Protocol of the Session on February 5, 2004

Worauf kommt es also in der Substanz an? Im Wesentlichen sind es drei Punkte: Wir brauchen Zuwanderung. Wir brauchen Integration. Und wir brauchen Verbesserungen im humanitären Bereich.

Wir brauchen Zuwanderung, weil wir im Wettbewerb um die weltweit besten Köpfe stehen. Wir haben in den vergangenen Wochen viel über Elite geredet. Wir haben viel über Innovationen geredet. Dafür brauchen wir die besten Köpfe aus aller Welt, und wir müssen entsprechende Bedingungen schaffen. Dafür muss das Zuwanderungsgesetz die Instrumente zur Verfügung stellen.

(Beifall bei den Grünen)

Wir können doch nicht im Ernst über Elite reden und dann mit nationalstaatlichen Scheuklappen meinen, das nur auf

das eigene Land zu beziehen und die anderen außen vor zu lassen.

Von Ihnen, Herr Schäuble, möchte ich gern wissen, was Sie von folgendem Vorschlag der Union halten, von dem ich in der Zeitung gelesen habe: Höchstqualifizierten soll erst nach einem Bewährungsjahr ein unbefristeter Aufenthalt gewährt werden. Meinen Sie im Ernst, dass man die Spitzenleute aus aller Welt auf Bewährung nach Deutschland holen kann?

Es gibt einen zweiten Grund für die Zuwanderung: Das ist ganz einfach die demographische Entwicklung.

(Zuruf von der CDU: Das kann man mit der Zu- wanderung nicht korrigieren! Das ist völlig ausge- schlossen! Sie sollten die Bedingungen für die Kin- derfreundlichkeit im eigenen Land verbessern!)

Ich will daran erinnern, dass in allen Kommissionen der vergangenen Jahre zur Zuwanderung und zur Reform der Sozialsysteme gesagt worden ist, dass wir Zuwanderung aus demographischen Gründen brauchen, wenn unsere Sozialsysteme nicht zusammenbrechen sollen. Ob Herzog-, Rürup- oder Peter-Müller-Kommission, überall war Einigkeit: Um die demographische Entwicklung überhaupt nur abzumildern, brauchen wir Zuwanderung.

Ich wunderte mich schon, als ich am Wochenende in den „Stuttgarter Nachrichten“ ein Interview von Ihnen mit der Headline „Wir brauchen keine Zuwanderung“ las. Ist das tatsächlich Ihre Linie? Welche Vorschläge haben Sie denn, wie der Rückgang unserer inländischen Erwerbsbevölkerung aufgefangen werden soll?

(Zuruf von der CDU: Wir brauchen wieder mehr Kinder!)

Das ist langfristig sicher nötig. Aber in der Übergangsphase brauchen wir zusätzlich eine Abmilderung des schon lang in Gang gesetzten Rückgangs der Bevölkerungszahl.

(Zuruf von der CDU: Wie viele Kinder haben Sie denn? Haben Sie Kinder?)

Zweitens brauchen wir aktive Integrationspolitik. Auch da besteht dringender Handlungsbedarf. Durch die Unklarheiten, die wir zurzeit haben, wer was macht und wofür Bund, Länder und Kommunen aufkommen, besteht schon jetzt die Gefahr, dass bestehende und bewährte Anbieter für Sprachund Integrationsangebote von der Plattform verschwinden, weil sie diesen derzeitigen Schwebezustand nicht länger durchhalten.

Als Beispiel will ich Ihnen den Garantiefonds nennen. Bis zum Ende des letzten Jahres sind Projekte zur Förderung von jugendlichen Spätaussiedlern im Schulbereich aus dem Garantiefonds bezahlt worden. Der Bund zieht sich seit diesem Jahr aus dieser Finanzierung zurück. Das tut er zu Recht, weil das nicht in seine Zuständigkeit fällt. Das Land weigert sich bislang, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Ausbaden müssen es die Betroffenen, die keinen Nachhilfeunterricht und keine Stützungsmaßnahmen in der Schule mehr bekommen. Wir müssen hier dringend Klarheit schaffen, um anerkanntermaßen gute und effiziente Projekte weiterführen zu können.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Sakellariou SPD)

Das dritte Stichwort in aller Kürze: Wir brauchen Verbesserungen im humanitären Bereich. Wir brauchen eine Härtefallregelung. Ich freue mich sehr und möchte Ihnen dazu auch meine Anerkennung aussprechen, dass Sie die Bereitschaft signalisiert haben, an einer Härtefallklausel mitzuwirken. Ich finde es auch lobenswert, dass Sie den Mut hatten, vor kurzem zwei abgeschobene junge Vietnamesen nach Baden-Württemberg zurückzuholen, damit sie hier ihre Schulausbildung beenden können.

(Beifall des Abg. Pfister FDP/DVP)

Das ist ein wichtiges Signal. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich auf Bundesebene entsprechend einsetzen würden.

Ein weiteres Anliegen, das wir im Zusammenhang mit dem Zuwanderungsgesetz regeln sollten, betrifft die vielen Menschen, die in Deutschland – zum Teil schon seit vielen Jahren – in einer rechtlichen Grauzone leben. Das sind Menschen, die keinen festen Aufenthaltsstatus haben, meist Bürgerkriegsflüchtlinge, die nicht abgeschoben werden konnten. Wir brauchen eine Regelung dafür, dass diese Menschen, die oft seit Jahren integriert hier leben, deren Kinder hier aufgewachsen sind und zur Schule gehen, bleiben können.

