Meine Damen und Herren, Terrorismus hat für mich nichts mit dem Thema Kulturkampf oder mit einer neuen Kriegsform zu tun. Terrorismus ist für mich – wie es für die Justiz Baden-Württembergs schon vor mehr als 20 Jahren bei der RAF galt – einfach eine Straftat, ein Verbrechen. Verbrechen müssen sanktioniert werden, müssen verfolgt werden. Da gibt es noch viel zu tun, meine Damen und Herren.
Deutschland ist zum Beispiel fast das allerletzte Land, das den europäischen Haftbefehl noch nicht auf den Weg gebracht hat – eine Schande. Auf europäischer Ebene war vereinbart, das bis zum Jahresende 2003 zu erledigen. Wir sind noch nicht so weit. Da kann man schon fragen: Wer ist schuld? Eine schöne Frage. Die Bundesjustizministerin sagt: Wir hätten das ja schon längst transportieren können, wenn die Länder nicht den Vermittlungsausschuss angerufen hätten. Dazu sagte Herr Abg. Theurer zu Recht: Die Länderminister haben die praktische Justiz zu bewerkstelligen. Die Staatsanwälte, die an den Grenzen oftmals noch große Hürden im Rechtshilfeverfahren zu bewältigen haben, kriegen die Straftäter einfach nicht so schnell, wie wir das gerne wollen. Da wäre es sehr klug, wenn auch seitens des Bundes erkannt würde, dass wir uns aus praktischen Erwägungen durchsetzen wollen. Wir wollen über den europäischen Haftbefehl einfach eine praktische, gute Strafverfolgung haben.
Meine Damen und Herren, was heißt „europäischer Haftbefehl“? Da lebt beispielsweise ein Spanier in Stuttgart und ermordet seine Nachbarin. Er setzt sich ab nach Österreich, nach Spanien oder sonst wohin. Dann haben wir Probleme, ihn schnell zu fangen, ihn dann in Stuttgart in Haft zu nehmen und dem Strafverfahren zuzuführen. Das soll über den europäischen Haftbefehl bewerkstelligt werden.
Wir Deutschen meinen nun, wir hätten das beste Rechtssystem. Herr Abg. Reinhart, Sie haben es auch angesprochen: Es gibt Bedenkenträger, die sagen: Es gibt zum Beispiel in Spanien noch keinen so guten Vollzug; es gibt dort andere rechtsstaatliche Vorstellungen. Dankenswerterweise haben sich die Länder darauf verständigt, dass es bei bestimmten Verbrechen wie Mord, terroristischen Delikten oder Spionage vergleichbare Standards und Strafbarkeitsvoraussetzungen gibt.
Auch im Vollzug haben wir endlich Mindeststandards auf EU-Ebene erreicht. Wir haben das Vertrauen, dass in einem anderen Mitgliedsstaat die Dinge genauso gut geregelt werden wie bei uns, auch wenn es etwas andere Vorschriften gibt. Dieses Vertrauen, meine Damen und Herren, bitte ich aufzubringen. Wir haben hier schon Standards erreicht. Diese sind geprüft. Wir können nicht erwarten, dass alle am deutschen Wesen genesen werden. Da würden wir lange warten.
Bei der Beweisanordnung ist es mir natürlich auch wichtig, zu sagen: Es muss in Strafverfahren gerade auch aus liberaler Sicht und aus der Sicht der Justizpolitik der letzten Jahrzehnte unseres Landes Baden-Württemberg ganz klar Strafverfahrensgarantien geben. Dass man hier Mindeststandards verabschieden konnte, hat mich sehr gefreut. Am 28. April wurde ein Beschluss über Verfahrensgarantien von der Kommission verabschiedet. Damit können wir jetzt sehr gut arbeiten.
Wie zu Recht schon gesagt wurde: Vertragsrecht. Die Kaufleute gingen zuerst voran und haben Europa mitgebaut. Die Exportweltmeister hier im Ländle legen großen Wert darauf, dass die Rechtspolitik nachfolgt und gesagt wird: Es müssen jetzt natürlich auch Vertragsgestaltungen erfolgen, die europäisch sind. Was soll denn ein englischer Richter sagen, wenn sich ein Franzose und ein Deutscher mit ihren jeweiligen Rechtsvorschriften im Kopf streiten, wenn die Verträge nicht ausreichen? Soll nach englischem Recht verfahren werden, nach französischem oder nach deutschem?
Ich bin sehr froh, dass man hier nicht sagt: „Wir brauchen ein europäisches Vertragsrecht über alle Rechtsgebiete hinweg“, sondern dass gesagt wird: „Wir wollen einen Rahmen schaffen.“ Dieser wird zurzeit ausdiskutiert, gerade für Kauf- und Dienstleistungsverträge, für Reiseverträge und alles, was die Menschen im Land über die Kaufleute hinaus auch interessiert. Dieser Diskussionsprozess findet im Moment statt. Ich kann Ihnen sagen, dass hier auch ein OLGRichter bei den Veranstaltungen dabei ist und mit angehört wird. Es sollen Wissenschaftler und Rechtsanwälte eingeschaltet werden, es soll die Praxis einbezogen werden. Wenn Sie hierzu Anregungen haben: Im Internet findet sich eine Plattform. Auch ich bin dankbar für Anregungen, damit ich dann im Bundesrat die richtigen Anträge weiterleiten kann.
