Protocol of the Session on July 19, 2001

Ich muss es noch einmal wiederholen: Sie versuchen, eine Assoziation zwischen dem Vorgang, um den es hier geht, und dem Hinweis, dass Arbeitnehmer fahrlässig den Gefahren ihres Arbeitsplatzes ausgesetzt und unzulänglich geschützt werden, herzustellen. Es geht – ich muss das immer wiederholen, weil hier zwei Dinge in einen Topf geworfen werden, die objektiv nichts miteinander zu tun haben – bei diesem Vorgang, über den wir hier sprechen und der die Öffentlichkeit und uns auch zu Recht beunruhigt, nicht um Mängel, die irgendetwas mit der Frage zu tun haben, ob es einen Belehrungs-, einen Informations-, einen Qualitätsmangel der Beschäftigten gegeben hat. Es handelt sich um einen vorsätzlichen kriminellen Akt.

Der Hinweis, den wir bekommen haben und den ich vorhin hier vorgelesen habe, war relativ unspezifisch. Er ging nicht über das hinaus, was wir an Problemen ohnehin gekannt haben. Deswegen haben wir die Überwachungstätigkeiten und die Beanstandungen so fortgesetzt, wie das in der Vergangenheit auch schon der Fall war. Ich kann Ihnen auch sagen: Der BMU hat uns auch in keiner Weise zu irgendetwas veranlasst. Es ging ihm genauso. Er hat uns diesen Brief sozusagen kommentarlos, ohne irgendeine Aufforderung oder was auch immer zu machen, zugeschickt. Was soll man mit einem solchen Brief über die eigenen Erkenntnisse hinaus anfangen?

Aber es hat in der Zwischenzeit natürlich weitere Besuche, weitere Beanstandungen gegeben, und, wie gesagt, das werden wir auch in der Zukunft fortsetzen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass durch eine Verdichtung der Kontrollen, zum Beispiel der Qualitätskontrolle – wie gut sind die Dinge bei den Leuten angekommen, damit sie, sofern es der Fall sein sollte, nicht blind irgendetwas unterschreiben? –, sichergestellt wird, dass das in der Zukunft nicht mehr vorkommt.

Herr Abg. Kretschmann, Sie haben das Wort.

Herr Minister, Sie haben davon gesprochen, dass bei dem Täter eine hohe kriminelle Energie vorzufinden sei. Außerdem haben Sie aber gesagt, die Motive seien gar nicht klar und so etwas zu stehlen mache überhaupt keinen Sinn. Das spricht ja nicht für eine hohe kriminelle Energie, sondern eher für Verwirrtheit oder was auch immer oder vielleicht für die These, dass er nachweisen wollte, dass man dort radioaktives Material herausholen kann.

Wenn schon ein offensichtlich verwirrter Mensch so etwas anrichten kann, dann muss ich Sie fragen: Was geschähe, wenn tatsächlich Leute mit wirklicher krimineller Energie versuchen würden, dort radioaktives Material herauszuschleusen, wenn schon das Herausschleusen eines verseuchten Putzlumpens ohne Schwierigkeiten möglich ist? Macht Sie das nicht ein wenig nachdenklich in Ihrem Widerstand gegen den Atomkonsens, der einen mittelfristigen Ausstieg aus der Atomtechnologie zum Inhalt hat, dass von

solchen Anlagen hohe Gefährdungspotenziale ausgehen, besonders wenn Kriminelle sich zu solchen Anlagen Zugang verschaffen?

(Beifall bei den Grünen)

Das war jetzt eine Fülle von unterschiedlichen Teilfragen. Ich hoffe, dass ich sie einigermaßen abdecken kann.

Ich will mit der am klarsten beantwortbaren, einfachsten Teilfrage beginnen. Ich habe das in der Pressekonferenz so ausgedrückt: Ein Günter Wallraff war es nicht. Da hätte er völlig anders handeln müssen, selbst wenn er vorgehabt hätte, zu offenbaren, wie leicht Sicherheitsmaßnahmen zu umgehen sind. Übrigens: Ganz so leicht war es gar nicht. Er hat sehr gezielt gehandelt. Das ist dann eine andere Teilantwort auf Ihre Frage. Aber selbst wenn es das gewesen wäre und wir einem Handeln nach dem Motto „Ich hatte ja noch vor, es zu offenbaren“ – das ist das Bild, das er jetzt von sich selber zeichnet – nur zuvorgekommen wären, dann, muss ich sagen, hätte er natürlich sofort sagen können: „Jetzt habt ihr mich erwischt. Das ganze Zeug liegt da und da. Ihr seid mir zuvorgekommen. Ich wollte eigentlich eine Story daraus machen.“

