Protocol of the Session on June 29, 2005

Das heißt auch: Über 40 % der Krankschreibungen und 28 % der Frühberentungen erfolgen im Zusammenhang mit psychischen Störungen. Sehr geehrte Damen und Herren, diese Zahlen zeigen die Dimension der psychischen Krankheiten auf, machen aber auch deutlich, dass wir dringend handeln müssen.

Wie sieht es denn nun mit der Umsetzung der Ziele des Psychiatrieplans vom Juli 2000 aus? In den letzten Jahren fand erfolgreich die Reduzierung der Verweildauer in stationären Einrichtungen auf rund 30 Tage statt und damit die Verlagerung der Versorgungsstrukturen in den ambulanten Sektor. Psychisch kranke Menschen können heute auf ein breites Netz von niedergelassenen Fachärzten und Sozialpsychiatrischen Diensten zurückgreifen. Aber gerade bei den Sozialpsychiatrischen Diensten wurden aufgrund der drastischen Kürzung der Landesmittel um 50 % im Jahr 2003 viele Personalstellen abgebaut. Damit wurden auch die niederschwelligen aufsuchenden Angebote und vor allem das dort unterstützte ehrenamtliche Engagement reduziert. Damit sind viele Angebote der ambulanten Versorgung weggebrochen.

Das Argument der Landesregierung, dass sich die Sozialpsychiatrischen Dienste doch über die seit 2000 abrechenbare Soziotherapie finanzieren könnten, gilt nur bedingt. Zwar hat die Zahl der beantragten Fälle zur Versorgung über Soziotherapie in den letzten zwei Jahren deutlich zugenommen, aber die Kritik besteht weiterhin, dass die Soziotherapie für Patientinnen und Patienten zu hochschwellig ist. Die Sozialpsychiatrischen Dienste melden vermehrt, dass es wegen des allgemeinen Sparzwangs der Krankenkassen immer schwieriger wird, Soziotherapie abzurechnen. Daher ist damit zu rechnen, dass die prognostizierten Zahlen der Landesregierung bezüglich der Fallzahlen für die Soziotherapie für 2005 nach unten korrigiert werden müssen. Die Sozialpsychiatrischen Dienste brauchen eine verlässliche Förderung und eine finanzielle Absicherung!

Nun stellt sich die Frage, wie die Landesregierung ihr Motto „ambulant vor stationär“ aufrechterhalten bzw. gewährleisten will. Für 2007 kündigt die Landesregierung endlich eine Neuregelung der ambulanten psychiatrischen Versorgung an. Dies wird sowohl von uns als auch vom Landesarbeitskreis Psychiatrie begrüßt, der es dann aber doch etwas befremdlich fand, dass er bei der Konzeptionierung außen vor gelassen wurde. Diese Neuregelung soll dann die seit Jahren von Fachverbänden geforderte Ausgestaltung eines gemeindepsychiatrischen Verbundes voranbringen.

Damit verbunden will das Sozialministerium die Sozialpsychiatrischen Dienste nur noch fördern, wenn sie sich dem Verbund anschließen. Dabei will es keine Personalstellen, sondern nur noch Betreuungsleistungen fördern. Nach Aussagen von Fachleuten werden dadurch die „städtischen“ Sozialpsychiatrischen Dienste besser gestellt, weil sie einfach mehr Fälle betreuen als die Sozialpsychiatrischen Dienste im ländlichen Raum. Mit dieser Politik werden wir auf dem Land ein Versorgungsdefizit bekommen.

Wie schon gesagt: Wir brauchen hier eine verlässliche Finanzierung dieser so wichtigen niederschwelligen und ambulanten Angebote der Sozialpsychiatrischen Dienste!

