Herr Präsident, meine Damen und Herren! Was ist eigentlich Ausgangspunkt des ganzen Streits in dieser Kopftuchdebatte? Ausgangspunkt dieser Debatte ist Artikel 33 Abs. 2 unseres Grundgesetzes, in dem es heißt:
Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.
... die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemand darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Kopftuchurteil daraus eine ganz klare Konsequenz gezogen und eine ganz strikte Vorgabe gemacht. Diese Vorgabe heißt logischerweise aufgrund dieser Verfassungsbestimmungen: Strikte Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften! Das wird an vier Stellen des Urteils ausdrücklich hervorgehoben. In dieser strikten Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften ist der Landesgesetzgeber, also wir, überhaupt nicht frei.
Es kann daher, wie es der Verfassungsrechtler und ehemalige Verfassungsrichter Mahrenholz gesagt hat, kein Privilegium Christianum geben. Das ist ein ganz eindeutiges Ergebnis der Anhörung. Drei Verfassungsrechtler haben das sehr stark betont, und wenn man genau liest, was der Verfassungsrechtler Kirchhof gesagt hat, kommt man zu dem Ergebnis, dass er dieser Auffassung logischerweise auch zustimmt.
Welche christlichen Bezüge, die Sie ja wollen und die wir mit unserem Gesetzentwurf natürlich auch nicht ausschließen wollen, sind eigentlich erlaubt, wenn Sie ein allgemeines Kopftuchverbot erlassen? Es sind lediglich christliche Bezüge erlaubt, die die kulturellen Werte und die Bildungswerte des Christentums darstellen, also seine Traditionen, die sich als Kultur in unserer Gesellschaft abgelagert und sie geprägt haben. Es ist also lediglich das erlaubt, was man die Säkularisate des Christentums nennt. Zum Beispiel ist jetzt nach Ihrem Gesetzentwurf natürlich das Kreuz um den Hals als ein Schmuckstück erlaubt. Das ist ganz eindeutig. Das wird auch von vielen als solch ein kulturell-christliches Symbol getragen.
Wer das Kopftuch allerdings als Teil eines religiösen Bekenntnisses – und es ist Teil eines religiösen Bekenntnisses und kein Symbol – verbietet, muss auch die Nonnentracht, die Kippa, ja sogar das Kreuz am Revers des Geistlichen verbieten.
Wir sind als Landesgesetzgeber frei, zwei Wege zu gehen. Der eine ist der, dass wir uns nach wie vor auf der Basis der offenen Neutralität bewegen. Das ist bisher die Tradition der Rechtsprechung und offensichtlich auch das, was alle in diesem Haus wollen. Dann müssen wir unter dem Gleichbehandlungsgrundsatz der Religionen alles Mögliche zulassen. Wenn man aber generell ein Kopftuchverbot will, dann ist man in der Zulassung christlicher Symbole, die Glaubensbekundungen sind, nicht mehr frei, sondern Knecht, wie Mahrenholz das so schön formuliert hat.
Es ist aber doch gar keine Frage, dass eine Nonnentracht oder das Kreuz am Revers eines Diakons ganz eindeutig eine Glaubensbekundung ist. Professor Böckenförde hat sehr schön gesagt: Die Lichtentaler Nonnen fühlen sich nicht als christlicher Trachtenverein. Nur dann, wenn sie sich als christlicher Trachtenverein fühlen würden, der dieses Habit eben trägt, weil man es schon immer getragen hat und weil es Ausdruck unserer Kultur in Deutschland ist, entzöge sich das dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 4 des Grundgesetzes. Es wird aber doch niemand im Ernst behaupten, dass ein Diakon sein Kreuz am Revers und die Nonne ihr Habit nicht aus Glaubensüberzeugung und Bekenntnisgründen tragen –
(Abg. Dr. Reinhart CDU: Das steht gar nicht im Streit! Das ist doch unstreitig, Herr Kollege! – Zu- rufe der Abg. Dr. Carmina Brenner und Wieser CDU)
das ist genau der Sinn dieser Kleidung, aber keine anderen Gründe. Wenn Sie das Kopftuch also verbieten, unterliegen auch andere Bekenntnissymbole dem Gleichheitsgrundsatz, und Sie müssten sie ebenfalls verbieten.
