Wir kommen zur Abstimmung über Abschnitt II dieses Antrags. Wer diesem Abschnitt zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Abschnitt II ist mehrheitlich abgelehnt.
Meine Damen und Herren, aufgrund der geänderten Reihenfolge der Tagesordnung rufe ich nun Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Die Informationspolitik der Landesregierung nach der Amoklaufdrohung – Drucksache 14/705
Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Konsequenzen aus den Ereignissen am 5. und 6. Dezember 2006 (angekündigter Amoklauf an einer baden-würt tembergischen Schule) – Drucksache 14/716
Zum Antrag Drucksache 14/705 liegt der Änderungsantrag der Fraktion GRÜNE mit dem Titel „Die Informationspolitik der Landesregierung nach der Amoklaufdrohung; hier: Stärkung der Prävention, Schulsozialarbeit und Medienerziehung“, Drucksache 14/1187, vor. Dieser Antrag ist ebenfalls aufgerufen.
Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: Zur Begründung der drei Anträge je fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Heute vor fünf Jahren fand der furchtbare Amoklauf eines 18-jährigen Schülers am Erfurter Gutenberg-Gymnasium statt, dem 16 Menschen – Schülerinnen und Schüler, Eltern, aber auch Schulpersonal – zum Opfer fielen. Vor wenigen Tagen richtete ein Student an einer amerikanischen Universität mit einem Amoklauf ein furchtbares Blutbad an.
Meine Damen und Herren, angesichts solcher furchtbaren Ereignisse, wie sie immer wieder stattfinden, können wir noch einmal dafür dankbar sein, dass es bei uns am 6. Dezember letzten Jahres bei der Androhung eines Amoklaufs geblieben ist und uns dieses schreckliche Leid und die Trauer erspart blieben.
Klar ist aber auch, dass die Gefahr eines Amoklaufs auch in Baden-Württemberg nicht ausgeschlossen werden kann. Wir müssen uns weiterhin damit beschäftigen, wie wir ein Höchstmaß an Sicherheit für unsere Kinder, für Schüler und Schülerinnen und für Lehrer und Lehrerinnen an den Schulen erreichen können und vor allem auch, was wir tun können, um die Prävention zu verbessern.
Meine Damen und Herren, vier Monate nach dem angedrohten Amoklauf möchte ich mich deshalb heute für meine Fraktion dem Thema Prävention widmen. Dazu liegt Ihnen heute ein Änderungsantrag meiner Fraktion vor.
Gestatten Sie mir zu Beginn aber dennoch ein kurzes Wort zum Umgang der Landesregierung mit diesem Thema angesichts der damaligen akuten Gefahr. Auch nach der Lektüre der Stellungnahme zu unserem Fraktionsantrag stellt sich die Frage, ob die Zuständigkeiten zwischen Kultusministerium und Innenministerium klar geregelt waren bzw. geregelt sind. Ich spreche dies auch deshalb an, weil die Gewerkschaft der Polizei nach der Stellungnahme der Landesregierung zu diesem Antrag noch einmal kritisiert hat, dass es zwischen Kultusministerium und Innenministerium offensichtlich nicht klar war, wer die Zuständigkeit beispielsweise für die Öffentlichkeitsarbeit und für die Information der Öffentlichkeit hatte.
Meine Damen und Herren, es liegt auch ein Antrag der CDU zum Thema „Gewaltprävention an Schulen“ vor. Dieser Antrag und die auf ihn erfolgte Stellungnahme zeigen uns erneut, dass es an den Schulen in Baden-Württemberg sehr viele Projekte zur Gewaltprävention gibt. Ich nenne hier beispielsweise das Projekt „Faustlos“ oder auch die Streitschlichterprogramme. Wir wissen – nicht nur durch die Lektüre dieser Drucksache, sondern auch aus unserer eigenen Praxis –, dass es in Baden-Württemberg sehr viele Lehrer und Lehrerinnen gibt, die sich sehr engagiert und vorbildlich für die Gewaltprävention und für die Stärkung der Sozialkompetenz der Schüler und Schülerinnen an unseren Schulen einsetzen.
Die Lehrerinnen und Lehrer engagieren sich in vorbildlicher Weise. Zur Gewaltprävention gehört aber auch ein Gesamtkonzept, das natürlich auch den Einsatz professioneller Kräfte umfassen muss. Sie haben damals unter dieser akuten Gefahr angekündigt, dass die Zahl der Schulpsychologenstellen in Baden-Württemberg von 54 auf 104 erhöht und damit fast verdoppelt wird. Es war auch längst überfällig, dass in diesem
Bereich etwas geschehen ist, denn wir standen mit den Stellen für Schulpsychologen an absolut letzter Stelle aller 16 Bundesländer.
