Protocol of the Session on October 1, 2008

Wir haben diese solide Haushaltspolitik langfristig abgesichert, und zwar zum einen durch das Neuverschuldungsverbot. In der Landeshaushaltsordnung stellen wir sicher, dass unser Land im Regelfall auf Dauer keine neuen Schulden machen darf. Wir haben zum anderen Rücklagen für Haushaltsrisiken gebildet – dies war mir wichtig –, indem wir z. B. vertragliche Verpflichtungen für Baden-Württemberg eingehen:

(Ministerpräsident Günther Oettinger)

Baden-Württemberg 21 als Großprojekt, die Bildungsoffensive als zweites Projekt, der Umbau unserer Familienförderung als drittes Projekt und auch die Dienstrechtsreform. Dafür werden wir nicht nur die Mittel im Haushalt abbilden, die im ersten Jahr der Investition und Reform notwendig sind. Vielmehr finanzieren wir das Ganze für einige Jahre durch. Unsere Bildungsoffensive ist durchfinanziert.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Die Mittel in Höhe von 530 Millionen €, die wir für Kinder und Bildung ausgeben, finanzieren wir aus Steuereinnahmen 2008, damit der Haushaltsausgleich auch in den nächsten Jahren bei geringerem Wirtschaftswachstum möglich bleibt. Wir wollen mit möglichst wenig Risiken in die Haushaltszukunft gehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Mi- chael Theurer FDP/DVP: Sehr gut!)

Dabei üben wir Augenmaß und bleiben berechenbar. Nicht mit der Rasenmähermethode oder durch einsame Entscheidungen in der Villa Reitzenstein sind unsere Sparbemühungen möglich geworden. Nein, sie wurden in vielen Gesprächen mit den Bürgerinnen und Bürgern, den Gruppen des vorpolitischen Raums entwickelt und einvernehmlich akzeptiert. Das „Bündnis für die Jugend“, der „Solidarpakt Sport“, der „Solidarpakt Hochschulen, Hochschulmedizin und Berufsakademien“, der Staatskirchenvertrag, die Vereinbarungen mit den Kommunen, all dies zeigt auf, dass wir nicht Ober und Unter spielen, sondern dass wir auf Augenhöhe denen, die davon berührt sind, eine Planungssicherheit geben, damit deren Arbeit auch in Zukunft erfüllbar ist. Wir laden nicht Schulden auf andere ab. Wir sanieren nicht das Land zulasten der Kommunen. Wir haben erreicht, dass ganz Baden-Württemberg diesen Sparkurs verkraften kann und trotzdem eine bürgerfreundliche und dienstleistende Politik aller Beteiligten möglich bleibt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Schauen Sie in diesen Wochen allein einmal die Kommunalfinanzen an. Viele von Ihnen sind als Stadträte, Gemeinderäte, Kreisräte, Bürgermeister oder Landräte vor Ort. Wir haben seit längerer Zeit keine Klagelieder mehr aus den Rathäusern gehört. Die Kämmerer, Landräte und Bürgermeister bringen ihre Haushaltsentwürfe in die Kommunalgremien ohne Wehklagen gegen das Land ein. Den Kommunen in Baden-Würt temberg geht es sehr ordentlich und einigen sogar sehr gut.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Sehen die Kämmerer das auch so?)

Die Kommunen können Schulden tilgen und können investieren. Die Kommunen sehen im Land einen fairen Partner. Deswegen biete ich schon heute den kommunalen Verbänden in Baden-Württemberg in absehbarer Zeit, 2009, neue Verhandlungen über einen zweiten Pakt mit den Kommunen für Planungssicherheit ab dem 1. Januar 2011 an. Wir wollen nicht unseren Haushalt zulasten Dritter sanieren. Die Vertreter von Sport, Kultur, Sozialem, Ökologie, die Kommunen, die Kirchen bleiben Partner. Wir sind gemeinsam auf einem schwierigen, aber erfolgreichen und gerechten Weg. Dies wird auch in Zukunft die Richtschnur der Landesregierung sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Machen wir uns zum Thema „Haushalt und Wirtschaft“ nichts vor. Noch ist die Dimension des „Schwarzen Montags“, ist das Ausmaß der Finanzkrise der weltweiten Finanzmärkte überhaupt nicht absehbar. Deswegen glaube ich, dass man in diesem Hohen Haus auch einmal über die Aufgaben, die in Deutschland entstehen, entlang der Finanzmarktkrise kurz sprechen soll.

