Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! In vielen Bundesländern gibt es regionale Analysen über die Armuts- und Reichtumsentwicklung und die Entwicklung der sozialen Situation von Familien. In Baden-Württemberg gibt es eine solche Berichterstattung nicht. Weshalb – das ist die spannende Frage – lehnt die Landesregierung die Erstellung eines solchen Berichts für Baden-Württemberg seit Jahren vehement ab, obwohl von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden ein solcher Bericht schon seit Langem mit großer Regelmäßigkeit eingefordert wird?
Es kann wohl kaum an den Kosten von angeblich 300 000 bis 350 000 € liegen, die die Landesregierung in ihrer Stellungnahme zu einem Antrag aus dem Jahr 2006 für die Erstellung eines solchen Berichts veranschlagt hat. Angesichts der Großzügigkeit, mit der die Landesregierung bereit ist, klammen Adelshäusern, die selbst bei großzügigster Betrachtungsweise nicht als armutsgefährdet zu bezeichnen sind, finanziell unter die Arme zu greifen, kann dieses Kostenargument nur vorgeschoben sein.
Die Weigerung der Landesregierung, einen Bericht über die Armuts- und Reichtumsentwicklung in Baden-Württemberg zu erstellen, geht vielmehr darauf zurück, dass die Landesregierung Angst vor unangenehmen Wahrheiten hat,
Eine der unangenehmen Wahrheiten, denen sich die Landesregierung in einem solchen Bericht stellen müsste, wäre nämlich die hohe Armutsgefährdung von kinderreichen Familien, von ausländischen Familien und vor allem von alleinerziehenden Frauen. Über diese Armutsgefährdung gibt es in der Fachwelt nicht den geringsten Zweifel. Darauf will ich jetzt im Besonderen eingehen.
Ich zitiere aus dem Familienreport 4/2008 der Familienwissenschaftlichen Forschungsstelle des Statistischen Landesamts zur ökonomischen Lage von Familien:
Die größte Armutsgefährdung für Familien ist die fehlende Erwerbsbeteiligung der Eltern. Insbesondere für Alleinerziehende ist es häufig schwierig, Familie und Beruf zu vereinbaren.
Wie schwierig es für Alleinerziehende in Baden-Württemberg ist, Beruf und Familie zu vereinbaren, wird im Familienreport ebenfalls deutlich. Ich erlaube mir nochmals ein Zitat:
Alleinerziehende in Baden-Württemberg sind zwar häufiger erwerbstätig als im Bundesdurchschnitt, aber sie sind es in deutlich geringerem Umfang. In Baden-Würt temberg arbeiten 36 % der erwerbstätigen alleinerziehenden Mütter in Vollzeit, bundesweit geht etwa jede Zweite einer Vollzeitbeschäftigung nach (54 %). …
Die höhere Armutsgefährdung von Kindern alleinerziehender Mütter in Baden-Württemberg (gemessen am Lan- desmedianeinkommen) könnte demnach auch damit zusammenhängen, dass Alleinerziehende hier zwar häufiger, aber offensichtlich weniger umfangreich erwerbstätig sind als im Bundesgebiet …
Das hat natürlich Ursachen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das liegt nach wie vor am unzureichenden Kinderbetreuungs angebot, vor allem für Kinder unter drei Jahren und im Bereich der Ganztagsbetreuung. Die Folgen sind für alleinerziehende Frauen in Baden-Württemberg fatal. Hier müssen wir endlich ansetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Die Zahlen, die uns das Statistische Landesamt für das Jahr 2006 – nachzulesen im Statistischen Monatsheft 6/2008 – unter der Überschrift „Kinderarmut – auch in Baden-Württemberg?“ mitgeteilt hat, sind wirklich alarmierend und dürfen niemanden in diesem Haus zu zufriedenem Zurücklehnen veranlassen. Wenn bundesweit 35 % aller minderjährigen Kinder alleinerziehender Mütter in wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen leben – das heißt, ihr Einkommen beträgt nur 60 % des Durchschnittseinkommens aller Haushalte oder weniger –, dann ist schon das eine bedrückende Zahl. Noch bedrückender ist jedoch die Zahl für Baden-Württemberg. Im vergleichsweise reichen Land Baden-Württemberg leben 45 % aller minderjährigen Kinder alleinerziehender Mütter in wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen. Das zeigt, wie weit wir
Nun versucht die CDU in einem eilig für diese Plenardebatte nachgeschobenen Antrag, diese Zahlen zu kaschieren, indem sie argumentiert, diese Zahlen seien nicht aussagekräftig,
weil das Einkommen der Alleinerziehenden in Baden-Würt temberg mit dem Durchschnittseinkommen in Baden-Würt temberg verglichen werde. Vergleiche man es mit dem Einkommen im Bundesdurchschnitt, dann sei die Armutsgefährdung geringer. Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es wird Ihnen nicht gelingen, durch solche Zahlenspielereien Armut in Baden-Württemberg wegzudefinieren.