Dass sich mit der angekündigten Neuregelung viel verändert, glaube ich nicht. Meines Erachtens wird sich an der ambulanten Versorgung qualitätsmäßig nicht viel verbessern. So hoffe ich, dass die politische Diskussion über die Weiterentwicklung und Zukunft der Psychiatrien im Land künftig mehr in eine Richtung geht, die sich nicht so sehr an formalen Strukturen orientiert, sondern vielmehr inhaltlich innovativ ausgerichtet ist,

damit jeder Mensch mit psychischer Erkrankung oder psychischer Störung in Baden-Württemberg nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen die bestmögliche Behandlung erhält,

damit es diesen Menschen möglich ist, selbstbestimmt und mit der entsprechenden Unterstützung im gewohnten Wohn- und Lebensumfeld zu bleiben,

damit die psychiatrische Versorgung stärker präventiv ausgerichtet und der Rehabilitation ein noch stärkeres Gewicht gegeben wird

und damit es in Baden-Württemberg eine regelmäßige und qualitätsorientierte Berichterstattung gibt, die die Mängel benennt und Lösungen vorschlägt.

Diese vier Punkte muss eine innovative, den aktuellen Problemen angemessene Psychiatriepolitik beinhalten.

Wünschenswert wäre aus meiner Sicht eine qualitätsorientierte Diskussion um die Weiterentwicklung der Psychiatrie in Baden-Württemberg, an deren Ende ein Landespsychiatriegesetz steht, denn Baden-Württemberg ist neben Bayern immer noch das einzige Land ohne ein solches Gesetz.

Von parlamentarischer Seite haben wir immer wieder Vorstöße in Richtung auf eine gesetzliche Regelung gemacht, aber unsere Bemühungen blieben bislang ohne Erfolg. Die Landesregierung lehnte ein solches Gesetz ab mit dem schlichten Hinweis, das sie dafür keine Notwendigkeit sehe. Eine inhaltliche Begründung für diese Ablehnung hat sie bis heute nicht gegeben.

Ich finde es bedauerlich, dass wir in Baden-Württemberg hier noch nicht weitergekommen sind. Eine gesetzliche Regelung böte nämlich die Möglichkeit, auf klare und verbindliche Weise psychiatriepolitische Ziele zu formulieren und zu definieren sowie Rahmenbedingungen für die Versorgung und Betreuung psychisch kranker Menschen festzulegen. Dabei könnten explizit Qualitätsstandards landesweit und verbindlich festgeschrieben werden. Ein solches Gesetz böte auch die Möglichkeit, die ambulanten Hilfen für psychisch kranke Menschen rechtlich und finanziell abzusichern. Die Umsetzung des allgemeinen Grundsatzes „ambulant vor stationär“ ist bislang in Baden-Württemberg im psychiatrischen Bereich gesetzlich nicht geregelt.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wissenschaftliche Studien belegen, dass psychische Erkrankungen zunehmen. Auch die Krankenkassen wiesen auf diese Entwicklung hin.

Die Ursachen sind vielschichtiger Natur. Äußere Umstände können dazu beitragen, dass seelische Störungen vermehrt auftreten. Dazu zählen familiäre Probleme, Beziehungskonflikte oder beruflicher Stress. Je nach Krankheitsart können auch genetische Dispositionen eine Rolle spielen.

Von erheblicher Bedeutung ist auch die demografische Entwicklung. Das Älterwerden geht mit einer Zunahme gerontopsychiatrischer Erkrankungen einher. Demenz, Parkinson- und die Alzheimer-Krankheit stehen dabei im Vordergrund.

Die Psychiatriepolitik der Landesregierung ist auf diese Entwicklung vorbereitet. Sie setzt auf Behandlung, Integration und Rehabilitation. Dies verhindert eine Stigmatisierung und Ausgrenzung der Betroffenen.

Dies gilt auch für diejenigen Patienten, bei denen sich die psychische Erkrankung chronifiziert. Auch in diesen Fällen soll eine selbstständige Lebensführung ermöglicht werden.

Wir haben in Baden-Württemberg eine bedarfsgerechte Versorgung aufgebaut. Das Rückgrat bilden die neun Zentren für Psychiatrie. Zugleich wurde eine wohnortnahe Versorgung installiert. Satelliten der Fachkrankenhäuser und psychiatrische Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern sorgen dafür, dass alle Regionen abgedeckt sind. Der Ausbau von Tageskliniken wurde forciert, um moderne Therapieformen anzubieten.

