Dann will ich zur Strukturpolitik etwas sagen, da sie ja in der Debatte angesprochen worden ist: Wir stimmen an dieser Stelle mit der Bundesregierung in ihrer Einschätzung der finanziellen Vorausschau der Kommission ab dem Jahre 2007 überein. Diese Vorausschau ist in der Tat illusionär. Wir können die Strukturpolitik nicht im gleichen Umfang von Westeuropa auf Osteuropa „umklappen“. Das würde uns finanziell überfordern, und das geht nicht.
Allerdings hat die Bundesregierung, Herr Kollege Rust, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet; denn die Einstellung der INTERREG-Förderung an den alten Binnengrenzen der Europäischen Union, also innerhalb der vormaligen Europäischen Union, ist – soweit ich sehe – bislang in der Diskussion Europas ein Vorschlag, den ausschließlich die deutsche Bundesregierung gemacht hat. Sie haben uns aufgefordert, vonseiten der Landesregierung dagegen Stellung zu nehmen. Das tun wir. Wir haben in den Ausschüssen des Bundesrats gerade einen Antrag durchgesetzt, der in wenigen Tagen in das Plenum kommen wird. Er beinhaltet die Aufforderung an die Bundesregierung, von diesem Vorhaben abzulassen.
INTERREG bleibt in allen Grenzregionen Europas wichtig, weil es das Instrumentarium dafür ist, überregionale Zusammenarbeit zu fördern. Es ist zwar richtig, dass im „alten“ Europa formale Grenzen fortgefallen sind; aber die mentalen Grenzen sind damit noch lange nicht weg. Deshalb brauchen wir die INTERREG-Förderung in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auch weiterhin in einem nennenswerten Umfang an den alten Grenzen: gegenüber der Schweiz – das ist ohnehin noch eine echte Außengrenze –, am Bodensee, im Allgäu gegenüber Vorarlberg bzw. Österreich, aber insbesondere eben auch am Rhein gegenüber Frankreich. Ich würde mich freuen, wenn das Haus uns in diesem Einsatz für INTERREG auch und vor allem gegen
Nun noch ein paar Gedanken zur Verfassung: Sie ist in der Tat – wir haben oftmals darüber diskutiert – ein Meilenstein für die weitere Entwicklung. Es sind wichtige Länderforderungen eingelöst worden: Die Kompetenzkategorien, das Frühwarnsystem, das Klagerecht und die institutionellen Fortschritte sind zu Recht in der Debatte genannt worden. Manches ist nicht erreicht worden. Leider haben wir in einzelnen Bereichen auch Kompetenzausweitungen zu konstatieren, etwa in der Energiepolitik und in der Gesundheitspolitik. Da ist manches gerade auf den letzten Metern des Weges im Konvent und dann in der Regierungskonferenz nicht so gelaufen, wie wir es uns gewünscht hätten. Aber natürlich kann man weit überwiegend mit dieser Verfassung zufrieden sein. Ludwig Uhland hat 1819 bei der Verabschiedung der ersten Württembergischen – halbwegs demokratischen – Verfassung gesagt: „Mancher wird manches vermissen, aber das Wesentliche besteht.“ – So sehe ich es auch bei der Europäischen Verfassung: „Das Wesentliche besteht.“
Allerdings gibt es eine Ausnahme, und diese Ausnahme ist mehr als ein Schönheitsfehler, weil es nicht nur ein Halbsatz oder ein Hinweis ist, der in dieser Präambel fehlt, sondern weil es ein schlechter Start für diesen Verfassungsvertrag ist. Man sollte das nicht so gering schätzen, lieber Herr Kollege Rust, wie Sie es mit einer Seitenbemerkung gemacht haben. Denn in einer Präambel und in einem Gottesbezug kommt das Menschenbild der Europäer zum Ausdruck. Da kommt die Leitlinie, die unser Leben beeinflussende Grundauffassung zum Ausdruck. Deshalb ist es natürlich weit mehr als ein Schönheitsfehler, dass in dieser Europäischen Verfassung eine Invocatio Dei, ein Gottesbezug, fehlt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich habe jetzt leider den Zwischenruf nicht verstanden. Aber ich glaube, da ist Herr Kollege Rust einfach falsch informiert.
Ich habe ja an der gesamten Regierungskonferenz teilgenommen: Es war nirgends ein Handel nach dem Motto „Gib mir den Kirchenartikel, und ich verzichte dafür auf den Gottesbezug“. Das war nicht einmal in einem einzigen Wortbeitrag die Alternative. Der Kirchenartikel ist während der Vertragsverhandlungen von Amsterdam 1993 hineingekommen. Der Kirchenartikel wurde wirklich von keinem einzigen Land zur Disposition gestellt. Es war etwas ganz anderes: Die Belgier, die Franzosen und zum Teil auch Vertreter der nordeuropäischen Länder haben gesagt: „Wir wollen eine durch und durch laizistische, eine vollständig säkulare Verfassung haben, und mit einer solchen Verfassung verträgt sich kein Gottesbezug.“
In meinen Augen ist es eben eine ganz abseitige Fährte, auf die wir uns begeben. Hier ist Neutralität mit Indifferenz verwechselt worden, und Indifferenz dürfen sich die Europäer nicht leisten, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Herr Minister, Sie kennen sicherlich die entsprechende Formulierung in der Verfassung. Können Sie sich vorstellen, was mit dem religiösen Erbe Europas gemeint ist, also dieses Europas der Europäischen Union, das in der Präambel der Verfassung drinsteht? Für mich bleibt da eigentlich nur ein religiöses Erbe übrig oder im Wesentlichen das eine, das da erwähnt ist.