Ich bitte Sie, eine bundesweite Initiative zu unterstützen, der sich schon viele prominente Menschen sowohl aus der Wirtschaft als auch aus der Politik, auch prominente Vertreter der CDU wie zum Beispiel Heiner Geißler, Norbert Blüm und Hans-Olaf Henkel, angeschlossen haben. Es geht darum, eine Regelung in dieses Zuwanderungsgesetz aufzunehmen nach dem Motto „Wer lange hier lebt, soll auch hier bleiben dürfen“. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, das unterstützen wollen, können Sie sich in Unterschriftenlisten eintragen, die vor dem Plenarsaal ausliegen. Sie alle können diesen Prozess von hier aus mit forcieren. Ich fände es wichtig, wenn auch von der CDU dieses Signal käme.

Wir sind in der entscheidenden Phase der Verhandlungen. Ich meine, es wäre lohnenswert, wenn in diesen Wochen von der Politik gemeinsam das Signal käme: Wir sind ein Einwanderungsland, und wir wollen dieses Einwanderungsland gemeinsam gestalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält Frau Abg. Utzt.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In den letzten Tagen keimte die Hoffnung auf, dass es im Vermittlungsausschuss zu einer Einigung über das Zuwanderungsgesetz kommen könnte. Deshalb ist die heutige Diskussion so wichtig. „Kompromiss um Zuwanderung möglich“, „Chancen auf Einigung steigen“, „Bundesregierung und Union optimistisch“ titelt die „Eßlinger Zeitung“.

Während der Beratung zum Etat des Innenministeriums erklärten Sie, Herr Minister Schäuble, dass es bei gutem Wil

len zu einer Einigung kommen müsse. Der stellvertretende Ministerpräsident dieses Landes, Herr Dr. Döring, hat erklärt – ich zitiere –:

Wenn die Zuwanderung Hochqualifizierter blockiert wird, so werden entsprechende Arbeitsplätze aus Deutschland und aus Baden-Württemberg abwandern. Wir brauchen deshalb in Deutschland eine geregelte Zuwanderung dringender denn je.

(Zustimmung des Abg. Pfister FDP/DVP)

Dabei reicht es nicht aus, das wichtige Thema der besseren Integration der bereits hier lebenden Ausländer zu regeln. Vielmehr müssen wir auch einen Zuwanderungskorridor für ausländische Spitzenkräfte öffnen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Völlig richtig! Da hat er Recht!)

Bereits vor einem Jahr hat Minister Döring erklärt, dass eine sinnvolle Lösung vor Koalitionstreue gehe. Es sei töricht von der CDU, zu glauben, die FDP/DVP stehe in dieser Frage als Koalitionspartner sicher an ihrer Seite.

(Abg. Sakellariou SPD: Hört, hört!)

Ich möchte den Herrn Minister daran erinnern: „Nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten sollt ihr sie messen“, steht bei Matthäus 7 Vers 16. Es geht – nicht ganz so bekannt – weiter: „Von Dornengestrüpp kann man keine Weintrauben pflücken und von Disteln keine Feigen.“

(Abg. Pfister FDP/DVP: Wer sind die Dornen, wer die Weintrauben? – Zuruf der Abg. Marianne Wonnay SPD)

Deshalb, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der FDP/DVP: Vertreten Sie gegenüber Ihrem Koalitionspartner mutig Ihre immer wieder geäußerten Ansichten

(Abg. Sakellariou SPD: So wie gestern!)

zum Zuwanderungsgesetz, und ringen Sie mit ihm um Positionen und nicht um Posten.

(Beifall bei der SPD – Abg. Pfister FDP/DVP: Bis jetzt war es ganz nett, aber der letzte Satz war nicht so gut!)

Ich kann mir vorstellen, dass Sie das trifft. – So viel zum Thema „Zuwanderung und Arbeitsmarkt“.

Ungleich schwieriger ist die Frage, ob es im Hinblick auf Flüchtlinge eine veränderte Haltung bei der Regierung gibt. Ich habe mit großem Interesse Ihre Äußerung in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 31. Januar 2004 gelesen, Herr Minister Schäuble, in der Sie erklärten, dass Sie froh wären, wenn es eine Härtefallkommission gäbe.

(Zustimmung des Ministers Dr. Schäuble – Abg. Pfister FDP/DVP: Ist doch gut!)

Ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident:

Im Entwurf der Bundesregierung zur Zuwanderung ist eine Härtefallregelung vorgesehen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Ist doch prima!)

Die meisten in der Zuwanderungsarbeitsgruppe würden das begrüßen, um in menschlich schwierigen Fällen helfen zu können, ohne gegen geltendes Recht zu verstoßen.

Uns interessiert jetzt nicht so sehr, ob Sie diese Erkenntnis durch einen konkreten Fall im Wahlkreis des Herrn Ministerpräsidenten gewonnen haben, sondern wir begrüßen diesen Sinnenswandel bei Ihnen.

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Sie den Fall des rumänischen Asylbewerbers, den mein Kollege Zeller an Sie herangetragen hat oder noch herantragen wird, aus dieser Sichtweise betrachten werden. Dieser Mann wurde vom Regierungspräsidium Tübingen aufgefordert, Deutschland zu verlassen, da sein Asylverfahren erfolglos war. Er arbeitet seit zwölf Jahren bei derselben Firma, die ihm ein hervorragendes Zeugnis ausstellt. Seine Ehefrau will im Juli dieses Jahres die Prüfung zur staatlich geprüften Altenpflegerin ablegen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Brauchen wir drin- gend!)

Der in Deutschland geborene Sohn besucht die Realschule. Dieser Fall ist eine eindeutige Angelegenheit für eine Härtefallkommission. Ich erinnere an die Unterschriftenlisten, die Frau Kollegin Bauer vorhin erwähnt hat.