Armut ist auch ein Mangel an Teilhabe und an Verwirklichungschancen und betrifft alle zentralen Lebensbereiche wie Bildung, Erziehung, Gesundheit, Wohnen sowie den Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Alleinerziehenden in unserem Land leben eben hier. Sie leben nicht in Mecklenburg-Vorpommern. Sie müssen für die in Baden-Württemberg deutlich höheren Lebenshaltungskosten, z. B. bei den Mieten, aufkommen.
Es erstaunt mich schon, dass Sie in diesem Bereich der Kinderarmut einen solchen regionalen Vergleich nicht wollen, sich aber die Landesregierung im Bereich der Gesundheitspolitik einer solchen regionalen Betrachtung gegenüber durchaus aufgeschlossen zeigt. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wer bei der Gesundheitspolitik die regionale Betrachtung will, der kann sie bei der Armutsgefährdung von Familien nicht zurückweisen. Das wäre nur zu erklären, wenn Sie versuchen würden, die Armut wegzudefinieren. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht darum, alles daranzusetzen, die Armut wegzubekommen, und nicht darum, die Armutsbegriffe wegzudefinieren.
Wir brauchen eine solche regionale Analyse über die Armuts- und Reichtumsentwicklung sowie die Entwicklung der sozialen Situation von Familien, damit wir die Maßnahmen ganz konkret zuschneiden können. Dazu gehört natürlich der Ausbau der Kleinkindbetreuung, dazu gehören Beratungsangebote, insbesondere für Alleinerziehende, die ganz früh ansetzen, und zwar nicht nur an einzelnen Standorten. Wir brauchen vielmehr ein verlässliches Angebot in allen Teilen des Landes. In der Tat darf uns kein einziges Kind verloren gehen. Dabei kommt es wirklich darauf an, dass wir gesicherte Zahlen haben und uns dann bei den Maßnahmen, bei denen das Land gefordert ist, mit aller Konsequenz daranmachen, auch in diesem Bereich endlich dem Anspruch eines „Kinderlands“ gerecht zu werden.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Als Sozialpolitikerin will man neben anderem natürlich auch wissen, wie es um die Einkommenssituation der Bevölkerung und vor allem der Familien im eigenen Land bestellt ist. Nur, liebe Vorrednerinnen, ich denke, vernünftige Sozialpolitik zeichnet sich nicht dadurch aus, dass man auf die Tränendrüsen drückt,
Das haben wir mit unserem Antrag getan. Wir brauchen keinen Armuts- und Reichtumsbericht, um eine Datenlage zu haben.
(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Wer hat auf die Trä- nendrüse gedrückt? – Gegenruf von der CDU: Zuhö- ren!)
Wir haben diese Daten, und wir fragen sie auch gezielt ab. Wir brauchen dafür aber keinen aufwendigen, regelmäßigen „Zahlenfriedhof“, der im Übrigen dann – siehe Bundesbericht – zu dem Zeitpunkt, zu dem er erscheint, auch noch völlig veraltet und nicht mehr zu gebrauchen ist.
(Abg. Ursula Haußmann SPD: Hier hat niemand auf die Tränendrüse gedrückt! Wir haben die Tatsachen aufgezeigt! Das ist doch unglaublich!)
