Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, wir hätten nun erwartet, dass Sie in einer öffentlichen Debatte im Landtag klar zum Ausdruck bringen, welchen Forderungen sie hier zustimmen können, zumal das ja auch im Mittelpunkt der künftigen Bildungspolitik in diesem Land ste
hen soll. Sie hätten sagen können: „Mit dieser oder jener Forderung kommen wir klar; da können wir zustimmen.“ Ich hätte durchaus auch Verständnis geäußert, wenn Sie einige der Forderungen nicht hätten unterstützen können. Das liegt in der Natur des Verhältnisses zwischen Regierung und Opposition. Aber dass Sie nun daherkommen und einen Wischiwaschi-Änderungsantrag vorlegen,
in dem im Grunde nur nichtssagende Äußerungen gemacht werden – der Änderungsantrag hat lediglich die Funktion, eine Abstimmung über unsere beiden Anträge im Landtag zu verhindern –, das finde ich billig, und ich finde es dem Thema gegenüber absolut unangemessen.
Das wird auch nicht dazu führen, dass wir als Landtag in einer öffentlichen, kritisch-konstruktiven Diskussion zur Ergebnisfindung in der Öffentlichkeit positiver wahrgenommen werden. Sie müssen schon eine klare Position dazu vertreten, welche dieser Forderungen Sie zu unterstützen bereit sind und an welchen Punkten Sie hierbei Probleme haben.
Deswegen möchte ich hier einfach einmal Folgendes ganz klar sagen: Kultusminister Rau hat auch gesagt, er wolle, dass mehr Lehrer mit Migrationshintergrund an den Schulen unterrichten. Bei einem Migrationsanteil unter den Schülerinnen und Schülern von 33 % haben in Baden-Württemberg weniger als 1 % der Lehrer einen Migrationshintergrund. Das muss man sich überlegen: weniger als 1 %! Dabei wissen wir genau, wie wichtig es für diese Kinder ist, dass sie auch Vorbilder mit ähnlichem kulturellem Hintergrund haben, die auch wissen, wie es ist, in zwei Kulturen zu leben, die denselben sprachlichen Hintergrund haben und daher besonders gut geeignet sind, diese Kinder zu fördern.
Nun haben wir einen Antrag gestellt, mehr Migrantinnen und Migranten für das Lehramt zu gewinnen. Wir haben darin Forderungen formuliert, und ich frage Sie: Wieso können Sie diesen Forderungen nicht zustimmen, z. B. der Forderung, eine groß angelegte Werbekampagne an Schulen und Hochschulen zu starten, um junge Menschen mit Migrationshintergrund für den Lehrerberuf zu gewinnen?
(Abg. Andrea Krueger CDU: Weil wir es schon ma- chen! – Gegenruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: „Weil wir es schon machen!“ Das ist doch albern!)
Weshalb wollen Sie für Abiturientinnen und Abiturienten mit Migrationshintergrund kein Stipendienprogramm auflegen? Weshalb werben Sie nicht systematisch bei den Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschülern für ein Lehramtsstudium?
Zum Zweiten haben wir den Antrag „Chancen für BadenWürttemberg nutzen – Integration durch Bildung“ vorgelegt.
Wieso können Sie dem Antrag nicht zustimmen, in unserem Bildungswesen ein neues Leitbild zu entwickeln,
das die Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Kindern als Chance versteht, dass wir es als Reichtum in unserer Gesellschaft empfinden, dass wir Kinder aus verschiedenen Kulturkreisen haben, die wir in unserem Bundesland integrieren und deren Vielfalt wir auch als Markenzeichen unseres Bildungswesens wahrnehmen, und dass wir auch die Sprachen als Reichtum betrachten?
Selbst Ministerpräsident Oettinger hat vor wenigen Wochen wieder betont: Wir wollen mehr Türkisch als Fremdsprache an den Schulen. Wieso können Sie dann diesem Antrag nicht zustimmen?
Drittens: Wieso stimmen Sie nicht unserem Antrag zu, dass wir Sonderpädagogen an den Schulen einsetzen, die insbesondere auch Kinder mit Migrationshintergrund anhand von Diagnosen gezielter fördern, anstatt sie auf Förderschulen für Lernbehinderte auszusortieren? Ich möchte Ihnen hier einfach einmal die Information geben: Von den türkischen Kindern sind 8,1 % an den Sonderschulen für Lernbehinderte. Von den italienischen Schülerinnen und Schülern in der fünften Klasse sind 11,4 % an den Sonderschulen für Lernbehinderte. Von den deutschen Kindern sind es 2 %. Wieso stimmen Sie dann nicht zu, dass wir auch Sonderpädagogen oder Förderlehrer an den Grundschulen einstellen, damit diese Kinder dort besser gefördert werden können?