Nun noch ein Punkt, der Sie wahrscheinlich in Haushaltsberatungen ganz hart treffen wird, meine Damen und Herren. Das europäische Mahnverfahren wurde angedacht als ein komplizierteres Mahnverfahren, als es bei uns der Fall ist, ein Verfahren mit Schlüssigkeitsprüfung, mit Richterprüfung, weil es im französischen Rechtsraum nur so denkbar ist. Wir in Baden-Württemberg waren schon vor 20 Jahren Vorreiter, es elektronisch auszustatten. 800 000 Verfahren pro Jahr wickeln wir elektronisch ab, weil es keine Widersprüche gibt oder Widersprüche einfach ins gerichtliche Verfahren überführt werden. Überlegen Sie bitte einmal: Wir haben derzeit 140 000 normale Gerichtsverfahren in Zivilrechtsstreitigkeiten. Da können Sie sich vorstellen, welchen Aufwand diese 800 000 Verfahren im Jahr bedeuten würden.
Bitte kämpfen Sie mit mir dafür – ich danke Ihnen für den Rückenwind, den Sie mir heute gegeben haben –, dass wir europäisch durchsetzen, dass es diese elektronischen Mahnverfahren weiterhin geben kann, zumindest in Baden-Württemberg. Vielleicht können wir einen Kompromiss finden, wobei in grenzüberschreitenden Verfahren Erschwernisse hingenommen werden müssen. Stellen Sie sich vor, wir müssten diese 800 000 Mahnverfahren tatsächlich richter
lich abwickeln. Wir hätten dann ein riesengroßes Problem. Das wäre für uns sehr, sehr teuer. Da bitte ich sehr um Ihre Unterstützung. Diese habe ich heute herausgehört. Dafür danke ich Ihnen.
Wie zu Recht gesagt wurde, ist das europäische Familienrecht Thema, weil es immer mehr binationale Ehen gibt, nämlich in Deutschland an die 2 Millionen solcher Ehepaare. Sie haben es schon gesagt: Die deutschen Richter müssen beispielsweise eine Ehe zwischen einem Schweden und einer Griechin scheiden. Sie bewältigen diese Aufgabe, denn wir haben wirklich klasse Juristen. Aber es ist natürlich schwierig, zu sagen, wie diese Leute die Ehe schließen sollen. Die gehen vor das Standesamt, und dann haben sie schon das Problem: Wie machen wir es mit dem Namensrecht? Wie sieht es aus mit dem Güterrecht, wenn wir einmal gemeinsam ein Haus kaufen? Ist das in Frankreich anders als in Griechenland? Oder wie findet das nach deutschem Recht statt? Da besteht eine große Rechtsunsicherheit.
Auf dem Weg, den Sie, Herr Theurer, auch schon genannt haben, muss den Menschen angeboten werden, zumindest Güterstände und Vertragsrecht wählen zu können. Dies muss ins Bewusstsein der Menschen gebracht werden, und dann muss aber auch etwas angeboten werden, was europäisch kompatibel ist. Das ist mir ein großes Anliegen. Ich versuche das gerade über das Güterrecht, indem ich sage: Es muss auch in der Bundesrepublik Deutschland der Wahlgüterstand der Errungenschaftsgemeinschaft eingeführt werden. Das können wir hier auf Bundesebene gut machen. Dafür werbe ich. Das wäre mit vielen Güterständen auf europäischer Ebene kompatibel, und dann können es die anderen Länder ja auch einführen. Für Sie ist es wichtig, zu wissen, dass auch an diesem Punkt weitergearbeitet wird.
Ansonsten möchte ich als Ausländerbeauftragte – auch im Innenressort ist die Frage der Einwanderung und die Asylfrage ja Thema – Sie nur noch einmal darüber informieren, dass die Asyl- und Migrationspolitik auch immer mehr vergemeinschaftet wird. Europa als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts muss natürlich Menschen Zuflucht bieten, die verfolgt werden. Diese Zuflucht muss aber gesteuert werden, und sie muss auch rechtlich sinnvoll umrahmt werden. Das bedeutet auf der anderen Seite aber auch die konsequente Kontrolle der Außengrenzen und die Bekämpfung der internationalen Verbrechen. Auch das ist uns ganz, ganz wichtig.
Diese Harmonisierung läuft schneller, als wir das bei unserer ganzen Zuwanderungsdebatte oftmals wahrnehmen wollen. Die EU-Innenminister haben sich am 30. März dieses Jahres über Mindestnormen zur Aufnahme von Asylbewerbern verständigt. Die Frage ist, wie es dann mit der Integration und der Verteilung innerhalb Europas weitergeht.