Aber ich sage dazu: Wir wollen nicht, dass diese Stellen auf Kosten der Unterrichtsversorgung eingerichtet werden; denn hier sind ja Stellen aus dem Bereich der Unterrichtsversorgung umgeschichtet worden. Das darf nicht sein. Wir brauchen auch die volle Unterrichtsversorgung für unsere Schüler und Schülerinnen.
Ich sage dazu: Auch diese Zahl reicht nicht aus. Schauen wir zum Beispiel in unser Nachbarland Bayern. In Baden-Würt temberg haben wir ein Verhältnis von einem Schulpsychologen auf 16 500 Schüler und Schülerinnen. In unserem Nachbarland Bayern haben wir ein Verhältnis von einem Schulpsychologen auf 8 500 Schüler und Schülerinnen. In Finnland – das hat auch der Schulausschuss festgestellt – hat jede größere Schule einen Schulpsychologen. Das heißt, wir haben einen Handlungsbedarf. Wir müssen auch künftig weitere Stellen für Schulpsychologen in Baden-Württemberg schaffen.
Meine Damen und Herren, auch Sie von den Regierungsfraktionen ebenso wie Sie, Herr Kultusminister Rau, sagen ganz klar: „Schulsozialarbeit ist unverzichtbar für Präventionsarbeit an den Schulen.“ Dazu sagen Sie im Koalitionsvertrag, dies gelte für alle Schularten. Aber das Land Baden-Württemberg hat sich vor einigen Jahren komplett aus der Finanzierung der Schulsozialarbeit zurückgezogen. Das stößt noch heute auf absolutes Unverständnis. Wir können das nicht nachvollziehen, und wir bestehen darauf, dass das Land Baden-Württemberg wieder in die Finanzierung der Schulsozialarbeit einsteigt.
Ich sage das auch deshalb, weil Sie im Koalitionsvertrag festgelegt haben, dass Sie gemeinsam mit den kommunalen Landesverbänden die Schulsozialarbeit ausbauen wollen. Sie können die Schulsozialarbeit nur gemeinsam mit den kommunalen Landesverbänden ausbauen, wenn Sie auch einen Eigenbeitrag leisten. Dem dient heute unser Antrag. Ich bitte insbesondere die Regierungsfraktionen, diesem Antrag im Interesse einer besseren Prävention in Baden-Württemberg zuzustimmen.
Zur Gewaltprävention gehört natürlich unverzichtbar die Medienerziehung. Wir wissen, dass viele Lehrer und Lehrerinnen gerade auch zu dem, was an Computerspielen, an schrecklichen Killerspielen usw. aus dem Internet heruntergeladen wird, keinen Zugang haben. Nun wurde mit den Mitteln der Medienoffensive II – dabei handelt es sich um gemeinnützige Mittel der Landesstiftung – das Internetportal „MediaCultureOnline“ beim Landesmedienzentrum eingerichtet.
Dieses Internetportal ist das einzige Internetportal zur Medienerziehung für den schulischen und den außerschulischen Bereich in Baden-Württemberg. Hier wird hervorragendes Material angeboten und Informationsarbeit geleistet. Auf dieses Angebot wird täglich von 7 000 Nutzern zugegriffen. Das sind im Monat 200 000 Nutzer. Die Finanzierung dieses
Internetportals läuft Ende 2007 aus. Auch in der Stellungnahme der Landesregierung zu dem Antrag der CDU-Fraktion steht eindeutig, dass die Finanzierung nicht gesichert sei; es gebe keine Haushaltsmittel.
Es macht mich im Grunde genommen fassungslos, dass dem wichtigsten Standbein der Medienerziehung für den schulischen und den außerschulischen Bereich bis jetzt das absolute Aus droht. Wir fordern Sie auf: Sorgen Sie dafür, dass dieses Internetportal im kommenden Jahr in gleichem Umfang wie bisher fortgeführt werden kann und bedarfsorientiert ausgebaut werden kann.
