst viel Kommune und möglichst wenig Agentur für Arbeit.

(Beifall des Abg. Christoph Palm CDU)

Das sage ich nicht als Kritik an der Agentur für Arbeit. Das sage ich, weil es bei der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen darauf ankommt, dass man auf Instrumente zurückgreift, die originär und in erster Linie in der Hand der Kommunen liegen. Wenn immer wieder die Kritik kommt, dass die Vermittlung von arbeitslosen Menschen nicht lokal und auf dem Gebiet eines Landkreises bewerkstelligt werden könne, dann halte ich dem entgegen: Wenn es um die Vermittlung von langzeitarbeitslosen Menschen geht, dann habe ich, wenn überhaupt, nur vor der eigenen Haustür eine Chance.

Das unterstreicht die Bedeutung der Kommunen in diesem Zusammenhang. Darum sage ich: Bei jeder künftigen Lösung muss darauf geachtet werden, dass sie möglichst viel Kommune und möglichst wenig Agentur für Arbeit beinhaltet, wenn es darum geht, Langzeitarbeitslose zu vermitteln.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Nun steht in dem Koalitionsvertrag – das ist eine deutliche Verbesserung gegenüber dem, was vorher auf dem Tisch lag –

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das steht garantiert nicht drin!)

doch, liebe Frau Kollegin Haußmann; wer lesen kann, ist im Vorteil –,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU – Beifall des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

dass der Bestand der 69 Optionskommunen dauerhaft gesichert werden soll, dass sie entfristet werden. Damit haben wir dieses kommunale Instrument dauerhaft gesichert, und der Wettbewerb bleibt bestehen.

(Zurufe der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE und Ursula Haußmann SPD)

Das ist eine große Errungenschaft im Koalitionsvertrag.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf von der FDP/DVP: Prima!)

Aber, Frau Kollegin Haußmann und Frau Kollegin Sitzmann, ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es darüber hinaus gelingt, weitere Optionskommunen zu erreichen. Wir werden das – da sind wir ehrlich – nicht im Zuge einer Verfassungsänderung bekommen. Die war zu Zeiten der Großen Koalition nicht durchsetzbar, und die wird man jetzt erst recht nicht erreichen. Deswegen – es gibt Ansätze – muss es gelingen, einfachgesetzliche Regelungen zu schaffen, um die Zahl der Optionskommunen zu erweitern und denen, die optieren wollen, diese Möglichkeit einzuräumen. Wir sollten nicht so tun, als ob deutschlandweit jeder Stadtkreis und jeder Landkreis diese Aufgabe zwingend annehmen wolle. Das ist nicht der Fall.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Genau!)

Das wird in Mecklenburg-Vorpommern völlig anders gesehen als bei uns. Deswegen sollten wir jetzt nicht den Versuch unternehmen, eine einheitliche Regelung über das ganze Land zu stülpen. Vielmehr muss die Perspektive sein, Wettbewerb zu ermöglichen, die Anzahl von 69 Optionskommunen einfachgesetzlich zu erweitern. Dem steht der Koalitionsvertrag nicht entgegen.

Ein Letztes – das vermisse ich in Ihrem Antrag; deswegen haben wir, auch wenn wir im Ziel, liebe Kollegin Sitzmann, in vielem einig sind, mit unserem Änderungsantrag einen anderen Weg aufgezeigt –: Wir dürfen unser Augenmerk nicht nur auf die Optionskommunen richten. Es muss uns auch darum gehen, denen, die diese Aufgaben künftig in getrennter Aufgabenträgerschaft übernehmen wollen, einen Kooperationsvertrag zu ermöglichen, der einen maximalen Anteil an kommunaler Verantwortung und Kompetenz zulässt. Deswegen sind wir dafür, Optionen zu entfristen, einfachgesetzliche Erweiterungsmöglichkeiten zu schaffen und denen, die sich für getrennte Aufgabenträgerschaft entscheiden oder entscheiden müssen, ein Maximum an kommunaler Verantwortung zu ermöglichen. Das sind wir den Menschen schuldig, die darauf warten, dass wir ihnen eine Perspektive bieten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Der Landrat hat gesprochen!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hausmann für die Fraktion der SPD.