Das Urteil klärt nun, wie hier in Deutschland die Aufgaben an die Eigentümerversammlung und an die Hausverwaltung abgegeben werden dürfen. In der Wohnung Deutschland gibt es noch die Besonderheit, dass es 16 unabhängige Zimmer mit eigenständigen Aufgaben und mit selbstbewussten Bewohnern gibt.
Welche Folgerungen hat das Lissabon-Urteil für uns in der Landespolitik? Das Bundesverfassungsgericht stärkt die Volks vertretungen auf Bundesebene. Auf den Punkt gebracht: Wenn bislang nationale Kompetenzen auf Europa verlagert werden sollen, muss zwingend die Volksvertretung mitsprechen. Was das Bundesverfassungsgericht für die Bundesebene vorschreibt, muss, meine Damen und Herren, analog auf Landesebene gelten, wenn es um unsere Landeskompetenzen geht, z. B. in der Bildungspolitik oder im Bereich der inneren Sicherheit.
Bereits heute haben wir im Landesrecht Instrumentarien dafür. Seit 1995 gibt es einen Artikel 34 a der Landesverfassung und in den Ausführungsbestimmungen eine Vereinbarung zwischen Landesregierung und Landtag, in der das Zusammenspiel, die Beteiligung des Parlaments, geregelt ist. Ich sage Ihnen für die CDU: Wir müssen dies nach der Änderung des Begleitgesetzes überprüfen und gegebenenfalls in Anpassung an die neue Rechtslage fortentwickeln.
Herr Minister Dr. Reinhart hat heute schon in einem Interview seine Position dargelegt. Herr Minister, ich stimme Ihnen zu. Ebenso wenig wie die Landesregierung die Bundesregierung gängeln will – so haben Sie es formuliert –, wollen wir, der Landtag, die Landesregierung gängeln. Baden-Württemberg und Deutschland müssen in Europafragen schlagkräftig und handlungsfähig sein.
Klar ist auch: Im Bundesrat sind die Landesregierungen vertreten. Aber die Aufgaben des Bundesrats sind im Wandel, meine Damen und Herren. Die Väter des Grundgesetzes
und die Mütter – gingen noch davon aus, dass es um die reine Beteiligung an der Bundesgesetzgebung geht. Mittlerweile ist der Bundesrat zunehmend auch mit der Frage der Übertragung von Ländergesetzgebungskompetenzen auf die europäische Ebene befasst.
Herr Minister, ich darf erneut aus dem Interview, das Sie gegeben haben, zitieren. Wir sind Ihnen für Ihre klare Aussage sehr dankbar. Sie sagen heute in den „Stuttgarter Nachrichten“:
In Zukunft müssen die deutschen Volksvertretungen in die Abläufe eingebunden werden, bevor weitere Gesetze beschlossen werden, die dann uns als Bürger betreffen.
Genau darum geht es. Dort, wo es um die Übertragung von originären Landeskompetenzen nach Europa geht, muss das Gesetzgebungsorgan des Landes – das ist der Landtag – ein Mitwirkungsrecht haben.
Meine Damen und Herren, im Anschluss an die Änderung des Begleitgesetzes muss das Mitwirkungsverfahren – ich habe es eben schon genannt – auf Landesebene überprüft und gegebenenfalls auch angepasst werden. Es geht um die Frage der Form – reicht eine solche Vereinbarung aus, oder brauchen wir ein Gesetz? –, und es geht insbesondere auch um die Frage der Inhalte. Bei den Inhalten werden wir von der CDU die Bewertung am Grundsatz der Subsidiarität – Herr Kollege Walter, das wird Ihnen nicht passen, aber das ist so – ausrichten.
Wir sind bereit, der Europäischen Union Kompetenzen dort zu geben, wo die nationale Ebene zu klein ist, z. B. im Bereich der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Was jedoch vor Ort erledigt werden kann – auf Landesebene oder kommunaler Ebene –, muss auch weiterhin hier bei uns vor Ort erledigt werden.
Ich darf in diesem Zusammenhang Herrn Landtagspräsidenten Straub zitieren. Er hat vor einigen Wochen dem Europaausschuss in dieser Frage ausdrücklich eine Wächterfunktion zugeschrieben.
Ich sage: Diese Funktion werden wir wahrnehmen. BadenWürttemberg wird im großen Haus Europa weiter verantwortungsvoll und konstruktiv mitarbeiten, und der Landtag wird sich daran aktiv beteiligen.
