Meine Fraktion hat vor der Zwischenbilanz konkrete Vorschlä ge dazu vorgelegt, wie man das Landes-Behindertengleich stellungsgesetz konkretisieren sollte. Diese Vorschläge sind damals von der Landesregierung und der Landtagsmehrheit mit der Begründung abgelehnt worden, dass zunächst einmal die Beteiligten in einem Anhörungsverfahren einbezogen wer den sollten. Erst danach wären die entsprechenden Entschei dungen zu treffen.
Diese Anhörung hat aber bestätigt, was wir schon im Jahr 2007 mit unserem Antrag gefordert haben. Ich nenne insbe sondere folgende Beispiele: Zunächst soll der Begriff „Behin derung“ auf sich abzeichnende Behinderungen erweitert wer den. Zweitens soll beim Benachteiligungsverbot für öffentli che Stellen die Änderung von einer Soll- in eine Mussvor schrift vorgenommen werden und eine Ausweitung des Ad ressatenkreises sowohl im öffentlichen Bereich, insbesonde re für Kommunen, als auch für den Bereich der Zuwendungs empfänger des Landes erfolgen. Unsere dritte Forderung war die Einführung von angemessenen Sanktionen bei Verstößen gegen das Landes-Behindertengleichstellungsgesetz.
Wenn ich höre, wie schnell Sie generell mit Sanktionen bei der Hand sind, wenn es um den Integrationswillen unserer neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger geht, dann frage ich mich: Wo bleibt eigentlich Ihr Mitwirken im Hinblick auf Sanktionen bei Verstößen gegen das Landes-Behinderten gleichstellungsgesetz?
Wir diskutieren heute neben unseren beiden Anträgen auch über einen Antrag der Grünen. Der Antrag der Grünen nimmt unsere Forderungen zu Recht auf. Es geht hierbei um eine konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonventi on. Wir wollen, dass die Rechte der Menschen mit Behinde rungen in der Bundesrepublik Deutschland 1 : 1 und zügig umgesetzt werden. Denn seit dem Jahr 2009 gibt es den Bun destagsbeschluss über die Übernahme dieser UN-Konventi on. Dieser soll jetzt auch hier im Landtag von Baden-Würt temberg seine Konsequenzen finden.
Ich habe mir auch die Halbzeitbilanz der Landesregierung an geschaut. Diese Halbzeitbilanz in der 14. Legislaturperiode von 2008 hat auf 51 Seiten sehr viele Lobeshymnen versam melt. Zum Thema Behinderung finde ich jedoch kein einziges Wort; dieser Begriff kommt gar nicht vor. Ich ziehe daraus den Schluss, dass es bei diesem Thema nichts zu loben gibt.
Die dortige Landesregierung hat im März 2010 einen Akti onsplan zur Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen verabschiedet. Das hat man sogar in sogenannter Leichter Sprache formuliert. Jetzt wer den Sie vielleicht sagen: Unsere Landtagsdrucksachen seien in besonders schwerer Sprache formuliert. Schwere Sprache entspricht der normalen Sprache. Leichte Sprache ist die Spra che, die auch ein behinderter Mensch, ein geistig behinderter Mensch oder ein Mensch mit Lernschwierigkeiten verstehen kann. Dafür gibt es auch ein UN-Symbol. Dieses Symbol kann ich bei den Publikationen des Landes leider bis jetzt nicht fin den.
Dieses Zeichen für Leichte Sprache ist für mich wichtig. Denn mit einer leichten Sprache erreichen wir auch die Menschen, die bislang noch nicht die Gelegenheit hatten, sich in Schrift und Bild über ihre persönlichen Rechte zu informieren.
Deswegen möchte ich sagen: Stimmen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, dem Beschlussteil unseres Antrags Drucksache 14/4477 zu, die Landesregierung aufzufordern, noch in die sem Jahr einen Gesetzentwurf zur Novellierung des LandesBehindertengleichstellungsgesetzes vorzulegen. Ich glaube, dass wir dann auf einem guten Weg sind.
