Protocol of the Session on October 29, 2003

Wenn wir aber auf die Gesamtausgaben der entwickelten Länder für die Hochschulen schauen, und zwar nicht nur auf die staatlichen Ausgaben, so sehen wir, dass die Gesamtausgaben in vielen entwickelten Ländern deutlich höher sind als in der Bundesrepublik. Der Unterschiedsbetrag ist ganz einfach zu erklären: Er hat seine Ursache in den privaten Ausgaben für die Bildung – diese machen bis zu 50 % der Ausgaben für die Hochschulsysteme aus –, und diese Beträge fehlen unserem Hochschulsystem.

Wenn Sie sich etwa die Betreuungsrelationen ansehen, die berühmte Relation Professoren/Professorinnen zu Studie

renden, dann stellen Sie fest, dass sie in diesen Ländern deutlich höher liegt. Die privaten Aufwendungen für die Hochschulen, die dann zu einem höheren Gesamtbetrag führen, kommen in diesen Ländern im Wesentlichen durch Studiengebühren zustande. Wenn wir uns also fragen, wie wir in unserem Hochschulsystem mit diesen Ländern in Zukunft im Wettbewerb mithalten können, auch um in einem globalen Markt von Studierenden bestehen zu können, dann müssen wir uns die Frage stellen: Haben wir staatlicherseits die Mittel, um deutlich mehr für die Hochschulen ausgeben zu können? Die haben wir nicht; denn wir können nicht die Steuern erhöhen, um damit für diejenigen, die dann die Zinsen und die Tilgungen zahlen müssen, die Studiensituation zu verbessern, sondern wir können nur zusätzliche Mittel von denjenigen einnehmen, die auch den unmittelbaren Ertrag von diesem Studium haben – wie das in allen Ländern der Fall ist.

Gutscheine wären ein erster Ansatz eines wettbewerblichen Systems zwischen den Hochschulen. Aber sie sind leider kein Ansatz, um mehr Mittel einzunehmen. Um mehr Mittel aber geht es. Es hat übrigens schon im Jahre 1976 eine sehr aufschlussreiche Abhandlung über Bildungsgutscheine in der Reihe „Aus Politik und Zeitgeschichte“ gegeben – verfasst von dem uns allen bekannten Autor Ulrich Müller.

(Abg. Nagel SPD: Wer ist das? – Weitere Zurufe, u. a.: Der Umweltminister? – Abg. Stickelberger SPD: Alles Müller, oder was?)

Er sitzt jetzt zu meiner Linken; es ist der Umweltminister. Also, wir verfügen bei uns schon seit langem über das entsprechende Know-how.

Wenn wir bei Studiengebühren die Gerechtigkeitsfrage stellen – wobei allerdings noch niemand wirklich definiert hat, was soziale Gerechtigkeit eigentlich ist –, dann müssen wir auch sehen, dass wir heute die Situation haben, dass alle Steuerzahler für das Studium bezahlen, während nur etwa ein Drittel der Steuerzahler studierende Kinder in der Familie haben. Das heißt, dass zwei Drittel der Steuerzahler Steuern für die Kinder der übrigen Eltern zahlen und diese Kinder und ihre Familien letztlich einen enormen Einkommensvorteil haben. Wenn wir die Gerechtigkeitsdebatte führen, dann müssen wir uns fragen, ob wir angesichts von Kindergartenbeiträgen, von Eigenleistungen für die Meisterausbildung, ob wir angesichts von privaten Krankenkassenbeiträgen im staatlichen System, von privater Altersvorsorge im staatlichen Rentensystem,...

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, darf ich um mehr Ruhe im Saal bitten.

... ob wir angesichts dieser notwendigen Eigenleistungen in einem Sozialsystem, das so nicht mehr finanzierbar ist, Studierende davon ausnehmen können, einen Eigenbeitrag zu den Kosten ihres Studiums zu leisten. Diese Gerechtigkeitsfrage muss man auch so herum stellen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig! Ja!)

(Minister Dr. Frankenberg)

Die Vorteile eines Studiums sind vielfältig belegt. Diejenigen, die studiert haben, haben im Durchschnitt höhere Einkommen und haben ein wesentlich geringeres Risiko der Arbeitslosigkeit. Alle Berechnungen zeigen, dass sich ein Studium trotz der höheren Steuern bei einem späteren höheren Einkommen auf jeden Fall lohnt.

Ein Studium führt zu einem erheblichen Einkommensgewinn. Die Frage ist, ob man für diesen Einkommensgewinn nicht auch selbst einen Beitrag leisten sollte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Wer die soziale Gerechtigkeit auf sein Banner geschrieben hat, dürfte also nicht gegen, sondern müsste für Studiengebühren sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, würden Sie die Gespräche bitte draußen führen.

Eigentlich müssten die Gewerkschaften für Studiengebühren und die Unternehmerverbände gegen Studiengebühren sein, weil keinem Unternehmer etwas Besseres passieren kann, als dass seine Kinder trotz seines eigenen hohen Einkommens kostenlos studieren können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Dr. Inge Gräßle CDU: Eine raffinierte Argumentation!)

Sie fragen nach den Auswirkungen von Studiengebühren. Dabei gehe ich immer von sozialverträglichen Studiengebühren aus, wobei ich noch erläutern werde, was ich darunter verstehe.