Ich will jetzt an diesem Beispiel nur andeuten, dass es sich hier mit Sicherheit nicht um ein gezieltes Offenlegen von Sicherheitsmängeln gehandelt hat. Der Mann hat geleugnet, er hat gelogen, er hat vertuscht, er hat sich selbst geschädigt. Das passt alles nicht in das Bild des edlen Helden, der sich für die Allgemeinheit aufopfert. Ich glaube, davon kann man sicher ausgehen.

Jetzt kommt die zweite Frage, die auch ich nicht beantworten kann: Was war es denn dann? Diese Frage liegt ja nahe. Wenn dieses Motiv ausscheidet, was ist es dann? Ich möchte mich nicht, vor allem nicht von dieser Stelle aus, in Spekulationen ergehen. Man kann sich viele Dinge vorstellen. Aber, wie gesagt, ich möchte das im Moment auf sich beruhen lassen, denn es ist relativ sinnlos, darüber zu spekulieren.

Die interessantere Frage ist: Was ist das für ein Mensch? Ich frage jetzt nicht: Was hat er für ein Tatmotiv, was wollte er indirekt damit bezwecken, was wollte er direkt bezwecken, hat er Hintermänner, hat er Gehilfen oder was auch immer? Das wissen wir ja alles nicht. Aber was ist das für ein Mensch? Sie sagen, er müsse ja offensichtlich verwirrt sein. Die Verwirrtheit oder – wie soll man sagen? – eine unsinnige, eine unvorstellbare Tat, bei der man nur den Kopf schütteln kann, dass sie so geschehen ist, die sozusagen sinn- und nutzlos ist – denn der eigentliche Sinn, etwas zu demonstrieren, trifft ja nicht zu –, schließt nicht aus, dass es sich nichtsdestoweniger um einen Täter mit krimineller Energie handelt. Es sind ja zwei unterschiedliche Bereiche, ob jemand sozusagen zwar etwas wirr im Kopf, aber durchaus in der Lage ist, gezielt zu handeln, um bestimmte Maßnahmen zu ergreifen. Es gibt auch sonst Straftäter, die sehr gezielt irgendein gravierendes Delikt begehen, die aber nichtsdestoweniger etwas tun, was kein Mensch versteht, vielleicht sogar unter Einschluss eines psychischen Defekts. Das würde ich gar nicht ausschließen. Es können dabei auch noch ganz andere Elemente eine Rolle spielen.

(Minister Müller)

Ich will nur einmal andeuten: Er hat immerhin in der Firma seines Bruders gearbeitet. Ist das irgendwie ein Hinweis für eine Tatkonstellation? Wir wissen es nicht.

Zu den Schlussfolgerungen – das ist die letzte Antwort zu einem Teilaspekt Ihrer Frage –, die Sie ziehen, nämlich dass das einen sozusagen zu einer anderen Bewertung etwa der Kernkraft führen müsse, möchte ich wie folgt antworten: Gegen den kriminellen Innentäter gibt es bei keiner Technologie und an keinem Arbeitsplatz hundertprozentige Sicherheit.

(Lachen bei der SPD und den Grünen)

Das gilt übrigens auch – nehmen Sie dies einmal an – für den vielleicht allgemein akzeptierten Fall der Krankenschwester, die mit nuklearmedizinischen Dingen umgeht. Wenn die das tun will, hat sie eine sehr viel geringere Hürde zu überwinden, um mit diesem Material entsprechenden Unsinn zu machen. Sie braucht vielleicht nur zwei Schränke aufzuschließen und unten zur Tür hinauszugehen. Das geht relativ schnell. Das heißt also: Wenn man auf allen Gebieten diese Fälle ausschließen will – –

(Abg. Drexler SPD: Sie können doch keinen Durchleuchtungsapparat mit hinausnehmen! Blöd- sinn! – Weitere Zurufe und Unruhe)

Wenn Sie sich wieder beruhigen, mache ich gern weiter. Es war bisher ruhig. Deswegen warte ich einmal ab, bis es wieder ruhig wird.

Meine Damen und Herren, wir schließen damit die Fragestunde ab. – Herr Palmer, Sie haben bereits zwei Fragen gestellt.