Es gibt noch einen weiteren Punkt, den ich kurz ansprechen möchte. Dabei geht es um weitere Kürzungen für Menschen mit Behinderungen, die die Landesregierung beabsichtigt hat. Bei den Beratungen der Haushaltsstrukturkommission wur den im Haushaltsentwurf 2010/2011 eine Reihe von Ressort kürzungen beschlossen. Unter diesen Kürzungen fanden wir auch die Abschaffung der unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen im ÖPNV.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie in Ihrer Stellungnahme jetzt etwas korrigieren. Beim Prüfauftrag an das Sozialminis terium geht es nur um die Initiative auf Bundesebene, nicht aber um eine inhaltliche Überprüfung, wie Sie es in Ihrer Stel lungnahme suggeriert haben. Beschlossen war eine Abschaf fung der unentgeltlichen Beförderung und keine Neugestal tung, keine Überprüfung und keine Weiterentwicklung.
Nun bin ich froh, dass es hier um Rechtsansprüche geht, die nach Bundesgesetzen „abzufrühstücken“ sind. Das Sozialge setzbuch ist nämlich ein Bundesgesetz. Deshalb kann das Land Baden-Württemberg nichts tun, um irgendetwas zu strei chen.
Im Übrigen haben sich die SPD-Fraktion, aber auch Mitglie der der CDU-Fraktion im Bundesrat gegen eine solche Strei chung ausgesprochen – Gott sei Dank. Auf diesem Weg ist ei ne entsprechende Initiative vom Land Baden-Württemberg verhindert worden. Wenn man sich überlegt, wen Sie mit der Streichung des ÖPNV-Zuschusses getroffen hätten, kommt man zu dem Schluss, dass Sie im Wesentlichen Menschen mit Behinderungen und mit sehr geringem Einkommen, also größ tenteils Kleinrentner oder Sozialhilfebezieher, getroffen hät ten. Genau das galt es zu verhindern. Wir sind froh, dass es nicht zu dieser Kürzung gekommen ist.
Deswegen brauchen wir keine Überweisung an den Aus schuss. Vielmehr bitte ich Sie, über unseren Antrag positiv ab zustimmen. Wenn Sie diesem Antrag zustimmen, drücken Sie damit auch aus, dass die Streichung von Fahrtkostenzuschüs sen für schwerbehinderte Menschen im ÖPNV für Sie kein Thema mehr ist und dass dies für alle Zeit nicht mehr in Be tracht kommt.
Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte Damen und Her ren! Die UN-Behindertenrechtskonvention ist eines der be deutendsten Dokumente in der Geschichte der Entwicklung der Menschenrechte. Die formulierten Ansprüche auf Selbst bestimmung, Diskriminierungsfreiheit und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen werden die Gesellschaften, auch unsere, verändern.
Die UN-Konvention stellt nichts weniger als die Akzeptanz von Behinderung als Bestandteil der Vielfalt menschlichen Lebens dar. Damit ist die UN-Behindertenrechtskonvention ein großer Meilenstein in der Behindertenpolitik. Ausgehend vom Menschenrechtsansatz formuliert sie das Recht auf Selbstbestimmung, Partizipation und umfassenden Diskrimi nierungsschutz für Menschen mit Behinderungen. Zusätzlich fordert sie eine barrierefreie und inklusive Gesellschaft. So viel zum Gesetz, und so viel zum Grundsatz.
Jetzt kommt es darauf an – das war die Intention für unseren umfangreichen Antrag –: Was macht das Land daraus? Wie stellt sich das Land zu diesen grundsätzlichen Zielen? Welche Vorschläge macht das Land, wenn es darum geht, diese Ziele in geltendes Recht umzusetzen? Dazu kann man sagen: Un ter dem Strich – das gilt sowohl für die Stellungnahme zum Antrag der SPD als auch für die vielen Antworten auf die in unserem Antrag gestellten Fragen – ist das Land offenbar sehr zufrieden mit dem, was es tut, und ist der Meinung, man brau che überhaupt kein bisschen zu verändern. Ich muss wirklich sagen: Das ist ein völlig falsches Verständnis und widerspricht dem, was die UN-Behindertenrechtskonvention zum Aus druck bringen will, dem Geist, den sie ausstrahlt.