Wir brauchen gezielte Erhebungen und Auswertungen zu bestimmten Fragestellungen und bestimmten Problemlagen. Genau auf diese Bedürfnisse geht das Statistische Landesamt, geht die Familienwissenschaftliche Forschungsstelle, die ich an dieser Stelle einmal loben darf, ein. Deshalb wurde Anfang 2008 eine neue Form der Familienberichterstattung eingeführt, die die ökonomische Lage der Familien in unserem Land turnusmäßig unter verschiedenen Schwerpunktsetzungen beleuchtet. Um einen Strich darunter zu machen: Wir verwenden das Geld lieber direkt zugunsten der Kinder als für die Vorlage unnötiger Papiere.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, im Übrigen wollten Sie mit Ihrem Antrag erfahren, ob es signifikante Abweichungen von den Ergebnissen auf der Bundesebene gebe. Mit etwas Mühe hätten Sie das problemlos selbst feststellen können. Wir haben uns die Mühe gemacht, und siehe da: Die se Abweichungen gibt es tatsächlich. Es sollte eigentlich nicht überraschen, dass man einmal mehr auch in der Diskussion über Armut anhand trockener, unbestechlicher Zahlen belegen kann: In Baden-Württemberg lebt es sich einfach besser als anderswo in der Bundesrepublik.
Es gibt sehr wohl Unterschiede, z. B. in den Familienstrukturen. Anders als im Bundesdurchschnitt – dort stellen die Ehepaare mit einem Kind die größte Familiengruppe dar – dominieren in Baden-Württemberg klar die Ehepaare mit zwei
Kindern die Familienlandschaft. Auch wenn der Anteil der Alleinerziehenden an den Familien – dies ist angesprochen worden – in den letzten zehn Jahren angewachsen ist, so ist er dennoch im Bundesvergleich, gemessen am Bevölkerungsanteil des Landes, signifikant geringer. Ähnliches gilt im Übrigen auch für die nicht ehelichen Lebensgemeinschaften, die sich mit einem Anteil von 8,3 % in unserem Bundesland deutlich seltener als in anderen Bundesländern finden. Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass die Familienstrukturen in unserem Land stabiler und verlässlicher sind als im Bundesdurchschnitt.
Noch eine sehr wichtige Erkenntnis kann man aus der Stellungnahme zu unserem Antrag gewinnen: In Baden-Württemberg musste man bereits im Jahr 2006 um mehr als 13 % reicher sein als anderswo in der Republik, um als arm gelten zu dürfen. Das gilt auch für Alleinerziehende.
Schauen wir uns die Zahlen konkret an, z. B. eine Familie mit Vater, Mutter und zwei Kindern. Ich habe vorhin schon gesagt, dass dies die größte Gruppe der Familien in BadenWürttemberg ausmacht. Diese Familie gilt im Bundesdurchschnitt – Stand 2006 – als von Armut bedroht, wenn sie ein Haushaltsnettoeinkommen von 1 509 € im Monat hat. Die gleiche Familie gilt in Baden-Württemberg erst mit einem Einkommen von 1 707 € als arm oder umgekehrt: Sie hat im Monat 200 € mehr in der Haushaltskasse. Vergleichbares gilt auch für Alleinerziehende.
(Abg. Katrin Altpeter SPD: Bei uns ist auch alles et- was teurer als bei anderen! Das muss man auch da- zusagen!)
Ich habe mir schon gedacht, dass dieser Einwand kommt. Der SWR hat im vergangenen Jahr eine Meldung gebracht, nach der die Kosten für Wohnen und Energie in Baden-Würt temberg um 7 % höher sind.
Das Einkommen ist aber um 13 % höher. Bei dieser Differenz bleibt auch netto mehr in der Haushaltskasse übrig.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP – Abg. Dieter Hil- lebrand CDU: Sehr gut! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Wenn man ein Einkommen hat! – Gegenruf der Abg. Katrin Altpeter SPD: Genau!)
Zum Einkommensbegriff müsste man noch eine Vorlesung über Statistik halten. Es geht im Übrigen nicht um das Durchschnittseinkommen, sondern um das Medianeinkommen. Lassen wir das einmal dahingestellt sein. Der Einkommensvorteil für die Menschen in Baden-Württemberg ist jedenfalls in den vergangenen Jahren immer weiter ausgebaut worden: 1998 lag er noch bei 6,7 %, im Jahr 2006 bereits bei 13,1 %. Für die Jahre 2007 und 2008 darf von einem weiteren Ausbau dieses Vorsprungs ausgegangen werden, zumal für 2008 die Einkommenssteigerungen bei 2,8 % liegen, die Kosten für die Lebenshaltung hingegen um 2,6 % – und das von einem niedrigeren Ausgangsniveau aus – gestiegen sind.