Protocol of the Session on April 23, 2009

Bei einigen Jugendlichen wird es dagegen richtig heftig, sodass wir alle Möglichkeiten des Rechtsstaats einsetzen müssen. Dazu haben wir Beispiele gehört. Es geht aber nicht nur um Creglingen. Es geht auch um den Jugendstrafvollzug. Es geht um Adelsheim. Dabei geht es um die Frage, welche Ausbildung und welche Maßnahmen man den Jugendlichen angedeihen lässt, damit sie eine Sozialisierungschance haben. Bei vielen muss man das so sagen.

All das sind Bereiche, bei denen ich der Auffassung bin und wir als Grüne der Auffassung sind: Da sind wir in BadenWürttemberg noch einen Schritt hinterher. Wenn wir dort mehr Potenzial einsetzen, dann wird Jugendkriminalität in Baden-Württemberg im Landtag von Baden-Württemberg immer ein sekundäres Thema sein. Unser primäres Thema muss aber sein, Jugendkriminalität zurückzudrängen, Jugendkriminalität zu verhindern. Da haben wir alle miteinander Verantwortung. Da hat der Landtag Verantwortung, da hat auch die Landesregierung Verantwortung. Das ist keine Frage.

Nicht zuletzt – auch das will ich noch aussprechen – bin ich

(Dem Redner wird das Ende seiner Redezeit ange- zeigt.)

Frau Präsidentin, das ist mein Schluss – auch Elternteil. Ich weiß, dass Eltern Aufgaben haben. Ich weiß: Wenn ein Vater um zehn Minuten vor sechs Uhr im Landtag steht und seine Frau gleichermaßen den Anspruch erhebt, politisch tätig zu sein, dann ist es eigentlich schon zu spät. Es ist erst recht zu spät, um über solche Themen zu diskutieren. Das werden mir meine Kinder nachher wieder bestätigen. Sie werden fragen:

„Was hast du jetzt dem Landtag erzählt? Ändert sich jetzt etwas?“

(Zuruf des Abg. Paul Nemeth CDU)

Insofern gibt es auch viel Verantwortung für die Eltern. Aber da, wo Eltern nicht allein tätig sein können, brauchen wir die gesellschaftliche Verantwortung. Da brauchen wir die Verantwortung unserer Bildungseinrichtungen. Daran möchte ich appellieren. Dann wird die Jugendkriminalitätsdebatte auch sinnhaft.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Wetzel für die Fraktion der FDP/DVP. – Herr Abgeordneter, Sie haben fünf Minuten Redezeit.

(Abg. Hans-Martin Haller SPD: Maximal!)

Danke schön.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zuschauer gibt es ja kaum mehr. In der Tat hat das Thema unseres heutigen Spätnachmittags

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Spätnachmittag ist gut! Es ist früher Abend!)

durch die drei scheußlichen Straftaten, die wir zu beklagen haben, einen aktuellen Bezug. Aber ich muss hinzufügen: Die Jugendkriminalität wird in Baden-Württemberg effektiv bekämpft. Für die effektive Bekämpfung der Jugendkriminalität sind schnelle staatliche Reaktionen erforderlich, ganz nach dem Motto „Die Strafe folgt auf dem Fuß“.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Genau!)

Baden-Württemberg hat im bundesweiten Vergleich die kürzesten Verfahrenslaufzeiten. Sie konnten in den letzten Jahren durch weitere Maßnahmen, z. B. das Modellprojekt „Haus des Jugendrechts“, ganz erheblich weiter verkürzt werden. Ich denke, dass wir da auf einem guten Weg sind.

Zum Thema „Verschärfung des Jugendstrafrechts“: Das allein ist sicherlich nicht das einzig Wahre. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen uns schon überlegen, ob es nicht richtig wäre, das Höchstmaß der Jugendstrafe bei Heranwachsenden in Ausnahmefällen von zehn auf 15 Jahre zu erhöhen. Mit diesem Thema sollten wir uns beschäftigen. Die gesamte Justiz wird von der Bevölkerung nur dann akzeptiert, wenn ihre Entscheidungen auch plausibel und nachvollziehbar sind.

(Zuruf des Abg. Rainer Stickelberger SPD)

Meine Damen und Herren, dies ist aber dann nicht mehr der Fall, wenn es in Extremfällen zu unerträglichen Ungerechtigkeiten kommt, etwa wenn einer von mehreren Tatbeteiligten wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wird und der andere, obwohl er womöglich die treibende Kraft war, nur deshalb, weil er Heranwachsender ist, lediglich zu einer geringeren Strafe verurteilt wird. Das heißt, wenn der eine 21 und der andere 18 Jahre alt war und der 18-Jährige die trei

bende Kraft war, dann gilt dieser als Heranwachsender und hat eine wesentlich kürzere Freiheitsstrafe als der andere, obwohl er den größeren Tatbeitrag geleistet hat.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Nur, wenn er in der Entwicklung verzögert ist! Nur dann!)