Und zum Zweiten: Sie können davon ausgehen, dass ich die Information aus erster Hand habe, und zwar sowohl aus französischer wie aus deutscher.
Herr Rust, wir haben uns da gar nicht irgendetwas Böses vorgeworfen. Sie sind schlicht falsch informiert, habe ich gesagt, und die Informationen aus erster Hand wurden jedenfalls nicht
in irgendeine Debatte im Konvent oder in der Regierungskonferenz eingebracht. Sie finden sie in keinem Protokoll.
Aber ich kann an dieser Stelle natürlich schon ein bisschen schärfer werden, wenn Sie das wünschen. Ich hätte mir von dieser deutschen Bundesregierung in der Tat einen stärkeren Einsatz für den Gottesbezug erhofft, aber er ist leider nicht erfolgt.
(Beifall bei der CDU und des Abg. Theurer FDP/ DVP – Abg. Schmid SPD: Eine Frechheit! Sie überschätzen sich maßlos! Selbstüberschätzung ist nicht christlich!)
Zum Thema religiöses Erbe: Dieses religiöse Erbe ist eine Formulierung, die der Konventspräsident Valerie Giscard d’Estaing eingebracht hat. Diese Formulierung ist ein Fortschritt gegenüber dem, was in der ersten Grundrechtecharta drinsteht, wo nur vom spirituellen Erbe die Rede war. Das hat auch überhaupt niemand bestritten. Ich habe es auch immer wieder gesagt. Diesen Fortschritt muss man konstatieren; aber er ist nicht ausreichend. Es gehört doch zur historischen Wahrhaftigkeit, dass die Europäer noch sagen dürfen und müssen, dass es das Christentum war, das zweitausend Jahre die Wirklichkeit Europas geprägt hat, und nichts anderes!
Da kann ich mich doch nicht in eine neutrale Nische zurückziehen und allgemein sagen: Das religiöse Erbe Europas ist wie das kulturelle Erbe Europas eben wichtig für unsere Traditionen gewesen.
Ich will Ihnen in großem Ernst ein Wort sagen, das der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, einmal unnachahmlich formuliert hat. Er hat gesagt – ich finde, das ist auch die zentrale Begründung für einen Gottesbezug und für eine Benennung des Christentums in dieser europäischen Verfassung –: „Von drei Hügeln ging Europa aus: von der Akropolis, vom Kapitol und“ – das hat er als Wichtigstes genannt – „von Golgatha.“ Das ist auch die historische Wahrheit. Griechische Philosophie, römisches Recht und Christentum, das hat Europa in den vergangenen zweitausend Jahren vor allem geprägt. Man hätte den Mut haben müssen, das auch zu benennen. Unsere Bundesregierung hat diesen Mut nicht gehabt, meine sehr verehrten Damen und Herren, sich dafür energisch einzusetzen.
Herr Minister Palmer, Ministerpräsident Teufel, der im Konvent tätig war, hat sich hier in einer großen Anhörung des Ständigen Ausschusses auch zu dieser Frage geäußert und damals ziemlich klar gesagt, dass wegen des Widerstands der Franzosen und anderer ein Gottesbezug, wie er in der Präambel unserer Verfassung steht, keine Aussicht auf Erfolg hatte. Auch er hat sich erst später auf einem Kongress der CDU dafür stärker gemacht. Aber man kann doch denen, die im Konvent waren und die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens von Anfang an gesehen haben, nicht vorwerfen, sie hätten sich nicht genügend für diesen Gottesbezug eingesetzt.
Lieber Herr Kretschmann, ich darf natürlich nicht aus nichtöffentlichen Regierungskonferenzen wörtliche Zitate bringen. Deshalb kann ich Ihnen jetzt ein Zitat unseres Kanzlers, das Sie als Christ sehr beeindrucken würde, nicht sagen.
(Zurufe von der SPD: Oh! – Abg. Schmid SPD: Das ist wohl das Allerletzte! Das ist eine Dreck- schleuderei! Unerhört!)
Aber ich kann Ihnen Folgendes sagen: Es hätte auch in der Regierungskonferenz noch eine Chance gegeben, etwas zu
um auf den Schlussmetern noch etwas zu erreichen. Das stärkste und größte Land Europas hätte, wenn es gewollt hätte, dieser Initiative mit Nachdruck beitreten können und hätte dann auch etwas erreichen können – zumindest für das „christliche Erbe Europas“.
Ich habe den Sachverhalt in der notwendigen Wahrhaftigkeit und der notwendigen Klarheit hier dargestellt.