Protocol of the Session on June 30, 2005

Um von vornherein der einfachen Ausrede zu begegnen, wenn nur die Opposition die Hauptschule nicht schlechtreden würde, gäbe es die Ablehnung in der Gesellschaft nicht – nach einer Untersuchung schicken nur noch 6 % der Eltern ihre Kinder freiwillig und bewusst in die Hauptschule –, möchte ich Ihnen nachfolgend Fakten auflisten, die Sie nicht länger ignorieren können und die Sie dringend dazu veranlassen müssten, auch über Strukturveränderungen nachzudenken oder wenigstens offen nachdenken zu lassen, wenn Sie es selbst nicht können.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Aber jetzt!)

Obwohl es Hauptschulen unterschiedlichster Prägung gibt – ich gebe gern zu, dass städtische Hauptschulen anders sind als Hauptschulen auf dem Land –,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

gilt der drohende Besuch einer Hauptschule bei fast allen Grundschuleltern als Stigma.

(Abg. Wacker CDU: Gar nicht wahr!)

Es wird alles unternommen, um ja nicht in der Hauptschule zu landen: Nachhilfeunterricht, Gespräch mit dem Beratungslehrer, die gemeinsame Bildungsempfehlung oder noch die Aufnahmeprüfung.

(Abg. Wacker CDU: Das zum Thema „Schlecht- reden der Hauptschule“!)

Wenn dann alles nicht geholfen hat und das Kind nun wohl oder übel in der fünften Klasse ist, wird es unbewusst oder bewusst von den Eltern, von Verwandten und Bekannten, von Mitschülern und Nachbarn dafür bemitleidet, dass es jetzt die „Restschule“ besucht. Dabei wird dieses Wort ja nicht direkt benutzt,

(Abg. Röhm CDU: Das benutzt kein Mensch!)

aber wenn die Grundschullehrerin die Eltern zu trösten versucht und sagt, es sei ja noch nicht alles verloren, man könne die mittlere Reife ja später noch nachmachen,

(Abg. Röhm CDU: Über 40 %!)

dann sagt das doch schon alles aus. Die Hauptschule verliert an Wert. Die „Südwest Presse“ schrieb am 15. März dieses Jahres unter der großen Überschrift „Die Krise der Hauptschule“: Kaum Zukunft für das Sorgenkind.

Meine Damen und Herren, vor vier Jahren waren Sie hier noch der Meinung, es gebe keinen Bedarf und keine Mehrheit für die Ganztagsschule. So, wie Sie in dieser Frage hoffnungslos ins Hintertreffen geraten sind, so werden Sie es beim Thema Hauptschule wieder erleben. Das prophezeie ich Ihnen. Lassen Sie das starre Festklammern am dreigliedrigen Schulsystem. Ermöglichen Sie eine sechsjährige Grundschule und darauf aufbauend die vierjährige Regionalschule, in der die Schüler und Schülerinnen nach ihren Fähigkeiten

(Abg. Heinz CDU: Zustände wie in NRW wollen wir doch gar nicht!)

sowohl den Hauptschulabschluss als auch die mittlere Reife erwerben können.

(Beifall bei der SPD)

In den neuen Bundesländern können Sie dies besichtigen. Wie wir erst vor kurzem in Thüringen gesehen haben, kommen immer mehr Schulen von der additiven Lösung ab, also der Trennung von Haupt- und Realschülern, und wenden sich den integrativen Formen zu. Lassen Sie doch wenigstens einmal Versuche zu und lehnen Sie dies nicht alles stur ab, wie vor kurzem unseren Antrag, gemeinsamen Unterricht an Verbundschulen zu ermöglichen. Über kurz oder lang werden Sie nicht mehr daran vorbeikommen. Ihr Juniorpartner in der Regierung zeigt sich da erfreulicherweise durchaus schon flexibler.

(Abg. Capezzuto SPD: Ausnahmsweise! Das will etwas heißen! – Glocke der Präsidentin)

Herr Abg. Käppeler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Röhm?

Von Herrn Röhm immer.

Bitte sehr, Herr Abg. Röhm.

Es ist immer dieselbe Frage: Lieber Kollege Käppeler, können Sie anhand unseres Wahlkreises endlich einmal erläutern, welche Schulen Sie zusammenfassen wollten, um Regionalschulen zu bilden? Sagen Sie das doch einmal.

(Abg. Zeller SPD: Wir machen doch hier keine Ausschussarbeit!)

Das hat mit dem Ausschuss nichts zu tun. Hier kann man erklären, wie eine solche Regionalschule beispielhaft aussieht, welche Größe sie haben sollte. Kein Sozialdemokrat konnte dies bisher erklären. Bitte weitere Information: Wie sehen die Regionalschulen aus?

(Abg. Göschel SPD: Wir setzen doch hier keine Schulbezirke fest! – Abg. Capezzuto SPD: Das er- zählen wir nur unter uns! Wenn es so weit ist, be- kommen Sie das schon gesagt! Am 26. März 2006 bekommt ihr es gesagt! – Große Unruhe – Weitere Zurufe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abg. Käppeler!

Also, das Wort hat der Abg. Käppeler. Vielen Dank.

Herr Röhm, ich komme nachher bei meinen Ausführungen genau auf das Thema noch einmal zu sprechen.