(Widerspruch des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Sie hatten vorhin zwei Fragen gestellt.

(Abg. Dr. Witzel GRÜNE: Wir wollen den Minis- ter noch zu Ende hören! – Abg. Kretschmann GRÜNE: Er war noch nicht fertig! Er wollte nur warten, bis wieder Ruhe herrscht!)

Entschuldigung. Herr Minister, fahren Sie mit Ihren Ausführungen fort.

Das mache ich gern. Ich wäre nur für einen etwas geringeren Geräuschpegel dankbar.

Die Schlussfolgerung – das war mein Gedanke –, die Sie ziehen, nämlich dass wir durch entsprechende Überwachungsmaßnahmen hundertprozentige Sicherheit an jedem Arbeitsplatz in allen Bereichen, sei es im Kernkraftbereich, sei es in anderen Hochtechnologiebereichen, garantieren könnten, ist nicht richtig. Den Grad der Sicherheit wird man natürlich immer steigern können. Eine hundertprozentige Sicherheit wird es aber in keinem Bereich geben können.

Für mich ist die längerfristige und eigentliche Dimension dieses Falles: Wie gehen wir mit einem neuen Täterbild, das übrigens auch von Sicherheitsorganen, also gar nicht nur von Atomaufsichtsorganen, festzulegen ist, um, und

werden Vorkehrungen gegen solche irrationalen Taten, solche kriminellen Taten in solchen Anlagen wie der WAK, in Kernkraftwerken, in Forschungseinrichtungen, in Einrichtungen der Nuklearmedizin getroffen werden können? Diese Frage hundertprozentig zu beantworten wird sehr aufwendig sein, und wir werden an den Punkt kommen, wo wir sagen müssen: Eine hundertprozentige Sicherheit wird es auch nach der Ausweitung von Maßnahmen, die so etwas zu vermeiden versuchen, nicht geben. Das ist ein Tatbestand, mit dem wir werden leben müssen.

Vielen Dank, Herr Minister Müller.

Meine Damen und Herren, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass die weiteren Mündlichen Anfragen schriftlich beantwortet werden.

M ü n d l i c h e A n f r a g e d e s A b g. G e r d T e ß m e r S P D – P e r s o n a l a u s s t a t t u n g d e r S t r a ß e n b a u ä m t e r i m l ä n d l i c h e n R a u m

a) Trifft es zu, dass aufgrund ausscheidender und nicht ersetzter Mitarbeiter(innen) in den Straßenbauämtern im ländlichen Raum eine vorausschauende Planung nur noch bedingt geleistet werden kann?

b) Trifft es zu, dass erhebliche Mittel im Landesstraßenbau von den Straßenbauämtern zurückgegeben werden mussten oder gar nicht erst abgerufen werden konnten, weil wegen fehlenden Personals keine zeitgerechte Planung und Durchführung möglich war?

Schriftliche Antwort des Ministeriums für Umwelt und Verkehr

Zu Frage a: Die Straßenbauverwaltung kann in BadenWürttemberg auf einen hohen Bestand bestandskräftig festgestellter Pläne zurückgreifen. Allein im Bundesfernstraßenbau konnten bisher 53 Projekte mit einem Kostenvolumen von 3,8 Milliarden DM noch nicht verwirklicht werden. Davon sind 29 Projekte mit 2,3 Milliarden DM noch gar nicht in laufende oder angekündigte Programme des Bundes einbezogen. Im Landesstraßenbau sind 46 Maßnahmen mit Gesamtkosten von 186 Millionen DM baureif geplant. Eine größere Zahl von Maßnahmen wird zusätzlich in den Jahren 2001/2002 baureif sein. Es besteht demnach in Baden-Württemberg kein Mangel an vorausschauender Planung.

Zu Frage b: Es trifft nicht zu, dass erhebliche Mittel im Landesstraßenbau von Straßenbauämtern nicht in Anspruch genommen werden konnten, weil wegen Personalmangels keine zeitgerechte Planung und Durchführung möglich gewesen wäre. Das Mittelvolumen im Bundesfernund Landesstraßenbau hat sich seit dem Jahr 2001 (Bun- desfernstraßen) bzw. bereits seit dem Jahr 1997 (Landes- straßen) jedoch deutlich erhöht und wird sich voraussichtlich in den vor uns liegenden Jahren noch weiter ausweiten. Im Jahr 2003 werden wir im Straßenbau wieder das Investitionsvolumen des Jahres 1993 erreicht haben. Gleichzeitig wird sich aber der Personalbestand der Straßenbauverwaltung zwischen 1993 und 2003 um über 500 Planstel

len reduziert haben. Dies kann in Zukunft zu Problemen führen, wenn es nicht gelingen sollte, durch (gegebenen- falls zeitlich befristete) Sachmittelstellen und die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für Planung und Bauüberwachung die Mindestvoraussetzungen zur Bewältigung des vergrößerten Investitionsvolumens zu schaffen.

