Protocol of the Session on October 7, 2004

(Abg. Schmiedel SPD: Das wissen auch die beiden noch nicht!)

Wir wissen aber, dass die Ergebnisse der interministeriellen Arbeitsgruppe „Sprachförderung im Vorschulalter“ in diesen Orientierungsplan integriert werden sollen.

Jetzt kommen wir zum Thema „interministerielle Arbeitsgruppe“: Solche Arbeitsgruppen ähneln ja oftmals dem berühmten Bermudadreieck. In diesem Zusammenhang sollte man sich tatsächlich einmal überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, eine Zusammenführung der Zuständigkeiten für Bildung von Kindern und Jugendlichen in nur einem Ministerium vorzunehmen. Es muss kritisch hinterfragt werden, ob es sinnvoll ist, die Zuständigkeit für die Erzieherinnenausbildung und jetzt auch die Erstellung des Orientierungsplans beim Kultusministerium, die Zuständigkeit für das Kindergartengesetz jedoch beim Sozialministerium zu verankern.

Zweitens: Wir brauchen ein ganzheitliches Sprachförderkonzept, das vom originären Bildungsauftrag des Kindergartens abgeleitet wird: Sprachförderung von Beginn an. Das bedeutet grundlegende Sprachförderung für alle – ca. 400 000 Kinder besuchen einen Kindergarten – und ergänzende Sprachförderung für ca. 60 000 Kinder. Unter diesen 60 000 Kindern, die eine ergänzende Sprachförderung brauchen, sind dies ca. 75 % der Kinder mit Migrationshintergrund und 80 % der Kinder von Aussiedlern.

Was muss man jetzt tun? Es gibt im Augenblick zwei Sprachförderkonzepte, die in Landesprogramme umgesetzt sind. Zum einen ist das Sprachförderung von Kindergartenkindern über HSL-Mittel – also Hausaufgaben-, Sprachund Lernhilfen – und zum anderen die Sprachförderung im Vorschulalter über die Landesstiftung, die aber nur fünfjährige Kinder betrifft. Im Prinzip ist das alles Flickwerk.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das ist doch ein Be- ginn!)

Wir brauchen ein ganzheitliches Sprachförderprogramm aus einem Guss.

(Beifall bei den Grünen)

Dazu ist es notwendig, dass das Förderprogramm, das aus HSL-Mitteln gespeist wird und im Augenblick ca. 27 000 Kinder umfasst, erweitert wird – und zwar über die Kinder mit Migrationshintergrund hinaus. Im Augenblick betreffen diese HSL-Mittel nur Kinder mit Migrationshintergrund.

Erforderlich sind diese Maßnahmen auch für deutsche Kinder, worunter nämlich auch Kinder von Aussiedlern fallen.

(Beifall der Abg. Heike Dederer GRÜNE)

Das Land bezuschusst dieses Programm im Augenblick mit 1,5 Millionen €. Eine Ausweitung ist dringend notwendig.

Der dritte Punkt betrifft die Erzieherinnen. Wenn der Kindergarten ein „Bildungsgarten“ ist und diese Bildungsziele verankert werden sollen, dann müssen natürlich auch die Erzieherinnen dafür fit gemacht werden. Dazu brauchen wir eine umfassende Reform und nicht bloß ein Reförmchen der Erzieherinnenausbildung. Herr Kollege Noll, Sie sind ja Mitglied

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Nicht in der Arbeits- gruppe!)

einer Regierungsfraktion. Ich würde mich freuen, wenn Sie mit dem gleichen Enthusiasmus, den Sie gerade bei Ihrer Rede gezeigt haben, auch bei der Landesregierung darauf hinarbeiten würden, dass wir eine umfassende Reform bei der Erzieherinnenausbildung bekommen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Ursula Haußmann SPD: Enthusiasmus hat er schon, aber die Inhalte fehlen bei Herrn Noll!)

