Protocol of the Session on October 30, 2003

Sie haben zwar viel über die Fehler der Atomaufsicht geredet – da stimme ich Ihnen ja auch zum größten Teil zu –, aber Sie haben sich um die Beantwortung der Frage gedrückt: Was war schon damals, im Januar 2002, bekannt, und was ist durch den Untersuchungsausschuss hinzugekommen?

(Abg. Stickelberger SPD: Die Sicherheitskultur in der Atomaufsicht, Herr Witzel!)

Herr Stickelberger, wir Grünen wollen das Versagen der Betreiber, des TÜV und der Atomaufsicht in keiner Weise verharmlosen. Aber dazu, dieses Versagen aufzuzeigen, hätte es des Ausschusses nicht bedurft.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen, der CDU und der FDP/DVP)

Wir Grünen hätten unsere Arbeitskraft lieber für andere Aufgaben eingesetzt, bei denen das Verhältnis von Aufwand und Ertrag stimmt.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut! – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Respekt, Respekt!)

Meine Damen und Herren, gleichwohl haben wir den Auftrag des Parlaments ernst genommen und uns mit der von uns gewohnten und erwarteten Gründlichkeit in diesem Untersuchungsausschuss engagiert. Wir haben dazu ein Minderheitenvotum vorgelegt, das die Schwächen und das Versagen der Atomaufsicht des Landes detailliert belegt. Es würde jetzt zu weit führen, alle Details vorzustellen. Wohlgemerkt: Wir haben die Schwächen und das Versagen in Details belegt. Jeder kann das nachlesen.

(Abg. Schmiedel SPD: Dann hat es doch etwas ge- bracht! Was motzen Sie dann am Ausschuss herum, wenn im Detail alles belegt ist? – Weitere Zurufe, u. a. Abg. Alfred Haas CDU: Einen Satz rote Oh- ren für die SPD!)

Herr Schmiedel, warum jetzt die Aufregung? Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen, erteilt Ihnen der Präsident dazu das Wort.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Peinlich, was Sie da sagen!)

Das Ergebnis des Untersuchungsausschusses lässt sich in einem Satz zusammenfassen, wie ihn der Zeuge Baake formuliert hat und wie ihn Herr Stickelberger auch schon zitiert hat: Die Störfälle im Atomkraftwerk Philippsburg wurden – jetzt kommt das Zitat – „vom Betreiber geleugnet, von der zuständigen Landesaufsicht nicht gesehen und vom TÜV beschönigt“.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Aha!)

Meine Damen und Herren, das heißt, alle drei Beteiligten – der Betreiber, der TÜV und die Landesaufsicht – haben schwerwiegende Fehler gemacht. Wir haben im Untersuchungsausschuss erlebt,

(Abg. Dr. Caroli SPD: Dann haben wir also doch etwas erlebt!)

wie vonseiten des Umweltministeriums und vonseiten der CDU versucht wurde – hier in der Debatte haben wir das konkret auch beim Kollegen Hauk erlebt –, die Schuld einseitig auf den Betreiber und den TÜV abzuladen und auf das Bundesumweltministerium zu schieben, das in dieser Frage gar nicht zuständig ist, um so vom eigenen Versagen abzulenken.

Herr Hauk, in dieser Sache müssen wir klar sagen: Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Es gilt eben das Motto, das wir unserem Minderheitenvotum vorangestellt haben: „vom Betreiber geleugnet, von der zuständigen Landesaufsicht nicht gesehen und vom TÜV beschönigt“. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Zurufe von der SPD)

Gleichzeitig hat der Untersuchungsausschuss noch einmal klar bestätigt, dass nur durch das Eingreifen des Bundesumweltministeriums die notwendigen Konsequenzen gezogen wurden.

(Abg. Alfred Haas CDU: Ha, ha, ha!)

Ich sage in Richtung SPD, die sich jetzt etwas aufregt: Das lag für uns schon vorher klar auf dem Tisch.

(Lachen der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Wenn Sie das damals noch nicht gesehen haben, haben Sie diese Sache wahrscheinlich verpennt.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zu den Forderungen aus unserer Beschlussempfehlung.

(Abg. Rech CDU zur SPD: Der gibt es euch aber! – Gegenruf des Abg. Drexler SPD: Kümmern Sie sich um das Herzog-Modell!)

Unserem Minderheitenvotum sind Forderungen angefügt. Ich bitte, darüber nachher auch abzustimmen.

Ich will mich auf vier Punkte beschränken und fange mit einem eher harmlosen Punkt an.

Der erste Punkt betrifft die ILK, also die Internationale Länderkommission Kerntechnik.

