Der gleiche diskriminierungsfreie Zugang zu öffentlichen Ämtern ist in liberalen, pluralistischen Gesellschaften mit ihren vielerlei Ungleichheiten und Unterschieden geradezu ein Lackmustest auf Chancengleichheit und Fairness.
Deswegen erfolgt nach Artikel 33 Abs. 2 des Grundgesetzes die Auswahl zum öffentlichen Dienst nur nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Nach Artikel 33 Abs. 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 136 Abs. 1 und 2 der Weimarer Reichsverfassung ist der Zugang zu öffentlichen Ämtern unabhängig vom religiösen Bekenntnis, und niemandem darf aufgrund seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.
Das Bundesverfassungsgericht weist in seinem Urteil vom 24. September 2003 schon auf den Kern der Differenz hin, den wir zu dem Gesetzentwurf der Regierung haben:
Artikel 33 Abs. 3 des Grundgesetzes richtet sich in erster Linie gegen eine Ungleichbehandlung, die unmittelbar an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion anknüpft.
Denn aus bekannten Gründen gibt es Dienstpflichten, die in die Glaubensfreiheit von Amtsinhabern und Bewerbern für öffentliche Ämter eingreifen und damit für glaubensgebundene Bewerber den Zugang zum öffentlichen Dienst er
schweren oder ausschließen. Dabei muss sich der Gesetzgeber aber den strengen Rechtsanforderungen unterwerfen, die dafür geboten sind.
... außerdem ist das Gebot strikter Gleichbehandlung der verschiedenen Glaubensrichtungen sowohl in der Begründung als auch in der Praxis der Durchsetzung solcher Dienstpflichten zu beachten.
Gegen diese Anforderung der strikten Gleichbehandlung aller Glaubensrichtungen verstößt der Gesetzentwurf der Regierung ganz offenkundig, indem er christliche äußere Bekundungen mit dem Hinweis auf christlich-abendländische Werte und Traditionen im zweitletzten Satz des Gesetzentwurfs ausdrücklich ausnimmt.
Es ist gerade Sinn der staatlichen Neutralität in religiösweltanschaulichen Fragen, dass der Staat sich nicht mit einer Religion identifiziert. Es ist in sich völlig widersprüchlich, einerseits einer Lehrerin solche politisch-religiösen und weltanschaulichen Bekundungen mit dem Hinweis auf die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Eltern zu untersagen und andererseits insgesamt diese Neutralität durch Bevorzugung des Christentums, also der im Land angestammten Religion, zu verletzen.
Religionsfreiheit heißt aber gerade, dass auch religiöse Minderheiten ihre Religion frei und ungestört leben können.
Religionsfreiheit ist ja historisch überhaupt erst dadurch entstanden, dass das Staatskirchentum mit seiner langen Tradition in einem langwierigen geschichtlichen Prozess abgelöst wurde und Zug um Zug Religionsfreiheit Einzug gehalten hat. Diese wurde dann erst in den modernen Verfassungsstaaten voll verwirklicht.
Die Bundesrepublik Deutschland und das Land BadenWürttemberg sind säkulare, keine laizistischen Staaten. Die staatliche Neutralität ist gegenüber der Religion offen, übergreifend und fördernd. Der Staat sichert religiöse Betätigung auch im öffentlichen Raum und im gesamten Bildungswesen, etwa durch den ordentlichen Religionsunterricht und die Einrichtung religiöser Fakultäten an unseren Hochschulen. Der Staat ist nicht Richter über die richtige Religion, sondern Schiedsrichter, der darauf achtet, dass sich alle Religionen auf der Grundlage der Werte und Normen unserer Verfassung frei entfalten können. Dadurch ermöglicht er überhaupt erst Religionsfreiheit.
Christliche Bezüge und Bekundungen sind in der Schule durchaus erlaubt und wichtig. Die Schule – ich zitiere nochmals das Bundesverfassungsgericht –
muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein. In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität.
Für die Spannungen, die bei der gemeinsamen Erziehung von Kindern unterschiedlicher Weltanschauungsund Glaubensrichtungen unvermeidlich sind, muss unter Berücksichtigung des Toleranzgebots als Ausdruck der Menschenwürde nach einem Ausgleich gesucht werden
einem Ausgleich zwischen der positiven Religionsfreiheit der Lehrerinnen und Lehrer und ihrer Pflicht zu religiösweltanschaulicher Neutralität, zur Mäßigung und politischen Zurückhaltung, zwischen dem Erziehungsrecht der Eltern und dem Toleranzgebot, das unsere Landesverfassung in Artikel 17 Abs. 1 so schön wie lapidar formuliert: „In allen Schulen waltet der Geist der Duldsamkeit und der sozialen Ethik.“ Es obliege dem demokratischen Landesgesetzgeber, so das Bundesverfassungsgericht, im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu suchen. Genau diesen Ausgleich hat meine Fraktion gesucht, und unser Gesetzentwurf stellt solch einen Kompromiss dar. Es liegt in der Natur des Kompromisses, dass sich alle in ihm wieder finden sollen, aber niemand ganz.
Unser Gesetzentwurf erlaubt religiöse und weltanschauliche Bekundungen in angemessener, nicht provokativer Form, die die offene, religiös-weltanschauliche Neutralität des Landes wahrt. Auf die Pflicht zum Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und auf die Pflicht zur Mäßigung und Zurückhaltung bei politischer Betätigung wird ausdrücklich verwiesen.