Neben der Erzieherinnenausbildungsreform sind natürlich auch die Weiterqualifizierung und die Fortbildung der Erzieherinnen wichtig. Wir brauchen ein Fortbildungsprogramm und ein Weiterqualifizierungsprogramm, an dessen Kosten sich das Land beteiligen muss. Es kann nicht sein, dass das Land einen Orientierungsplan inklusive Sprachförderungsprogramme beschließt und die Kommunen mit den Kosten allein lässt. Das Land muss sich an den Kosten beteiligen und kann sie nicht an die Kommunen delegieren.

Also, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir warten auf das ganzheitliche Sprachförderprogramm, wir warten auf die Inhalte und die Leitlinien des Orientierungsplans.

Es ist nicht mit der Aussage getan, dass ein Orientierungsplan modellhaft bis zum Jahr 2010 implementiert werden soll. Das Thema Sprachförderung darf jetzt nicht noch einmal fünf Jahre aufgeschoben werden, sondern bis Sommer 2005 muss eine flächenhafte Sprachförderung in den Kindertageseinrichtungen in Baden-Württemberg starten. Sie darf nicht erst 2010 beginnen.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich der Ministerin für Kultus, Jugend und Sport, Frau Dr. Schavan.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Es freut mich sehr, dass nun – es ist erst ein paar Jahre her – alle davon überzeugt sind, dass Bildung nicht erst in der Schule beginnt. Ich möchte daran erinnern, dass noch Mitte der Neunzigerjahre in Deutschland generell eine völlig andere Philosophie vorherrschend war und dass es damals, als wir über den „Schulanfang auf

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

neuen Wegen“ gesprochen haben – das war ja die Eröffnung einer neuen Debatte –, viel Konflikt und Empörung gegeben hat.

Nach PISA hat sich das alles geändert, und ich glaube, dass es zu den größten Defiziten des deutschen Bildungswesens der letzten 30 Jahre gehört, das Alter zwischen drei und sechs Jahren nicht zu nutzen, und darin auch die tiefste Quelle für Chancenungerechtigkeit in unserem Bildungswesen liegt.

Insofern will ich das jetzt auch überhaupt nicht vertiefen. Da gibt es mittlerweile quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen und politischen Parteien in allen 16 Ländern Konsens.

Nun ist die Frage: Wie fangen wir es an,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja! Wie fangen wir es an?)

und welche Schritte sind notwendig, um also die Erkenntnisse, die wir jetzt haben – aus der Entwicklungspsychologie, aus der Hirnforschung, vor allem auch aus den Untersuchungen zur Sprachentwicklung –, zu nutzen?

Da möchte ich zunächst darauf hinweisen, dass das kein besonderes Problem Baden-Württembergs ist: „Jedes vierte Kind“ – das ist ja ein Satz, den ich seit Jahren immer wiederhole, der auf medizinischen Untersuchungen in Göttingen und in Mainz basiert; das ist ein generelles Phänomen in Deutschland; wir wissen in Wirklichkeit natürlich nicht genau, ob sich das gleichmäßig auf alle 16 Länder aufteilen lässt, aber ich glaube, den Richtwert sollten wir einfach mal so annehmen – „hat eine sprachverzögerte Entwicklung am Schulbeginn.“ Dann muss aber auch – und da bitte ich herzlich um Unterstützung – sofort hinzugefügt werden: Wer glaubt, durch noch so flächendeckende Angebote des Staates allein würde sich dies ändern, irrt. Die tiefste Ursache ist etwas, was jede Familie betrifft und was man auch deutlich machen muss: dass mit Kindern mehr gesprochen werden muss.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)

Es trifft nicht allein Kinder mit Migrationshintergrund.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Natürlich nicht!)

Es trifft nicht allein so genannte Unterschichtkinder. Es geht vielmehr quer durch die Gesellschaft. Deshalb ist das Thema Sprache wirklich ein Thema, das wir transportieren müssen.

