Protocol of the Session on October 7, 2010

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, die FDP bekennt sich zur repräsentativen Demokratie. Diese wollen wir aber auf allen politischen Ebenen um Elemente der direkten Demokratie bereichern. Bürgerinnen und Bürger müssen sich besonders in ihrem unmittelbaren Umfeld stär ker an Entscheidungen beteiligen können. Deshalb setzen wir Liberalen uns für Bürgerentscheide, Bürgerbegehren und Bür gerbefragungen auf Landes- und auf Bundesebene ein.

Auf kommunaler Ebene haben wir dazu in Baden-Württem berg bereits Hürden abbauen können.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Dann macht doch mit!)

Nur gemeinsam können wir solche positiven Veränderungen auch auf Landesebene verwirklichen. Lassen Sie uns das ge meinsam angehen.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Also, Zustimmung!)

Aber Ihnen geht es nicht um Gemeinsamkeit. Sie wollen nur wieder spalten.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Lachen des Abg. Claus Schmiedel SPD – Zu ruf des Abg. Reinhold Gall SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Stickelberger.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Herr Kollege Mack, Ihren Vergleich des Gesetzentwurfs der Grünen und der Sozialdemokraten mit

Vorstößen radikaler Gruppen insbesondere aus dem Nazi deutschland halten wir schlicht für geschmacklos.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Aus der Weimarer Zeit! – Ge genruf des Abg. Reinhold Gall SPD – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Mit den Beispielen, die Sie genannt haben, haben Sie uns in einen Topf geworfen mit Gesinnungen, mit Handlungsweisen, mit einem System, das wir als Sozialdemokraten – das neh men auch die Grünen zu Recht für sich in Anspruch – immer abgelehnt haben. Gerade unsere Partei hat unter diesem Sys tem, wie allgemein bekannt ist, hinreichend gelitten.

Herr Kluck und Herr Mack, aus Ihren beiden Beiträgen spricht eigentlich die nackte Angst vor dem Bürger.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Albrecht Fischer CDU: Das ist weit hergeholt!)

Ich habe Ihren beiden Beiträgen nur Skepsis und die Angst vor Entscheidungen entnommen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Dann haben Sie nicht zugehört!)

Trauen Sie unseren Bürgern eigentlich nicht zu, hier an der Gestaltung von politischen Entscheidungen entscheidend mit zuwirken? Warum gründen Sie Ihre Meinung nur auf Miss trauen gegenüber dem Bürger? Wir vertrauen unseren Bür gern.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Wir auch!)

Wir muten ihnen aber auch einiges zu.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Mitbestimmung auf Landesebene wie auf kommunaler Ebe ne setzt Verantwortung und Engagement voraus. Die Hürden sind auch nach unserem Gesetzentwurf noch immer sehr, sehr hoch.

Missbrauchsgefahr besteht nach unserer Meinung nicht. Des halb halten wir es für ein Gebot der Stunde, die Bürger unse res Landes zu beteiligen und ihnen nicht mit Misstrauen zu begegnen.

Sie sind nicht auf der Höhe der Zeit, meine lieben Kollegen. Wenn man die Diskussionen in den letzten Jahren und insbe sondere in den letzten Wochen verfolgt hat, fühlte man sich bei Ihren Beiträgen um 30 Jahre zurückversetzt.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Ich komme aus einem Wahlkreis, der unmittelbar an die Schweiz grenzt. Dort erlebe ich fast täglich, wie sich Bürgerinnen und Bürger in die politischen Diskussionen auf kantonaler Ebene und auf Bundesebene einbringen.

(Zuruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU)

Dort herrscht eine Beteiligungskultur, die sich natürlich ent wickeln muss. Diese hat übrigens auch Haushaltsgesetze und Kreditbewilligungen zum Gegenstand. Dabei leisten auch die

Medien einen ganz wichtigen Beitrag zu dieser Entschei dungskultur.

Ich glaube, diese Beispiele aus dem benachbarten Ausland – auch wenn es ein kleines Land ist – und die Praxis unserer Nachbarbundesländer machen uns Hoffnung, dass wir mit dem, was wir jetzt vorschlagen, auf einem guten Weg sind.