Insofern ergibt sich aus Ihrem Gesetzentwurf Folgendes: Entweder er ist verfassungswidrig im Hinblick auf die Erlaubnis von Nonnenhabit und dem Kreuz am Revers des Geistlichen,
oder er ist in Wirklichkeit laizistisch, ermöglicht lediglich irgendwelche heruntergezonten Kultursymbole des Christentums, aber keine Glaubenssymbole. Dann widerspricht er aber Ihrer eigenen Intention.
Ich finde, das ist ein ganz klarer Sachverhalt, der bei der Anhörung über die ganze Breite aller vier Verfassungsrechtler deutlich geworden ist. Das konnten Sie in Ihren bisherigen Beiträgen auch nicht auflösen. Das heißt, Sie rücken faktisch entweder von der offenen Neutralität des Staates ab – der übergreifenden, die religiöse Bezüge im öf
fentlichen Raum erlaubt –, oder der Vorschlag ist eindeutig verfassungswidrig. Darüber kann, glaube ich, gar kein Zweifel bestehen.
Es ist auch ein großer Irrtum der großen Mehrheit dieses Hauses, zu meinen, dass ein Kopftuchverbot pauschal und generell angeordnet werden kann – so Professor Jestaedt. Es wäre nur dann möglich, das Kopftuch zu verbieten, wenn es eindeutig ein politisches Symbol von Islamismus und Fundamentalismus wäre, also eine Haltung zum Ausdruck brächte, die den Grundsätzen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung widerspricht und mit ihr unvereinbar ist.
Es ist aber Konsens gewesen und von niemandem bestritten worden, dass Kopftuchträgerinnen das Kopftuch aus unterschiedlichen Motiven tragen können.
(Abg. Wieser CDU: So ist es! Das ist richtig! Man weiß es nicht! – Abg. Wacker CDU: Aber die Pro- bleme sind da!)
Das hat niemand bestritten. Auch ich habe in den Debatten immer konzediert, dass ich persönlich und meine Fraktion nicht daran zweifeln, dass vielleicht auch die Mehrheit der Kopftuchträgerinnen es aus fundamentalistischen Gründen tragen. Das habe ich nicht bestritten. Aber klar ist ohnehin – auch das war Konsens –, dass das aktive Eintreten für die Werte unserer Verfassung und für unsere freiheitliche Grundordnung natürlich jede Lehramtsbewerberin erfüllen muss und wir dies von jeder Lehrkraft sowieso verlangen können: Nicht nur, dass sie diese Werte, etwa die Gleichberechtigung der Frau, passiv hinnimmt oder duldet, sie muss sie als Lehrerin aktiv vertreten.
Nun sagt das Bundesverfassungsgericht wiederum klar und macht uns damit eine deutliche Vorgabe – so steht es im Urteil –, dass der Gesetzgeber zwischen den widerstreitenden Grundrechtspositionen, um die es hier geht, einen Ausgleich suchen muss. Auch hier sind wir in unseren Zielvorstellungen also nicht einfach frei – was bei Gesetzen sonst normal ist –, sondern wir sind an diese Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gebunden.
Was sind diese widerstreitenden Grundrechtspositionen? Es ist die positive Religionsfreiheit der Lehrerin; es ist zugleich die Neutralitätspflicht des Staates, die sie als Lehrerin mit verkörpert; und es ist drittens die negative Religionsfreiheit aller Schülerinnen und Schüler und viertens das Elternrecht. Zwischen diesen in diesem Fall widerstreitenden Grundrechtspositionen müssen wir einen Ausgleich herstellen. Das ist eine klare Vorgabe des Verfassungsgerichts. Wir sind darin nicht einfach frei.
dass die religiös motivierte Verhaltensweise der Amtsträgerin nicht Ausdruck staatlicher Gewalt, sondern
persönlicher Überzeugung ist – s o w e i t das erkennbar ist –, kann von einer Neutralitätsverletzung dadurch, dass die staatliche Schule ihrer Amtsträgerin das Tragen des Kopftuches im Unterricht nicht verbietet, grundsätzlich nicht die Rede sein. Die bloße Duldung beeinträchtigt, wenn nicht weitere Umstände hinzutreten, nicht die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates.