(Abg. Röhm CDU: Hoffentlich, sonst frage ich noch einmal! – Gegenruf des Abg. Zeller SPD: Er erklärt es Ihnen persönlich! – Abg. Capezzuto SPD: Komm heute Abend noch einmal! – Gegenruf des Abg. Röhm CDU: Mario, rede nur zu dem, wo- von du etwas verstehst! – Abg. Fischer SPD: Lass dich nicht durcheinander bringen!)

Alle Anstrengungen der Landesregierung haben nicht zum Stopp oder zur Trendumkehr geführt, im Gegenteil. Sie haben den Hauptschulen mit dem Reformkonzept IMPULSE einen guten Weg gezeigt. Sie haben mit LIPSA den Start in der Hauptschule verbessert,

(Beifall des Abg. Röhm CDU)

um allerdings nach einigen Jahren die zusätzlich gewährten Stunden wieder zu kassieren. Mit diesen Programmen haben Sie freilich außerdem kaschiert, dass erfolgreiche Maßnahmen wie das erweiterte Bildungsangebot, wie Arbeitsgemeinschaften, wie Stütz- und Förderunterricht nur noch auf dem Papier oder in Ihren Antworten auf unsere Anfragen stehen. In Wirklichkeit gibt es diese seit längerem nicht mehr. Man ist froh, den Pflichtunterricht noch recht und schlecht abdecken zu können.

Eine Ausnahme bilden die so genannten Brennpunkt-Hauptschulen. Dort gibt es an Ganztagseinrichtungen – fast alle übrigens in Württemberg, deutlich weniger in Baden – zusätzliche Lehrerstunden, durchschnittlich 22 pro Schule. Dazu sage ich nur: Gut so! Aber was diesen Schulen recht ist, muss den anderen billig sein. Im Zusammenhang mit der Antragstellung zum IZBB-Programm fragen sich schon manche Schulen, warum sie nicht als Brennpunktschule eingestuft wurden. Denn sie haben erkannt, dass eine bessere Förderung der Schüler nur durch einerseits mehr Zuwendung und damit mehr Unterrichtsstunden und andererseits einen ganztägigen Unterricht mit Betreuung zu gewährleisten ist.

Auch wenn Sie dies statistisch nicht erfasst haben: Manches Hauptschulkollegium hat bei der Erarbeitung des pädagogischen Konzepts gerätselt, warum es an seiner Schule keine zusätzlichen Stunden gibt, wo doch auch die unterprivilegierten Schichten überwiegen, wo doch auch ein schwieriges soziales Umfeld zu verzeichnen ist, wo es doch auch eine hohe Jugendarbeitslosigkeit gibt, wo doch auch ein hoher Anteil an Ausländern oder Aussiedlern zu verzeichnen ist, wo doch auch viele allein erziehen oder wo es viele Schlüssel- und Straßenkinder gibt. Diese Kollegen würden sich gerne, wie es an Brennpunkt-Hauptschulen teilweise gelungen ist, auf den Weg machen, unterstützt auch durch Schulsozialarbeiter, die sich schwierigen Kindern annehmen können, die Abschlussschüler bei der Suche nach ei

nem Beruf begleiten. Aber die Mittel für Schulsozialarbeit haben Sie ja leider gekürzt.

(Zuruf des Abg. Pauli CDU)

Besonders betroffen davon sind vor allem Hauptschülerinnen und Hauptschüler, die es am schwersten haben.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, vor kurzem hat der VBE mit einer Pressemitteilung ein weiteres Problem drastisch beleuchtet. Überschrift: „Hauptschule darf nicht mehr Auffangbecken für gescheiterte Realschüler und Gymnasiasten sein.“ Sie sprechen von Durchlässigkeit, die aber in Wahrheit nur von oben nach unten funktioniert.

(Abg. Röhm CDU: Das stimmt nicht! – Zuruf des Abg. Kiefl CDU)

Von zehn Schülern, die die Schulart wechseln, ist es gerade mal einer, der von der Hauptschule in die Realschule oder von der Realschule in das Gymnasium wechselt. Für neun dagegen bedeutet Durchlässigkeit Abstieg.

(Abg. Kiefl CDU: So ein Quatsch!)

Ich zitiere weiter aus der Pressemitteilung des VBE vom 13. Mai 2005:

Ein wichtiger Grund, einen Bogen um diese Schulart zu machen, die einst wirklich einmal die „Haupt“Schule war, sei die Tatsache, dass sie zum Sammelbecken für Gutwillige und Schulunlustige, für verhinderte Gymnasiasten und gestrauchelte Schulabbrecher geworden sei …

Und weiter heißt es:

Das sukzessive Aussortieren und Abschieben …

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, zum Ende zu kommen. Ihre Redezeit ist überschritten.

… führe zu massiven Problemen im Unterricht der Hauptschule und schaffe vielerorts ein pädagogisches … Klima, das am Selbstbewusstsein aller Betroffenen zehre und ein leistungsorientiertes Arbeiten zunehmend unmöglich mache.

Aus eigener Anschauung kann ich diese Aussage nur bestätigen.

Herr Röhm, ich muss Ihnen leider, weil mir die Präsidentin das Wort entzieht, die Antwort auf Ihre Frage schuldig bleiben.