(Zuruf des Abg. Dr. Caroli SPD)

Die ILK hat sich auch mit den Störfällen in Philippsburg beschäftigt. Sie hat dazu einen Bericht vorgelegt. Aber dieser Bericht ist absolut geglättet und betreibt keinerlei Ursachenforschung. Wenn es noch irgendeines Beleges dafür bedurft hätte, dass diese Kommission überflüssig ist, dann stellt ihn dieser Bericht dar. Er zeigt, dass die ILK überflüssig ist wie ein Kropf. Wir sollten sie abschaffen. Das würde dem Land 500 000 € pro Jahr ersparen – ein Beitrag zur Sanierung des Haushalts

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

und kein Verlust hinsichtlich der Qualität der Atomaufsicht.

Punkt 2: den TÜV als Generalgutachter ablösen. Auch Herr Stickelberger hat schon darauf hingewiesen. Wir haben gesehen, dass der TÜV den Störfall 06/01 nur mit der Brille des Betreibers, im Interesse der Kernkraftbetreiber überprüft hat. Er hat die Störfälle beschönigt.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Das hat er alles schon vor- her gewusst, der Herr Witzel! – Weitere Zurufe von der SPD)

Herr Caroli, im Januar 2002 war das bereits bekannt. Auch die zu große Nähe zwischen dem TÜV und den Betreibern war bekannt.

Wir fordern hier, den Rahmenvertrag mit dem TÜV zu kündigen, den TÜV als Generalgutachter abzulösen und die Gutachterleistung anlagen- oder leistungsbezogen auszuschreiben, damit hier auch andere Experten zum Zuge kommen.

(Beifall des Abg. Sakellariou SPD – Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Punkt 3: Wir stellen in unserem Antrag auch Forderungen für das Personal in der Abteilung 7, also in der für die Atomaufsicht zuständigen Abteilung des Umweltministeriums. Wir wollen, dass dort eine stärkere Schulung und Fortbildung stattfindet. Das Personal muss qualifiziert sein.

Aber das ist nicht der einzige Punkt. Es ist auch wichtig, dass sich das Personal in der Abteilung 7 anders begreift. Die Mitarbeiter müssen sich als eigenständig kontrollierende technische Aufsichtsbeamte begreifen, und sie dürfen sich nicht auf den TÜV, den Sie als ihren verlängerten Arm darstellten, zurückziehen und dessen Ergebnisse nur noch abzeichnen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Hei- ke Dederer GRÜNE: Sehr richtig! – Abg. Dr. Caro- li SPD: Das war auch schon unsere Forderung!)

Die Forderungen sind einfach: Die Aufsichtsbeamten müssen das, was Betreiber und TÜV vorlegen, zunächst einmal vollständig lesen. Das war ja nicht der Fall gewesen. Zum Zweiten müssen sie auch kritische Rückfragen stellen, und drittens müssen sie eigenständige Entscheidungen treffen. Eigentlich sind das alles selbstverständliche Dinge. Aber die Tatsache, dass man diese Forderungen hier stellen muss, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Abteilung 7 des Umweltministeriums.

(Beifall bei den Grünen)

Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zum vierten und letzten Punkt unserer Forderungen: personelle Konsequenzen. Wir sehen: Fehler wurden beim Betreiber, beim TÜV und bei der Atomaufsicht gemacht. Betreiber und TÜV haben Fehler eingestanden und auch personelle Konsequenzen gezogen.

(Abg. Fischer SPD: Dann war doch der Ausschuss nicht ganz unnötig!)

Bei der Atomaufsicht des Landes steht das noch aus. Wir meinen, das muss jetzt kommen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Heike Dederer GRÜNE: Sehr richtig! – Zuruf des Abg. Drexler SPD)

Zwar hat das Ministerium für Umwelt und Verkehr zwischenzeitlich im Aufsichtsreferat für das AKW Philippsburg Personalveränderungen vorgenommen.

(Zuruf des Abg. Drexler SPD)

Aber die Personen an der Spitze der Abteilung 7 – der für die Atomaufsicht zuständigen Abteilung – blieben dabei bislang ungeschoren. Dabei trägt deren Abteilungsleiter neben dem Minister die Verantwortung für die Fehler in der Atomaufsicht.

(Abg. Alfred Haas CDU: Was lernen wir daraus?)

Man kann Herrn Keil alles vorwerfen, was wir im Januar 2002 schon wussten; das würde reichen. Die Forderung nach Rücktritt oder nach personellen Konsequenzen an der Spitze der Abteilung haben wir daher auch bereits Ende 2002 gestellt.