Protocol of the Session on July 28, 2005

Wer im nationalen Vergleich auf Platz 3 zurückfällt, kann sich wahrlich nicht als Sieger fühlen. Es ist also ein gravierender Fehler, sich hier in Selbstgefälligkeit zu hüllen, wie Sie, Herr Wacker, dies gerade gemacht haben.

(Beifall bei der SPD)

Geradezu beschämend – dazu haben Sie nichts gesagt; auch das ist bezeichnend – ist es, wenn in dieser Vorstudie festgestellt wird, dass in Baden-Württemberg die Mathematikleistungen der 15-Jährigen stärker als in allen anderen Ländern mit der sozialen Herkunft zusammenhängen. Die soziale Herkunft spielt bei uns eine so große Rolle wie in keinem anderen Land. Das halte ich für beschämend, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Dass sich in der Lesekompetenz nicht sehr viel getan hat, ist auch kein Ruhmesblatt. Nach wie vor können 20 % der 15-Jährigen in Baden-Württemberg nicht richtig lesen, sie haben beim Lesen enorme Schwierigkeiten. Sie verstehen das, was sie lesen, nicht. Das kann uns doch nicht befriedigen. Auch dazu haben Sie, Herr Wacker, nichts gesagt.

(Abg. Wacker CDU: Wir haben noch eine zweite Runde!)

Das ist im Grunde genommen eine Blamage für die badenwürttembergische Bildungspolitik.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Ja- wohl!)

Ich behaupte nämlich: Unsere Kinder sind nicht dümmer als die finnischen oder die kanadischen Kinder,

(Abg. Schmiedel SPD: Nicht einmal als die bayeri- schen!)

sondern da stimmt irgendetwas nicht. Sie bekommen, meine Damen und Herren, weniger Förderung und werden in Systeme gepresst, die effektives Lernen verhindern. Dafür gibt es genügend qualifizierte Belege, das wird auch von Wissenschaftlern ausgeführt.

Eliteförderung – das räume ich ein – steht bei Ihnen an oberster Stelle, auch bei der Ministerin; aber Sie vernachlässigen die schwächeren Schüler und insbesondere die Hauptschule.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Genau! – Abg. Wacker CDU: Sie machen eine Wahlkam- pagne!)

In Finnland gibt es zwei wichtige Grundsätze: Kein Schüler darf zurückgelassen werden, und kein Schüler darf beschämt werden. Das sind zwei wichtige Grundsätze. Wer aber Fördermaßnahmen im Hauptschulbereich streicht, handelt unverantwortlich,

(Beifall bei der SPD)

schadet den jungen Menschen, gibt ihnen keine Perspektive und lässt sie zurück.

Ich will Ihnen auch ein aktuelles Beispiel nennen. Sie wissen, dass ich als Kooperationslehrer an einer Hauptschule tätig bin, an einer so genannten Brennpunktschule. An dieser Schule haben von 90 Schülern der Hauptschule gerade einmal vier eine Lehrstelle bekommen.

(Zuruf von der SPD: So ist es! – Abg. Seimetz CDU: Da gibt es genauso viele Gegenbeispiele!)

Die anderen gehen ins BVJ. Innerhalb von fünf Jahren hat sich die Zahl der Schüler im BVJ rasant gesteigert. In den letzten fünf Jahren sind 60 000 Jugendliche ins BVJ gegangen, und die eigenen Aussagen Ihres Ministeriums besagen, dass von diesen BVJ-Schülern gerade einmal 15 % eine entsprechende Ausbildungsstelle bekommen.

(Abg. Wintruff SPD: Das ist die Wahrheit! – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Seien wir doch froh, dass wir das BVJ haben!)

Auch dieses halte ich für nicht hinnehmbar. Es ist ein Skandal, wie man hier mit jungen Menschen umgeht.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage noch einmal: Ihre Leidenschaft gilt der Elite, aber nicht den Schwachen: denen wollen Sie sogar noch die Lernmittelfreiheit nehmen. Das ist das, was Sie vorhaben.