(Staatssekretärin Johanna Lichy)

Seit 2002 werden in ganz Baden-Württemberg auch Psychiatrische Institutsambulanzen eingerichtet. Dadurch entsteht ein nahtloser Übergang vom stationären zum ambulanten Bereich. Die ambulante Versorgung wird durch ein flächendeckendes Angebot niedergelassener Nervenärzte, Psychiater und Psychotherapeuten sichergestellt.

Es wird eine qualitativ hoch stehende Versorgung geboten. Die „Verwahrpsychiatrie“ herkömmlicher Prägung gehört der Vergangenheit an. Die Verweildauer in den psychiatrischen Krankenhäusern geht stetig zurück. Sie liegt heute bei durchschnittlich 30 Tagen je Fall. Dies ist eine Folge des medizinischen Fortschritts, auch der modernen Pharmakotherapie.

Frühzeitige Entlassungen werden auch durch die gut ausgebaute Gemeindepsychiatrie ermöglicht. Die Gemeindepsychiatrie bildet vor allem für chronisch psychisch Kranke die Brücke zur Rückkehr in den Alltag. Diese Brücke hat viele Pfeiler:

ein landesweites Netz Sozialpsychiatrischer Dienste,

psychiatrische Tagesstätten in allen Stadt- und Landkreisen,

ambulant betreute Wohnangebote,

Werkstattplätze für psychisch kranke Menschen,

Fachdienste zur beruflichen Integration sowie

Wohn- und Pflegeheimplätze in einer Vielzahl von Einrichtungen.

Wir verfügen in Baden-Württemberg über ein differenziertes Versorgungsangebot von hoher Qualität. Dies ist das Ergebnis einer guten Psychiatriepolitik.

Gleichwohl verlangt ein wachsender Versorgungsbedarf bei enger werdenden Finanzierungsspielräumen auch nach neuen Lösungen. Die Landesregierung setzt dabei auf Synergien und Verbundsysteme.

Zur Weiterentwicklung der Versorgung hat das Ministerium für Arbeit und Soziales die Konzeption „Gemeindepsychiatrische Zentren“ formuliert. Dabei geht es um die Integration der Kernbereiche der außerklinischen Versorgung. Die Einzelangebote sollen gebündelt werden. Gemeint sind vor allem die psychiatrische Institutsambulanz, die psychiatrische Tagesstätte, der Sozialpsychiatrische Dienst und die Soziotherapie. Diese Bereiche sollen eng zusammenarbeiten.

Um diese Integration zu bewirken, wird die Landesförderung der Sozialpsychiatrischen Dienste ab 2007 umgestellt werden. Es werden Anreize geschaffen, damit sich die Institutionen und ihre Träger stärker aufeinander zubewegen. Ziel ist die Kooperation im ambulanten Leistungsverbund. Die Versorgung wird sich so weiter verbessern.

Es wird keinen Stillstand geben in der baden-württembergischen Psychiatrie. Davon profitieren vor allem auch die chronisch psychisch kranken Menschen in unserem Land.

Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum – Modernisierung der Landwirtschaftsaus- und -weiterbildung – Drucksache 13/2796

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Wem darf ich das Wort erteilen? – Herr Abg. Teßmer, bitte schön.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Unser Antrag vom Januar 2004, der heute endlich auf der Tagesordnung steht, hat zu meinem Bedauern nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil, er ist durch die Verwaltungsreform sowie die damit verbundenen Geschehnisse und Versäumnisse inhaltlich berechtigter denn je.

Worum geht es in diesem Antrag? Wir sehen natürlich auch, dass sich das schulische Aus- und Weiterbildungsangebot bei einer geringeren Zahl von Haupterwerbslandwirten auf neue Gegebenheiten und Sachzwänge einzustellen hat und das bisherige Angebot nicht nach dem Motto „Weiter so!“ fortgeführt werden konnte und kann.

Wir Sozialdemokraten hatten bei der Antragstellung eigentlich auch darauf gehofft, dass bei einer Verwaltungsreform alle Bereiche des ländlichen Raums und der Landwirtschaft in regionale Kompetenzzentren zusammengefasst werden könnten, um höchstmögliche Effizienz zu erreichen. Das bedeutete für uns die Zusammenlegung von Landwirtschafts-, Flurneuordnungs- und Vermessungsämtern und eventuell auch des Forstes zu überregionalen Kompetenzzentren.

