Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus unserer Landesverfassung ergibt sich eindeutig, dass Schülerinnen und Schüler mit besonderer Begabung das Recht haben, besondere Angebote zu erhalten, das heißt, in besonderer Weise gefördert zu werden. Die Behauptung, dass das Land Baden-Württemberg solche Angebote nicht machen würde, ist falsch. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass seit langer Zeit flächendeckend, das heißt wohnortnah, Sonderprogramme in Form von Seminaren, Arbeitsgemeinschaften usw. laufen. Es gibt Landeswettbewerbe, es gibt Schülerakademien, Jugendakademien, also eine Vielzahl von Einrichtungen, in denen diese besondere Förderung stattfindet.
Zweitens: Frau Dr. Stapf vom Psychologischen Institut der Universität Tübingen sagt zum Beispiel, dass die Flexibilisierung in der Grundschule ein ausgezeichnetes Mittel sei, um hoch begabten Kindern eine besondere Förderung angedeihen zu lassen. Sie wissen, was damit gemeint ist: variable Einschulungstermine, jahrgangsübergreifende Eingangsstufen, die dann, individuell angepasst, in ein, zwei oder drei Jahren durchlaufen werden können. Frau Dr. Stapf sagt in ihrem Gutachten ausdrücklich, dass hier für Hochbegabte eine besonders effektive Form von Förderung stattfindet.
Schließlich ist klar, dass auch Spezialschulen und Spezialklassen notwendig sind. Man mag einwenden, dass Spezialschulen oder Spezialklassen vielleicht nicht den Königsweg darstellen. Für einen Teil der Hochbegabten sind sie aber erforderlich.
Sie kennen alle die Situation, dass hoch begabte Mädchen oder Jungen gerade aufgrund ihrer besonderen Begabung in der Schule erhebliche Probleme haben.
Es klingt zwar paradox, aber es kann tatsächlich sein, dass ein Kind mit einem IQ von 130 plötzlich in der Sonderschule landet, weil seine Hochbegabung nicht rechtzeitig erkannt und es deshalb nicht deutlich genug gefördert wurde. Gott sei Dank sind solche Problemfälle nicht die Regel, aber sie kommen vor.
An der Universität Marburg gibt es eine Langzeituntersuchung über 15 Jahre hinweg, die noch läuft, aber schon jetzt ein klares Ergebnis zeigt. In dieser Studie wird deutlich, dass etwa 10 bis 15 % – nicht der Schülerinnen und Schüler insgesamt, sondern der Hochbegabten unter ihnen – in besonderer Weise einer psychologischen Fachberatung und Begleitung bedürfen. Auch hier wird man wahrscheinlich – oder mit Sicherheit – nicht um eine Spezialschule herumkommen.
Wir haben jetzt glücklicherweise eine solche Schule in Baden-Württemberg eingerichtet. Ich bin froh darüber, dass es dieses Gymnasium für Hochbegabte in Schwäbisch Gmünd gibt. Dazu stehen wir. Es kann nicht anders als zentral geführt werden. Politisch wichtig ist jetzt allerdings, dass wir
alles daransetzen müssen, dass es gelingt, mit dieser zentralen Einrichtung zusätzlich zu dem bestehenden dichten Netz von schulpsychologischen Beratungsstellen zugleich auch eine zentrale Anlauf- und Beratungsstelle zu schaffen.
(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig! – Abg. Theurer FDP/DVP: Sehr gut!)
Aber wenn zum Beispiel – ich zitiere wiederum Frau Stapf vom Psychologischen Institut in Tübingen – Frau Stapf zu dem Ergebnis und zu der Feststellung kommt, dass etwa die Hälfte, also 50 %, der hoch begabten Kinder in den Schulen nicht als hoch begabt erkannt werden, dann ist das schon ein ernster Hinweis darauf, dass wir bislang bei weitem nicht allen hoch begabten Schülerinnen und Schülern die ihren Fähigkeiten entsprechenden Angebote machen.
Ich sage: Wir können diese schlummernden Potenziale nicht brachliegen lassen. Da teile ich Ihre Meinung vollständig.
Das können wir uns einfach nicht erlauben. Entscheidend ist der Punkt, dass wir die Förderung brauchen,
Hier kann auch Baden-Württemberg noch zulegen. Wir müssen die Informations- und Beratungsmöglichkeiten für Eltern verbessern.