Kommt es nun dadurch zu Konflikten, ist es Aufgabe der Schulgemeinschaft, sich um einen Ausgleich zu bemühen und zu versuchen, wie es bei jedem anderen Konflikt auch üblich ist, ihn durch Gespräche zwischen den Beteiligten und den Betroffenen beizulegen. Gegebenenfalls befassen sich dann die zuständigen Organe wie Schulkonferenz und Gesamtlehrerkonferenz mit dem Fall unter Anhörung der Betroffenen.
Gelingt der Ausgleich nicht und sind das gedeihliche Zusammenwirken und der Schulfrieden gestört oder besteht die Gefahr einer solchen Störung, kann der Schulleiter mit Bezug auf entsprechende Beschlüsse dieser Gremien die Lehrerin auffordern, die Bekundung zu unterlassen, solange dazu eine Notwendigkeit besteht, also gegebenenfalls die umstrittenen Kleidungsstücke abzulegen.
Dadurch wird deutlich, dass die Fraktion GRÜNE bei ihrer Suche nach einem Kompromiss der negativen Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler bzw. der Eltern, solange die Schülerinnen und Schüler selber nicht religionsmündig sind, den Vorrang einräumt. Nach einem geregelten Verfahrensablauf, wie er im Übrigen ja im bayerischen Schulgesetz
nach dem Kruzifix-Urteil vorgesehen ist und der sich bewährt hat, gibt letztlich die negative Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler den Ausschlag.
Erstens: Er beachtet das Subsidiaritätsprinzip. Wir wollen, dass unsere Schulen unter der Maßgabe von allgemeinen Qualitätsstandards immer selbstständiger werden. Wir wollen Schulen, die, eingebettet in ihre Kommune und ihr soziales Umfeld, selbst immer mehr Verantwortung dafür übernehmen, wie sie diese Ziele und Qualitätsstandards eigenständig erreichen, von der Einstellung der Lehrerinnen und Lehrer bis hin zur Verwendung der Haushaltsmittel.
Wenn wir den Schulen noch nicht einmal zutrauen, minder schwierige Probleme zu lösen wie die Frage, ob eine Lehrerin in einer bestimmten Situation ein Kopftuch tragen darf,
weit schwierigere Probleme zu lösen wie etwa die zunehmende Gewaltbereitschaft insbesondere von Schülern?
Es gibt sicher weit mehr Probleme, die sehr viel schwieriger zu lösen sind als die wenigen Fälle, bei denen darüber zu entscheiden sein wird, ob eine Lehrerin ein Kopftuch tragen darf.
Außerdem kommt es in den Fällen, in denen Lehrerinnen ein Kopftuch tragen, nach allem, was wir darüber aus anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen empirisch wissen, in der Regel zu keinerlei Konflikt.
Zweitens beachtet unser Gesetzentwurf – das ist neben der Verletzung der Gleichheit, die wir bei der von Ihnen vorgesehenen Regelung sehen, im Kern der Unterschied zu Ihrem Gesetzentwurf –, dass „im Grundrechtsteil unserer Verfassung das Individuum zählt“, wie es der ehemalige Verfassungsrichter Mahrenholz beschrieben hat. Die Beachtung des Einzelfalls in Grundrechtsfragen ist Kernbestand unseres ganzen Verfassungsgefüges. Grundrechte sind Individualrechte und als solche insbesondere auch Schutzrechte gegenüber dem Staat.
Sie, Frau Kultusministerin, haben selbst darauf hingewiesen. Grund kann eine aus religiösen Gründen verpflichtende Bekleidungsregel für eine Muslima sein. Selbst wenn unter Muslimen umstritten ist, ob eine entsprechende Bekleidungsvorschrift wirklich eine Vorschrift ist, ist das für den
Staat ohne Belang. Es steht dem Staat selbst nämlich nicht zu und ist ihm ausdrücklich verboten, religiöse Glaubensinhalte und Lehren zu beurteilen oder zu bewerten. Also: Ein Motiv kann einfach darin bestehen, dass eine Lehrerin einer religiösen Vorschrift, die sie persönlich für eine solche hält, nachkommen will.
Dass Frauen das Kopftuch zu einem Großteil aus Gründen der Abgrenzung gegenüber der westlichen Kultur tragen, dass man dahinter fundamentalistische und islamistische Haltungen vermuten darf, dass es sich um ein Frauenbild handelt, das mit unserer Verfassung nichts zu tun hat, dass das Tragen eines Kopftuchs Ausdruck patriarchaler Zwänge ist – all das bezweifeln ich und meine Fraktion nicht. Ich bezweifle auch nicht, dass das unter Umständen eine Mehrheit ist, vielleicht sogar eine große Mehrheit.
Es ist auch klar – ich habe es immer deutlich gemacht, Frau Ministerin, auch in den Diskussionen, die wir zusammen geführt haben; ich habe nie einen Zweifel daran gelassen –, dass wir gegen dieses Kopftuch sind, das weltweit als Symbol für Zwang, Fundamentalismus und Unterdrückung der Frau wahrgenommen wird.
Selbst wenn diese Instrumentalisierung für eine große Mehrheit zutrifft, so kann dies doch längst nicht der Maßstab für einen beliebigen Einzelfall sein.