Protocol of the Session on July 28, 2004

blau bedeutet Risiken. Man sieht, wo die Risiken in Deutschland sind: jedenfalls nicht bei uns.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Sehr gut!)

Dass Baden-Württemberg so stark geworden ist – daran möchte ich anknüpfen, und das möchte ich unterstützen –, war das Ergebnis einer Gemeinschaftsleistung in den vergangenen Jahrzehnten,

(Abg. Wieser CDU: Vor allem der SPD!)

an der Wirtschaftsminister der CDU, Wirtschaftsminister der SPD, Wirtschaftsminister der FDP/DVP beteiligt waren.

(Abg. Fleischer CDU: So staatsmännisch habe ich Sie noch nie erlebt!)

Es war eine Gemeinschaftsleistung von Unternehmern, Vorständen, Belegschaften und Gewerkschaften.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Bis jetzt gut! – Abg. Fleischer CDU: Bis jetzt hat er nichts Falsches ge- sagt! Gar nicht schlecht!)

Deshalb ist es auch richtig, heute darüber zu diskutieren. In der Debatte, die bei Daimler-Chrysler stattgefunden hat, stecken Gefahren. Auf eine Gefahr haben Sie hingewiesen, nämlich dass das Gemeinschaftsziel, das Verständnis „Wir arbeiten gemeinsam an einem Projekt, an einer Zukunft“, leichtfertig aufs Spiel gesetzt wurde. Es ist nicht verständlich, dass man die Debatte nicht dort geführt hat, wo sie hingehört, nämlich zwischen Betriebsrat, Gewerkschaft und Vorstand, und zwar hinter verschlossenen Türen, sondern den Belegschaften über die Medien mitteilte: „Entweder ihr spart jetzt 500 Millionen €, oder es müssen 6 000 gehen.“ Das ist ein Stil, der nicht zu Baden-Württemberg und auch nicht zu Deutschland passt und der den Standort gefährdet.

(Beifall bei der SPD)

Wir sollten bei der Debatte, Herr Kollege Birk, aber nicht der Versuchung erliegen, in die Rolle von Tarifparteien zu schlüpfen. Auch unsere Tarifordnung hat mit zur Standortentwicklung und Standortsicherung beigetragen.

(Abg. Dr. Birk CDU: Kein Widerspruch!)

Zur Tarifordnung gehört auch, dass Abschlüsse unterschiedlich sind. Wenn die Abschlüsse in Baden-Württemberg höher sind, hat das doch auch eine Berechtigung. Baden-Württemberg hat halt mehr zu bieten als Bremen und mehr als Südafrika.

(Abg. Dr. Birk CDU: Aber München?)

Ich bitte Sie. Deshalb muss man doch akzeptieren, was die Stärke ausmacht. Und dann müssen wir darüber diskutieren, welchen Beitrag wir in der Politik, im Parlament, in der Regierung dazu leisten können, dass diese Stärke des Standorts erhalten bleibt.

Jetzt fangen wir einmal an, über die Politik zu diskutieren. Ich hätte mir schon gewünscht, dass sich der Wirtschaftsminister von Baden-Württemberg an dieser Debatte beteiligen würde. Es war doch nicht hilfreich, dass ausgerechnet Frau Merkel in dieser Situation kommt und sagt: „Der Vorstand hat Recht.“ Wo war der Wirtschaftsminister? Er soll sich zwar nicht einmischen und sagen: „Macht das, macht das, macht das, macht das.“

(Abg. Fleischer CDU: Was soll er dann?)

Sie erinnern sich aber vielleicht an die Debatte bei DaimlerChrysler um die Errichtung eines Motorenwerks in Cannstatt. Damals war zwischen Vorstand und Belegschaft die Frage heftigst umstritten: Sind wir damit konkurrenzfähig? Es hat ein Ringen um Konzepte stattgefunden, um den Standort Cannstatt so wettbewerbsfähig zu machen, dass die Produktion der Motoren dort stattfindet. Es ging um Arbeitszeit, Arbeitsorganisation und alles, was dazugehört. Der damalige Wirtschaftsminister Spöri hat sich im Sinne einer dialogorientierten Wirtschaftspolitik in die Debatte eingeschaltet, hat mit beiden Seiten gesprochen und dabei eine vermittelnde Rolle eingenommen. Dass auch Sie eine solche Rolle spielen, das wünschen wir uns, Herr Minister.

(Abg. Wieser CDU: Warum spielt Herr Dr. Spöri dann in der SPD keine Rolle mehr?)

Herr Minister, Sie sind neu im Amt. Deshalb möchte ich das eigentlich nicht in den Mittelpunkt rücken. Sie müssen aber nachher in der Debatte schon Antwort geben, was Ihr Beitrag in dieser Debatte ist, die ja nicht nur bei Daimler losgetreten wurde. Die Frage ist: Bleibt Baden-Württemberg der Produktionsstandort, der es momentan noch ist, oder finden tatsächlich die Verlagerungen in großem Umfang statt, die debattiert werden und angedroht sind?