Seit einem Jahr haben wir eine Krise, die von Privatimmobilien aus Nordamerika kommt. Mehrfach haben kluge Wissenschaftler und Bankenmanager gemeldet: Alles im Griff! Talsohle erreicht! Oder gar: Talsohle durchschritten!

Heute sehen wir, dass wir noch lange nicht am Ende des Weges sind, dass wir weiterhin mit schlechten Nachrichten rechnen müssen und deswegen Vorsicht, Solidität, Augenmaß und Handlungsfähigkeit der Politik im Bereich der Bankenwirtschaft und der Wirtschaft generell notwendig sind.

Dass am Montagabend im Kongress das 700-Millionen-Dollar-Paket –

(Zurufe: Milliarden! Das ist ein kleiner Unterschied!)

Milliarden – vom Präsidenten vorgelegt und mit beiden Präsidentschaftskandidaten besprochen – abgelehnt worden ist und morgen ein zweiter Anlauf hierzu mit ungewissem Ausgang kommt, zeigt mir, dass die Weltmacht Amerika in Bezug auf Wirtschaft und Ordnung an Gewicht verliert. Wir erleben derzeit, dass eine große Nation wirtschaftlich und politisch schlank und schwach geworden ist.

Europa hat einen Auftrag, und zwar mehr denn je. Wenn wir erreichen wollen, dass sich das Zentrum für Wirtschaft und Politik nicht schnurstracks von New York und Washington aus nach Russland und Asien verlagert, muss Europa jetzt geschlossen handeln und seiner Verantwortung gerecht werden. Wir haben mit einem starken Euro, einer starken Währung, und einer stabilen Demokratie Aufgaben und Verantwortung für die ganze Welt. Ich baue darauf, dass dies mit einer starken Bundesregierung, die in Europa konstruktiv mitwirkt, in den nächsten Monaten auch sichtbar wird.

Es hat sich gezeigt, dass die Wirtschaftsstruktur Amerikas in weiten Bereichen marode ist; schauen Sie nur auf den Fahrzeugbau oder den Maschinenbau. Es hat sich gezeigt, dass die Bankenstruktur Amerikas mit Spezialbanken, Investmentbanken, die auf einem hohen Risiko aufbauen, die hohe Gewinne machen, aber für Verluste nicht verantwortlich sind, marode aufgebaut war. Es hat sich gezeigt, dass unser europäisches System, dass unsere Ordnungspolitik im Grunde genommen zukunftweisender ist. Von ehemals fünf amerikanischen Investmentbanken bestehen drei nicht mehr. Stolze Adressen, vor denen mancher Banker aus Deutschland bisher hin und wieder stramm stand, sind weg. Die letzten zwei, Morgan Stanley und Goldman Sachs, werden zu ganz normalen Banken. Das heißt, das Investmentbanking hat sich überlebt.

Wir sollten in Deutschland alles tun, damit eine solche Entwicklung bei uns nicht eintritt. Ich halte es für verantwortungsvoll, dass die Kanzlerin, Herr Steinbrück, die Bundes regierung gemeinsam mit den deutschen Banken einen ent sprechenden Crash, einen vergleichbaren Dominoeffekt in Deutschland und Europa, der unverantwortliche Folgen hätte, vermeiden wollen.

Aus den USA droht auch weiterhin nichts Gutes. Die Hedgefonds bewegen sich nahe an der Handlungsunfähigkeit. Die Wall Street, der Aktienmarkt bricht weg. Gewerbeimmobilien werden folgen, und die Ratenzahlungen über Kreditkarten werden ebenfalls nicht stabil sein.

