Protocol of the Session on June 21, 2006

Ich lade alle Vertreter aus Wirtschaft, Umweltschutz, Naturschutz, Sozialverbänden, Kirchen, Gewerkschaften, Verbraucherschutzorganisationen und Vereinen sowie auch die Kommunen dazu ein, sich aktiv an der Entwicklung und Realisierung einer Nachhaltigkeitsstrategie zu beteiligen.

Mit dieser Strategie wollen wir einen Impuls für mehr interdisziplinäre Arbeit über Ressortgrenzen hinweg geben. Wir werden die Arbeitsweise der Regierung modellhaft weiterentwickeln und Kooperationsformen quer zu den Ressortgrenzen verstärken.

Fünf zentrale Themenfelder sehe ich dabei:

Erstens geht es um die Frage nach einer zukunftsfähigen Energieversorgung. Was kommt neben und nach dem Öl? Wie können wir effizient, wirtschaftlich und umweltfreundlich mit Energiereserven umgehen? Wie können wir den Klimawandel stoppen, ohne dass Lebensqualität verloren geht?

Ein zweiter Themenbereich hat die Überschrift „Produzieren und Arbeiten“. Wie müssen wir unsere Arbeits- und Wirtschaftsweise ändern, damit auch künftige Generationen Güter erzeugen können, die sie zum Leben brauchen? Wie sichern wir möglichst vielen Menschen einen Zugang zur Arbeitswelt? Gerade bei diesem Thema zeigt sich, dass Nachhaltigkeit neben Ökologie auch soziale und gesellschaftliche Aspekte umfasst.

Ein drittes Schwerpunktthema ist die Frage der zukunftsfähigen Entwicklung von Großstädten und Regionen auch in Baden-Württemberg, Stichworte Zuwanderung, Integration, Bekämpfung von Armut und Gewalt, Mobilität und Senkung des Flächenverbrauchs.

Beim Thema Nachhaltigkeit geht es – viertens – auch um Lebensqualität, das heißt gesund leben in gesunder Umwelt. Wie können wir schädliche Immissionen reduzieren und den Verbraucherschutz stärken? Wie können wir Gesundheitsprävention verbessern? Auch hier sind Bezüge zur Ökonomie vorhanden. Ich denke an Landwirtschaft, Tourismus oder den Gesundheitsmarkt.

Fünftens: Die erste Voraussetzung für jede nachhaltige Entwicklung ist die Kenntnis natürlicher Zusammenhänge. Wir wollen eine Gesamtdebatte anstoßen, die auch selbstkritischen Fragen nicht aus dem Weg geht: Wo sind die Gren

(Ministerpräsident Günther Oettinger)

zen des Wachstums? Was hat der einzelne Verbraucher einzubringen? Welchen Konsum können wir uns noch leisten?

Dies sind zentrale Zukunftsfragen für Land und Gesellschaft. Es ist mein Ziel, dass Baden-Württemberg bei diesen Fragen mutig vorangeht. Die viel zitierte „Versöhnung von Ökologie und Ökonomie“ ist für mich nicht nur eine Floskel. Ich will, dass sie ein Alleinstellungsmerkmal Baden-Württembergs im Wettbewerb mit anderen Ländern wird. Wir haben die Chance, auf nationaler und globaler Ebene zu einem Innovationszentrum für nachhaltige Entwicklung zu werden. Wir bereiten einen entsprechenden Prozess mit dem Mittelstand und dem Handwerk vor. Ein Kongress soll dabei der Ort der Begegnung und der Debatte sein.

Lassen Sie mich im Folgenden auf einige Themen eingehen, bei denen nachhaltiges Denken und Handeln besonders gefordert wird.

Erstens: die Energiepolitik. Der Klimaschutz ist und bleibt unsere größte Herausforderung. Verantwortungsbewusste Energiepolitik, die auf drei Säulen beruht, ist dabei unsere Grundlage: erstens Energie sparen, zweitens Energieeffizienz erhöhen, drittens erneuerbare Energien nutzen.

Wir wollen Baden-Württemberg zum Spitzenreiter bei der Erforschung und beim Einsatz regenerativer Energien machen. Bis zum Jahr 2010 werden wir in Baden-Württemberg den Anteil der regenerativen Energien an der Stromerzeugung auf 11,5 % und am Primärenergieverbrauch auf 4,8 % steigern. Diese Ziele nehmen wir uns ausdrücklich vor.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Mit Einrichtungen wie dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg haben wir Kompetenzzentren, die wir ausbauen werden.

Ein Feld, dem wir in den nächsten Jahren unsere besondere Aufmerksamkeit widmen werden, ist die Wärmeproduktion, die bisher in erheblichem Maße zum CO2-Ausstoß beiträgt.

Auch beim Thema Mobilität haben wir noch Einsparpotenzial. Um es klar zu sagen: Unsere Autos brauchen zu viel Sprit.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Richtig!)

Hier haben wir als Exportland, als Autoland eine besondere Chance. Wenn wir die Innovation schaffen, kommt sie weltweit an, weil die Technik durch Export dann automatisch die Welt erreicht.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der Grünen – Abg. Reinhold Gall SPD: Das gilt aber auch für andere Bereiche!)