Ich denke, dass das ungerecht ist und von der Bevölkerung so nicht akzeptiert wird. In diesem Sinn sollte man überlegen, ob in solchen Fällen die Höchststrafe nicht auf 15 Jahre erhöht werden kann. Wir müssen uns daher überlegen, ob die bestehende Regelung nicht geändert wird.

Aus diesem Grund hat das Land Baden-Württemberg bereits im Jahr 2003 einen Entwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Jugenddelinquenz im Bundesrat eingebracht. Der Bundestag hat mit dieser Geschichte bis heute nichts gemacht.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Zu Recht! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Weil es nichts bringt!)

Die Eckpunkte dieses Gesetzentwurfs, Herr Kollege, sind – hören Sie zu! – z. B. die Einführung eines Warnschussarrests, der neben einer zur Bewährung ausgesetzten Verhängung der Jugendstrafe angeordnet werden kann. Es ist doch so: Wenn Jugendliche zu einer Bewährungsstrafe verurteilt werden, dann gehen manche von ihnen aus dem Gerichtssaal hinaus mit der sicheren Erkenntnis: „Es ist ja gar nicht so schlimm gewesen; ich musste ja gar nichts fühlen, und ich wurde ja gar nicht beeinträchtigt.“ Also ist die große Frage, ob sie dann in diesem Fall nicht gleichzeitig einen Warnschussarrest bekommen, damit sie sehen, wie es in der JVA tatsächlich aussieht, und zwar von innen. Meines Erachtens sollte dem Jugendrichter diese Möglichkeit an die Hand gegeben werden.

Zweitens: Auch über die Regelanwendung des allgemeinen Strafrechts auf Heranwachsende sollte man nachdenken. Momentan wird das Erwachsenenstrafrecht nur ausnahmsweise angewandt. Es ist fraglich, ob man es nicht einfach umdrehen und sagen kann: In Ausnahmefällen kann das Jugendstrafrecht angewandt werden, und im Regelfall wird das Erwachsenenstrafrecht angewandt. Ich denke, dass das eine sinnvolle Regelung ist. Denn die 18-Jährigen sind in allen anderen Bereichen mit Erwachsenen vollkommen gleichgestellt, das heißt, sie dürfen wählen, sie dürfen Verträge abschließen, sie dürfen Unfälle bauen, sie dürfen ein Auto kaufen. Bloß dann, wenn es um die Bestrafung geht, macht man eine große Ausnahme. Ich denke, es ist interessant, wenn man die ganze Geschichte umdreht und sagt: In Ausnahmefällen Jugendstrafrecht, im Regelfall Erwachsenenstrafrecht. Das kann eine sinnvolle Überlegung sein.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Die effektivste Kriminalitätsbekämpfung – das wurde schon gesagt – ist die Verhinderung von Straftaten. Aus diesem Grund setzt die Polizei in Baden-Württemberg bei der Erkennung von Jugendkriminalität frühzeitig auf ein breites Präventionsspektrum. Meine Damen und Herren – da gebe ich den Vorrednern auch recht –, die beste Prävention ist eine gute Bildung und Ausbildung.

Ich möchte an dieser Stelle noch auf die guten Einrichtungen in Baden-Württemberg hinweisen, z. B. das „Projekt Chance“

in Creglingen. Ich habe große Hoffnung, dass das in anderen Gegenden ausgebaut wird, und darf darauf hinweisen, dass es bereits im Haushalt für 2009 berücksichtigt wird. Wir sind also auf einem guten Weg. Ich denke, die Jugendkriminalität und deren Behandlung ist im Justizministerium in den allerbesten Händen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Claus Schmiedel SPD: Jetzt ist das Mikrofon weggeflogen! – Gegen- ruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Dan- ke sehr für Ihren Hinweis, Herr Kollege! – Zuruf: Sachbeschädigung ist gleich Kriminalität! – Gegen- ruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Wenn es fahrlässig ist, ist es nicht strafbar!)

Das Wort erteile ich Herrn Minister Professor Dr. Goll.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt auf der einen Seite eine permanente Diskussion innerhalb der Landesregierung und auf der anderen Seite eine Diskussion mit allen, die helfen können, darüber, wie die Bekämpfung der Jugendkriminalität weiter verbessert werden kann. Das betrachten wir im Land natürlich seit vielen Jahren als einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, auch mit einem insgesamt darstellbaren Effekt.

Insofern bin ich dankbar für die hier stattfindende Debatte und nehme Anregungen aus der Debatte auf jeden Fall mit, auch wenn ich auf der anderen Seite, Herr Kollege Sakellariou, unter Demokraten ganz klar sagen muss: Selten war ich mit einer Rede so wenig einverstanden wie mit Ihrer. Eigentlich gibt es nur einen Teil, den ich unterschreiben würde, nämlich dass es ein soziales Umfeld gibt und dass es auf die Perspektiven in der Gesellschaft ankommt, die ein Nährboden für Kriminalität sein können oder eben nicht. Diese permanente Diskussion ist die eine Seite.