(Beifall bei den Grünen – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Wieso nicht? – Zuruf des Abg. Karl Zim- mermann CDU)
Ich möchte Ihnen noch ein weiteres Beispiel geben. Wieso stimmen Sie dem Antrag nicht zu, dass die Muttersprachen der Schülerinnen und Schüler schrittweise und bedarfsorientiert in das Regelangebot der Schulen integriert werden sollen, u. a. auch im Rahmen der Ganztagsschule?
Ich habe gerade erwähnt: Auch Ministerpräsident Oettinger sagt, wenn er im Land ist: Es wäre doch nicht schlecht, mehr Türkisch-Angebote an den Schulen zu haben.
Deshalb bleibe ich dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ihr Antrag hat nur die Funktion, eine Abstimmung zu verhindern und ein Eingestehen, dass einige dieser Forderungen für Sie auch akzeptabel wären, zu vermeiden. Das finde ich wirklich bedauerlich. Ich fordere Sie auf, künftig Ihr Verhalten diesbezüglich zu ändern. Ich fordere Sie auch auf, sich diesen Forderungen zu stellen, auf diese Forderungen einzugehen und sie an Ihre Regierung zu richten. Es kann nicht sein, dass man verkündet, man mache es zum Schwerpunkt, aber dann, wenn
es tatsächlich um das konkrete Aufgreifen von Forderungen geht, im Landtag alles abbügelt. Das ist keine positive Auseinandersetzung im Landtag. Deshalb werden wir unsere Forderungen aufrechterhalten, auch wenn Sie unsere Anträge heute von der Abstimmung fernhalten, weil Sie sich weigern, abzustimmen.
Wir bleiben bei unseren Forderungen. Beim Thema „Förderung von Schülern mit Migrationshintergrund“ werden Sie sich auch mit weiteren Anträgen vonseiten unserer Fraktion beschäftigen müssen. Sie glauben doch nicht etwa, dass wir, weil Sie sich weigern, über unsere Anträge abzustimmen,
Wir wollen hier in Baden-Württemberg ein gerechtes Bildungswesen mit gerechten Bildungschancen für alle Kinder. Dabei bleiben wir auch künftig.
(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Gute Frau! – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Die hat es jetzt schwer! – Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Da bin ich jetzt ge- spannt! – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Jetzt wollen wir aber klare Antworten! – Gegenruf von der CDU: Zuhören!)
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Leider habe ich nur eine halb so lange Redezeit wie die Kollegin Rastätter. Deswegen werde ich nicht alle Einzelfragen beantworten.
Ich will einmal mit etwas anfangen, was leicht übersehen wird: Bei aller Verbesserungswürdigkeit und -fähigkeit der schulischen Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, über die wir uns, glaube ich, nicht zu streiten brauchen, muss man eines auch sagen: Für sehr viele dieser Kinder, vor allem für viele Mädchen, bietet unser Bildungswesen schon heute sehr viel mehr Chancen, als diese je in ihrem Heimatland gehabt hätten
(Beifall bei der CDU – Lebhafte Zurufe von der SPD und den Grünen, u. a. Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Was ist das für ein Vergleich? – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Das hat doch nichts mit dem Lehramt zu tun! – Abg. Ute Vogt SPD: Ihnen ist schon klar, dass deren Heimatland jetzt hier ist!)
gemach, gemach; nicht aufregen! –, und sie nutzen diese Chancen auch tatsächlich, liebe Frau Kollegin Mielich.
dass die absolute Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die in Baden-Württemberg zu höheren Bildungsabschlüssen gelangen, seit Jahren kontinuierlich ansteigt. Das können Sie übrigens in der Antwort auf Ihre Große Anfrage nachlesen.
Trotzdem – auch das ist ganz klar –: Wir sind von einer angemessenen Bildungsteilhabe noch weit entfernt, gar keine Frage. Aber man muss auch die Frage nach den Ursachen dieser Situation stellen.
Da sind zunächst einmal als eine Ursache ganz unschwer die mangelnden Deutschkenntnisse auszumachen. Solide Deutschkenntnisse sind nun einmal das A und O für eine gelingende Bildung und Integration in Baden-Württemberg, und das eben vor der türkischen Sprache.
(Zurufe von der SPD und den Grünen, u. a. Abg. Re- nate Rastätter GRÜNE: Dann muss man fördern! – Abg. Gunter Kaufmann SPD: Peinlich! – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)
In Kenntnis dessen hat die Landesregierung, gestützt durch die Regierungsfraktionen – das ist hier schon heute Morgen von Herrn Staatssekretär Wacker und auch vom Kollegen Schebesta ausführlich dargestellt worden –, Sprachscreenings und Sprachförderung flächendeckend ausgeweitet. Daher will ich an dieser Stelle nicht mehr detailliert darauf eingehen. Der Weg als solcher – ich glaube, da sind wir uns sogar einig – ist richtig. Wir werden ihn weitergehen und ihn weiter ausbauen.