Für unsere ehrgeizigen Ziele bei der Förderung der erneuerbaren Energien brauchen wir Zeit und Geld. Deshalb sind wir der Meinung, dass wir um eine Laufzeitverlängerung für bestehende Kernkraftwerke nicht herumkommen werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Reinhold Gall SPD: Das widerspricht völlig dem, was Sie vorher sagten! – Abg. Thomas Knapp SPD: So ein Quatsch!)

Im Vorgriff auf eine mögliche Einigung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgern streben wir eine landesweite Vereinbarung mit der Energie Baden-Württemberg an, die folgenden Inhalt haben soll: Die EnBW verpflichtet sich, mindestens 50 % aller wirtschaftlichen Erträge aus einer Laufzeitverlängerung für die Erforschung und Markteinführung erneuerbarer Energien bereitzustellen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Gundolf Fleischer CDU: Sehr gut!)

Im Gegenzug setzt sich Baden-Württemberg und setzen sich die Regierungsparteien beim Bund vehement für eine Verlängerung der Laufzeit unserer sicheren Kernkraftwerke unter strengsten Sicherheitsauflagen ein. Dies wäre in Wahrheit die beste Energie- und Ökologiepolitik.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten 50 Jahren in Baden-Württemberg so viel Fläche für Siedlung und Verkehr neu beansprucht wie alle Generationen zuvor zusammen. In 50 Jahren der gleiche Flächenverbrauch wie in den vorangegangenen Jahrhunderten! Wenn wir nicht aufpassen, entstehen heute mit Wohn- und Gewerbegebieten auf der grünen Wiese die Altlasten von morgen, für die dann niemand mehr zahlen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Sagen Sie das den Oberbürger- meistern!)

Wir nehmen diese Entwicklung nicht hin. Wir machen weiter Druck für eine sparsame Flächennutzung. Wir setzen auf kommunales Flächenmanagement, auf das Bündnis „Fläche gewinnen“ und das „Modellprojekt zur Eindämmung des Landschaftsverbrauchs durch Aktivierung innerörtlichen Potenzials“, kurz MELAP genannt.

(Abg. Gundolf Fleischer CDU: Sehr gut!)

Mein konkretes Ziel lautet: Wenn Baden-Württemberg im nächsten Jahrzehnt keinen Einwohnerzuwachs mehr haben wird – bei uns wird die Zahl der Einwohner noch etwa 10 bis 15 Jahre steigen und dann stagnieren –, dann muss auch das Ziel der Politik die „Nettonull“ beim Flächenverbrauch sein. Wenn das Wachstum der Einwohnerzahl zu Ende geht, muss auch die Fläche, die wir haben, für alle gewerblichen und Wohnungsflächen in Baden-Württemberg ausreichend sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der Grünen – Abg. Winfried Kretsch- mann GRÜNE: Sagen Sie das den schwarzen Bür- germeistern!)

Für unsere Landwirtschaft und Forstwirtschaft war Nachhaltigkeit schon immer selbstverständlich. Wenn es um Verantwortung für die Zukunft, schonenden Umgang mit Res

(Ministerpräsident Günther Oettinger)

sourcen, Respekt vor der Schöpfung geht, können wir alle vom Bauern noch viel lernen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das Erscheinungsbild unseres Landes wird maßgeblich durch unsere Landwirtschaft mit ihren bäuerlichen Familienbetrieben geprägt. Ihnen sage ich auch für die Zukunft unsere volle Unterstützung zu.

(Zuruf des Abg. Reinhold Pix GRÜNE)

Wir werden unsere bewährten Agrar- und Strukturprogramme fortsetzen und das bisherige Finanzvolumen des Landes trotz der Kürzungen seitens der EU beibehalten. Eine Steigerung wird nicht möglich sein. Das Land zieht sich aus dem ländlichen Raum und als Partner der Bauern in BadenWürttemberg nicht zurück.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo!)

Die Weiterentwicklung des ländlichen Raums ist eine Querschnittsaufgabe, die alle Ressorts betrifft. Deshalb werden wir einen ressortübergreifenden „Kabinettsausschuss Ländlicher Raum“ unter der Federführung des MLR einsetzen, der in die Nachhaltigkeitsstrategie eingebettet sein wird.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Neue Kommission! – Abg. Thomas Knapp SPD: Einen Beauftragten!)

Baden-Württemberg lebt vom guten Miteinander zwischen Stadt und Land. Die Fußball-WM ist ein gutes Beispiel dafür. Tolle Spiele in Stuttgart sind auch das Ergebnis der Mitfinanzierung durch das Land Baden-Württemberg. Wir haben ganz bewusst und gegen andere Kräfte hier im Landtag den Ausbau des Daimler-Stadions mitfinanziert.

(Abg. Gundolf Fleischer CDU: Sehr richtig!)

Wir haben die Stadt Stuttgart beim Ausbau der Infrastruktur, beim Straßenbau, etwa am Pragsattel, ganz bewusst und schwerpunktmäßig unterstützt. Die Folge ist: Die Stadt blüht und das ganze Land auch.

(Zuruf des Abg. Reinhold Gall SPD)

Sechs Gemeinden in Baden-Württemberg sind Gastgeber bei der Fußball-WM. Die Stärke Stuttgarts strahlt bis nach Hinterzarten, ins Allgäu, an den Bodensee und nach Hohenlohe aus.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Unruhe bei der SPD und den Grünen – Zuruf des Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE)

Meine Damen und Herren, ein Markenzeichen Baden-Württembergs ist seine reiche Natur- und Kulturlandschaft.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl! Bravo!)