Wir hatten auf der anderen Seite – das wurde auch angesprochen – in der letzten Zeit eine Serie von schrecklichen Fällen. Zu den genannten Fällen in Winnenden, Eislingen und Bad Buchau kam noch der Zementmordfall. Das sind in der Tat Fälle, die einen sprachlos machen. Wir haben jetzt Kommissionen des Landtags und der Landesregierung eingesetzt, in denen man versucht, Antworten zu finden. Aber in diesem Bereich wäre jeder falsch beraten, der an meiner Stelle sagen würde, wir hätten heute schon auf alle Fragen Antworten parat. Denn das liegt teilweise jenseits des Vorstellbaren. Ich hoffe trotzdem, dass wir über die Kommissionen, die sicher Vorschläge machen werden, Fortschritte erreichen.

Wenn wir uns einmal an das halten, was im Großen und Ganzen in den letzten Jahren im Land passiert ist, was typisch für die Lage ist, dann gestatten Sie mir zunächst ein paar Worte zum Lagebild bei der Jugendkriminalität.

Es ist nicht so, dass wir, wie manche denken, einen ungebremsten Anstieg der Jugendkriminalität hätten, dass, formelhaft gesprochen, alles immer schlimmer würde. Das ist nicht so. Wenn Sie sich die sogenannten Tatverdächtigenbelastungszahlen der letzten zehn Jahre anschauen, ergibt sich kein ein

heitliches Bild. Selbst im Bereich der Gewaltkriminalität haben wir im Jahr 2008 im Vergleich zum Vorjahr einen erfreulichen Rückgang von 5,7 % gehabt. Über zehn Jahre hinweg ist allerdings eine spürbare Zunahme zu verzeichnen.

Bei mir und bei anderen, die sich dauerhaft mit diesem Thema beschäftigen, ergibt sich also folgendes Bild: Es gibt keine explosionsartige Vermehrung des Phänomens, sondern die Zahlen bewegen sich, insgesamt betrachtet, eher in einem bestimmten konstanten Rahmen. Aber die Neigung zur Gewalt hat zugenommen, und es hat vor allem eine bestimmte Art von Gewalt zugenommen, die für mich dadurch gekennzeichnet ist, dass in den Delikten teilweise eine bestimmte Gefühlskälte zum Ausdruck kommt, eine Gefühlskälte und eine Menschenverachtung,

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Es fehlt der Re- spekt vor dem Leben!)

die es einem wirklich schwer macht, überhaupt geeignete Antworten darauf zu finden.

Das bisherige Vorgehen war in Baden-Württemberg von einer bestimmten Formel geprägt, und diese Formel bleibt richtig. Aufgrund der Kommissionsarbeit werden nun neue Erkenntnisse einfließen, aber die Formel möchte ich noch einmal nennen. Der Kollege Rech hat heute schon von dieser Formel gesprochen; er hat dabei jedoch nur die eine Hälfte der Formel zitiert. Die andere Hälfte darf ich hier ergänzen. Die eine Hälfte besteht darin, Grenzen zu setzen, und die andere Hälfte heißt: Chancen bieten.

Grenzen setzen: Ich war schon immer der Meinung, dass man die richtigen Signale senden muss. Man darf die Dinge nicht treiben lassen; man darf den Jugendlichen auch keine falschen Signale geben.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Sehr richtig!)

Vielmehr muss man klar ansagen, dass etwas passiert, dass eine Reaktion erfolgt, wenn sie in den „roten Bereich“ hineinkommen. Da muss man konsequent reagieren. Das ist die eine Hälfte. Auf die andere Hälfte komme ich gleich noch zu sprechen.

Aber auch über diese eine Hälfte gibt es offensichtlich noch immer genug Missverständnisse. Wir hatten politische Diskussionen, die von unterschiedlichen Richtungen geprägt waren. Ich erinnere mich an die Diskussion über die Frage, ob man Schwarzfahren oder Ladendiebstahl zur Ordnungswidrigkeit erklären soll. Ihre Partei war bis in die jüngste Vergangenheit hinein der Meinung, dass man das zur Ordnungswidrigkeit erklären soll. Ich war nie dieser Meinung; ich halte das für ein falsches Signal.

Zweitens haben Sie unsere Bundesratsinitiative von 2003 geradezu ein bisschen diskriminiert und als „absurd“ bezeichnet. Bei dieser Thematik ist der Abstand zwischen uns wohl am größten. Diese Initiative aus dem Jahr 2003 wurde im Jus tizministerium konzipiert und enthält meiner Meinung nach schiere Selbstverständlichkeiten.

Punkt 1: die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts ab 18. Man muss sich einmal Folgendes vor Augen führen: Früher lag das Volljährigkeitsalter bei 21 Jahren. Im JGG stand, wenn