Umso dankbarer bin ich, dass in Deutschland und in BadenWürttemberg drei starke Säulen der Bankenwirtschaft bestehen. Mehr denn je sagen wir auch gegenüber der Europäischen Kommission: Wir halten an Volksbanken, an Sparkassen und an unserer Landesbank, der LBBW, fest, und wir glauben nicht, dass in Zukunft nur Geschäftsbanken, gar amerikanischer Art, das Richtige für die Finanzierung im Dienste der Bürger und der Wirtschaft in Baden-Württemberg sind.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge- ordneten der SPD und der Grünen – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: So ist es!)

Wir haben Vertrauen in unsere Sparkassen, in die Volksbanken und auch in die Geschäftsbanken. Ich kann Ihnen versichern, dass die Landesbankgruppe Baden-Württemberg die stabilste aller Landesbanken überhaupt ist. Objektiv ist sie in den Jahren 2007 und 2008 in ihrer Arbeit auch etwas geschwächt, aber sie wird im Vergleich zu anderen Landesbanken gestärkt aus dieser Entwicklung hervorgehen.

Trotzdem gehen wir in unserer Haushaltspolitik von einer sich verschlechternden Konjunktur und sogar von einer Rezession aus. Ich rechne damit, dass uns die Steuerschätzung erstmals im November, was die Steuermehreinnahmen betrifft, ein Minus aufzeigen wird. Die Einnahmen werden im nächs ten Jahr höher sein als in diesem Jahr, aber der Zuwachs wird nicht dem entsprechen, was im vergangenen Mai vorhergesagt worden war. Dennoch werden wir unsere Haushaltspolitik weiterverfolgen. Wir legen Ihnen für das nächste Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vor, und wir werden gegebenenfalls weitere Folgerungen aus der Steuerschätzung ziehen und Ergänzungen vornehmen, damit in Baden-Württemberg in jedem Fall im nächsten Jahr die schwarze Null den Haushaltsvollzug prägt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Bei vielen Fragen der Wirtschaft mischen wir uns auch in die Bundespolitik ein und erheben unsere Stimme im Bundesrat. Erstens setzen wir uns dafür ein, dass eine Steigerung der Lohnnebenkosten vermieden werden kann; denn hier droht erhebliches Ungemach. Wir haben in der Bundespolitik lange plakatiert und endlich erreicht, dass die gesetzlich bedingten Lohnnebenkosten maximal 40 % betragen.

Vor wenigen Tagen hat die AOK Baden-Württemberg ihren Beitragssatz von 14,5 % um 0,6 Prozentpunkte auf 15,1 % erhöht. Am nächsten Montag wird die Bundesregierung den einheitlichen Krankenkassenbeitragssatz festlegen; wir gehen von 15,5 % aus. Das heißt, wir haben einen Sprengsatz auf dem Gesundheitsmarkt, und wir haben kaum Absenkungspotenzial im Rentenbereich. Umso eher ist die letzte Stellschraube von Gewicht: indem man die Arbeitslosenversicherungsbeiträge auf deutlich unter 3 % absenken kann, damit man die 40 % Lohnnebenkosten näherungsweise hält.

Trotzdem werden in den nächsten Jahren steigende Haushaltsmittel des Bundes, steigende Steuerfinanzierungsbeiträge für die Versicherungsfinanzierung für unsere Sozialkassen notwendig sein. Wir legen allergrößten Wert darauf, dass wir die 40 % Lohnnebenkosten halten, damit dies ein Faktor für Wirtschaftswachstum und gegen Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft bleibt und der Arbeitnehmer nicht wegen zu großer Abzüge vom Brutto weniger netto als bisher hat.