Meine Damen und Herren, bereits vor acht Jahren hat die Fraktion GRÜNE einen Antrag eingebracht, gemäß dem Schüler zu Schülermedienmentoren ausgebildet werden sollen. Denn wir wissen: Schüler brauchen nicht nur Eltern und Lehrer und Vorbilder in der Gesellschaft, sondern Schüler brauchen auch andere Schüler als Vorbilder. Schüler lernen auch durch das Vorbild anderer Schüler. Nun hat nach achtjähriger Verzögerung erstmals eine Ausbildung von 350 Schülermedienmentoren – ebenfalls mit Mitteln der Landesstiftung – stattgefunden. Aber auch dieses Projekt läuft Mitte 2008 aus. Wir brauchen diese Ausbildung. Sie kann nicht über das Landesmedienzentrum finanziert werden, weil dort die Mittel beschränkt sind. Auch da fordern wir Sie als Regierungsfraktionen auf: Sorgen Sie dafür, dass dieses Mentorenprogramm für Schüler und Schülerinnen, das besonders wichtig ist, weil es einen Bereich betrifft, der gerade für die Jungen von gro ßer Bedeutung ist, weitergeführt werden kann. Es muss weitergeführt werden, damit Jugendliche den kritischen Umgang mit Medien lernen können.
Meine Damen und Herren, wir wissen aus der Hirnforschung – hier haben wir als Kronzeugen Professor Spitzer aus Ulm, der uns immer wieder darauf hinweist –, dass der exzessive Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen sich schädlich auf das Lernen, aber auch extrem schädlich auf das soziale Verhalten von Schülern und Schülerinnen auswirkt. Ich bin dafür, dass das Jugendschutzgesetz und das Jugendmediengesetz verschärft werden. Ich bin auch für ein Verbot von Killerspielen, aber wir wissen natürlich, dass ein Verbot allein nicht ausreicht. Deshalb müssen wir alles tun, damit wir unsere Kinder und Jugendlichen auch mit pädagogischen Maßnahmen vom Computer und vom exzessiven Computerspiel wegbekommen.
Wir müssen pädagogisch reagieren. Wir müssen Kindern ein sinnvolles Gemeinschaftsleben ermöglichen. Wir müssen Kinder stärken. Wir müssen Kindern Erfolgserlebnisse in der Schule verschaffen. Dazu brauchen wir natürlich auch die Ganztagsschule. Wir brauchen dort den Sport, das Erlernen von Musikinstrumenten,
Wir brauchen Outdoorpädagogik. Wir brauchen für all das aber auch professionelle Kräfte und nicht nur ehrenamtlich tätige Kräfte.
Auch deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Mittel bereitstehen, damit ein solches qualifiziertes Angebot an den Schulen eingerichtet werden kann.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss: Kinder und Jugendliche sind das Wichtigste und Wertvollste, das unsere Gesellschaft hat. Wir müssen alles tun zu ihrem Schutz. Wir müssen aber im Sinne der Prävention dafür sorgen, dass wir professionelle Kräfte in die Schulen hineinbekommen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir Kindern Erfolgserlebnisse verschaffen, dass wir ihnen gute, positive Angebote machen. Das ist die wichtigste Prävention.
Dazu liegt Ihnen heute ein Antrag unserer Fraktion vor. Ich weiß, dass auch Sie diese Richtung grundsätzlich akzeptieren. Deshalb bitte ich Sie: Setzen Sie ein Signal. Stimmen Sie heute diesem Änderungsantrag im Landtag zu – im Interesse unserer Kinder, im Interesse der Lehrer, im Interesse unserer Gesellschaft.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Stichworte dieses Tagesordnungspunkts lauten: „angekündigter Amoklauf“, „Informationspolitik der Landesregierung“ und „Gewaltprävention“. Ich muss sagen: Selbst mit zeitlichem Abstand zum 5. Dezember des vergangenen Jahres bleiben die Vorgänge um die Ankündigung des Amoklaufs fragwürdig. Sie sind voller Widersprüche und Ungereimtheiten, was die Zuständigkeiten und was vor allem die Handlungskompetenz der Landesregierung anlangt. Für mich steht auch heute außer Frage, dass der Innenminister und nicht der Kultusminister am 5. Dezember 2006 das Heft des Handelns hätte in die Hand nehmen müssen.
Bestätigt fühle ich mich insbesondere durch die massive Kritik der Polizeigewerkschaften als Sprachrohr der Kolleginnen und Kollegen von der Polizei, die nahezu ohnmächtig, muss man sagen, schauen mussten, wie sie unter Geheimhaltung agieren und ihren Dienst verrichten, während der Kultusminister die Radio- und Fernsehsender „besetzt“ hat.
Meine Damen und Herren, es darf einfach nicht sein, dass in einer derart schwierigen Sicherheitslage in unserem Land im Kultusministerium Entscheidungen getroffen werden, die aus polizeilicher Sicht ausschließlich im Innenministerium hätten getroffen werden müssen.