Protocol of the Session on December 10, 2003

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es darf einen doch einigermaßen erstaunen, mit welcher Vehemenz und auch mit welcher Lyrik hier das Hohelied der Eingliederung der Landeswohlfahrtsverbände in die Kommunen gesungen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heiterkeit der Abg. Ursula Haußmann und Stickelberger SPD)

Hier im Land wurde doch erst vor drei Jahren ein Gesetz beschlossen, mit dem die Zuständigkeiten der Eingliede

rungshilfe für Behinderte von den Stadt- und Landkreisen auf die beiden Landeswohlfahrtsverbände übertragen wurden. Heute ist alles wieder hinfällig.

(Zuruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Al- fred Haas CDU: Die Kommunen haben das ent- schieden! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Halten Sie den Mund, Herr Haas!)

Lassen Sie mich jetzt auf das Thema Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen zu sprechen kommen. Die Behauptung, dass die finanziellen Auswirkungen der künftigen Aufgabenerledigung nicht prognostiziert werden könnten, ist schon ein ziemlich starkes Stück. Um ihre Angst vor einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zu verschleiern, schreckt die Landesregierung auch nicht davor zurück, die Tatsachen zu verdrehen.

Bereits 1999 wurde das erwähnte Kienbaum-Gutachten in Auftrag gegeben. Das Gutachten macht sehr wohl Aussagen über die Wirtschaftlichkeit. Herr Haas, ich weiß nicht, bis zu welcher Stelle Sie es gelesen haben.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

In dem Gutachten steht:

Aus Gutachtersicht ist eine Verlagerung der voll- und teilstationären Eingliederungshilfen für Behinderte auf die 27 örtlichen Träger der Sozialhilfe nicht zu empfehlen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es! – Zuruf von der SPD: Aha! – Abg. Alfred Haas CDU: Ich habe die Vorbemerkung ge- lesen!)

Ich zitiere weiter:

Das Verlagerungsszenario zeigt weiterhin, dass wesentliche Aufgaben und Funktionen des Kostenträgers für die voll- und teilstationären Eingliederungshilfen nicht in dieser Form und nicht wirtschaftlich auf die 27 Kreise und kreisfreien Städte verlagert werden können.

(Abg. Alfred Haas CDU: Das Gutachten können Sie verbrennen!)

Zur Vermeidung fachlicher Qualitätseinbußen und zur Vermeidung höherer Kosten müssten sich die örtlichen Träger interkommunal zusammenschließen.

So viel zum Thema Wirtschaftlichkeit.

Ich denke, aus diesem Grunde macht es noch viel mehr Sinn, unserem Antrag zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Sozialminister Dr. Repnik.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Noch einmal?)

Kraft Amtes darf ich mich Gott sei Dank immer zu Wort melden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, warum Frau Altpeter nach mir sprechen wollte: damit ich nicht auf das Kienbaum-Gutachten eingehen kann.

Vielleicht sollte man Folgendes sagen: Das Kienbaum-Gutachten für den Landesverband Westfalen-Lippe kam in der Tat zu der Empfehlung: Tut es nicht; nehmt keine Umgliederung vor.

Das Gutachten spricht sich für eine Verstärkung der Aktivitäten im präventiven und ambulanten Bereich aus. Das spricht für das Eingliedern.

Es wird auch für den Wegfall der Schnittstellen zwischen dem örtlichen und dem überörtlichen Träger plädiert. Deswegen: eingliedern, Kosten sparen.

Dann wird gesagt: Planung und Steuerung sollten zentral und überregional erfolgen. Das haben wir im Konsensmodell ermöglicht.

(Abg. Alfred Haas CDU: So ist es!)

Dann wird gesagt: Die Planung und die Steuerung von Einzelfallhilfen sollten von ihren Wissenspotenzialen innerhalb einer Organisationseinheit gegenseitig profitieren – Konsensmodell.

(Abg. Alfred Haas CDU: Haben wir!)

Dann wird gesagt, Spezial-Know-how sei zentral effizienter zu organisieren. Das haben wir: Konsensmodell.

(Abg. Alfred Haas CDU: Jawohl! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Kommen Sie zum Fazit dieses Gutachtens! Da steht noch etwas Negatives! Sei- te 23 oben! – Gegenruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Moment! Das waren die negativen Punkte.

(Zurufe von der SPD)

Ich gehe der Reihe nach vor.

Dann wird ausgesagt, eine zentrale, überörtliche Trägerschaft sei wirtschaftlicher. Das ist nicht belegbar und wurde in diesem Gutachten auch nicht berechnet.

Weiterhin wird ausgesagt, die Sicherstellung einheitlicher Leistungsstandards und Versorgungsqualität sei nach dem Konsensmodell möglich. Das haben wir!

Bürgernähe werde durch eine überörtliche Aufgabenwahrnehmung nicht gefährdet. – Die örtliche Aufgabenwahrnehmung verbessert die Bürgernähe. Das ist doch klar, wenn ich vor Ort zum Sozialamt gehen kann.

Möglichkeiten zum Ausgleich von Soziallasten zu finden sei schwierig, wird ausgesagt. Das werden wir im Finanzausgleich regeln.

Von diesen sieben Punkten, die, wie Sie sagen, gegen eine Eingliederung sprechen, haben wir schon fünf widerlegt.

(Minister Dr. Repnik)

Die Aussage eines Punktes ist nicht beweisbar, und den letzten Punkt, den Soziallastenausgleich, werden wir regeln.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Zeller?

(Abg. Alfred Haas CDU: Nein!)

Bitte schön, Herr Zeller.

Herr Minister, wie können Sie garantieren, dass in den Landkreisen Bodenseekreis, Ravensburg, Rems-Murr-Kreis die dortigen großen Einrichtungen keine Qualitätseinbuße hinnehmen müssen und dass diese mögliche Veränderung nicht zulasten der Behinderten, deren Familien oder der Landkreise geht? Auf welche Weise können Sie das konkret verhindern, damit die Qualität weiterhin erhalten bleibt?

Sehr geehrter Herr Zeller, das alles ist gesetzlich geregelt. Es wird an dieser Stelle mit Sicherheit keinen gesetzlichen Standardabbau geben. Die Bundesgesetze geben das alles vor. Wir werden übrigens darüber sprechen müssen, ob wir dort nicht Veränderungen brauchen.

Das Zweite ist natürlich auch klar: Wenn wir diese Untergliederung vor Ort machen, wenn wir wollen, dass sich mittelfristig und langfristig auch im württembergischen Bereich mehr ambulante statt vollstationäre Betreuung ergibt, wo das möglich ist, werden wir selbstverständlich nicht auf Dauer garantieren können, dass in großen Landkreisen, in Einrichtungen der Stiftung Liebenau, wo auch immer, alle Plätze auf Dauer gefüllt sein werden. Ich gehe vielmehr davon aus, dass Behinderte da, wo es möglich ist, mittelfristig in der eigenen Region bleiben können und dort ambulant oder stationär betreut werden. Ich mache keine Versicherung für die Landkreise.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Was ist mittelfris- tig? – Abg. Zeller SPD: Sie wissen genau, wie die- se Einrichtungen historisch entstanden sind!)