Protocol of the Session on October 29, 2003

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Heiterkeit und Unruhe – Abg. Pfister FDP/DVP: Das möchte ich genauer wissen!)

Ich komme zum nächsten Beispiel. Bei der vorgezogenen Steuerreform ist die Masche doch haargenau die gleiche. Man sagt: „Ja, aber nicht mit so vielen Schulden.“ Die Bundesregierung macht Vorschläge für eine Gegenfinanzierung wie eine Kürzung der Entfernungspauschale, der Pendlerpauschale.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Die müssen noch viel mehr machen! – Gegenruf des Abg. Drexler SPD: Ihr lehnt ja alles ab! – Gegenruf des Abg. Pfister FDP/DVP: Nein!)

Der größte Neinsager ist sofort Ministerpräsident Teufel. Es hat doch gar keinen Sinn, zu sagen: „Wir stimmen dem Vorziehen der Steuerreform zu, aber nicht, wenn so viele Schulden gemacht werden“, wenn man nicht selber Vorschläge zum Abbau der Schulden macht oder die Vorschläge der Bundesregierung blockiert; alles andere grenzt doch einfach an Demagogie.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Walter GRÜNE: Sehr gut!)

Das Werfen von Nebelkerzen muss einfach aufhören. Durch diesen Politikstil können wir die Bevölkerung nicht mitnehmen.

Wenn man in der Regierungserklärung selber sagt, die Belastungsfähigkeit der Bürger und der öffentlichen Hand sei an eine Grenze gestoßen, dann muss man das auch selber ernst nehmen. Ebenso gilt: Wenn man wie Sie behauptet, Bürger und Staat müssten aufhören, sich gegenseitig zu überfordern, kann man nicht, wenn es um die Leute geht, die man für die eigene Wählerschaft hält, den Eindruck erwecken, als sei noch ein Füllhorn vorhanden. Darum geht es. Das muss sich ändern. Dieser ganze Teil Ihrer Regierungserklärung war überflüssig wie ein Kropf.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Jetzt komme ich wieder zum Haushalt. Sie haben 2 Milliarden € Schulden gemacht. Das ist die höchste Nettoneuverschuldung in der Geschichte des Landes. In Wirklichkeit weiß jeder, die Verschuldung ist noch viel größer. Sie beträgt nämlich 100 Milliarden €, wenn wir die Pensionslasten mit hinzurechnen und deren Barwert einstellen, wogegen sich der Finanzminister bisher ja beharrlich wehrt, obwohl es notwendig wäre, damit die Leute wissen, wie die Situation der Haushalte wirklich ist.

(Zuruf des Abg. Clemens Winckler CDU)

Was machen Sie jetzt in dieser Situation? Kollege Pfister, Sie haben gesagt, die Pensionslawine rolle auf uns zu, es habe aber keinen Sinn, sie immer nur zu beschwören.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Richtig!)

In der Tat. Was passierte bei der letzten Sitzung des Finanzausschusses? Als es bei der Behandlung des Sonderzulagengesetzes darum ging, zu verhindern, dass die Sonderzulagen in Zukunft altersruhegehaltsfähig werden, haben Sie dagegen gestimmt, und Sie haben auf Vorschläge des Beamtenbunds die Konstruktion genau so gestaltet, dass die Sonderzahlungen weiterhin ruhegehaltsfähig sind.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Doppelmoral!)

Das heißt: Sie tun nicht nur nichts gegen die Pensionslawine, sondern Sie fördern sie noch. Es ist, finde ich, ein unerhörtes Verhalten, in einer solchen Situation so zu handeln.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf der Abg. Heike Dederer GRÜNE)

Das kann niemand verantworten. Dass Sie einerseits eine soziale Abfederung für die kleinen Beamten in den Besoldungsgruppen A 2 bis A 8, die diese Kürzung wirklich unglaublich hart trifft – wenn man weiß, wie gering deren Besoldung ist –, abgelehnt haben, zugleich aber hinsichtlich der Ruhegehaltsfähigkeit die Gesetzgebung einfach durchziehen und unsere Anträge ablehnen und ignorieren, ist, finde ich, ein starkes Stück. Dann müssen Sie sich schon gefallen lassen, dass wir hier die aktuelle Haushaltssituation kritisieren, für die Sie verantwortlich sind.