(Glocke des Präsidenten)

Wir möchten wissen, welchen Beitrag Sie dazu leisten. Da reicht es nicht, wenn Sie jetzt in einer ersten Perspektive sagen, ganz wichtig sei es, dass die Schornsteinfeger Konkurrenz bekämen, dass Friedhofsgärtnereien keine Blumen auf Marktplätzen verkaufen sollten...

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter – –

... – einen Moment, bitte – oder dass städtische Omnibusse nicht nach Venedig fahren sollten.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Das ist auch richtig!)

Das mag Sie alles interessieren, nur interessiert das keinen Unternehmer, der vor der Frage steht: Produziere ich hier weiter, ja oder nein? Da stehen andere Fragen im Mittelpunkt, beispielsweise: Welche Transferleistung bringt die hervorragende Forschung, die wir natürlich haben, in die Unternehmen? Welche Qualifikation bringt unser Bildungssystem? Welche Weiterbildungsangebote gibt es? Darüber wollen wir nachher Auskunft, und darüber wollen wir debattieren. Herr Minister, da sind Sie wirklich gefordert.

(Beifall bei der SPD – Abg. Fleischer CDU: Aber das Gemeindewirtschaftsrecht ist für unseren Mit- telstand auch wichtig! Sie haben jetzt gar keine Antwort gegeben!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kretschmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sind alle froh, dass der Konflikt um Arbeitszeit und Kostensenkung bei Mercedes in Sindelfin

gen erst einmal gelöst ist, weil uns die markigen Worte von Mercedes-Chef Hubbert allemal besorgt gemacht haben. Es ist zwar Sache der Tarifparteien, ihre Angelegenheiten selber zu regeln.

(Beifall des Abg. Wieser CDU – Abg. Wieser CDU: Sehr gut!)

Aber zu den Qualitäten des Standorts Baden-Württemberg, Kollege Wieser, gehört nach meiner Auffassung eben auch Kooperationsfähigkeit zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern. Diese sollte man nicht durch verbale Kraftmeierei leichtfertig aufs Spiel setzen.

(Abg. Fleischer CDU: Man sollte es auch nicht überbewerten!)

Dieser Kompromiss wird sicher auf weite Teile der Industrie in Baden-Württemberg und Deutschland Auswirkungen haben.

Wir sind in Baden-Württemberg nicht schlecht aufgestellt. Die Exporterfolge unserer Wirtschaft zeigen dies deutlich. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass wir zukünftig wettbewerbsfähig bleiben, auch wenn wir in Baden-Württemberg eine hohe Produktivität haben und mit gut ausgebildetem Personal arbeiten. Grundsätzlich gibt es aber wenig, was etwa die EU-Beitrittsstaaten in der Zukunft nicht auch leisten könnten.

Von 1980 bis 2001 sind die nominalen Lohnstückkosten in Deutschland um 60 % gestiegen, in Frankreich aber nur um 25 % und in den Niederlanden um weniger als 20 %.

Baden-Württemberg ist ein Qualitätsstandort und muss dies auch bleiben. Natürlich müssen wir uns um Kostenwettbewerb kümmern. Wir dürfen aber auch nicht Baden-Württemberg zum Billigstandort herunterreden. Denn wenn das Land erst verwechselbar wird, wird es auch als Standort austauschbar.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Natürlich ist Arbeitszeiterhöhung ein denkbarer Weg. Aber die Politik ist hier erst einmal gar nicht gefragt. Denn wir haben in Deutschland eine gesetzlich mögliche Arbeitszeit von 48 Stunden. Vereinbarungen über Arbeitszeit und Löhne sind Sache der Tarifparteien. Sie müssen das verhandeln und entscheiden. Die Politik kann ihnen das nicht abnehmen.

Natürlich glauben wir, dass von allen Möglichkeiten, die Lohnstückkosten zu senken, Arbeitszeiterhöhung ohne Lohnausgleich eine realistische Perspektive ist, weil dadurch mittelfristig mehr Menschen Arbeit behalten und mehr Menschen die Chance zur Arbeit bekommen; denn im Gegensatz zur nominalen Wochenarbeitszeit beträgt die reale Wochenarbeitszeit schon jetzt fast 40 Stunden.

Wir brauchen aber, meine Damen und Herren von der FDP/ DVP und von der Union, keine Debatten, wie Sie sie zurzeit anzetteln, bei denen sich alle gegenseitig in radikalen Forderungen zur Deregulierung übertreffen. Wir haben das jetzt bei den Arbeitszeiten erlebt, wo von der 50-StundenWoche gefaselt wird,

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Aber doch nicht von uns!)

wo Feiertage abgeschafft werden sollen,

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Aber doch nicht von uns!)

wo Urlaub verkürzt werden soll.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: So weltfremd sind wir doch nicht!)

Das ist das eine.

Jetzt kommt eine Debatte hoch, die darin endet, dass Merz die völlige Abschaffung des Kündigungsschutzes will und nur mühsam von seinen Granden eingefangen wird, die sehen, was das bewirkt, nämlich nichts als eine Verstärkung der Abstiegsängste, die in der Bevölkerung ohnehin schon vorhanden sind. Wer sich an einem solchen Spiel beteiligt – und das machen Sie und forcieren Sie –, der macht den größten Fehler, den man begehen kann: Er verspielt Vertrauen in einer solchen Situation.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)