(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Hel- mut Walter Rüeck CDU: Das hat der Landtagspräsi- dent gesagt?)
Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat ein wichtiges Urteil gesprochen. Der Lissabon-Vertrag ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Deutschland ist kein Hinderungsgrund für ein kräftiges und demokratisches Europa. Das wollte es auch nie sein. Der Weg ist frei dafür, den LissabonVertrag in Europa umsetzen zu können. Von diesem Urteil geht ein wichtiges Signal aus: Die Europa zugewandte Politik der Bundeskanzler Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder kann fortgesetzt werden.
Die Intentionen der Kläger waren gegen Europa gerichtet. Gleichwohl ist mit den Auflagen zum Begleitgesetz klarge
stellt, dass es als Folge der Klage zu einem besseren, weil demokratisch stärker legitimierten Europa kommt.
Zwei Gedanken möchte ich heute aufzeigen. Erstens: Wie bewerten wir das Urteil? Zweitens: Was sind die Folgen für Baden-Württemberg?
Wie bewerten wir das Urteil? Der Parlamentarismus ist insgesamt gestärkt. Zwar sagt das Urteil, es geht um die nationalen Parlamente, also Bundestag und Bundesrat. Insofern hat der Antrag der SPD auch eine Klarheit gebracht, die heute mitverhandelt wird. Es ist nicht so, dass der Landtag, wie es Herr Präsident Straub in seiner ersten Reaktion noch gehofft und aus dem Urteil abgeleitet hatte, in seinen eigenen Rechten gestärkt ist. Aber wir im Landtag – das hat Herr Kollege Blenke gerade angesprochen – können im Binnenverhältnis zur Landesregierung an den erweiterten Rechten partizipieren. Artikel 34 a der Landesverfassung in Verbindung mit der Vereinbarung zwischen Landtag und Landesregierung regeln eine zeitnahe Unterrichtung und Stellungnahme des Landtags. Hier wollen wir ansetzen, denn wir sind sehr daran interessiert und wirken gerne mit, wenn entsprechend der Rechtslage auf Bundesebene auch eine Überprüfung unserer Rolle als Landtag ansteht.
Das ist der erste Gedanke zur Bewertung des Urteils. Wir haben eine Stärkung der Parlamente, vorrangig der nationalen. Wir können aber über die Binnenregelung im Land daran partizipieren, und wir wollen auch daran partizipieren.
Der zweite Gedanke zur Bewertung: Das Gericht hat in Bezug auf das Spannungsverhältnis zwischen Staatenbund und Bundesstaat gesagt: Es ist ein Staatenbund, und sofern das so ist, kann das Europäische Parlament nicht an die Stelle der nationalen Parlamente treten, zumal wenn zukünftig noch mehr Mehrheitsentscheidungen in Straßburg und Brüssel anstehen.
Im Maastricht-Urteil war übrigens ein anderer Trend angegeben. Man hat gesagt, es gehe allmählich hin zu einer bundesstaatlichen Qualität. Das ist heute für das Bundesverfassungsgericht offenbar nicht mehr leitend gewesen. Man sieht auch, dass hier sozusagen der Zeitgeist ein Stück weit mitspielt. Ich sage aber auch – Herr Minister, darüber werden wir uns hier vielleicht einmal im Grundsätzlichen, auch wenn es nur ein sehr mittlerer Horizont ist, unterhalten müssen –: Ein Europa der Regionen suggeriert natürlich immer auch ein Stück weit eine bundesstaatliche Qualität. Deswegen wird insgesamt nicht die Trompetenfanfare erklingen, der Nationalstaat sei gesichert, sondern es wird schon auch darüber zu reden sein, wie wir uns in mittlerer Frist ein Europa politisch vorstellen können. Die Nationalstaaten waren ja durchaus nicht immer das prägende Moment, wenn man an die vorigen Jahrhunderte denkt.
In der Summe: Das Ganze ist kein Urteil gegen Europa, sondern es ist ein Urteil für die parlamentarische Demokratie. Das ist auch gut so.
Das griesgrämige Nachkarten einiger „Elder Statesmen“, das man so gehört hat – ich nenne keine Namen –, stellt die exekutive vor die legislative Funktion. Das ist, denke ich, in der jetzigen Situation nicht richtig. Denn Europa braucht eine Begründung von unten, es braucht eine Legitimation. Diese Le
gitimation gibt es nicht allein in Straßburg, sondern die gibt es auch in Berlin, und auch in Stuttgart muss diese Legitimation errungen werden.