Dies scheiterte früher an der Tatsache, dass die Vermessung im Wirtschaftsministerium, die Landwirtschaft, der Forst und die Flurneuordnung aber im Ministerium Ländlicher Raum beheimatet waren. Nun wurde bei der Verwaltungsreform auf solche früheren Hindernisse plötzlich keine Rücksicht mehr genommen. Eine sinnvolle Zusammenlegung erfolgte dennoch nicht. Jetzt ist zwar alles unter dem Dach des jeweiligen Landratsamts, dort aber nicht in der Weise, dass wirklich Synergieeffekte entstehen können. Im Gegenteil, die vor Ort anerkannten Fachkräfte dürfen nun dabei helfen, die Effizienzrendite von 20 % zu erwirtschaften, indem sie teilweise anderswo eingesetzt werden oder frei gewordene Stellen einnehmen.

Unserem Anliegen, den bäuerlichen Familienbetrieben eine optimale Aus- und Weiterbildung zukommen zu lassen, kann das jetzige Schulungs- und Weiterbildungsangebot nicht genügen, ganz abgesehen davon, dass von den in der Stellungnahme der Landesregierung noch angeführten Schulen und Bildungsstätten ein Teil gar nicht mehr besteht oder geänderte Aufgaben bekommen hat.

So hat die mit viel Aufwand von der Vorvorgängerin des jetzigen Landwirtschaftsministers und dem gleichen Ministerialdirektor ins Leben gerufene Fachschule für Landwirtschaft in Bruchsal seit zwei Jahren schon keine Neuzugänge

mehr. Im Nachhinein kann man die Standortwahl Bruchsal also als „unglückliche Entscheidung“ titulieren.

Der Standort Buchen hätte damals noch die besseren Schwerpunkte, nämlich Waldbau und Rinderhaltung, anzubieten gehabt. Die Landwirtschaftsschule zur Vorbereitung auf die Meisterkurse in Buchen ist inzwischen aber klammheimlich eingegangen.

Was in Buchen gut läuft, ist die Modellfachschule für Unternehmensführung. Die hier angebotene spezielle EDVAnwendung für Agrarier wird aber vor allem von älteren Betriebsinhabern und ihren Familienmitgliedern wahrgenommen, hat jedoch mit der Vorbereitung auf den Abschluss als Landwirtschaftsmeister und mit der traditionsreichen Landwirtschaftsschule nichts mehr zu tun.

Wo findet also die im Januar 2004 von uns angemahnte Meisterausbildung statt? Hier leistet Schwäbisch Gmünd durchaus Vorbildliches. Aber es kann nicht übersehen werden, dass sich die Meisterausbildung für junge baden-württembergische Landwirte eindeutig nach Triesdorf verlagert hat. Aber Triesdorf liegt nun mal nicht in Baden-Württemberg, sondern in Bayern. Triesdorf kann mit gutem Fachwissen und guter Pädagogik glänzen, was unseren Ausbildungsstätten – außer der in Schwäbisch Gmünd – von den nach Triesdorf Abgewanderten kaum nachgesagt wird.

Die Landesregierung und das Landwirtschaftsministerium haben auch völlig verkannt und verschlafen, dass sich die Meisterprüfung mehr und mehr auf die Technikerausbildung verlagert hat. Für junge Landwirte, die sich in Richtung Diplom entschieden haben, sind Nürtingen und Hohenheim noch immer gute Adressen. Das soll nicht bestritten werden. Aber die Abwanderung der jungen Landwirte mit dem Ziel des Meisters nach Triesdorf und Darmstadt dürfte eigentlich auch dem Landwirtschaftsministerium nicht entgangen sein. Einen Teil des Defizits können sicherlich die privaten Beratungsringe ausgleichen. Aber von nachhaltiger und zeitgemäßer Ausbildung in Baden-Württemberg kann bei der Vorbereitung zum Meister eigentlich nicht mehr ausgegangen werden.