M ü n d l i c h e A n f r a g e d e s A b g. G e r d T e ß m e r S P D – B e s c h a f f u n g s w e s e n u n d A u s s c h r e i b u n g e n i m Z u s t ä n d i g k e i t s b e r e i c h d e s M L R

a) Trifft es zu, dass die Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter in den Jahren 1998 und 1999 für ca. 8,3 Millionen DM Geräte ohne jegliche öffentliche oder beschränkte Ausschreibung angeschafft haben?

b) Ist diese Beschaffungspraxis auch in den Jahren 2000 und 2001 fortgeführt worden?

Schriftliche Antwort des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum

Zu Frage a: Für Großgeräte zur Analyse und Probenvorbereitung gibt es wegen der Spezialisierung nach Untersuchungszweck und -ziel in der Regel nicht mehr als einen bis drei Anbieter, deren Geräte sowohl in der technischen Ausgestaltung als auch bezüglich des Zubehörs stark differieren. Daraus wird deutlich, dass auch kein „einheitliches Leistungsverzeichnis“ für eine Ausschreibung erstellt werden kann. Vielmehr muss der Sachverständige aus den verschiedenen Angeboten eine Bewertung der spezifischen Leistungsdaten und des Zubehörs erstellen. Von großer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang Erfahrungen mit schon eingesetzten Geräten und den jeweiligen Herstellern sowie die kurzfristig abrufbaren Kundendienstleistungen.

Der produktneutrale Erwerb von Geräten ist wegen der unbedingt notwendigen Kompatibilität mit den in einem Untersuchungsamt seit Jahren vorhandenen Systemen nicht möglich. Dies gilt vor allem für die analytische Software.

Aus all diesen Gründen ist eine Ausschreibung bzw. Vergabe von Anschaffungen nach VOL/A im Allgemeinen 1998 und 1999 nicht erfolgt.

Zu Frage b: Diese Beschaffungspraxis, die vor kurzem auch ausführlich gegenüber dem Rechnungshof begründet wurde, wurde aus den oben genannten Gründen auch in den Jahren 2000 und 2001 fortgeführt. Die von den Chemischen und Veterinäruntersuchungsämtern hierzu vorgetragenen Gründe lassen es gerechtfertigt erscheinen, i m E i n z e l f a l l weiterhin vom Grundsatz der beschränkten/öffentlichen oder gar EU-weiten Ausschreibung abzusehen. Das MLR strebt jedoch eine weitere Optimierung des Beschaffungswesens im Bereich der Untersuchungsämter in Form eines professionellen Beschaffungsmanagements an.

M ü n d l i c h e A n f r a g e d e r A b g. T h e r e s i a B a u e r G R Ü N E – S t e l l u n g d e r L a n d e s r e g i e r u n g z u r A u f n a h m e e i n e r a l t e r n a t i v e n T r a s s e n f ü h r u n g d e r I C E - N e u b a u s t r e c k e R h e i n / M a i n

R h e i n / N e c k a r i n d a s a n h ä n g i g e R a u m o r d n u n g s v e r f a h r e n

a) Wie stellt sich die Landesregierung zum Vorschlag des Raumordnungsverbandes (ROV) und des ICE-Forums Rhein-Neckar, die zusätzliche Trassenvariante C der ICE-Neubaustrecke ergebnisoffen und in gleicher Prüfungstiefe in das anstehende Raumordnungsverfahren aufzunehmen?

b) Wird die Landesregierung die zuständigen Raumordnungsbehörden bei den Regierungspräsidien Darmstadt und Karlsruhe auffordern, die ROV-Variante in den Planungsauftrag der Deutschen Bahn AG als dritte gleichberechtigte Planungslösung aufzunehmen und diese gleichwertig, also ergebnisoffen und in gleicher Tiefe, in den anstehenden Raumordnungsverfahren zu untersuchen?