Damit komme ich zum Dreh- und Angelpunkt der Sache. Wir werden über Abwehrrechte zu sprechen haben – darüber reden am liebsten die Kolleginnen und Kollegen der CDU –, nämlich dort, wo wir eine originäre Zuständigkeit haben. Da sind wir dabei. Dort werden wir auch darauf achten müssen, dass diese originären Zuständigkeiten erhalten werden und wir dort mitreden können, wo sie mit uns abgesprochen werden sollen – und sei es nur durch faktisches politisches Handeln.
Es gibt aber auch dort Mitwirkungsrechte, wo es europäische Vorhaben gibt. Dazu hat das Gericht auch etwas gesagt. Deswegen reicht für europäische Politik auch hier im Landtag von Baden-Württemberg das Wort Subsidiarität allein nicht mehr aus. Hier geht es darum, dass der Landtag nicht mehr vorrangig eine Bühne ist, auf der gesagt werden kann, was man nicht will, sondern dass er eine Bühne ist, die dazu dient, zu sagen, was man will. Um diesen Mentalitätswechsel geht es.
Damit bin ich bei der zweiten Frage, nämlich der, was wir bewegen können und sollen. Ich erkläre das in Stichworten. Der bisherige Entwurf zum Begleitgesetz ist nicht mehr ausreichend, obwohl er seit 2005 auf die Integrationsverantwortung des Bundestags ausgelegt war. Jetzt geht es darum, die parlamentarischen Rechte zu stärken, aber auch die Bundesregierung handlungsfähig zu machen. Das wird die Auseinandersetzung in den kommenden Wochen sein.
Jetzt sage ich an die Adresse der Kollegen von der CDU: Wir erwarten, dass sich die CDU Baden-Württemberg von der verbalen Kraftmeierei ihrer Schwesterpartei CSU distanziert und auch klar sagt, dass sie mit den ständigen bayerischen Profilierungsversuchen auf dem Rücken Europas nicht einverstanden ist und dass das Interesse Deutschlands ein anderes ist.
Der Ball liegt da bei Ihnen, Herr Minister. Sie sind gefordert, in den nächsten Wochen in Ihren Reihen die Situation hinzubekommen. An uns wird es nicht liegen.
Für die SPD lauten die Konsequenzen – das habe ich bereits gesagt –, dass es – das wurde mit dem Antrag geklärt – aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine eigenen Rechte für den Landtag gibt. Wir wollen aber, dass sich alle Ausschüsse im Landtag von Baden-Württemberg – auch die Fachausschüsse – künftig mehr mit Europa beschäftigen. Die Art des Herangehens an die europäische Politik wird eine andere werden müssen. Wir führen hier eine Sichtung durch, aber nicht allein im Sinn der Wächterfunktion. Vielmehr führen wir eine Sichtung im Sinn der Mitwirkungsfunktion durch. Das möchte ich hier noch einmal klargestellt haben. Deswegen ist es wichtig, dass wir hier im Landtag zu einer poli
tischen Einschätzung darüber kommen, wie die Wechselwirkungen zwischen Europa, nationaler Ebene und regionaler Ebene sind. Wir werden über mehr reden müssen als nur über das Abwehren.
Wir glauben, Herr Minister, dass die Formulierungen zum Thema „Zustimmungsgesetze im Bundesrat“ in Ihrer Stellungnahme richtig sind. Das gilt für den Bereich der Rechtspolitik und wird auch für die Bereiche der Sozialpolitik und der Arbeitsmarktpolitik gelten.
Die Flexibilitätsklausel ist das zweite Stichwort, über das man wird reden müssen. Dies betrifft die Bereiche, in denen es keine detaillierte europäische Gesetzgebung gibt, sondern Vorhaben nur über Grünbücher und Weißbücher eingebracht werden. Dieses Thema wird uns weiter verfolgen. Ich sage noch einmal an dieser Stelle: Nicht Abwehr, sondern Mitwirkung ist das Gebot der Stunde.
Die Notbremse – das dritte Stichwort, über das wir diskutieren müssen – wird sparsam, aber auf jeden Fall „waffenscharf“ einzuführen sein.