Diese Diskussion zu verfolgen wäre sehr, sehr wichtig auch für unsere Vermittlungsgruppe, die sich gerade in der letzten Woche ohne einen Erfolg im deutschen Zuwanderungsgesetz verabschiedet hat. Das könnte natürlich Anlass geben, zu sagen: „Können nicht diese Kampfhähne, die immer
wieder ihre althergebrachten Optimalforderungen durchsetzen wollen und nicht in der Lage sind, zu vermitteln und einen Mittelweg zu finden, aus der Gruppe ausscheiden?“ Ich sage immer, Beck und Beckstein gehören dort eigentlich nicht hinein. Es sitzen so viele Vernünftige mit am Tisch; vielleicht ließen sich diese beiden ersetzen. Man käme dann zu einem Abschluss.
Es ist unerträglich, zu sehen, dass man nicht selbstbewusst sagt: „Wir machen ein modernes Zuwanderungsrecht.“ Das müsste man doch eigentlich hinbekommen.
Mein Plädoyer ist also auch hier, nicht zu warten, bis Europa aktiv wird, sondern selbst und eigenständig in Deutschland ein gutes Zuwanderungsrecht zu verabschieden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! In den Ausführungen unserer Justizministerin ist zum Ausdruck gekommen, dass Baden-Württemberg in vielfältiger und unterschiedlichster Weise aktiv auf die Gestaltung der europäischen Rechtspolitik Einfluss nimmt.
Angesichts unseres Staatsaufbaus ist das natürlich vor allem eine Aufgabe der Regierung. Wir haben da durchaus Einfluss; und ich denke, dass wir als FDP/DVP-Fraktion auch mit der Beantragung dieser Debatte dem Parlament die Möglichkeit gegeben haben, auf dieses Regierungswirken Einfluss zu nehmen und sich hier auszutauschen. Den Äußerungen der Kollegen entnehme ich, dass es einen Bedarf gibt, diese Fragen hier zu diskutieren, meine Damen und Herren.
Ich möchte dies an dem Beispiel des europäischen Haftbefehls noch etwas vertiefen. Wir haben in Europa glücklicherweise Mindeststandards bei den Justizvollzugsanstalten festgelegt. Natürlich sind deutsche Justizvollzugsanstalten anders als etwa französische und spanische. Es gibt ja auch Unterschiede innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Aber die Frage ist natürlich: Warum sollen wir jetzt zwangsläufig diese Rücküberstellungspflicht, wie sie der Bundestag beschlossen hat,
umsetzen? Warum können wir hier nicht die berechtigten Bedenken der Länder berücksichtigen? Ich denke, wir müssen natürlich in dieser Frage ein Stück weit in die Unterschiedlichkeit einsteigen und uns überlegen, wie viel Unter
Die FDP/DVP-Fraktion ist der Meinung, dass wir Unterschiede zulassen müssen. Wir können das auch; Europa lebt von der Vielfalt.
Das bedeutet dann natürlich aber auch, meine Damen und Herren, dass wir uns darüber Gedanken machen müssen, wie dies wirksam funktioniert.
Ich will einmal kurz auf den Punkt „Zusammenarbeit der Polizei“ eingehen. In Frankreich ermittelt die Polizei bei Straftaten weiter gehend als in Deutschland. Sie untersteht dafür aber auch der Fach- und Dienstaufsicht der Justiz. Sie kann in bestimmten Fällen Hausdurchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl machen.
Jetzt ist die Frage: Wollen wir eher zum französischen System wechseln, oder wollen wir das deutsche System beibehalten?
Diese Frage wird sich stellen. Denn es gibt nicht nur zwischen Deutschland und Frankreich Unterschiede, es gibt natürlich auch Unterschiede zwischen Deutschland und Großbritannien, und es gibt natürlich Unterschiede zum spanischen Recht und Ähnliches mehr. Wenn man versucht, daraus ein europäisches Recht zu machen, laufen wir Gefahr, dass es eine Melange gibt, bei der sich niemand mehr zu Hause fühlt. Trotzdem müssen wir diese Fragen der europäischen Strafverfolgung klären, meine Damen und Herren.
Die FDP/DVP-Fraktion hat erst vor wenigen Tagen den Eurodistrikt besucht. Er befindet sich noch in den Anfängen. Wir unterstützen dieses einmalige europäische Musterprojekt. Wir wollen hier in Zukunft – das kündigen wir hiermit an – Diskussionen darüber beantragen, was wir als Landtag dazu beitragen können, dass dieser Eurodistrikt seine ganze Kraft vollständig entfalten kann, weil es da um die Frage geht, ob es gelingt, zwischen zwei selbstständigen Mitgliedsstaaten, nämlich der Republik Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland, und Baden-Württemberg als einer Region mit eigener Gesetzgebungskompetenz sowie der Region Elsass, die nicht so weit gehende Kompetenzen hat, einen Raum des eigenen Rechts zu schaffen. Da gibt es natürlich noch große Fragen, auch verfassungsrechtliche Fragen zu klären.