(Beifall bei der SPD)

Im Ganztagsschulbereich haben Sie sich aus ideologischen Gründen verrannt. Wir haben gestern darüber debattiert. Sie stützen sich nach wie vor auf die Brennpunktschulen, und Frau Schavan sagt ja auch zum IZBB-Programm, es sei ein Programm für den Bau von Suppenküchen. Und sie ist nicht einmal bereit, das notwendige Personal für Ganztagsschulen zur Verfügung zu stellen. Das ist ihre Aufgabe, nicht die Aufgabe des Bundes.

(Beifall bei der SPD – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Damit schaffen wir keine Lehrstellen!)

Auch hier haben Sie versagt. Sie verbieten sogar Schulen, an dem Bundeskongress in Berlin teilzunehmen, sich zu präsentieren. Sie verbieten dies.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das haben wir doch gestern schon debattiert! – Abg. Seimetz CDU: Das haben wir doch gestern gehört! Zeller ist uneinsichtig!)

Das nenne ich einen Maulkorb, meine Damen und Herren. Sie begründen dies mit dem Föderalismus. Gleichzeitig fordern Sie aber neue Mittel, weil die Gelder für Baden-Württemberg nicht ausgereicht haben. Sie fordern auf der einen Seite neue Mittel vom Bund, und auf der anderen Seite wollen Sie mit dem Bund nichts zu tun haben. Entscheiden Sie, auf welchen Weg Sie sich machen wollen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich lese Ihnen noch einen kurzen Abschnitt vor.

(Zuruf von der CDU: Das muss jetzt nicht sein!)

Der Landeselternbeirat hat in einer Pressemitteilung diese Situation treffend beschrieben.

(Abg. Döpper CDU: Das werden wir zensieren!)

Wollen Sie den Landeselternbeirat zensieren?

(Abg. Döpper CDU: Nein, Ihre Leseprobe!)

Das ist Ihre Einstellung zur Demokratie.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Zeller, darf ich Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Ich komme gleich zum Schluss, will Ihnen dies aber noch aus der Presseerklärung des Landeselternbeirats zitieren:

Mit Unverständnis reagiert der Vorstand des Landeselternbeirats auf die Ankündigung von Kultusministerin Annette Schavan, den im September vom Bundesbildungsministerium geplanten Ganztagsschulkongress in Berlin zu boykottieren.

(Abg. Seimetz CDU: Das haben wir doch gestern schon gehört!)

Die vielen Anträge auf Zuschüsse aus dem Bundesförderprogramm IZBB hätten deutlich gezeigt, wie groß die Nachfrage nach Ganztagsschulen auch in BadenWürttemberg sei.

Meine Damen und Herren, erkennen Sie endlich einmal die Realität.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Schmiedel SPD: Volkes Stimme war das! – Gegenruf des Abg. Döpper CDU: Aber schwach!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kleinmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Zeller, wenn ich gleich zu dem kommen darf, was Sie am Schluss angesprochen haben und was wir gestern beraten haben – Thema Ganztagsschulen –: Wenn Sie sagen, auch heute noch würde ein Antrag auf Einrichtung einer Ganztagsschule nur brennpunktorientiert genehmigt werden, dann frage ich Sie: Ist das Gymnasium am Rosenberg in Oberndorf ein Brennpunktgymnasium? Ist das Gymnasium in Schramberg – da gibt es auch nur eines – eine Brennpunktschule?

(Abg. Seimetz CDU: Der Zeller ist halt nicht lern- fähig!)

Ich kann also diesen Zusammenhang in diesem Punkt gar nicht erkennen. Das nur noch zum Thema Ganztagsschulen.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Es geht um Depu- tatszuweisungen! – Abg. Schmiedel SPD: Der Zug steht und steht! – Weitere Zurufe von der SPD, u. a. des Abg. Wintruff – Heiterkeit)

Sie werden sich noch an meine Worte erinnern.