(Beifall der Abg. Heike Dederer GRÜNE)

Des Weiteren ist es ja so, dass die Finanzpolitik noch strotzt von Schattenhaushalten: Ich nenne etwa die Landesstiftung, die Finanzierungsgesellschaft für öffentliche Vorhaben. Wenn wir allein bedenken, dass sich die Verbindlichkeiten des Landes bei L-Bank und LEG zusammen auf beinahe 650 Millionen € belaufen, dann wissen wir, dass die Situation noch ein Stück schlimmer ist.

Die Forderung nach Subsidiarität, Herr Ministerpräsident, unterschreibt in diesem Haus jeder, aber nicht Ihre Ausführung. Was Sie jetzt wieder mit den Kommunen machen – das Land kürzt selbst 200 Millionen € mittels des kommunalen Finanzausgleichs und des Kommunalen Investitionsfonds –, ist in einer Situation, in der die Kommunen mit dem Rücken zur Wand stehen, wirklich unglaublich. Dann propagieren Sie noch den Kompromiss zur Gemeindesteuerreform, die Sie ausschließlich über eine Umsatzsteuerumlageerhöhung und eine Absenkung der Gewerbesteuerumlage machen wollen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das hilft sofort!)

Aber Sie wissen doch, dass das voll auf die Landes- und Bundeshaushalte zurückschlägt. Das ist die Sanierung einer Ebene voll auf Kosten der beiden anderen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das wissen wir doch schon!)

Ist das denn die Perspektive? Unser Gewerbesteuermodell bezieht erstens mit einer breiteren Bemessungsgrundlage bei gewerbesteuerlichen Organschaften in ganz bescheidenem Umfang auch Leasingraten, Zinsen und Ähnliches mit ein.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das ist der falsche Weg!)

Zweitens wird der Zahlerkreis erhöht. Das ist doch genau das, was man machen muss. Man braucht eben mehr Steuereinnahmen. Die bekommt man nur über eine breitere Bemessungsgrundlage. Dann kann man die Sätze insgesamt senken, sodass es für die Leute erträglich ist. Was soll es für einen Sinn haben, Reformen zu machen, bei denen sich eine Ebene auf Kosten der anderen saniert?

(Beifall bei den Grünen)

Zur Verwaltungsreform muss man noch einmal sagen, Herr Ministerpräsident: Seit zehn Jahren hat die Opposition in diesem Landtag die Verwaltungsreform gefordert. Sie haben sie dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion durchgesetzt. Die CDU-Fraktion hat montags davon erfahren, dienstags hat sie vier Stunden Zeit gehabt, darüber zu diskutieren, dann wurde das Konzept für die Verwaltungsreform durchgezogen. Wer so mit seinem eigenen Parlament umgeht, der muss auch einmal die Frage beantworten, wie glaubwürdig sein Eintreten in der Föderalismuskommission dafür sein soll, dass die Kompetenzen der Länderparlamente gestärkt werden.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Ich mache es kurz, es ist ja alles schon gesagt worden.

(Ministerpräsident Teufel: Ja!)

Die Konkretisierung des dauernd wiederholten Anspruchs, dass Aufgaben kommunalisiert werden, fehlt seit Monaten. Zu dem, was Kern einer solchen Reform sein sollte und genau dem Gedanken der Subsidiarität entspräche, nämlich zu kommunalisieren, liegen überhaupt keine Vorschläge auf dem Tisch.

Zweitens ist natürlich klar, da Aufgabenkritik und Vorschläge zur Aufgabenreduktion bisher nirgends vorgelegt wurden, dass unter diesen Bedingungen inzwischen auch die Landkreise befürchten, dass die 20-prozentige Effizienzrendite in keiner Weise einzuhalten ist und letztlich die Kommunen über die Kreisumlage zur Kasse gebeten werden. Diese Furcht ist mehr als verständlich. Sie haben den Nachweis zu führen, Herr Ministerpräsident, dass durch eine Aufgabenkritik und eine Aufgabenreduktion das, was Sie den Kommunen praktisch schon aufgedrückt haben, wenigstens theoretisch erfüllbar ist.

