Protocol of the Session on October 6, 2010

Im Übrigen: Bei einer Einstellung des Projekts blieben wir auf einem Kostenbeitrag in Milliardenhöhe sitzen, und wir hätten davon keinen Gewinn – nur einen sanierungsbedürfti gen Bahnhof und alte Gleise aus königlich-württembergischer Zeit.

Meine Damen und Herren, wollen wir das wirklich? Ich will, dass das Land seine Chancen ergreift und seinen Wohlstand sichert. Deshalb stehe ich zu diesem Bahnprojekt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Besonders verwundert mich im Übrigen der Einsatz von man chem Mitglied des Hauses für das vermeintliche Alternativ projekt K 21. Meine Damen und Herren, die Kopfbahnhofs lösung K 21 ist ein Phantom,

(Zuruf von der SPD: Genau!)

für das es in der Zwischenzeit gleich vier Varianten gibt. Für K 21 gibt es nichts: keine Planung, keine Finanzierung, kei ne Genehmigung,

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Wie soll es denn eine Genehmigung geben?)

keine Linienführung, noch nicht einmal gute Gründe.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der SPD)

Aber die dringend notwendige Verbesserung der Schienenin frastruktur im Raum Stuttgart würde auf unbestimmte Zeit aufgeschoben, sozusagen „Zurück auf Los und wieder bei null anfangen“, inklusive 16-jähriger Planungsphase.

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Das wäre ein Schwa benstreich!)

Baden-Württemberg wäre vom modernen Fernverkehr abge hängt.

Klar ist aber: K 21 würde massive Eingriffe durch neue Glei se auf der Bestandsstrecke in dicht besiedeltem Gebiet im Ne ckartal bedeuten und wäre nicht einmal billiger. In Bad Cann statt, Unter- oder Obertürkheim oder Hedelfingen dürfte wohl kaum zu vermitteln sein, warum eine aufgeständerte K-21ICE-Trasse in dicht besiedeltem Gebiet einer landschaftsscho nenden Lösung von Stuttgart 21 vorzuziehen ist, meine Da men und Herren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der SPD – Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Wer fordert die denn? – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Unterschätzen Sie die Leute nicht! – Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Das ist alles so komisch und jede Woche etwas anderes!)

Es gibt einen Punkt, der mich besonders berührt. Sehr geehr te Damen und Herren, es gibt eine Ebene des Konflikts um Stuttgart 21, die wir in diesem Haus unbedingt einmal disku tieren müssen; denn sie berührt das Selbstverständnis unserer repräsentativen Demokratie und unseres Rechtsstaats. Scha den wir nicht demokratischen Institutionen, wenn vom Volk gewählte Parlamentsabgeordnete demokratisch legitimierte Beschlüsse des Parlaments andauernd selbst aktiv infrage stel len?

(Abg. Gundolf Fleischer CDU: So ist es!)

Haben Mitglieder des Hauses das Recht, hat irgendjemand in diesem Land das Recht, sich über den Rechtsstaat zu stellen und rechtlich einwandfreien Entscheidungen die Legitimati on abzusprechen?

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Es gibt niemanden, der dieses Recht besitzt, weil sich niemand über das Recht stellen darf, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der SPD)

Zur Demokratie gehört der Wettbewerb, zur Demokratie ge hört das Ringen, zur Demokratie gehört die Debatte, und zur Demokratie gehört die öffentliche Kritik.

(Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE: Dazu gehört aber auch die Einsicht!)

Aber genauso elementar für jede demokratische Ordnung und für den inneren Frieden einer Gesellschaft sind die Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen und der Respekt vor dem Ur teil unabhängiger Gerichte.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der SPD – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es!)

Meine Damen und Herren, hinter allen Beteiligten liegen bei Stuttgart 21 fast zwei Jahrzehnte der öffentlichen Debatte, der Begutachtung, der Planung, der Planoptimierung, der Anhö rungen, der Entscheidungen und Gerichtsurteile. Allein hier in diesem Haus war das Projekt „Stuttgart 21“ seit der ersten Rahmenvereinbarung 146-mal Thema.

(Beifall des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Der Stuttgarter Gemeinderat hat über 200-mal öffentlich über das Projekt debattiert. 11 500 Einsprüche von Bürgerinnen und Bürgern, von Verbänden und Institutionen wurden ein zeln abgehandelt. 60 Alternativen wurden geprüft.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: 67 000 Unterschrif ten!)

Auch die wesentlichen Elemente der K-21-Variante sind da bei geprüft, von Gerichten überprüft und verworfen worden.

Der Weg zum Baubeginn war jederzeit und für jeden transpa rent, juristisch korrekt und politisch intensiv begleitet.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Das stimmt doch kein bisschen! – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Wie war die letzte Kostenschätzung?)

Wir sollten uns zumindest darauf verständigen, meine Damen und Herren, dass wir ein solches Projekt nach einem so lan gen und intensiven Prozess dann auch tatsächlich verwirkli chen. Um es mit den Worten von Joachim Gauck zu sagen, der sich in einem Fernsehinterview zu den demokratischen Entscheidungen zu Stuttgart 21 äußerte – ich zitiere –:

Die Politiker, die jetzt sagen: „Ich baue einfach nicht wei ter“, die dürfen das gar nicht tun, wenn sie sich selbst ernst nehmen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der SPD – Zurufe der Abg. Bärbl Mielich und Jürgen Walter GRÜNE)

Genau darum geht es, meine Damen und Herren. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage der Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit in unserem Gemeinwesen. Es geht um die Gültigkeit und um die Glaubwürdigkeit demokratisch gefasster Beschlüsse. Machen wir uns klar: Auf diese Diskus sion schaut mittlerweile ganz Deutschland.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Woran liegt das denn?)

Hier ist eine Grundsatzfrage berührt: Wer ist noch bereit, Kre ativität, Kraft und Geld bei uns, in unserem Land, zu inves tieren, wenn er damit rechnen muss, dass nach 15 Jahren Ar beit alles vor dem Aus steht?

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der SPD)

Was hieße es denn für unsere Gesellschaft, wenn Verträge plötzlich nichts mehr gälten,

(Abg. Dr. Gisela Splett GRÜNE: Atomausstieg!)

wenn Entscheidungen nach Stimmungslage getroffen und wie der revidiert würden, wenn der Rechtsstaat Rechtssicherheit nicht mehr garantieren würde? Was für eine Republik wäre das?

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Eine Bananen republik! – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Versetzen wir uns für einen kurzen Augenblick in die Pers pektive eines typischen baden-württembergischen Häuslebau ers. Nehmen wir an: Er hat ein Grundstück mit einem Haus gekauft, das er umbauen will. Er hat einen Bauantrag gestellt, er hat die Finanzierung geklärt.

(Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE: Die ist eben nicht geklärt!)

Seine Nachbarn, alle verantwortlichen Stellen und der Ge meinderat haben zugestimmt.

(Zuruf der Abg. Dr. Gisela Splett GRÜNE)

Unser Bauherr hat den „Roten Punkt“, und er gießt gerade das Fundament. Plötzlich wird vor der Baustelle demonstriert – gegen die Form seines Hauses, schließlich sei das alte Haus ein Architekturwunder. Die Demonstranten wenden sich da gegen, dass er Bäume auf seinem Grundstück fällen will. Sie zweifeln seine Finanzierung an.

(Zuruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Sie verlangen von ihm einen sofortigen Baustopp und eine Bürgerbeteiligung in der Gemeinde.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: So weit kommt es noch!)

Der Bauherr fragt sich, wie viel seine Baugenehmigung wert ist,