Herr Kluck, wenn Sie kritisieren, dass wir Ihren bescheide nen Vorschlag für eine Senkung des Quorums bei einem Volksentscheid ablehnen würden, muss ich entgegnen, dass Sie nicht einmal einen Gesetzentwurf eingebracht haben.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Haben wir doch! – Gegenruf des Abg. Andreas Stoch SPD: Daran müsst ihr noch ar beiten! – Abg. Karl-Wolfgang Jägel CDU: Minaret te!)

Wir setzen uns gern damit auseinander. Aber das, was Sie vor schlagen, ist ein reines Placebo. Denn die Musik spielt im Rahmen eines Volksbegehrens. Wenn die Hürden dafür zu hoch sind, nützt Ihnen die Senkung des Quorums bei einem Volksentscheid nichts.

Fazit: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu. Er ist auf der Höhe der Zeit. Er nimmt Verbesserungen im Hinblick auf ei ne Mitwirkung auf landespolitischer Ebene für die Bürgerin nen und Bürger vor. Es ist jetzt Zeit, zu handeln.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Ich erteile Herrn Abg. Sckerl das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Mack haben den Diskussions- und den Gesprächsbedarf deut lich gemacht.

Vieles, was Sie gesagt haben, kann in der Sache nicht stehen bleiben und ist historisch völlig unzulässig. Da schließe ich mich nahtlos Herrn Kollegen Stickelberger an. Ich muss mich auch entschieden dagegen verwahren, hier mit radikalen Kräf ten verglichen zu werden.

(Abg. Winfried Mack CDU: Das habe ich doch gar nicht gesagt!)

Herr Mack, es kam so herüber.

(Abg. Winfried Mack CDU: Unsinn! Völliger Un sinn! – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Nein! – Gegen ruf der Abg. Ilka Neuenhaus GRÜNE)

Dann haben Sie nachher vielleicht Gelegenheit zur Korrek tur; sie wäre dringend notwendig. Tut mir leid.

Zu Ihrem Beispiel mit der Volksabstimmung in der Schweiz über ein Verbot des Baus von Minaretten: Entschuldigung, bei uns genießt religiöse Betätigung Grundrechtsschutz und wird deshalb nicht Gegenstand eines Volksbegehrens sein – auf Landesebene schon gar nicht. Sie haben auch hier einen völ lig unzulässigen Vergleich angestellt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU – Unruhe)

Es geht bei einem Volksbegehren auf der Ebene Baden-Würt tembergs immer um Angelegenheiten des Landes. Diese sind klar definiert. Jeder Abgeordnete kennt sie. Abgabengesetze, Besoldungsfragen und das Haushaltsgesetz sind dabei von Volksbegehren ausgeschlossen.

Wir orientieren uns an der Volksentscheidsgesetzgebung an derer Bundesländer. In Niedersachsen, Hessen, Sachsen und Bayern regiert die CDU bzw. die CSU. Da gibt es Gesetze über moderne Bürgerbeteiligung auf der Höhe der Zeit. Dem gegenüber ist das, was Sie vertreten, wirklich beschämend, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Kluck, die FDP muss ihren Wählerinnen und Wählern erklären, wieso sie hinter die bundesdeutschen Min deststandards und -formen der direkten Demokratie zurück fällt.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das tun wir doch gar nicht! Sie können nicht zuhören! – Zuruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Doch, Herr Kluck. – Sie müssen schon die Frage beantwor ten, was Ihr Koalitionsreförmchen eigentlich soll, außer eine Placebowirkung zu erzielen, wenn ich eine Volksabstimmung erst gar nicht erreiche. Sie müssen vorn reformieren – vorn und nochmals vorn! Sie müssen die Höhe der Quoren bei ei nem Volksbegehren absenken. Dann können wir gern über die Höhe des Zustimmungsquorums „hinten“, bei der Volksab stimmung, reden, z. B. darüber, ob man 33 % oder 25 % nimmt.

Ich habe gesagt: Wir machen Ihnen ein Angebot. Nehmen Sie das doch bitte einmal ernst, und lassen Sie uns ins Gespräch kommen. Da ist vieles vorstellbar und verhandelbar. Bei ei ner schroffen Ablehnung werden wir natürlich – die SPD ge nauso wie wir – unsere Vorstellungen auch in der Öffentlich keit, auch im Wahlkampf kommunizieren.