Sie müssen auch einmal erklären, wovon Sie in Ihrer Regierungserklärung sprechen: Die freien Träger kommen vor dem Staat. Welchen Sinn macht es dann eigentlich, die Landeswohlfahrtsverbände in die staatliche Verwaltung einzugliedern?

(Ministerpräsident Teufel: Ist das ein freier Träger? – Abg. Pfister FDP/DVP: Das ist doch kein freier Träger! – Zurufe von der CDU)

Welchen Sinn macht das nach dem Subsidiaritätsprinzip, wenn man sieht, wie ungleich die Behinderteneinrichtungen in den Kreisen, zum Beispiel in Oberschwaben, konzentriert sind? Dies ohne eine Wirtschaftlichkeitsberechnung zu machen ist doch wirklich abenteuerlich.

(Minister Dr. Repnik: Das ist doch kein kommuna- ler Verband! – Zuruf des Abg. Pfister FDP/DVP)

Ja, das ist mir bekannt.

An diesen Punkten zeigt sich, dass die Reform unausgegoren ist und an allen Enden aneckt. Warum? Weil Sie Ihr Reformkonzept hier einfach mit einer Überrumpelungsstrategie durchgezogen haben. Richtig wäre es natürlich, solche tief greifenden Reformen mit den Bürgerinnen und Bürgern zu machen.

(Unruhe bei der CDU – Zuruf der Abg. Heike De- derer GRÜNE)

Wir brauchen eine Verwaltung, die mit den Bürgern zusammenarbeitet. Wir brauchen eine Verwaltung, die in die Bürgergesellschaft einbezogen ist. Das will ich noch einmal an einem Beispiel deutlich machen.

(Zuruf des Abg. Walter GRÜNE)

Wir sind davon überzeugt, dass die Schule der Zukunft eine Schule sein wird, die in die Bürgergesellschaft und in die Kommune eingebettet ist. Wir sind davon überzeugt, dass wir die hohen Ziele, die wir uns vorgenommen haben – wie Sie gesagt haben: endlich auch in der Champions League spielen –, nur dann erreichen werden, wenn wir den Schulen Freiheit geben und ihnen damit auch die Verantwortung geben, Ziele, die wir setzen, selbst zu erreichen und umzusetzen.

Davon kann, glaube ich, bei Ihnen überhaupt keine Rede sein. Was Sie jetzt machen – aus 30 Schulämtern wieder 35, plus 9 in den Stadtkreisen –, bedeutet, Schulbehörden jetzt noch in Rechts- und Aufsichtsinstitutionen einzubinden. Das ist genau der falsche Weg. Wir brauchen nicht noch eine weitere Verrechtlichung der Schule. Wir brauchen mehr pädagogischen Freiraum und mehr Spielraum vor der Schule. Das ist genau die Vision, die man von einer Schule hat, die in der Bürgergesellschaft funktioniert.

(Beifall bei den Grünen)

Was wir aufgrund der tief greifenden Veränderungen in den Familienstrukturen, aber natürlich auch aus pädagogischen Gründen brauchen, sind mehr Ganztagsschulen.

(Zuruf des Abg. Pfister FDP/DVP)

Überall werden sie gefordert. Der Stuttgarter Gemeinderat und gestern der Bundesverband der Deutschen Industrie – also auch Leute, von denen man denkt, dass sie direkt zunächst einmal nicht so viel mit Schule zu tun haben – fordern mehr Ganztagsschulen. Das ist das Gebot der Stunde für eine familienfreundliche Politik. Wir brauchen mehr Ganztagsschulen und mehr Kleinkindbetreuung. Da müssten Sie endlich einmal weg von Ihrem Modell – Herr Kollege Oettinger hat das eigentlich schon angedeutet –, man könne immer nur Transferleistungen für die Familien gewähren.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Infrastruktur!)

Der Hauptknackpunkt bei der Frage, ob wir ein kinderfreundliches Land sind, liegt heute in der Vereinbar

keit von Familie und Beruf. Da stehen die Kleinkindbetreuung und die Ganztagsbetreuung im Vordergrund. Dort müssen wir die Mittel investieren.