Des Weiteren ist die Frage der Erbschaftsteuer aktuell. Auch dazu ist unsere, ist meine Position klar: Wir müssen alles dafür tun, dass der investitionsintensive Mittelstand nicht benachteiligt wird. Ich lehne die Abschaffung der Erbschaftsteuer ab. Natürlich wäre die Abschaffung für manchen die beste Reform. Aber als die Vermögensteuer nach dem Halbteilungsgrundsatz für verfassungswidrig erklärt wurde, haben wir alle gemeinsam gesagt: Substanzbesteuerung jedes Jahr ist nicht mehr der Fall, Vermögen werden nicht jedes Jahr etwas geschwächt; aber alle 30 Jahre im Erbfall ist es zumutbar, dass Substanz, dass Vermögen etwas für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben erbringt. Deswegen legen wir auf die 4 Milliarden € Gesamtsteuereinnahmen Wert. 600 Millionen € davon gehen nach Baden-Württemberg. Ich wüsste im Augenblick nicht, wie man 600 Millionen € Steuermindereinnahmen bei einem Wegfall der Erbschaftsteuer ausgleichen könnte.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Umgekehrt wollen wir, dass in den Verhandlungen ab nächs ten Montag einige wichtige Nachbesserungen noch vorgenommen werden. 15 Jahre Haltefrist sind unzumutbar, für den Strukturwandel der Wirtschaft viel zu lang. Das Fallbeil wäre der falsche Weg. Wir müssen einen Weg finden, wie Familienstämme mit nicht nur ein, zwei Erben, sondern mit 80, 100, 200 Erben im Ganzen überhaupt noch umsetzbar sind.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: So ist es!)

Das heißt, wir mischen uns für sachgerechte, praxisnahe und mittelstandsfreundliche Lösungen ein. Wir halten eine Reform der Erbschaftsteuer zum 1. Januar statt des Wegfalls für den richtigen Weg. Damit könnte auch die Große Koalition zeigen, dass sie bei aktuellen wichtigen Fragen noch handlungsfähig ist.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Mit der sich nähernden Bundestagswahl gewinnt die Frage von Steuersenkungen an Gewicht. Auch dazu meine klare Position: Steuersenkungen für den Lohnsteuerzahler und den Einkommensteuerzahler, das heißt höhere Freibeträge für alle oder ein flacherer Tarifverlauf, ein später einsetzender Spitzensteuersatz sind richtig und wünschenswert.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Aber die Reihenfolge muss ebenfalls klar sein. Man darf Steuersenkungen nicht auf Pump finanzieren. Solange der Bund noch 10, 12 Milliarden € neue Schulden macht, solange der Haushaltsausgleich noch längst nicht allen Ländern gelingt, hat für mich die Haushaltskonsolidierung, der Weg, dass die öffentlichen Hände insgesamt ohne Schulden in die Zukunft gehen, Vorrang vor allem, was an Steuersenkungen wünschenswert ist.

(Beifall bei der CDU und der SPD sowie Abgeord- neten der Grünen – Abg. Michael Theurer FDP/DVP: Dann muss man aber die Ausgaben kritisch durchfors ten!)

Zweitens hat für mich Vorrang,

(Unruhe)

dass man die Lohnnebenkosten stabil halten kann. Wenn man die Lohnnebenkosten stabil halten will,

(Zurufe)

braucht man mehr Haushaltsmittel. Das heißt, eine verstärkte Finanzierung der Krankenversicherungsaufgaben durch den Bundeshaushalt hat ebenfalls Vorrang vor jeder wünschenswerten Steuersenkung.

Drittens will ich den Bund daran erinnern, dass er seine Pflicht aufgaben nicht länger vernachlässigen darf. Was der Bund im Bundeshaushalt für den Bundesfernstraßenbau, für den Bundesschienenwegebau stehen hat, entspricht keineswegs dem, was wir vor Ort an Bedarf kennen, entspricht keineswegs dem Arbeitsmarkt, der Arbeitswelt und der Wirtschaft. Ich fordere den Bund auf, vor Steuersenkungen etwas mehr für die Infrastruktur, für die Zukunft unseres Landes zu tun.

(Beifall bei der CDU – Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Sie wollen die Lkw-Mauterhöhung doch verhindern!)

Herr Kretschmann, zunächst einmal guten Morgen!

(Heiterkeit bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Michael Theurer FDP/DVP: Wer regiert in Berlin?)

Ich will sie nicht verhindern, ich will sie in zweierlei Richtung verändern. Wenn Sie mit dem Mittelstand der Spediteure sprechen würden, was wir tun, dann wüssten Sie, dass eine Erhöhung auf einen Schlag das Aus

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Ja!)