Ich gebe einmal ein Beispiel: In der Anlage der Stellungnah me der Landesregierung zu dem Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 14/4477, in der es um die Forderung geht, das Wunsch- und Wahlrecht für Eltern von Menschen mit Behin derungen einzuführen, ist die Bewertung der Landesregierung die Folgende:
Das ist wirklich eine ganz besondere Formulierung. Das heißt mit anderen Worten: Diese Sollvorschrift soll beibehalten wer den und soll eben keine Verpflichtung beinhalten. Genau dies ist der falsche Ansatz, wenn es darum geht, endlich dafür zu sorgen, dass das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern von Men schen mit Behinderungen umgesetzt wird. Das Wunsch- und Wahlrecht für die Kinder gibt es sowohl im Kindergarten als auch in der Schule nach wie vor überhaupt nicht.
Es gibt einen individuellen Förderbedarf. Wenn er festgestellt wird, muss die Förderung beantragt werden. Dann muss die entsprechende Einrichtung gefunden werden: ein Kindergar ten, der auch bereit ist, ein Kind mit Behinderung aufzuneh men. Dann muss festgestellt werden, wie hoch der Förderbe darf bei dem betreffenden Kind ist.
Schließlich kann das Kind nur dann in den Kindergarten – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen –, wenn eine Integrationsfachkraft vorhanden ist. Das heißt in der Re gel: Ein Kind mit schweren Behinderungen kann nur acht Stunden in der Woche in den Kindergarten gehen. Mehr wird nicht bezahlt. Eigentlich sind es nur sieben Stunden, da eine Stunde Vorbereitungszeit für die Integrationsfachkraft einge schlossen ist.
Das ist keine Integration, das ist keine inklusive Betreuung. Damit ist es für Kinder mit Behinderungen nach wie vor un glaublich schwierig, in Regeleinrichtungen betreut zu werden.
Noch viel schlimmer wird es, wenn es um die Integration in der Regelschule geht. Die Sonderschulpflicht ist nun – aller dings erst zum Schuljahr 2013/2014, also deutlich später als ursprünglich geplant – abgeschafft worden. Auch hierbei wur de weder das Elternwahlrecht gestärkt noch das uneinge schränkte Elternwahlrecht gesichert. Es soll nach wie vor ei ne Kommission geben, die darüber entscheidet, in welcher Art Schule ein Kind am besten gefördert werden kann. Das El ternwahlrecht wird auf diese Weise eingeschränkt und kann eben nicht uneingeschränkt wahrgenommen werden. Das ist das eine.
Das andere ist: Das Kultusministerium sagt: „Es soll kosten neutral passieren.“ Das heißt, die Sonderschulstrukturen blei ben bestehen, die Regelschulstrukturen bleiben bestehen, es soll auch noch der individuelle Förderbedarf umgesetzt wer den, und das Ganze soll kostenneutral passieren. Die Konse quenz dessen, was da passiert, ist, dass es jetzt einen Vertei lungskampf zwischen den Sonderschulen und den Regelschu len gibt. Denn keine Schule will die entsprechenden Schul stunden abgeben. Das alles wird auf dem Rücken der Kinder ausgetragen, sodass auch hier im Ergebnis völlig klar ist: Das Wunsch- und Wahlrecht wird nicht umgesetzt, und nach wie vor ist es für Kinder mit Behinderungen unglaublich schwie rig, auch in Regelschulen unterrichtet zu werden.
Herr Präsident, meine sehr verehr ten Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Eineinhalb Jahre nach der Einbringung der Drucksache 14/4477 besprechen wir heute drei Anträge, die allesamt aus dem Jahr 2009 stammen. Dringlichkeit, Herr Kollege Wehows ky sieht anders aus.
Dennoch: Niemand bestreitet die Wichtigkeit des auch in Ba den-Württemberg eingeleiteten Paradigmenwechsels, Men schen mit Behinderungen so weit wie möglich eine gleichbe rechtigte und selbstbestimmte Teilhabe am Leben in der Ge sellschaft zu ermöglichen.
Die UN-Behindertenrechtskonvention hat Eingang in die Ge setzgebung gefunden, Frau Mielich, u. a. in das Kindertages betreuungsgesetz.
Wir alle kennen Beispiele, wie in der schulischen Bildung In klusion Einzug hält, wobei das Wohl des behinderten Kindes im Vordergrund der Entscheidung stehen muss, welches Schulangebot das beste ist. Es geht nicht um etwas Neues, um die Erfüllung einer Vorgabe, sondern immer zuerst um die Be dürfnisse einzelner Menschen.
Weil Sie das jetzt eben so herausgestrichen haben, Frau Mie lich: Auch das Elternwahlrecht muss sich dem Wohl des Kin des unterordnen.