Wann dies der Fall ist, lässt sich jedoch nicht pauschal und generell angeben, sondern ist stets nach Maßgabe der Besonderheiten des konkreten Falles zu beurteilen.
Die Frage ist: Kann die mögliche Wahrnehmung und Wirkung als politisches Zeichen, das gegen die Gleichberechtigung der Frau und andere Dinge stehen kann, die mit unserer grundgesetzlichen Ordnung nicht vereinbar sind, eine solche Wahrnehmung und Wirkung, die nicht auszuschließen ist, aber auch keineswegs generell gegeben ist, dazu führen, das Kopftuch generell zu verbieten, auch für solche Lehrkräfte, die es erkennbar
als Ausdruck ihres religiöses Bekenntnisses tragen und in ihrem Verhalten für die grundgesetzliche Ordnung, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten?
Wenn man das annimmt, bedeutet ein generelles Verbot im Grunde die Wegnahme oder Verzichtsforderung auf die Ausübung des Grundrechts von vornherein, ohne dass vonseiten der Trägerin ein Anlass dazu gegeben ist und auch ohne konkret absehbare Gefahr der politischen Instrumentalisierung und des Missbrauchs. Nach meiner Auffassung handelt es sich dann nicht mehr um einen angemessenen Ausgleich verschiedener Positionen, sondern um die einseitige volle Zurückdrängung einer Position.
Also: Grundrechtspositionen können nicht völlig unterschlagen werden. Auch die Eigendeutung der Kopftuchträgerin muss im gesamten Verhalten der Person, das ja zum Beispiel in ihrem Referendariat deutlich wird, mit berücksichtigt werden. Ansonsten wird ja – das habe ich schon in der ersten Aussprache gesagt – eine Lehramtsbewerberin zum reinen Objekt der Deutung Dritter. Das heißt, ausschließlich die Deutung Dritter, dass das Kopftuch ein fundamentalistisches Symbol sei,
(Abg. Hauk CDU: Das schließen wir aber durch ein generelles Verbot aus! Das schließen wir gerade durch ein generelles Verbot aus!)
entscheidet über den Zugang zum öffentlichen Dienst. Das, finde ich, kann nicht sein. Damit nimmt man die Person in Kollektivhaftung für eine Fremddeutung, gegen die sie sich überhaupt nicht wehren kann. Damit geben sozusagen diejenigen, die die Religion missbrauchen und instrumentalisieren, den religiösen Ton an. Das kann nicht sein.
Religionsfreiheit ist ein schwer erkämpftes Freiheitsrecht. Es hat fast 1 000 Jahre gedauert, bis wir es als Individualrecht jedes Einzelnen hatten.
Der Gesetzentwurf meiner Fraktion ist, glaube ich, angemessen, weil er alle vier Grundrechtspositionen zum Ausgleich zu bringen versucht, so schwierig das auch sein mag. Es ist klar, dass es in diesem schwierigen Ausgleich auch offene Flanken und Angriffspositionen gibt. Das ist unvermeidlich, wenn man einen so schwierigen Ausgleich macht.
Was heißt das nun konkret? Konkret besagt unser Gesetzentwurf: Im Konfliktfall geht die negative Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler der positiven Religionsfreiheit der Lehrerin vor; denn die Lehrerin ist ja nicht in erster Linie zur Selbstentfaltung in der Schule, sondern zur Fremdbestimmung, wie Kirchhof das so schön formuliert hat. Sie muss ja dort Aufträge des Staates erfüllen und nicht einfach ihre eigenen.
Deswegen ist unser Gesetzentwurf klar bestimmt. In einem Konfliktfall, wobei allerdings eine angemessene Verhältnismäßigkeit herrschen muss, muss die Religionsfreiheit der Lehrerin zurücktreten. Dafür machen wir einen Verfahrensvorschlag, wie das in solchen schwierigen Fällen üblich ist und wie es auch im bayerischen Kruzifixurteil und in den nachfolgenden Gesetzen bestimmt ist, der das regelt. Insofern erfüllt unser Gesetzentwurf den Bestimmtheitsgrundsatz. Jeder Lehramtsbewerber und jede Lehramtsbewerberin weiß, was ihn bzw. sie erwartet, wenn er bzw. sie in den Schuldienst geht.