Ein ganz wichtiger Baustein ist aber auch die Schaffung einer zentralen Anlauf- und Beratungsstelle, in der die Kompetenzen gebündelt sind und die kompetente Angebote für die Beratung machen kann. Unser Vorschlag ist, diese zentrale, bündelnde Anlauf- und Beratungsstelle, wenn irgend möglich, am Hochbegabtengymnasium in Schwäbisch Gmünd anzusiedeln.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die schulische Förderung von schwächeren Schülerinnen und Schülern und die Förderung von besonders befähigten und schnellen Schülerinnen und Schülern sind zwei Seiten einer Medaille. Das gehört zusammen. Das gilt aus Gründen der Chancengleichheit, aber auch deshalb, weil wir in unserer Gesellschaft alle jungen Menschen und ihre Fähigkeiten brauchen.
Der Landtag hat sich oft mit der Situation von benachteiligten Jugendlichen befasst. Wir hatten in der letzten Legislaturperiode die Jugendenquetekommission „Jugend – Arbeit – Zukunft“, die besonders aufgezeigt hat, wie notwendig die Förderung von benachteiligten Jugendlichen ist. Wir wissen natürlich, dass wir hier noch einen großen Handlungsbedarf haben, zumal es unter den benachteiligten Jugendlichen auch hoch begabte Jugendliche gibt, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft nicht als solche erkannt werden und nur weit unter ihren Möglichkeiten gefördert werden.
Aber wir sehen natürlich auch einen großen Handlungsbedarf, was besonders begabte und besonders schnelle Schülerinnen und Schüler in der Schule anbelangt. Ich sage gleich vorweg: Wir Grünen wollen keine Spezialschulen, keine – ich würde fast so sagen – „Sonderschulen“ für Hochbegabte.
Wir erteilen erst recht möglichen Hochbegabtenzügen in der Grundschule eine Absage, denn das würde ja unser selektives Bildungswesen noch auf die Spitze treiben. Das wollen wir auf keinen Fall.
Elitehochschulen sind ein anderes Thema. Dazu habe ich heute keine Zeit. Darüber müssen wir differenziert diskutieren.
Heute geht es um Schüler und Schülerinnen, also um junge Menschen, die noch der Schulpflicht unterliegen. Bei den hoch begabten Schülern und Schülerinnen geht es auch um ihre soziale Integration. Wir dürfen sie nicht von den anderen Jugendlichen isolieren. Gerade hoch begabte junge Menschen sollen lernen, auch leistungsmäßig und kognitiv schwächere Mitschülerinnen und Mitschüler zu respektieren. Sie sollen lernen, ihnen gegenüber Verantwortung zu übernehmen, indem sie ihnen beispielsweise beim Lernen helfen; sie sollen sie aber auch für ihre spezifischen Fähigkeiten und Qualitäten schätzen lernen. Deshalb: keine Isolation von hoch begabten jungen Menschen.
Frau Kollegin, können Sie mir in wenigen Worten sagen, was Sie eigentlich unter „hoch begabten Schülern“ verstehen?
Das wäre jetzt eine Fachdebatte, die wir hier natürlich nicht führen können. Vom Ministerium ist auf einen Antrag hin geantwortet worden, wenn man eine pragmatische Definition des Begriffs Hochbegabung wähle, dann seien das diejenigen Menschen, die bei einem Intelligenztest einen Intelligenzquotienten von mindestens 130 erreichten. Natürlich muss man den Begabungsbegriff trotzdem differenziert diskutieren.
(Abg. Pfister FDP/DVP: Aber das vor dem Hinter- grund Ihrer Ablehnung eines Hochbegabtengymna- siums in Schwäbisch Gmünd! – Zuruf von der SPD: Machen Sie einen Ausschuss!)
Man muss ihn im Kontext von musischer, sportlicher oder sozialer Begabung diskutieren. All das müsste mit einbezogen werden. Aber gehen wir jetzt hier einmal von der kognitiven Begabungsvariante aus.
Es muss Ihnen zu denken geben, dass selbst Frau Müller, die Vorsitzende des Landesverbands für Hochbegabte, diese Spezialschulen für Hochbegabte ablehnt. In einer Pressemitteilung des Landesverbands vom 6. Mai 2002 steht, dass der Landesverband solche Schulen für „bildungspolitisch unklug, wissenschaftlich unbegründet und menschlich nicht nur für Schüler und Schülerinnen mit hohem IQ diskriminierend“ hält, „sondern auch für staatliche Lehrkräfte“. Es heißt darin ferner, die weitere Trennung von einzelnen Schülergruppen sei die falsche Lehre aus der PISA-Studie, jede Schule müsse ihre Spitzenschüler fördern.
Deshalb sage ich: Nicht die hoch begabten Schüler, die vielleicht in der Tat Problemlagen mit sich bringen, müssen integrationsfähig sein,