(Abg. Schmiedel SPD: Nichts Neues! – Gegenruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP: Auch wenn es nichts Neues ist, ist es trotzdem wichtig!)

Darf ich einfach trotzdem ein bisschen reden? Okay. Gut.

Wenn man will, dass Reformen greifen, dann muss auch im Rest der Gesellschaft die Bereitschaft vorhanden sein, das, was reformiert werden soll, mitzutragen. Sonst nützt das alles überhaupt nichts.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Zeller SPD)

Deshalb ist in der Tat der erste wichtige Punkt – und der wird auch in diesem Orientierungsplan eine Rolle spielen – Hilfestellung und Unterstützung für Familien, um für dieses Thema Sprache und Sprachentwicklung sensibler zu machen.

Zweiter Punkt in diesem Zusammenhang: Sie haben vom „Alibiprogramm der Landesstiftung“ gesprochen. Darüber haben wir ja nun schon so oft so heftig gestritten, dass ich das jetzt gar nicht mehr aufdrehen will. Ich sage Ihnen vielmehr ganz ruhig und gelassen: Baden-Württemberg hat durch die Landesstiftung

(Abg. Junginger SPD: Ein Haushaltsproblem!)

als erstes Land in Deutschland die Möglichkeit gehabt, einen großen Teil der betroffenen Kinder zu fördern. Das ist nicht genug, das ist nicht alles,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Es ist immer nicht ge- nug!)

aber das ist zu einem frühen Zeitpunkt die Möglichkeit zu einem Einstieg gewesen. Wenn Sie davon ausgehen, dass eine erste Jahrgangsstufe in Baden-Württemberg etwa 100 000 Kinder umfasst, und wenn jedes vierte dieser Kinder der Sprachförderung bedarf, dann müssten 25 000 Kinder gefördert werden. Tatsächlich befinden sich derzeit 11 000 Kinder in dieser Förderung. Das ist nicht genug; das betrifft auch nicht alle drei Jahrgänge – mit all dem bin ich völlig einverstanden. Aber es ist ein ganz wichtiger Ansatz, der nun läuft, der uns hilft, Erfahrungen zu sammeln, und der die Frage der Verbindung mit dem Alltag des Kindergartens auch jetzt schon aufwirft. Insofern bin ich sehr dankbar dafür, dass wir diesen Einstieg haben, dass wir Erfahrungen sammeln und dass wir damit an vielen Stellen im Land – ich glaube, es sind insgesamt 900 Antragsteller gewesen – für dieses Thema mehr haben sensibilisieren können als in der Vergangenheit.

Dritter Punkt: die Erzieherinnenausbildung. Wir haben eine Reform der Erzieherinnenausbildung hinter uns

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Ja, ja!)

ja, ich sage gleich etwas dazu –, mit einem neuen Berufskolleg, mit einem Schwerpunkt Sprachförderung; wir haben ein Konzept zur Weiterbildung von Erzieherinnen mit Blick auf die Sprachförderung. Jetzt gibt es manche, die sagen, das reiche nicht, wir brauchten in Deutschland eine akademische Bildung für Erzieherinnen. Dann frage ich zurück:

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Die muss Kant lesen können! Das ist wichtig!)

Heißt das, dass wir künftig sagen: „Erzieherin kann nur werden, wer Abitur hat“? Und ich frage Sie: Glauben Sie eigentlich wirklich, dass eine Ebene der Hochschule – und nicht des Berufskollegs – und eine damit verbundene Akademisierung, wie wir sie im Bereich der Grundschule haben, der richtige Weg ist, um künftig Erzieherinnen auszubilden? Das heißt, ich argumentiere überhaupt noch nicht finanziell, sondern ich bitte Sie, das in Ihren Arbeitskreisen einfach einmal zu überlegen. Ist es wirklich unser Konzept der Zukunft, zu sagen: „Nur wer Abitur macht, kann Erzieherin werden“?

(Ministerin Dr. Annette Schavan)