Fragen Sie nach Ländern mit Studiengebühren und der Bildungsbeteiligung aus einkommensschwachen Schichten, so muss man sagen: Diese ist in Deutschland geringer als in fast allen anderen Industrieländern. Das heißt, das Nichterheben von Studiengebühren hat nicht dazu geführt, dass besonders viele Kinder aus einkommensschwachen Schichten studieren.

Die zweite Frage ist: Studieren bei einer Einführung von Studiengebühren weniger? Nehmen wir dazu das Beispiel Australien, wo nachlaufende Studiengebühren eingeführt worden sind. Dort ist die Zahl der Studierenden nach Einführung der Studiengebühren gestiegen, weil sich die Studienbedingungen durch die zusätzlichen Mittel verbessert haben. Nach dem Beispiel Australien muss also niemand befürchten, dass Studiengebühren vom Studium abhalten oder dass die Zahl der Studierenden sinkt.

Im Inneren aber werden Studiengebühren Wirkungen entfalten, die wir ohne sie gar nicht erzielen können. Das Studium wird als Investition wahrgenommen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Man wird sich sorgfältiger überlegen, was man studiert,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Und wie lange man studiert!)

und man wird mit dem öffentlichen Gut des Studiums sorgfältiger umgehen.

Die Lehrenden – deshalb gibt es einige Professorinnen und Professoren, die keine Befürworter von Studiengebühren sind – werden Studierende haben, die, weil sie zahlen, auch fordernder sind als die jetzigen Studierenden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Wir werden ohne Studiengebühren auch keine wirkliche Verbesserung der Lehrmentalität erreichen. Diese Effekte sind mir genauso wichtig wie die Effekte zusätzlicher Einnahmen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Der Mensch ist halt nicht so, wie manche ihn gerne hätten, sondern er ist so, wie er ist. Er sagt sich: Was nichts kostet, ist auch nichts, und damit gehe ich entsprechend um.

Wie wären sozialverträgliche Studiengebühren auszugestalten? Es gibt übrigens konkrete Vorschläge in der Form eines Modells des Stifterverbands und des CHE. Es gibt auch Ausarbeitungen der Böll-Stiftung. Das heißt, es liegen genügend, auch durchkalkulierte Modelle auf dem Tisch. Meine eigenen Vorstellungen stimmen ziemlich mit dem Modell des Stifterverbands und des CHE überein.

Das heißt, die Gebühren werden nachlaufend zurückgezahlt. Allen, die nicht unmittelbar zahlen können, wird also ein Studienkredit gegeben, und für die, die unmittelbar zahlen können, muss es Rabatte geben, so wie das in Australien in dem High Education Scheme ausgearbeitet ist.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: „Higher Education Contribution Scheme“ heißt das!)

Das heißt, die Studiengebühren werden kreditiert und erst zurückgezahlt, wenn der Betreffende aufgrund seines Studiums ein Einkommen erzielt, und sie werden erst zurückgezahlt, wenn eine bestimmte Einkommensschwelle überschritten wird. Diese Schwelle liegt in Australien in einer Höhe, die niedriger ist als das, was man bei uns in Besoldungsgruppe A 13 verdient; aber in den angelsächsischen Ländern gibt es diese Terminologie nicht.

Es gibt daneben eine Ausfallbürgschaft des Staates für alle, die ein solches Einkommen nie erzielen. Das heißt, man muss einen gewissen Prozentsatz abschreiben. Nun kann man aber nicht annehmen, dass jemand deshalb später kein hohes Gehalt haben will, weil er die Gebühren nicht zurückzahlen will; auch solche Argumentationen hat es gegeben.

Es stellt sich schließlich die Frage nach der Höhe der Studiengebühren. Nach unserem Grundgesetz gibt es eine Sozialstaatsverpflichtung. Das muss ich auch denjenigen Rektoren sagen, die jetzt über eine Höhe von Studiengebühren reden, wie sie an amerikanischen Privatuniversitäten erhoben wird. Das kann nicht unser Maßstab sein. Wer das deutsche mit dem amerikanischen System vergleicht, soll

(Minister Dr. Frankenberg)

bitte das deutsche System mit dem staatlichen amerikanischen System vergleichen.

Der Wissenschaftsrat, der Stifterverband und das CHE gingen von 1 000 DM, also umgerechnet etwa 500 €, aus. Das halte ich für Deutschland auch unter der grundsätzlichen Sozialstaatsverpflichtung für eine im Mittel durchaus vertretbare Größenordnung. Danach würde bei einem zehnsemestrigen Studium – von einer solchen Länge wollen wir auch noch wegkommen –, wenn pro Semester 500 € bezahlt würden,

(Zuruf des Abg. Pfister FDP/DVP)

eine Schuld von 5 000 € anwachsen. Vergleichen Sie diese Verschuldung, die jemand für die größte Zukunftsinvestition aufnimmt, die man vornehmen kann, nämlich eine Investition in seine eigene Bildung und Ausbildung, in seine eigene Berufsperspektive mit einem deutlich höheren Jahresgehalt, einmal mit der Erstinvestition in ein Auto.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Wesentlich billiger!)

Da frage ich mich doch: Warum soll jemand nicht eine Erstinvestition in die eigene Ausbildung selbst bezahlen,...

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, ich bitte um mehr Ruhe.

... die deutlich unter der Erstinvestition in ein Auto liegt?

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dr. Inge Gräßle CDU: Für dieses Geld kriegen Sie nicht einmal einen gescheiten Ge- brauchtwagen!)

Das Studium ist noch mehr wert als ein Gebrauchtwagen. Das ist völlig richtig, Frau Gräßle.